Walter Hövel

Die Busfahrerin

 

Sie war anders als Ihre Kollegen. Sie brüllte oder schnauzte Kinder nicht an, nie dass sie kommandierte oder mit Schlägen drohte. Sie sprach mit Kindern, ohne je den Ruf eines „Weicheis“ zu bekommen. Sie war sehr beliebt. Bei ihr wurde deutlich, dass Busfahrerinnen und Busfahrer zum pädagogischen Fachpersonal zählen müssten. Doch geschieht das?

 

Wenn Kinder nicht (zu)hörten, auf ihre Ansprache nicht reagierten, kam sie zu mir, dem Schulleiter. Unsere Schule ließ keine Übergriffe von Erwachsenen gegenüber Kindern, noch von Kindern an Kindern oder Erwachsenen zu. Das wusste sie.

 

Ich suchte nach dem Gespräch mit ihr, das folgende mit den Kindern, mal mit ihr, mal ohne sie. Handelte es sich um Verfehlungen von Erwachsenen, folgten, oft sehr schwierige , auch nicht erfolgreiche Gespräche – häufig über besagte Busfahrerin - mit Busfahrern – oder direkt mit dem Busunternehmen. (Beim Chef war ich nicht sehr beliebt.)

 

Wiederholten sich Kränkungen, Beleidigungen oder Machtspielchen der Kinder gegenüber anderen Kindern oder der Busfahrerin, entwickelten wir unsere nächste, in der Schule mögliche Maßnahme.

 

Wir nennen dies im Nachherein „Maßnahmen“ oder „Schritte“. Wir hatten im Vorherein aber keinen Plan oder einen Beschluss unsererseits. Wir planten also unserer Handeln nicht, aber benutzten zumindest bewährte Teile.

 

Schulentwicklung glaubt oft an das Gegenteil, oder könnte sich die eigene Langsamkeit durch fehlende nicht bekannte Demokratie erklären. Wir verwissenschaftlichen nach unseren Erfahrungen immer neu.

 

Als nächsten Schritt gab es eine Teilversammlung im Forum unserer Schule. Es kamen nur unsere Kinder des betreffenden Busses, die Busfahrerin und die Schulleitung. Hier wurden alle Fragen von allen für alle geklärt, indem wir über alle Vorkommnisse sprachen und die Regeln selber machten.

 

In einigen Fällen waren Kinder oder Jugendliche anderer Schulen die Initiatoren der Probleme im Bus Es waren auch Rädelsführer*innen oder Mitglieder von Straßengangs oder -banden in Vororten. Nicht alle Probleme entwickelten sich im Milieu unserer Schule. So sagte nicht jedes Kind in unserer Versammlung sofort was sie oder er wusste. Kinder unserer Schule erwarteten Sanktionen vor Ort, nicht in Schule oder auch im Bus. Es dauerte seine Zeit bis sich Vertrauen in eine demokratisierte Welt der Erwachsenen einstellte. Sie kannten es, dass die Erwachsenenwelt gerne so dachte wie die „Führer*innen“ in Gangs und zu oft schweigend die Macht der täglichen außerschulischen Kräfte akzeptierten oder gar förderten.

 

So beinhaltete oft genug der Beschluss der Teilversammlung, dass ich mit Banden oder mit anderen Schulleitern Gespräche führen musste. Schulleiter*innen gingen auf meine Besuche ein und redeten, oft genug mit ihren (gewohnten) Sanktionsdrohungen mit den Kindern „ihrer“ Schulen, aber auch mit Demokratiehoffnungen. Oft reichten solche, vor allem als die nun folgenden Maßnahmen sich durchsetzten.

 

Sie wussten, einige lernten es, dass ich mich nicht scheute die Unterstützung der für mich zuständigen Schulaufsichtsbehörde, als auch des kommunalen Schulamts zu holen. Mit letzteren setzte ich ein „Bus(mit)fahrverbot“ für mobbende Menschen durch. Es gab dabei nicht die Möglichkeit für Busfahrer*innen ein „Mitfahrverbot“ auszusprechen. Es musste von Schulleiter*innen mit dem örtlichen Schulamt, der Busgesellschaft und, in unserem Fall von der Teilversammlung gewünscht, abgesprochen werden. Da der Schulamtsleiter, als auch seine Nachfolgerin wie die Busfahrerin demokratisch dachten, wurde mit einem solchen „Busfahrverbot“ gearbeitet.

 

Ein „Busfahrverbot“ betraf - nach meiner Erinnerung - zwei Jungs unserer Schule und einige Kinder oder Jugendlicher anderer Schulen. Die Eltern, vor allem Väter, regten sich sehr auf. Als sie jedoch merkten, dass sie „ohne Freunde“ sich einigen Personen und Behörden gegenüber standen, fingen sie an mit ihren Kindern nachzudenken. Diskriminierendes Benehmen der Kinder gegenüber anderen hatte in der Regel im Verhalten oder Denken ihrer Eltern seinen Ursprung, in gesellschaftlicher Unterdrückung oder öko-nomischer Ausbeutung.

 

Ich lernte aus diesen Vorgängen um die Busfahrerin vieles:

 

Demokratie braucht nicht nur Zeit und Einsatz, sondern auch immer wache Haltung und Willen.

 

Entscheide nie etwas ohne Kinder. Das ist keine formale Partizipation, die womöglich noch deinen (erwachsenen) Vorstellungen folgt. Teilhabe ist das ständige in Augenhöhe geführte Gespräch und dabei die Entscheidung bei den Betroffenen lässt. Ansonsten bist du schnell auf der anderen Seite.

 

Demokratie braucht demokratisches Denken. Je mehr dies tun, umso stärker sind die Rechte der Menschen, um so schwächer sind rechte Unmenschen. Jede Schule braucht mehr demokratisches Denken.

 

Mauscheln und Gespräche führen, sind zweierlei. Führe immer Gespräche, auch wenn die unangenehm werden können.

 

Ich lernte wie sich Demokrat*innen auch gegen Verstöße wehren müssen.

 

Trete klug für deine demokratischen Ziele ein und nimm alle mit, denn alle sind von allem betroffen.

 

Du hast nicht immer recht und du musst auch verlieren können. Manchmal sind dann keine Beschlüsse besser, als die falschen.

 

Du findest „in allen Etagen“ Freunde oder mitmachende Menschen, die das unterstützen was du tust. Du musst diese oft suchen. Ich fand sie bei Kindern, Jugendlichen, Kolleg*innen, Eltern, in der Kirche, in Schulämtern, in Unis, bei der Polizei, in der Politik, bei Studies, in Stiftungen, bei Hospitant*innen, bei Angestellt*innen, in der Nachbarschaft, in Vereinen, in der Ärzteschaft, bei einfachen Menschen, in den Familien, ... Heute heißt das Vernetzung.