Walter Hövel
Fehlende Trennschärfe im internationalen Umgang mit „Menschenrechten“

 

 

 

Wie sagte Jochen Hering „Vielen Freinetleuten fehlt die Trennschärfe“. Gemeint ist politische und gesellschaftliche Trennschärfe.
Seit vielen Jahren arbeiten einige Menschen aus Deutschland, sie sind an einer Hand aufzählbar, in der internationalen Freinet-Bewegung, genauer im internationalen Vorstand.

 

Schon in den 70iger Jahren wurde in Artikeln der Fragen und Versuche von Besuchern der damaligen internationalen Treffen darauf aufmerksam gemacht, dass es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen demokratisch denkenden Menschen in unserem Land und in dieser Bewegung gibt.

 

Heute, 2015, gut 40 Jahre später, scheint sich einiges „eingespielt“ zu haben. In einem dreiseitigen Artikel der Fragen und Versuche 152 vom Juli 2015 wird – wie alle zwei Jahre - zum Besuch des nächsten internationalen Treffens, dieses Mal in den Benin, eingeladen[1].

 

Insgesamt klingt die politische vorangestellte Erklärung harmloser als eine bilaterale Erklärung zweier Staaten. U.a. tritt sie für einen „nachhaltigen „ KONSUM“[2] ein. Alleine die Passage zur Schule ist nicht nur miserabel aus dem Französischen übersetzt[3], sondern auch nicht verstanden oder – sie macht keinen Sinn: „Schulische Organisation (???) sollte nicht isoliert und getrennt vom Lebenskontext[4] existieren, sondern es verstehen in diesem Milieu (?) zu arbeiten (???), Netzwerke zu erschließen und Zusammenarbeit zu fördern[5] und dieses im Sinne einer Schule zu tun, die sich gegenüber der Welt öffnet[6]“ Noch nicht einmal ein Bildungspamphlet einer 5%-Partei würde so oberflächlich und fahrlässig formuliert beginnen. Die Sprache der Schul- und Lernentwicklung in Deutschland geht heute anders, die Inhalte haben zumindest dieses „internationale Freinetniveau“ hinter sich.

 

Und dann folgt ein herzzerreißender Teil zum Benin. Die geographische Lage, die Amtszeit des Präsidenten, die Vegetation, das Klima, bis hin zum „Internetnetz“ und den „touristischen Attraktionen“ werden geschildert.

 

Und was dann passiert geht einfach nicht!! Alle (!) kritischen Informationen werden einfach weggelassen!! Und das ist kein Zufall! So, und nicht anders, kenne ich diese „internationale Arbeit“  seit mehr als 20 Jahren und so ist sie heute noch. Vielleicht wird sie dadurch noch übler.  

 

 

 

Ich möchte fehlende Informationen in den nun folgenden Seiten und Kästen nachreichen.

 

 

 


Wikipedia zu den Rechten der Kinder im Benin

 

„Amnesty International stuft die Haftbedingungen in Gefängnissen als äußerst hart ein. Sie liegen weit unter dem internationalen Standard.
Die Sicherheitskräfte müssen nach wie vor keine strafrechtliche Verfolgung befürchten, auch wenn sie nachweislich für brutale Gewaltanwendung und Misshandlungen verantwortlich sind.
Kinder leiden unter den Haftbedingungen besonders. Für sie gibt es keine gesonderte Behandlung oder Unterbringung.“[7]

 

Ich bin und bleibe, was Kinderechte, also Menschenrechte angeht, bei meinem Verständnis von humaner Pädagogik, Psychologie und Politik.
Ich stelle in Frage, was auf den sofort folgenden Seiten in der gleichen Fragen und Versuche 152
[8], die das Thema der kommenden internationalen Konferenz vorstellen soll, über „Die demokratische Partizipation der Kinder“ geschrieben wird.

 

Ich glaube, was ich im beschriebenen Seminar in Italien 2014 selbst erlebt habe. Da ging es nicht um die Kinderrechtediskussion, die ich seit vielen Jahren in und um deutschen Schulen führen kann. Da geschah und geschieht  bei den Freinets etwas anderes  als in der Arbeit mit Otto Herz, Sonja Student, Hans Brügelmann, der Bund-Länder-Kommission, beim Blick-über-den Zaun oder beim Grundschulverband.

 

Ich hielt zu Beginn einen Erwiderungsbeitrag zur Unteilbarkeit von Kinder- und Menschenrechten. Eine Antwort einer afrikanischen Schulrätin war: „Wir wollen, dass die Kinder (im Westen Afrikas) so werden wie wir Erwachsene schon sind“.
Dazu gab es keinen Widerspruch von den Anwesenden, nicht von der jetzt nach Benin Einladenden, nicht vom Seminarleiter, von niemanden! Auch keine Zustimmung zu
meiner Aussage.

 

Stattdessen  wurden mir die auch mir geltenden „Gruppenregeln“ von Le Gal erklärt. Meine Aussage verschwand „im Nichts“,  „weil die Frage, wie man das Wort ergreift, bereits das Ergebnis einer Entscheidung der Gruppe sein muss“[9]. Zu dieser Art „Freinet zu machen“, hatte ich schon mal etwas ausführlicher geschrieben.[10]

 

Es spielte keine Rolle, dass mit mir weitere vier weitere Personen das Seminar verließen. Es wurde und wird weiter gemacht. … was mich fatal an Literatur erinnert, die in der Vergangenheit schon die Zukunft der Menschen beschrieb oder wie bestimmte Zirkel mit Religionen oder Politik umgehen.

 

Ich bin mir nicht böse, dass ich in der Frage der Rechte der Menschen so empfindlich bin! Ich möchte auch in Zukunft bei meiner Trennschärfe bleiben!

 

 

 

Darum weiter in den fehlenden Informationen:
Wikipedia zu „homosexuellen Handlungen“

 

Homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen werden nach Paragraph 88 des Strafgesetzbuches von 1996 als Straftat angesehen und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft…“[11]

 

Warum lasst ihr (!) auch diese Informationen weg? Spreche ich jetzt einfach meine homosexuellen Bekannten nicht an? Lade ich sie einfach nicht ein? Vielleicht erst wieder zum Treffen in Schweden?

 

Und auch das nächste Thema wird ausgelassen:
Frauenrechte

 

„In Benin wird die Genitalverstümmelung vor allem an Kindern vorgenommen. Mehr als ein Drittel der betroffenen Frauen wurde vor ihrem vierten Geburtstag genitalverstümmelt, von den übrigen wurde die Hälfte zwischen dem fünften und neunten Lebensjahr beschnitten. Je nach Ethnie variiert das Alter und ist nur selten innerhalb einer sozialen Gruppe so weit gefächert wie im Vergleich zur gesamten Landesbevölkerung.“[12]

 

… Und weiter zu den  „Begründungsmustern“, der seit 2003 verbotenen(!) Praxis:

 

„Im Benin wird die weibliche Genitalverstümmelung vor allem praktiziert, weil den Frauen, die sich ihr widersetzen (obwohl sie aus einer Ethnie mit hoher FGM-Akzeptanz stammen) der Ausschluss aus der Gemeinschaft und Herabwürdigung ihrer Person droht. Umgekehrt haben die Frauen, die nicht unversehrt aufwachsen durften, bessere Heiratschancen und können sich einen sicheren Lebensstandard durch einen gut verdienenden und zuverlässigen Ehemann sicher. … Darüber hinaus geben viele BefürworterInnen von FGM auch ihre Religion als Begründung an, obwohl diese Eingriffe in keiner heiligen Schrift genannt werden und sich viele Religionsführer eindeutig gegen die Genitalverstümmelung ausgesprochen haben.“[13]

 

 

 

Und damit kommen wir zum nächsten Punkt.
Polygamie

 

Alle aus Deutschland kommenden Mitglieder des internationalen Vorstands stellen seit über 20 Jahren noch nicht einmal die Frage, ob die Polygamie („Vielweiberei“), die es im islamisch bestimmten Senegal, im Benin und anderen afrikanischen Ländern gibt, gegen die Rechte der Frauen, also wieder die Menschenrechte gerichtet ist. Die weiblichen Kolleginnen aus Deutschland kooperieren nun seit mindestens zwei Jahrzehnten mit den männlichen Kollegen, die –wie ihnen bekannt - zwei bis vier Frauen gleichzeitig geheiratet haben und mit ihnen leben.
Eindeutige Avancen an weibliche Vorstandsmitglieder gab es in diesem Zusammenhang auch!

 

Aber es gab nie die nötige „Trennschärfe“ auf Seiten der Freinetleute.

 

Ich habe in den letzten Ausgaben, den Umgang innerhalb des internationalen Vorstands mit Demokratie und Menschen beschrieben. Es wird nicht reagiert oder abgetan: „Leider äußert sich Walter nicht sehr glücklich über Vorstandsarbeit und mangelnde Übersetzung[14] und hat sich bereits wieder aus dem Vorstand verabschiedet.“[15]
Es ist meinerseits kein Aufgebrachtsein, kein Entsetzen, kein Nichtverstehen. Eher ist es Distanzierung, ein Abrücken.  Es ist eher ein Gefühl bereits vergehender Trauer.  Was bleibt ist ein Rest von Traurigkeit.
Schließlich bin ich in dieser Bewegung groß geworden. Wahrscheinlich hatte ich - wie so gerne - ein paar Dinge nicht verstanden. Mein Verstehen war ein Missverstehen von mehr Demokratie und mehr Lernkraft. Daher bin ich eher dankbar für die vielen LehrmeisterInnen und BegleiterInnen, denen ich in den vielen Jahren, auch international, in dieser pädagogischen Denkweise begegnete.

 

Meine Reaktion ist klar. Ich werde darauf achten, dass ich den anderen Teil, der sich „Freinet“ nennt, auch nicht mehr versehentlich unterstützen werde.

 

Es geht immer um Menschenrechte, wenn es um Demokratie, Kinderrechte, mehrfach um Frauenrechte und die Rechte von Homosexuellen geht. Sie siedeln sich höher an als ein Verständnis von „Freinet“.

 

Trennschärfe muss auch schon mal zu Trennungen führen!

 



[1] Fragen und Versuche 152/2015, S.28-30

[2] Da lasen sich die 1982 von Ingrid Dietrich herausgegebenen „Politischen Ziele der Freinetpädagogik“ noch etwas anders

[3] Nicht als Problem der Übersetzerin, sondern der Herausgeberin des Artikels

[4] ein Problem des letzten Jahrhunderts!?!

[5] Wer mit wem?

[6] Das hat das deutsche Schulwesen nun wirklich in den 70iger Jahren getan. Wir haben heute ganz andere Probleme!

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Benin

[8] Fragen und Versuche 152/2015, S. 31- 39

[9] Jean Le Gal zitiert nach Andy Honegger, ebenda, S. 38

[10] Walter Hövel, Freinet ist etwas anderes, Fragen und Versuche 132/ 2010
Download:  http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/pdf_3/Freinet%20ist%20was%20Anderes.pdf

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Benin

[12] http://www.frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/weibliche-genitalverstuemmelung2/unser-engagement/aktivitaeten/genitalverstuemmelung-in-afrika/fgm-in-afrika/1425-benin

[13] ebenda

[14] Ich hatte keine Sprachprobleme mit Josep Alcombe oder Paul le Bohec, obwohl wir die Sprachen des anderen

     nicht konnten

[15] Bericht der Generalversammlung der FIMEM 2014 von Andi Honegger. In: Fragen und Versuche 152. S. 40