Walter Hövel
1996

Wir schreiben das Jahr 2021. Es ist 25 Jahre her. Ich schrieb das Folgende im Jahr 1996 auf. Ich archiviere es jetzt online. Es sind Notizen, Gedanken, Ideen und Aufsätze.

 

Eine Schreibtechnik
Einen Kasten zeichnen und ihn dann vollschreiben.

 

Voller Job als Klassenlehrer, und als Schulleiter

Ich bin Klassenlehrer von 20 Kinder. Die nächste meiner Klassen in vier Jahren hat 29 Kinder. In der 1996-Klasse sind 4 türkische oder kurdische Kindern, ein Sinti, ein Kind aus der DDR, 16 haben deutsche Eltern, mindestens vier von ihnen sind Sonderschüler*innen. 15 von ihnen sind Unterschichtler*innen, drei haben intellektuelle, zwei reichere Eltern. Vier sind blond.

 

In vier Jahren hat sich an der Zusammensetzung der Klassen nichts verändert. Nur Kinder haben jetzt noch einen polnischen, rumänischen, italienischen oder russischen „Migrationshintergrund“. Das Verhältnis der Jungs und Mädchen bleibt numerisch auch gleich.

 

Fragen, Gedanken
Können Sie eine Glühbirne bauen? Wissen Sie wie ein Computer geht? Können Sie aus einem Erdölfeld Plastik machen? Können sie ein Auto oder Fernseher bauen? Auch nach der Schule und Studium nicht.

 

Aber wir lernen zu lesen, zu schreiben zu rechnen, die Mathematik, halten Vorträge zu jedem Thema, uns jede beliebige Information holen und uns (fast) alles kaufen. Bereitet das auf Leben vor? Tut Schule das? Macht das das jetzige Leben aus?

 

Fragen zur Welt. Fragen von Kinder meiner Klasse.
Warum gibt es Flugzeuge?

Warum weht der Wind?

Warum töten Menschen Tiere?

Warum dreht sich die Erde, aber nicht der Boden?

Warum gibt es Mond und Sterne?

Warum gibt es bei uns keine Elefanten?

Warum gibt es Geld?

Warum kann man einen Wasserfall hören?

Warum küssen Menschen?

Warum versickert Wasser im Boden, aber nicht in Flüssen und Seen

Warum gibt es Winter?

Warum fallen die Blätter

Warum gibt es Arbeit?

Warum sind Menschen die einzigen Tiere, die Erfindungen machen?

Warum können wir ohne Luft nicht atmen?

Warum ist in Ägypten das Wasser knapp?

Warum sind Blätter nicht viereckig?

Warum müssen Erwachsene alles beurteilen?

 

Wieso gibt es Arbeit? (geschrieben von Kindern)

Zum Geld verdienen - Sonst müssen wir tauschen - Damit wir uns Mühe geben – Zum Überleben – Um Neues zu erfinden – Gegen Überschwemmungen – Für Felder, Essen, Häuser – Sonst müssten wir auf der Straße leben – Pullover stricken ist Arbeit - Aber wir brauchen keine Autos - Lehrer zum Lernen – Wir brauchen keine Schule, aber Lehrer – Ein Lehrer genügt – Es gibt auch Arbeit ohne Geld – Arbeit kann Spaß machen – Man muss auch draußen lernen – Wir könnten auch in Höhlen lernen – Kinder arbeiten auch – Kinder arbeiten mit dem Gehirn – Schreiben – Wir Kinder arbeiten ohne Geld – Wie arbeiten, um etwas Wichtiges zu lernen – Lernen ist Arbeit – Mathe ist Arbeit – Selber Rechnungen erfinden und aufschreiben, das ist Arbeit – Erfinden ist ein Hobby, das ich gerne mache - …   Kinder wollen das Gleiche wie ihre Eltern lernen – Wir lernen Reiten, Suppe machen, Kochen, Bilder Zeichnen, Rechnen, Schreiben, Fenster Bauen, Modellflugzeuge, Fahrräder, Lesen, Stricken, Basteln, Auto fahren, (sich bei Tisch)-Benehmen, Karate, Lieben und Heiraten – Liebe und Arbeit gehören zusammen – Ohne Zwang – Zuhören und Nachdenken – Was du schon kannst, brauchst du nicht mehr zu lernen.“

 

Paul le Bohec über das Lernen
„Jedes Kind kommt zunächst in das Chaos einer ihn fremden Welt.

 

Es muss lernen darin zu überleben.


Dazu muss es Strukturen und Werkzeuge entwickeln, um irgendwie zurecht zu kommen.

 

Die Kunst des Lehrers ist es, diesem Kind Strukturen zu vermitteln, ihm Werkzeuge an die Hand zu geben, und es gleichzeitig so wenig wie möglich zu beeinflussen.“

 

Erwachsenengedanken und Fragen auf einem Seminar:

Ich will nicht, zum Teufel mit der Kleinigkeit!“

Das Theater, das wir täglich stricken.“

Das Theater wird gesucht.
„Was ich bin, was ich kann, was ich will“

Was ist das Gute?“

Ich bin nicht nur ich, ich bin etwas mehr.“

Er denkt und fühlt alleine“

Er denkt und fühlt mit und durch die Gemeinschaft mit anderen Menschen.“

Er denkt allein was existiert.“

Die Frage ist nur wie bewusst du dir dessen bist.“

 

Methoden des Lernens:
Kinder fragen – In der Gruppe fragen – Selbst lösen – Zeichnen - Bewegungen – Musik – Schreiben und reden – 7 Minuten schreiben – 60 minimal – Gefühle ausdrücken – Beobachten – Fragen – Passende Musik. z.B.Pink Floyd – Meditation – Vorführung – Interviews mit Lebendem – Trance – malen – Scharade, Pantomime – Dialog der Dinge – Interview mit historischen Persönlichkeiten – Symbole erfinden – Vergleich – Kinderantworten – Jugendliche im Park – Gegenteil aufzählen – Im Schlechten das Gute denken – Laterales – Eigenes Wissen – Collage – Gucken – Unsichtbares Theater - „Ich bin der beste Mensch der Welt“ - Tragödie – Märchen zum Guten – Tragödien in der Realität – Persönliche glückliche Situationen – Leute zu „Was ist das Gute“ interviewen – Was sagen Eltern ihren Kindern – innere Welt, äußere Welt - „Ich habe kein Talent“ - Etwas lernen, was ich nicht kann – Etwas über sich selbst sagen – Spiel: Wer kann Was – Andere über sich selbst fragen – Den Sinn finden – Lachen, trauern – Welches Tier – Ich, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

 

Eginhard Fuchs - Begegnung mit einem Waldorfianer
„Unterschied des Erziehungszweck früher – heute

Erziehung zum Verkäufer seiner Arbeitskraft oder Käufer von Produkten (Konsument)
Kinder orientiert: Das zum Vorschein bringen, was im Kind liegt

Liebe kann man nur freiwillig geben

Ich bin als Mensch geboren, dann wurde ich Ungar, dann bin ich Weltenbürger geworden

Ich bin zu etwas Speziellem geworden

Geplante Zukunft

Projektierte Zukunft, das was man hat in die Zukunft projizieren

Antizipierte Zukunft (geahnte Zukunft), offen sein für das, was auf einen zukommt

Bildungsgesellschaft: Inhalte werden nicht vorgegeben, sondern kommen von den Kindern.“

 

Beobachtung einer Lehrer*in 1
Mein offizieller „Verbeamtungsbericht:“

S. setzt Stationsarbeit, Freie Arbeit, Projekte – und Handlungsorientierung als Unterrichtsgestaltung in ihrer täglichen Arbeit ein.

Sie leitet seit dem ersten Schuljahr im zweiten Jahr ihre Klasse sehr engagiert. Hierbei versteht sie es auch, den Eltern jene Richtlinien relevanten Neuerungen zu vermitteln, die sie verändernd in Schule einbringt.

Außer Musik deckt sie alle Fächer in der Klasse ab.

Sie engagiert sich im Rahmen ihrer pädagogischen Arbeit besonders durch die Förderung des Theaterspiels, bewegungsintensiver Lernphasen, durch professionell angewandte Sportförder-maßnahmen, durch die Gestaltung einer Lebensumgebung in der Klasse, etwa durch gemeinsames Essen, durch Exkursionen und Übernachtungen in der Schule.

Die Kooperation im Kollegium fördert sie positiv. Auf Stufenebene plant sie gemeinsame Projekte und Stationsarbeit, sie stellt ihren Unterricht zur Diskussion, sie übernimmt nach kritischer Prüfung auch Erfahrungen anderer.

Im Gesamtkollegium fördert sie die Arbeit am Schulprogramm durch hinterfragende und ideenreiche Beiträge.“

 

Schule verändern mit Freinetpädagogik oder der Bewegung der Modernen Schule
Änderungen und Zusätze 2021 sind in Doppelklammer, ((…)) gesetzt
Die Waldorfpädagogik und die Montessoripädagogik wurden von Rudolf Steiner und Maria Montessori gegründet. ((Die Jena-Plan-Pädagogik, ein Sonderfall, wurde vom Rechtspopulisten Peter Petersen gemacht.)) Diese Personen legten Grundlagen, die in Theorieform auch heute vorliegen und gelten. Sie gaben ihrer Pädagogik eine Struktur und Regeln, eine Methodik und Didaktik. Diese ließen sie bis heute gegen eine staatliche Pädagogik der Staatsschulen bestehen. Staatliche Erziehung lernt jetzt erst den Menschen, das Kind hier und da, in den Mittelpunkt ihrer Pädagogik zu stellen. Damit ist eigentlich die historische Rolle der Reformpädagogik erledigt, wenn es nicht noch mehr gäbe. ((Dachte ich das damals schon oder bringe ich das jetzt Gedachte nur in das damals Geschriebene?)).

Alte Schule ((Wir kennen sie seit 250 bis 100 Jahren)) setzt den Lehrstoff und die Schule selbst als Herrschaftszweck. In dem Maße wie die staatliche Schule, ähnlich wie die Banken und Industrie, einen Sinneswandel vollzieht und dehierarchisches, kreatives Denken mit dem Menschen im Mittelpunkt einfordert, erleben diese „alten“ Konzepte an Aktualität (vergl. Hagstedt).

Warum wurde die Freinetpädagogik just in einem Beitrag über die Freinetpädagogik in dieser Aufzählung nicht genannt, wo doch sicher ihre Aktualität selbst von universitären Geistern (mit wenigen Ausnahmen) nicht geleugnet wird.
Es liegt daran, dass es eine Freinetpädagogik im Sinne der Reformpädagogiken nicht gibt.
Der Begriff „Freinetpädagogik“ ist nicht der ursprüngliche Name dieser Bewegung (vergl. Freinet, Barre, Dietrich, Schlemminger, Hering/Hövel). Freinet hat keine „Freinetpädagogik“ gegründet, noch begründet.

Er begann aus der Praxis heraus und scharte bald Kolleginnen und Kollegen um sich, die eine ähnliche Praxis pflegten, also selbst „bereits auf dem Weg“ waren. Seine Frau Elise wurde eine der wichtigen Persönlichkeiten, die an der Entwicklung dieser Pädagogik mitwirkten.

Aber ausschlaggebend und prägend für diese Pädagogik war immer, und ist es auch heute ((gemeint ist 1996)), dass sie in der Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern, in der Korrespondenz, ihren Treffen und Fortbildungen, in ihrer konkreten Zusammenarbeit in Schulen und selbst organisierten Ateliers entstand. Diese Menschen tauschten zunächst so ab 1920 in Frankreich, dann weltweit ihre Erfahrungen aus, diskutierten und erprobten neue Ideen.

Célestin Freinet war sicher der Motor und Initiator einer solchen Bewegung. Er war sicherlich ein außergewöhnlicher Workaholic, ein vorzüglicher Vielschreiber, ein charismatischer Antreiber, ein politischer Quertreiber, ein Mann, der „im kritischen Dialog zu seiner Frau“ (Le Bohec) stand, andere pädagogische Vorstellungen – zumindest in seinen jüngeren und mittleren Jahren – zulassen, ja sogar fördern konnte und so so eine breite, hoch stehende Bewegung gründete. Diese Bewegung nannte er selbst „mouvement de l'école moderne“, „die Bewegung der Modernen Schule“.

Die Elemente dieser Praxis und zugleich Vision waren das Werk vieler, vieler Pädagoginnen und Pädagogen, ihre eigenen Ideen, die Übernahme und Erprobung fremder Konzepte und Techniken. Freinet hat dies alles zusammengeschrieben und auch sicherlich viele eigene Gedanken beigetragen

Die „Freinetpädagogik“ ist seither kein geschlossenes Konzept, wie es Steiner oder Montessori errichteten. Es ist ein weit offenes, komplexes Gebilde, das in jeder Klasse, jedem Atelier, jeder Schule andere Gesichter zeigt.

Selbst vermeintliche Erkennungsmerkmale wie das Drucken, die Korrespondenz, die Wandzeitung oder anderes können wegfallen. Dagegen sind Prinzipien erkennbar, wie Freier Ausdruck, die Demokratie, die Kooperation, die Kraft der Gruppe oder die Selbstbestimmung der Lernenden.

Was hält solch eine Bewegung wie der der Modernen Schule zusammen. Einerseits ist es sicherlich die konsequente Fortsetzung der Kooperation. Das Lernen der Kinder geht von den Kompetenzen aller aus. Diese Kompetenz tut alles, um ein demokratischen Lernen, Arbeiten und Leben nicht nur verbal zu fordern. Vielmehr werden „Techniken“ des Lernens und Lebens gefunden, die in sich – wie in einem Hologramm – das gesamte mögliche Programm der „Freinetpädagogik“ tragen. Es ist der Glaube an die Fähigkeit des Menschen auf „natürliche Weise“, in sozialer Kooperation, selbstorganisiert … durch Lernen und Arbeiten zu dem Menschen zu werden, der mensch ist.

Diese Bewegung der Ecole Moderne hat immer von anderen gelernt … von anderen Menschen bis hin zur Übernahme von Elementen des „Lesen durch Schreiben“, von Erkenntnissen der Montessori-pädagogik, der Edu-Kinistetic, dem ökologischen Denkens, dem Boal'schen Theater und vieler kleiner und großer Techniken, die in Klassen und Projekten entstanden. ((Diese Ecole Moderne wollte damals Schule als Lernort erhalten. Viele haben heute die staatliche Schule aufgegeben und arbeiten selbst in „freien Schulen“. Ich habe Schule als Institution generell als reformierbar aufgegeben.))

Viele Methoden und Techniken wurden gerade „von anderen“ erprobt. Jedes Freinettreffen findet nur mit diesen „anderen“ (= Nichtfreinetiker) statt. Sie alle werden sofort als kompetente Mitarbeiter*innen akzeptiert.

Die Kooperation aller Freinetlehrer*innen beruht auf absoluter Frei-Willigkeit. Die Erprobung in den Ateliers, das Kennenlernen neuer Lern- und Arbeitstechniken, das Ausprobieren an sich selbst kann nur im Schutz des demokratischen Willens und Wollens der Menschen stattfinden.

Durch das Studium einiger niederländischer (Wunsch der Eltern eines pädagogischen Prinzips für eine Schule), einiger österreichischen Schulen (Methodenfreiheit der Lehrkräfte), universitäre Projekte (wie in Tübingen oder Bielefeld), ((Zusammentreffen z.B. mit den Lernwerkstätten in Berlin, Kassel oder oder Bremen, einem Zusammentreffen mit dem BüZ, mit Ulli Hecker, Ingrid Dietrich, Falko Peschel, Hans Jörg, Wolfgang Mützelfeldt, Lutz Wendeler, Johannes Beck, Reiner Ubbelohde, Christian Schreger, Paolo Freire, John Sivell, Herbert Hagstedt, Otto Herz, Jürgen Reichen, Paul le Bohec, Holger Butt, Claus Kaul, Donatus Stemmle, dem Bauhaus, den Pia und Gerhard Rabensteiner, den Leuten von balance, mit „eigenen Gewächsen“ wie wieder in Berlin, PrinzHöfte, Bassum oder Eitorf,)) im Studium alter Konzepte europäischer Schule, entstehen neue pädagogische Realisationen. Die deutsche, und jetzt europäische Linie eine einheitliche pädagogische Norm zu haben stärkt nur jene Kräfte, die Schule selektierend und herrschend, mit Priorität für Lehrer*innen, mit frontaler Stoffvermittlung, Unterrichtsstruktur, Abschluss- und Test-Mentalität, nicht selbst ständig denkend, kurz alte Schule haben wollen.

Die heutigen Gegenpositionen sind eigenständiges, freies, autonomes Lernen, selbst ständiges und selbst organisiertes Lernen mit Kinderfragen und Kinderwollen, Entdecken, Erfinden, Freie Arbeit, handlungsorientiertes Projekten, Selbsteinschätzung, etc. etc.. Und das sind alles uralte Erfindungen und Forderungen eines reformierten Lernens. ((Sie sind bekannt. Sie werden höchstens wiedererfunden)).

So erfährt Schule 1996 einen wiederholten Aufschub des Lernens. Sie macht Fehler, die in vielen Jahren wieder korrigiert werden müssen

Zudem ist Freinetpädagogik nicht von jeder oder jedem zu machen. Dazu gehört eine innere Einstellung, die nicht erzwungen oder übergestülpt werden kann. Sie kann nicht durch ein Schulprogramm, eine charismatische Schulleitung, durch eine „perfekte“ Ausbildung erreicht werden. Diese Haltung können Lehrer*innen nur in echter Freiheit, in echter Kooperation mit Kindern und Jugendlichen, in eigener Erfahrung, die sie bereits haben oder sich erarbeiten.

 

In Harmonie gesehen, Forderungen von Hospitant*innen

Lehrer*innen sollen in Ordnung sein – Sympathie für Kinder haben – jung sein – andere Einstellung zum Leben haben– nicht brüllen – mit Kindern Pause machen – Kinder bringen sich die Sachen selber bei – Kinder dürfen in alle Zimmer

 

Beobachtung einer Lehrer*in 2

Die gleiche Lehrer*in wie in 1:
„Im Bus ist es laut, die Kinder unterhalten sich schreiend. Die Lehrer*in 'merkt' es nicht. Eine Schüler*in stellt sich vor dem Eingang nicht auf. Die Lehrer*in fordert es, aber greift nicht ein.

Die Kinder kommen in die Halle. S. sagt, „Geht nicht auf die Geräte“. Die Kinder folgen. Sie laufen drum herum. S. Schreibt etwas auf eine Matte. Die Kinder scharen sich um sie. Sie begrüßt auf Englisch “Good morning“. Sie beginnt mit dem Spiel „Versteinern“, Kinder stehen auf einem Bein (was ganz viele nicht können), dann sollen sie „fliegen“ (was macht sie mit denen, die es nicht können?), auf Zehenspitzen stehen, schließt die Augen.

Ich habe euch heute wieder Balance-Stationen aufgebaut. Erfindet selber Kunststücke.“ Es sind Barren, hohes Balanciergerät, Wippe, „Schiff“, Reck, Pedalos und Ringe.

Die angekündigte „Hilfestellung“ zur Sicherheit kann nicht stattfinden. Die Kinder probieren fast alles allein. Eine Rahmenhandlung, die zur Hilfe auffordert, fehlt.

Drei Kinder tragen Schläppchen, die anderen sind barfuß.

S. gibt Holzreifen aus, dann Luftballons und Medizinbälle und Chlorbrillen.

Ein Luftballon fliegt in einen Basketballkorb. Ein Schüler hat eine Idee ihn rauszuholen. S. Unterbindet es mit den Worten „Später“.

Kinder führen drei Erfindungen vor, zwei davon von S. benannt. Sie bricht ab. Sie benutzt die Pfeife. Warum? Es ist die ganze Zeit – im Gegensatz zum Bus – sehr leise.

Zirkusstimmung entsteht erst als sie die entsprechende Musik anmacht.

Jetzt sagt sie häufiger, was Kinder machen sollen, Sie gibt mehr Hilfestellungen.

S. fordert ein Kind auf den Zirkusdirektor zu machen.

Fünf Kinder helfen am Schluss beim Aufräumen.
Haben die Kinder heute das Balancieren gelernt?
Wie haben sie selber gelernt?
Gefährliche Ähnlichkeit mit Unterricht.

 

Zu einem Kind

Behält er Dinge?
Wie schreibt er? Oder tut er so als ob er schriebe?

Rechnet er?
Er kennt nicht alle Kinder der Klasse mit Namen

 

Schreibtechniken, Alternative zu völlig Freien Schreiben
in Stein reinschreiben, „in Stein geschrieben“

auf einen Stein schreiben

den Text wie einen Stein gestalten
Kinder suchen Steine und bringen sie mit

Jeder Stein erzählt eine Geschichte
Fragen an den Stein

Ein Dialog (Gespräch) mit dem Stein

 

Der Ort
Eitorf ist eine noch rheinische 20.000-Seelen-Gemeinde am Rande des Bergischen Landes an der Sieg. Die nächsten großen Städte sind mit Köln 50km, Bonn 35km und Siegen 70km entfernt. Eitorf ist seit über 100 Jahren durch die Eisenbahnlinie angeschlossen.

 

Die Eitorfer Bevölkerung ist natürlich von ihrer Geschichte geprägt. Da ist noch deutlich bäuerliches konservatives Denken, traditionell mit Schafzucht, Milchwirtschaft und privater Schweine- und Hühnerzucht. Es gibt an die hundert Dörfer, die alle ihre eigene Geschichte, teils eigenen Dialekt und noch immer Landwirtschaft haben. Vor allem in Merten gibt es eine feudale Tradition und eine Pferdezucht.

 

Dazu kommt seit dem 19.Jahrhundert eine Industrie- und Krämertradition durch billige Lohnarbeiter und billige Standorte. Es gab die Herstellung und Verarbeitung von Erzen, Schnaps, Bier, Zigarren, Garnen aus Wolle, heute noch Stoßdämpfer, Feuerwerk, Kunstbedarf und Medizin.

 

Eitorf verfügt über einen Marktplatz, ein Krankenhaus, einen ehemals großen Bahnhof, ein Arbeitsamt, eigene Freiwillige Feuerwehr und ein Gymnasium. Durch die ausgedehnten Wälder gab es sogar den Siegener Hauwald. Immer gab es eine kleine Gemeinde von Künstler*innen und Intellektuellen, die aber nie wirksam wurden.

 

In Eitorf gibt es es sechs katholische Kirchen, mindestens 9 Kapellen und sehr viele Friedhöfe, eine griechische Gemeinde, eine evangelische und vier freie Kirchen mit zwei Gebäuden, eine Moschee, einen Ashram, zwei Friedwälder und es gab einen eigenen jüdischen Gebetsraum und eigenen Friedhof.

 

Die Bürgermeister waren Partei unabhängig, oft vom Zentrum und der CDU, von der NSDAP (Sie fand eine Hochburg in Eitorf) und der SPD. ((Erst später war der Bürgermeister von der FDP und ist wieder seit 2021 Parteien unabhängig.))

 

Viele türkische, kurdische, griechischen, portugiesische und aus Polen, den Staaten der Sowjetunion und ihres Machtbereichs „Ausgesiedelte“ und Arbeiter*innen leben in der Gemeinde. Viele wurden einst als Industriearbeiter und Straßenbauer geholt. Heute ziehen sie hierhin, weil es so wenig Jobs bei uns gibt, aber (meist nicht ausreichende) Sozialhilfe.

 

Der Ortsteil, in dem die Schule selbst liegt, heißt „Harmonie“ und ist nach einem alten Bergwerk hier benannt. Im Zuge der Schulschließungen in den 1970er Jahren Wurde die Aalte“ Volksschule Harmonie stillgelegt und das Gebäude verkauft. Die alte Volksschule war immer ein Hort der Reaktion. Aufgrund steigender Schülerzahlen entschied sich die Gemeinde trotz „desolater Haushaltslage“ ((seit den 1970er Jahren)) für den Neubau einer Schule für 400.000 DM. Der Neubau wurde mitten in Wiesen und Äcker, in die Mitte eines Neubaugebietes gestellt.

 

Zum Zeitpunkt, wo dieser Aufsatz geschrieben wird, existiert die Schule im 2. Jahr. Im ersten gab es sie mit nur einem Trakt für 5 Klassenräume, ohne Forum. Sie ist ((damals noch)) zweizügig und hat ((damals noch)) einen Schulkindergarten und eine kleine, aber feine Übermittagsbetreuung. Die Zahl der Schüler*innen, jetzt bei 200, wird in den nächsten Jahren auf 250 Kinder steigen ((das machten aber nur über 70 Kinder aus anderen Gemeinden möglich)). Die Gemeinde lehnte einen notwendigen Erweiterungsbau der Schule, bei der Eröffnung (!) von der Schulaufsicht angesprochen wurde, „aus finanziellen Gründen“ ab.

 

Das Schulgebäude selbst ist ein L-förmiger Bau im Bungalowstil. Der junge Architekt Guido Casper beschrieb seine eigene Idee des Baus so , dass er ein Buch aus den 50er Jahren mit der Beschreibung einer „modernen Schule“ gefunden hätte .((Gemeint war die „Rosenmaargrundschule“ in Köln. Zudem hatte er „Professor“ Hugo Kükelhaus1 in einem Gastvortrag während des Studiums gehört.))

 

Daher hat unsere Schule einen überdachten Eingangsbereich, von dem aus ein großes helles Forum, das von drei Seiten verglaste Lehrer*innenzimmer, einer Hausmeisterloge und ein mit einer Falttür versehener Raum betreten wird. In nördliche (mit 6 Räumen und zwei Toiletten,) und östliche mit 3 Räumen , einer Toilette, der damaligen Übermittagsbetreuung, dem Sekretariat und noch einem kleineren Raum). Über eine Holztreppe im Forum kommst du in riesiges Dachareal. Das alles mit sehr viel Glas, Holz und Beton. Die geniale Idee des Architekten Casper war nicht nur dies und die Bungalowform, sondern dass jede Klasse einen eigenen Ausgang nach draußen hatte! Eine bessere Schule hätte m an uns kaum besser bauen können. So wurden die Flure ihrer klassischen Funktion als Zugangs- und Fluchtschleusen beraubt. Die Kinder haben direkten eigenen Zugang zu ihrem Schulgelände. Die Flure werden Arbeitsbereiche, wie das Forum, das Lehrer*innenzimmer und das Draußen. Diese Türen öffnen dieses Gebäude natürlich nach Innen und Außen. Rund um die Schule besteht die Möglichkeit auf Asphalt (war nicht zu verhindern), Grassteinen oder Wiese Tische und Stühle zu stellen.

 

Die Schule selbst ist etwas tiefer in eine angeschüttete und planierte Wiesenkuhle gelegt, die Schule großzügig umgibt. ((Dieses Schul- und Ausgleichsgelände machten wir in fast 20jähriger Arbeit zum offenen Schulgelände)). Zuerst verhinderte die Sparpolitik jede Gestaltung des Schulgeländes. Sie pflanzte nichts als 16 (!) junge Bäume. ((Eine Straße und Fußgängerstege gab es über 10 Jahre nicht)).

 

Eine projektierte Sporthalle wird niemals gebaut werden. Sie gibt es nur auf dem Papier, was mit der Zeit verschwindet. Bis 1996 haben die Schüler*innen und Lehrer*innen und der Förderverein „Schule erleben in Harmonie“ einen Bolzplatz, einen Schulgarten und eine Treppe gebaut. (( Im Jahre 2000 wird die Schule für ihr Schulgelände den Umweltpreis des Rhein-Sieg-Kreises und den Titel einer „Umweltschule“ erhalten. Die Schule hat mit eigenen Mitteln und einem Plus von 3000 DM alles gebaut.)

 

Eigentlich hatte die Gemeinde die Hausmeisterstelle für die Schule gestrichen, eher nie vorgesehen. Erst der Vorschlag unsererseits, einen der vielen arbeitswilligen Sozialhilfeempfänger zu engagieren, führte zu unserer 12. Kolleg*in, der Idee der Assistent*innen, die ihren Job als einen pädagogischen und hausmeisterlichen versteht. ((Wir hielten solange durch, bis es Alltag wurde, dass wir den Platz einer Hausmeister*in normalisierten.))

 

Dagegen muss der Umgang der Gemeinde mit Geld „lobend“ erwähnt werden: Die Schule in der Erstausstattung besaß unangefordert eine teure Gegensprechanlage, einen Elektrogong oder Kartenständer für jede Klasse. Alle wurden nie genutzt. Die nicht genutzte Hausmeisterloge durfte in das Druckereizentrum der Schule verwandelt werden. Dagegen dürfen wir nichts in Forum stellen, da die Türen der Klassen nicht als Fluchtwege in den „Fluchtwegeverordnungen“ nicht vorgesehen sind. ((Erst Jahre später kam eine Angestellte des Kreises, die unser Verständnis von Fluchtwegen teilte und Tische und Stühle in Gängen und dem Forum genehmigte.))

 

Die Schule hatte keinen Keller und der Dachboden durfte offiziell nicht benutzt werden.(( Die Gemeinde war schon sehr lustig.))

 

Die Schule musste zum Schuljahresbeginn 1995 aus dem Stand anfangen. Der Schulleiter wurde zwei Wochen vor den großen Ferien ernannt. Die Namen der neuen Kolleg*innen wurden nur unter der Hand gehandelt. Wir trafen uns geheim in der Küche einer Kolleg*in. Mit nur zwei offiziellen Sitzungen des Kollegiums mussten wir den Betrieb mit den ersten 6 Klassen in einem Drittel des Schulgebäudes beginnen. Während des Einschulungsgottesdienstes (!) wurden die Klassen mit Leihmöbeln der Schulmöbelfirma bestückt. Die eigentlichen Tische und Stühle kamen erst drei Monate später. Der Bau der Schule brauchte noch einige Monate. Es arbeiten zwei ehemalige Hauptschullehrer*innen, zwei Kolleg*innen im dritten, zwei im zweiten Grundschulberufsjahr. Zweidrittel der Kinder kamen aus verschiedenen Eitorfer Grundschulen. Im nächsten Jahr kamen drei Berufsanfänger*innen, davon eine Sozialpädagog*in, und eine bis dahin arbeitslose Kindergärtnerin als Übermittagsbetreuer*in.

 

Alle diese Grundschul“anfänger*innen arbeiten ungeheuer professionell.

 

Sie verbinden pädagogische Grundeinstellungen mit theoretischem Wissen, um sofort die konkrete pädagogische Umsetzung zu leisten. Schauprojekte, Vorzeigeaktionen oder nachgemachte Grundschulzeitschrift-Stunden sind verpönt. Wir entwickeln unsere eigene Pädagogik auf der Grundlage der Kompetenzen und Probleme der Kinder. Wir achten auf die Kompetenzen der Lehrer*innen und der Kooperation des Kollegiums mit den Kindern.

 

In den beiden ersten Konferenzen werden folgende Dinge grundgelegt: Die Kooperation der Lehrer*innen mit den Kindern findet statt. Wir entwickeln ein gemeinsames Programm Stück für Stück.

 

Wie funktioniert unsere Schule?
Jede Woche ist von 12 bis 14 Uhr Konferenz. (Üblich war eine Konferenz einmal im Monat) der Lehrer*innen. Alle 14 Tage ist donnerstags von 11 bis 12 Uhr eine Schulversammlung. Sie wird von einer Klasse, nie von der Klassenlehrer*in vorbereitet. Einmal im Monat ist die Versammlung des Arbeitskreises Eltern-Lehrer*innen. Einmal im Monat tagt die Schulpflegschaft, einmal im Monat der Förderverein. Darüber hinaus gibt es viele Treffen von Eltern und Lehrer*innen auf Klassenebene.

 

Das Lehrer*innenzimmer und die Konferenzen
Das Lehrer*innenzimmer hat einen hellen ovalen Holztisch mit dazu passenden hohen Stühlen von der Firma Schug in Eitorf. Alle Menschen haben keinen festen Sitzplatz. Gäste sitzen auf dem Platz auf dem ich gestern saß. An zweieinhalb, also fast drei Seiten hat das Lehrer*innenzimmer große Fenster fast ohne Rahmen. Vom Lehrer*innenzimmer ist ein Blick nach draußen und ins Forum mit den Seitengang möglich, und umgekehrt. Es ist ein einsehbares Lehrer*innenzimmer. Ich muss nur darauf achten, dass nichts in die Fenster gehängt wird.

 

Es gibt eine große Wandzeitung. Hier werden alle Themen, die die Kolleg*ìnnen (und Kinder) aufgeschrieben, die behandelt werden sollen. Jede Konferenz wird, wie der Klassenrat in der Freinetklasse immer von einem anderen Kind – von einer anderen Kolleg*in geleitet.

 

Das bedeutet u.a., dass der Schulleiter nur alle 10 Wochen die Konferenz leitet. Die Tagesordnung wird von der Wandzeitung bestimmt. Das Kollegium ist meine Freinetklasse!

 

Die Leiter*in der Sitzung entscheidet, welches Thema der Wandzeitung auf der jeweiligen Sitzung behandelt wird. In der Regel beginnen wir mit Unterrichtstipps. Mir ist wichtig nicht nur die Kinder zu hören, sondern selbst viele Ideen zu haben. Im ersten Jahr stellte jemand einen Musiktipp vor: Ich spiele das Lied „Eine Insel mit zwei Bergen“ (Lummerland von Michael Ende). Wir sitzen auf dem Teppich in der Klasse. Die Kindern sind selbst die Berge, die Tunnel oder das Meer. Im Kunsttipp wird (draußen) die Bearbeitung von Speckstein gezeigt. In Mathe wird das Nikitinmaterial vorgestellt. In Sport wird erzählt wie Stricke an den Barren geknüpft werden, um eine Hängebrücke zu bilden.

 

Organisatorisches wird nur dann auf der Konferenz behandelt, wenn es im Rahmen der Konferenz unvermeidbar oder wenn es eine Konsequenz der inhaltlichen Planung ist. Das heißt, alle Kolleg*innen sind angehalten, in Eigenverantwortung und ggf. in Absprache mit der Schulleitung außerhalb der Konferenz zu regeln. Zum Transparentmachen und zum Anzeigen von Terminen dient eine einfache Standtafel im Lehrer*innenzimmer.

 

Die Konferenzen dienen – wie der Klassenrat – zuerst zur Festlegung der Arbeit der Schule.((Daraus entwickelte sich u.a. die Schule als weitere Klasse, die Kinderuni, die Kinderkonferenz oder das Selbstbestimmen des Lernens der Kinder)). Im Wechsel gibt es reine pädagogische Themen ((wie später der „Autismus“, das „Experimentieren“, das Thema „Religion“ , immer wieder die Kinderuni und sehr viele andere mehr)).

 

Wird z.B. eine Projektwoche geplant, - und das geschieht mehrmals im Jahr, ((bald zweiwöchig oder auch immer)) – brauchen wir in der Regel zwei Sitzungen. Auf der einen werden Themen, Aufbau und Zwischenplenum mit den Kindern beschlossen, auf der zweiten die Gestaltung der Arbeit, (nach den Diskussionen in den Klassenräten), bis zu Einstiegen, Exkursionen, und Lernphasen.

 

Einmal im Jahr organisieren wir uns eine eigene dreitägige schulinterne Fortbildung in einem Tagungshaus. (( Ich erinnere mich an unsere Tagung in der Schweiz, das Handtuchtheater im Gemeindehaus der katholischen Kirche, unsere Fortbildung in Finnland oder unser Austausch in der Sporthalle)). Hier wird am „Innenleben“ gearbeitet. Hier stellten wir uns und die Kinder zunächst als „Problemfälle vor. ((Später taten wir das in der Kinderkonferenz)). Wir boten eigene Erfahrungen und Themen an. Wir organisierten uns Schreibgespräche über unser eigenes pädagogisches Wollen, unserer Lernidee oder unsere Grundgedanken. Wir orientierten uns an den selbst organisierten Freinettreffen.

 

Ein Programm aus Angeboten und Wünschen aller Teilnehmer*innen wird erstellt. Einerseits gibt es die Angebote der Lehrer*innen an die gesamte Gruppe. Anderseits werden ganzheitliche Techniken benutzt, die eine Theorie fundierte und Praxis geeignete Behandlung von Inhalten, also Fragen und Versuche an sich selbst, erprobt an sich selbst, zum Einsatz in der eigenen Klasse.

 

Beispiel des Programms einer Schulversammlung im November 1996

Zur Ruhe in den Gängen

Zwei Freie Texte der Kinder

Tanz von vier Mädchen zu eigener Musik

Drei Texte von Kindern

Ein Lied aus „Dornröschen“
Treffen der Jahrgänge in den Jahrgängen.

 

Ein Tag bei den Himmelskinder im 2.Schuljahr 1996

Kreis (alle)

Arbeitsgruppen (nicht jedes Kind macht alles):

Kinderlyrik schreiben

an Computer arbeiten

Malen
Dichterlesung

Texte verschicken

Classe de Promenade (draußen, in dem Fall gingen alle mit)

Fragen zur Welt der Kinder (draußen und drinnen)

Freie Texte

Matheerfindungen der Kinder an der Tafel besprechen (alle)

 

Eltern
Die Elternschaft der Schule ist sehr heterogen, sowohl was ihre soziale, als auch ihre ethnische und weltanschauliche Herkunft angeht.
Der Beginn unserer Arbeit war dadurch geprägt, dass es „gewöhnlich gut informierte Kreise“ gab. Sie wussten bereits wenige Tage nach der Grundsteinlegung, dass hier eine Waldorfschule, später eine Montessorischule entsteht. Zu diesem Zeitpunkt wussten weder der Schulleiter (er sollte die Grundschule in Mühleip übernehmen), geschweige denn die zukünftigen Kolleg*innen (vielleicht mit zwei Ausnahmen), dass sie an diese Schule kämen. Wir gaben bald heraus, dass es eine „John-Lennon-Schule“ wird. ((Nur kommunal berühmte CDUler forderten uns zu anderen, autoritären Taten des Zuschlagens auf oder taten erfolgreich alles, damit ihr Kind in eine andere Grundschule gingen. Sie realisierten im zweiten Fall mit Macht und Geld bereits vorher, was später das Recht aller wurde.))

 

Gegen Schule selbst herrschte wie heute ((2021)) eine große Skepsis.

 

Hinzu kam bald die Unzufriedenheit gegenüber den Transport- und Sicherheitssystem auf dem Schulweg. Die Busse sind mit hundert Kindern überfüllt. Die Gemeinde sagt nur „Das ist noch zulässig“.

 

Bis heute (1996), nach anderthalb Jahren, ist es der Gemeinde nicht gelungen, den Schulweg in Form eines Bürgersteigs oder einer Absperrung sicher zu machen. Die Skepsis gegenüber der Kommune wächst und fällt natürlich auf die Schule zurück.

 

Es gibt berechtigte und unberechtigte Ängste, Aufgeregtheiten und das Gefühl von Desinformation.

 

Einige Beispiele:

 

Im zweiten Jahr arbeitet unsere Schule ohne Fibel. Die Kinder lernen Lesen durch die Methode „Lesen durch Schreiben“. ((Später bringen sie sich Lesen und Schreiben selber bei.)) Auf Elternabenden wird den Eltern erklärt, wie wir den Leseprozess und das Schreibenlernen der Kinder begleiten. Wir baten die Eltern auf keinen Fall das AbeCe De etc. zu lehren. Wir sagten ihnen, dass sie ihren Kindern nicht vorbuchstabieren, sie zum Vorlesen zwingen, immer die gleichen Wörter üben oder gar die Rechtschreibung korrigieren sollten. Das Resultat für uns war gut. Viele Eltern haben keine Zeit ihren Kindern zu helfen. Sie machten in dieser Phase also nichts falsch. Andere folgten unser Bitte, einige überzeugt, andere voller Skepsis. Und wie sie alle nach 3 Wochen, zwei Monaten oder einem halben Jahr strahlten. „Mein Kind hat gestern einfach angefangen zu lesen. Mein Kind kann jetzt alles, wirklich alles lesen.“ Und da sich das Freie Schreiben aus dem Lesen können entwickelt, sagten sie mit dem gleichen Stolz: „Sie schreiben jetzt immer längere eigene Texte“ .

 

Aber selbst viele dieser Leute holt die Skepsis bald wieder ein. „Wann schreibt mein Kind ins Heft?“, „Wann in die Zeilen?“, „Wann endlich ohne diese Fehler?“ ((2021 glauben sie sogar, dass die Kinder so schreiben wie sie sprechen. Sie glauben das!))

 

Mit diesen Eltern ist ein konstruktives Gespräch möglich. Ihre Kinder gehen gerne zur Schule und ihre Entwicklung geht voran. Ihnen können wir vor allem mit immer möglichen Hospitationen die Entwicklung ihrer Kinder zeigen. Sie beginnen ihren Kindern und auch der Schule zu trauen.

 

Es gibt aber auch Eltern, die ihren Kindern nicht trauen. Sie wollen schlau sein und tun zuhause das, was sie selbst lernten und für richtig halten. Sie ziehen lautierend zusammen und lassen vorlesen.

 

Ihre Kinder, normal helle und intelligente, lesen stockend, schreiben Texte von höchstens einer halben Seite und kennen Unlust beim Lesen und Schreiben. Diese Leute machen Konflikte.

 

Und es gibt jene, die einfach nicht wollen. Ein Vater verstieg sich zu der Behauptung, die Schulen, die mit Fibel lernen, wären „weiter“. Diese Eltern schaden. Wir können nur mit Geduld, Gelassenheit, Gesprächsbereitschaft, Professionalität und der Kraft des Faktischen immer wieder antworten. Aber Kinder die Zuhause immer wieder hören, dass ihre Schule nicht gut lernt, haben natürlich Probleme mit der Schule. So lassen wir sehr wenige Eltern mit ihren Kindern gehen. Es ist ihre Verantwortung.

 

Ein zweites Beispiel:

 

Irgendwer hatte im ersten Schuljahr das Schreckgespenst des Projektunterricht losgelassen. Eltern sagten, dass nicht mehr ordentlich gelernt wird. Die Kinder tun was sie wollen und spielen nur noch. Leider fängt so ein Denken schon im Kindergarten an und geht in die Berufe. Ein, zwei Leute machten eine Riesenunruhe. Wir nennen es „Wellen“. Es wurde „Angst“ gemacht, nicht das Gespräch gesucht. Es gab noch keine entwickelte Kommunikation. Heute, 1996, ist es akzeptiert, dass es Projekte , Patenschaftsprojekte oder Projekttage gibt. Das Projekt gehört zum Kanon des normalen Lernens.

 

Aber immer wieder verirren sich Gegner des Projektlernens an unsere Schule - oder sie irren sich einfach. ((Sie wollen das Kinder weiter unterrichtet und belehrt werden.))

 

Ein drittes Beispiel:

 

Ende des ersten Schuljahres kam zwischen der Schulleitung und der Schulaufsicht die Diskussion um jahrgangsübergreifendes Lernen. Eine Unterschriftenaktion der Eltern war eindeutig ablehnend. (( Es dauerte Jahre bis dieses Projekt wieder eine klare Mehrheit fand. Im Jahr 2021 wurden allerdings die Eltern der Grundschule Harmonie per Mehrheitsabstimmung mit der Grundschule Brückenstraße gezwungen, die Errungenschaft des Lernens in Klassen von 1 bis 4 wieder abzuschaffen.))

 

Durch stetiges Arbeiten kristallisierte sich an der Grundschule Harmonie eine deutliche Mehrheit der Eltern schon im 2.Jahr, die zunehmend die pädagogische Arbeit der Schule wertschätzen. Es ist einerseits die Informationsarbeit mit den Eltern. Andererseits sind es die Eltern selbst, die mitmachen. Erste Eltern schreiben, drucken, bauen, tanzen und experimentieren mit den Kindern in der Schule. Viele haben durch immer offene Türen, durch das Hospitieren Vertrauen gefasst. Bei der Schulversammlung schauen Eltern gerne zu, sogar bei Gottesdiensten einmal im Monat im Forum der Schule. Die Kooperation zwischen Kindern, ihren Eltern und Lehrer*innen nimmt Gestalt an. Auch in Zukunft werden einzelne sich über dieses und jenes aufregen.

 

Unsere einzige Chance ist unsere Grundregel: Wir Lehrer*innen sind für das was wir pädagogisch tun verantwortlich, wie ein Architekt für den Bau eines Hauses oder eine Ärztin oder ein Arzt für die Behandlung seiner Patient*innen.

 

Je professioneller wir arbeiten, um so transparenter machen wir unsere Arbeit, um so offener werden unsere Türen.

 

Je professioneller wir arbeiten, um so mehr kommen wir in Erziehungsfragen ins Gespräch mit unseren Eltern.

 

Je professioneller wir arbeiten, um so mehr können Kinder und Eltern ihre Kompetenzen in die Lernprozesse der Kinder integrieren. Das heißt, wir machen Eltern nicht zu „Hilfslehrer*innen“ oder Menschen, die für die Kinder basteln oder nähen, sondern zu Partnern der Kinder werden und mit den Kindern lernen.

 

Je professioneller wir arbeiten, um so mehr Eltern werden sich in der Arbeit der Schule engagieren wollen.

 

Sich selbst bewusste Lehrer*innen sind Voraussetzung für diese Arbeit. Produkt der Arbeit ist eine funktionierende Kooperation von Kindern und Erwachsenen an der Theorie und Praxis des Lernens.

 

Die Zusammenarbeit der Lehrer*innen, Sicht auf Kinder
Die Kinder sind so verschieden wie ihre Eltern, und sie sind anders. Da gibt es die, die in frontalem Unterricht lernen können, die die handlungsorientierten Stationsbetrieb brauchen, die die ihr Lernen selbst organisieren und die, die es in Kindergarten und Grundschule selbst bestimmen.

 

Wir legen sie nicht auf eine bestimmte Methode oder Struktur fest. Die übergroße Zahl der Kinder ist lernbegierig, lernwillig und kann die eigenen Kompetenzen für sein Lernen nutzen. Ein Nichtwollen und Nichtkönnen ist IMMER begründet. Wir versuchen Kinder und ihr Lernen zu lassen und es in ihren eigenen Wegen zu finden. So macht das selbstständige Lernen der Kinder den größten Teil des Lerntages aus. (( Erst später lernten wir, gar keine Schule mehr den Kindern zu oktroyieren oder stattfinden zu lassen, sondern sie alleine bestimmen zu lassen, was sie lernten.))

 

Jede Lehrer*in kann den Kindern nur anbieten, was sie oder er kann oder lernt. Diese Fähigkeit des Anbietens, Könnens und Lernens entfalten Lehrer*innen. (( Wir lernten immer mehr den Fragen und dem Können der Kinder zu folgen. Wir glaubten noch an die alleinige Kraft der Lehrenden. Wir entdeckten erst später das Lernen aller.))

 

So haben die einen das Glück eine begnadete Musikpädagog*in zu haben, die anderen eine Lehrer*in, die den Zusammenhang von motorischer, emotionaler und intellektueller Intelligenzentwicklung in einfachen Übungen realisieren kann. Die Dritte ist ein Kommunikationstalent, die die Arbeit spannend hält, die Vierte eine begnadete Organisator*in von Lernprozessen.

 

Zunehmend lernen wir Lehrer*innen in Harmonie auch die Schule zu verlassen. Wir machen mehr außerschulische Kompetenzen zum Lernen zugänglich, oder umgekehrt, Eltern, Großeltern, Expert*innen, junge Menschen, Nachbarn, Wissenschaften oder andere Verwandte in die Schule zu holen.

 

Wir lernen, dass die Herkunft aus Unter- Mittel- oder Oberschichten, die ethnische Herkunft ungeheuren Reichtum ins Lernen bringt. Wir lernen auch die Unterschichtler nach vorne zu bringen.

 

Wir lernen mit Leistungen, Macht und Fehlern besser umzugehen.

 

Es gibt bei uns aber auch Kinder ((Menschen, also auch Eltern, Lehrer*innen, Alte und andere Erwachsene)), die Schwierigkeiten mit sich selbst und ihrem Lernen haben. Sie „stören“ das Lernen anderer, sogar „verhindern“, „zerstören“ können, mit Worten und Taten verletzen sie.

 

Der Umgang mit ihnen kostet uns ((vor allem als Schule)) viel Kraft und Zeit. Die Gründe sind bekannt, trotz vieler Ähnlichkeiten in den Erscheinungsbildern verschieden. ((Wir versuchten immer noch zu „heilen“ und „Selbstheilungskräfte“ zu finden. Wir unterliegen dem gesellschaftlichen Bild der „Krankheit“))

 

Jedes Kind hat seine eigene Geschichte. Wir versuchen – als einzelne Lehrer*in und als Team – an die Ursachen und die Umgangsweisen schon mit den Kindern ((!)) heranzukommen. Wahrnehmungsstörungen ((wir nennen es noch nicht Verschiedenheiten)), Vernachlässigungen in sozialer und psychischer Hinsicht, Missbrauch, Verängstigung, Trennungsprobleme sind eine der wichtigsten Ursachen. Wir suchen das offene und direkte Gespräch mit den Eltern ((und den Kindern selbst)). Wir organisieren mit ihnen Hilfen von außerhalb der Schule. Wir entwickeln Lern- und Verhaltensvarianten für den Alltag. Wir zeigen ihnen aber auch deutlich Grenzen ihres Verhaltens und fordern ihre aktive Selbsthilfe ein.

 

Lernblockaden entstehen, wenn Kinder „falsche“ Erklärungen haben, die sie zu „Schuld“ oder „Versagen“ machen können.

 

Oft sind wir Lehrer*innen ratlos, wissen nicht weiter, weil auch unsere Nerven Stress anfällig sind, weil wir Fehler machen und uns enttäuschen lassen. ((Hieraus wird ein Bündnis der Erwachsenen werden. Erst später holen wir rigoros die Kinder ins Boot.))

 

Leider hat sich die Gemeinde gegen uns als offizielle „Integrationsschule“ entschieden. ((Später gingen wir den besseren Weg über die Inklusion.)) Die Lehrer*innenkonferenz stimmte einstimmig dafür den Zustand der „Integration“ (alle Kinder konnten zu uns) offiziell zu machen. Die Gemeinde stellte „Haushaltsvernunft“ über pädagogische Kriterien. ((Noch heute 2021 ist sie, gegen die eigene Unterschrift bei der UNO, für die Beibehaltung der Sonderschulen.))

 

Diese Fragen sind immer wieder Gegenstand unserer Konferenzen. Die Kooperation, (auf Kölsch auch „juuter Klüngel) (( oder Neudeutsch „Vernetzung“)) hilft oft weiter. Auf jeden Fall gibt weniger Unterrichten mehr Zeit für einzelne Kinder.

 

Wir machen uns Gedanken darüber Lehrer*innen, wie Kinder und andere Menschen, nicht in Strukturen zu sperren.

 

Ich habe mich als Pädagoge und Schulleiter für George Bernard Shaw entschieden. Er sagte einmal, dass der Mensch zwei Lehrmeister kennt, die Tortur und die Kunst. Ich habe mich für die Kunst entschieden. Ich kann und will Leute nicht in ein Konzept zwingen, sei es noch so demokratisch oder „freinetisch“. Ich denke, solche Modelle, und sind sie noch so positiv gedacht, scheitern, sie erstarren irgendwann ins Gegenteil. Menschen werden alleine gelassen. Du kannst selber lernen.

 

((„Dieses Vorgehen erweitert das individualisierte Lernen, bei dem Kinder selbstgesteuert die Vorgaben eines Lehrers bearbeiten." Aus dem "neuen" Programm der Grundschule Harmonie 2020. Der Satz ist eine Verhöhnung. Zum Glück lehnte das Kollegium ein solches Denken immer ab.))

 

Ich denke Kunst ((ich meine keine kaufbare Kunst)) oder Ästhetik ist die Schaffung schöpferischer Prozesse. Somit bedeutet für mich Kooperation das frei-willige und selbst-verantwortete Eintreten in einen gemeinsamen demokratischen Schaffensprozess. Selbstverantwortlichkeit umfasst für mich auch menschenrechtliche Identität, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit im kontinuierlichem Kooperationsprozess, im Prozess des ständigen Lernens.

 

Warum (k)eine Freinetschule
Das Lehrer*innenteam ist kein freiwilliger Zusammenschluss. 3 wurden von ihren Schulleitungen weggeschickt, 2 waren Berufsanfänger, einer hatte sich beworben. Nach einem Jahr kamen drei weitere Berufsanfänger dazu. Sie haben das Projekt nie entworfen. Die Eltern haben das Projekt Schule in Harmonie nicht bestimmt oder mitbestimmt. Es tat keine Uni, keine Initiative oder Theorie. Eine kam mit ihrer Klasse, eine zweite Klasse wurde zusammengewürfelt und bekam eine neue Lehrer*ìn. Vier, später sieben Klassen(, besser sechs plus ein Schulkindergarten,) erhielten neue Lehrer*innen. Ein Schulleiter wurde revidiert, beurteilt und von Schulaufsicht und dem Rat der Gemeinde „bestimmt“. Alle anderen wurden nicht gefragt. Es ist eine stinknormale staatliche Schule.

 

Der Schulleiter, über 10 Jahre gleichzeitig Klassenlehrer, ist „zufällig“ Freinetlehrer. Gut, er machte vieles vor. Er führte viele Freinettechniken ein und macht das Kollegium zu seiner Freinetklasse. Er machte schon nicht mehr allein die Schule. Er führte Freinetelemente ein. Jede Klasse erhielt den Stempel der darin tätigen Lehrer*ìnnen. Niemand von ihnen war Freini. Nur drei ließen sich von der Freinetpädagogik begeistern. ((Das änderte sich in 20 Jahren nie. Auch die Lehramtsanwärter*innen wurden keine Freinis)). Vielmehr macht die Schule eigene Erfahrungen. Sie ist mehr im Sinne der Freinets eine „Moderne Schule“. Der Kreis der Klasse wird ein typisches Zeichen der Schule. ((Die Kinder werden Jahre später ihre häufigste Lernart „Versammlung“ nennen. Es dauert fast 10 Jahre bis die letzten Kinder im Kinderparlament der Schule beschließen einen Klassenrat zu haben. Die Lehrer*in geht. Erst die Peschels und Jürgen Koch etablieren den Kreis. Nur wenige der Tausende von Hospitant*innen besuchten eine Freinetschule, Falko Peschel oder Walter Hövel. Die meisten hospitierten an der Grundschule Harmonie.))

 

1Hugo Kükelhaus. Unmenschliche Architektur. Von der Tierfabrik zur Lernanstalt. Gaia, Köln 1973