Zur Bedeutung der Freinetpädagogik heute

 

von Uschi Resch und Walter Hövel

 

 

 

Zwischen Musterschule und Gegnerschaft

 

 

Die Freinet-Pädagogik gibt es seit 1920. Sie schafft es seit Jahrzehnten nicht zu veralten, sondern immer wieder bei der Schaffung der modernen "Modernen Schule" mitzuwirken. Sie wird zusehends von seiten der Wissenschaft als Beispiel gebend anerkannt und von Seiten der bildungspolitischen Entwicklungsplaner als zu untersuchendes Objekt betrachtet.

 

Hier taucht sie auf mit einer vorzeigbaren "Musterklasse", dort mit einer "Modellschule". An einigen Universitäten gibt es sie in antiquarisch-historischer Form, indem die Originalliteratur Freinets eingereiht wird in alte reformpädagogische Modelle, andere schicken ihre Studenten los, um jene "alternativen Unterrichtsformen" zu erforschen, um die Frage disputieren zu lassen, ob sie wohl für die Regelschule geeignet wären1. In der LehrerInnenbildung tauchen mit immer größerer Regelmäßigkeiten Begriffe und Techniken der Freinetpädagogik auf, wie etwa "Freie Texte", "Verträge", "Wiedererkennen in der Mathematik", Klassenrat", Klassenämter", der "Kreis", "Freies Arbeiten", die "Draußenschule", und viele andere mehr. Andere Hochschulen richten Forschungsstellen ein, untersuchen sogar die heutige Praxis der Freinetpädagogik. Die Frage von Freinet-Studiengängen wird realisiert, die staatliche Organisations- und Qualitätsentwicklung von Bildung und Erziehung lässt forschen, die LehrerInnenbildung bietet das Thema als "Zusatzqualifikation" an.

 

Die Gegner der Freinetpädagogik wie die Kommunalpolitiker, die Freinet einst aus dem Schuldienst trieben, die Inspektoren und Schulräte, die bis in die 90iger Jahre Freinetlehrerinnen und -lehrer als Chaoten und unfähig diffamierten, die Professoren, die vor Kuscheleckenpädagogik und antiautoritärter Werteverfall warnten, die Bildungspolitiker, die die Angsttrommel vor zu wenig Leistung und sinkendem Bildungsqualifikation rühren, scheinen sich weniger mit uns zu beschäftigen. Sie scheinen eigenen oder anderen Problemen nach zu laufen. Aber diese Gegnerschaft kann uns auch heute noch und wieder begegnen.

 

Woran liegt das?

 

Es sind in der Regel politische Gründe, denn die Freinetpädagogik ist durch und durch dehierarchisch, also ein Dorn im Auge aller in autoritären Kategorien denkender Menschen.

 

Die Freinetpädagogik arbeitet daran, lernenden Menschen ihre Macht über sich selbst zurück zu geben. Sie gibt den Menschen ihre eigene Verantwortung zurück. Sie organisiert die Aneignung der Fähigkeiten zur Selbstorganisation der lernenden Menschen. Systemisch ausgedrückt könnte das auch bedeuten, dass wir das Lernen Lernen lernen.

 

Sie ist immer als eine linke Pädagogik anerkennt worden, die sich von der Vision einer egalitären, libertären, kooperierenden Gesellschaft leiten lässt. Sie unterscheidet sich zumindest an zwei Stellen von veralteten "linken" Vorstellungen. Sie folgt nicht der Idee einer "Zwangsbeglückung" der Menschen in einem "besseren System", sondern geht den Weg der Selbst-Organisation und Selbst-Befreiung der Menschen. Der zweite Unterschied ist der, dass solche "Visionen" der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung schon heute gelebt werden, wo und wann immer das möglich ist. Die Mitglieder der Freinet-Bewegung sind dabei an keine politische oder religiöse Weltanschauung gebunden.

 

Diffamierungen kamen und kommen aus dem Lager des Extremismus, aus dem Lager des faschistischen, fremdenfeindlichen oder anti-demokratischen Gedankenguts oder aus religiös-fundamentalistischen Kreisen.

 

Unverständnis ernten wir von solchen Menschen, die z.B. als Wissenschaftler in Descart ‘schen Denkgebäuden, oder Politikern, die in alten Links-Rechts-Schemata gefangen sind.

 

Schwierigkeiten der Vermittlung unseres Handelns haben wir bei Menschen, die aus gesellschaftlichen Ängsten und Unsicherheiten heraus, die Schule und ihre Selektion für wichtiger halten als die Entwicklung und das Leben ihrer Kinder.

 

 

 

Warum ist Freinet-Pädagogik so erfolgreich?

 

Ein entscheidender Grund ist der, dass sie zwei Dinge gleichzeitig tut, die sonst als Gegensätze angesehen werden: Sie organisiert für jeden einzelnen Lerner einen eigenen Lernweg, der einerseits uneingeschränkt die individuellen Interessen und Kompetenzen als Ausgangspunkt und Ziel hat, andererseits jedes Lernen in die Kooperation der eigenen Lerngruppe, als auch in die Kooperation mit der realen Umwelt einbettet. Demokratische Lern- und Arbeitstechniken ermöglichen die gegenseitige Befruchtung von individuellem und gemeinsamen Lernen.

 

Sie ist so erfolgreich, weil sie dem Lerner nicht defizitäre Bedürfnisse unterstellt, sondern alle seine Kompetenzen als Mittel des eigenen Lernens und Erkennens in verschiedenen Formen freisetzt und ihm seine Fähigkeiten als Arbeitsmittel bewußtmacht. Mittel dieser Lernstrategien sind u.a.: der freie Ausdruck, handlungsorientiertes ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen, tastende Versuche, experimentelles Lernen, die Methode Naturelle, Techniken der verbalen und nonverbalen Kommunikation, selbstorganisiertes, geplantes, verbindliches Lernen in freier Kooperation.

 

Sie ist so erfolgreich, weil ihr Lernen ein systemischer Vorgang ist. Sie folgt nie einem starren System eigener Methodik und Didaktik. Jede Lerngruppe baut ihr eigenes, typisches Lernsystem auf. Dieses wird ständig durch die eigene Arbeit und die eigene systeminterne Evaluation korrigiert, sie wächst ständig durch die Übernahme neuer Lern- und Arbeitstechniken, die Freinetlehrerinnen und Freinetlehrer durch ihre professionelle selbstorganisierte Weiterbildung einbringen.

 

Das System „Freinet“ korrigiert sich ständig selbst, im Klassenrat, als Gespräch, im Kreis, in der Arbeitsplanung, der Präsentation , in der Freinetgruppe , auf Treffen, in Ateliers,, durch die Kooperation mit Eltern.

 

Die Korrektur, die selbstkritische Veränderung der Lernprozesse ist für Freinetpädagogen nicht die Ausnahme, sondern Prinzip der Arbeit.

 

 

 

Wo können nun Probleme auftauchen?

 

Das häufigste Problem für Freinetpädagogen ist, wie bereits beschrieben, seit Anbeginn dieser Pädagogik die Diffamierung durch politische kommunale Kreise oder schulische Behörden , Vorgesetzte wie Schulleiter oder Inspektoren, die dann meist politisch motiviert sind oder der Unkenntnis dieser Menschen bezüglich der Funktionsweise dieser Pädagogik entspringen. Diese Ursache verschwindet mit zunehmender Reform des Schulwesens in den letzten Jahren mehr und mehr.

 

Ein zweiter Grund kann in Ängsten und Ressentiments von Eltern begründet sein. Der vorhandene gesellschaftliche Druck, den die Eltern bezüglich der Schulkarriere ihrer Kinder unter dem Aspekt schlechter Zukunftsperspektiven spüren, die eigene negative Schulerfahrung, die nicht verarbeitet wurde, können das Vertrauen in die Lernfähigkeit ihrer eigenen Kinder beeinträchtigen und dies kann auf die Schule übertragen werden.

 

Häufig wird das Kind gezwungen, zu Hause nach anderen Methoden als in der Freinetklasse zu lernen, zu pauken,. Das Kind erfährt genau den falschen Druck, den die Freinetpädagogik ablehnt. Das Kind verliert die Freude am Lernen, seine Leistungsbereitschaft, es beginnt schlechter zu lernen.

 

Der Kreislauf einer Self-fulfilling Prophecy beginnt zu wirken. Trotz Freinet in der Schule beginnt das Kind „schlechter“ zu werden. Zuhause hört das Kind das Schimpfen über die Schule, Beschwerden und Unterstellungen.

 

Meist reagieren die Kinder so, daß sie zunächst spürbar traurig werden. Sie ziehen sich zurück, distanzieren sich vom selbständigen Lernen und beginnen, vorgegebene Aufgabenstellungen einzufordern.. Sie beginnen, „sich vor der Arbeit zu drücken“.

 

Da sie am Nachmittag oder am Abend zu Hause unter Druck lernen müssen, beginnen sie am Vormittag in der Schule zu „faulenzen“, zu „spielen“, „Unfug zu machen“. Sie versuchen einen Freiraum fernab vom Lernen zu erobern. Dies kann bis zur totalen Arbeitsverweigerung und zu aggressiven Handlungen führen.

 

Eltern sagen dann, „mein Kind lernt nichts in der Schule“, eine nachweisbare Behauptung. Sie wollen oder können nicht sehen, dass sie selbst die Initiatoren dieses Prozesses sein könnten. Freinetlehrer reagieren darauf nicht „mit dem Anziehen der Zügel“ oder der Devise „Daumen drauf“. Vielmehr suchen sie einerseits das offene, erklärende Gespräch mit den Eltern, andererseits mit dem Kind, einzeln oder in der Klassengemeinschaft. Sie versuchen, ihm Angebote zu machen, ihre traumatische Situation zu verarbeiten.

 

Sie empfehlen das freie Malen und Zeichnen, das freie Schreiben, kinderinterne „Sorgengesprächskreise“, das Führen geheimer „Sorgenbücher“, freien Ausdruck in Tanz, Musik- und Theaterspiel. Behutsam wird das Kind immer wieder zur systematischen, selbstverantwortlichen Arbeit aufgefordert, immer wieder wird es an kooperierende Arbeitsgruppen heran geführt. Es wird aber weder gezwungen, noch überredet, noch übertölpelt, im gleichen Maße, wie die allgemeinen Regeln in der Klasse auch von diesen Kindern eingehalten werden müssen. Das Kind und sein Problem werden ernst genommen, die Bewältigung des Problems ist nun seine wichtigste Lernaufgabe. Fatal sind hier Schulleitungen oder auch Kollegen, die die (hilflose, nicht professionelle) Forderung von Eltern nach mehr Druck auf die Kinder unterstützen. In solchen Situationen müssen Freinetlehrer oft die Unterstützung anderer schulischer oder außerschulischer Beratungspersonen suchen.

 

Zuerst muss immer dem Kind geholfen werden, nicht den Eltern. Sollten diese auch nach Gesprächen kein Vertrauen in die Lernweise der Freinetklasse gewinnen, können sie in den Unterricht der Klasse eingeladen werden, um ihnen zu zeigen wie wir (und die anderen Kinder) arbeiten, um sie selbst in ein Lernen einzubinden, wo sie selbst durch eigene Erfahrung lernen können. Sollten Eltern dies ablehnen oder bei ihrer Haltung bleiben, empfehlen Freinetpädagogen NICHT, dass die Eltern das Kind in eine andere Lerngruppe geben sollen.

 

Ihre Aufgabe ist es, - wie in vielen anderen Problemfällen, wie Hyperaktivität, Trennungsproblemen, Missbrauch oder Lern- und Wahrnehmungsproblemen - das Kind zu begleiten , ihm alle Chancen zu geben, am eigenen Problem in einer demokratischen Lernumgebung zu arbeiten.

 

Es kann keine Lösung sein, auf die Forderung der Eltern nach mehr Druck einzugehen. Die Aufgabe der Lehrerin kann es nur sein, bei nachlassender Arbeitseinstellung und Lernmotivation, das Kind dahingehend zu beraten, dass es neue Formen der Selbstdisziplin findet, sich selbst, trotz der Aktivitäten der Eltern, neu als Person und in der Arbeit selbst zu organisieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veränderte Kindheit
Die Freinetpädagogik hat das Ziel, der Einstellung und Handlungsweise immer näher zu kommen, die das Kind als dem Erwachsenen gleich berechtigt ansieht. "Das Kind agiert, reagiert und lebt...nach den gleichen Grundsätzen wie ihre Lehrer". Es gibt "keinen Unterschied von Natur her, sondern nur einen graduellen Unterschied"2.

 

Diese Unterschiede waren zu Freinets Zeiten die körperliche Entwicklung, das Wissen, die Erfahrung und das "unermessliche Lebenspotential"3 des Kindes. Die Entwicklung der Kinder heute sollte uns eigentlich unsere Grundhaltung erleichtern. Oft wissen Kinder zumindest in Teilbereichen mehr als ihre Lehrer, sie verfügen oft über weitergehende Erfahrungen (durch Urlaubsreisen, außerschulischen Unterricht, Auseinandersetzung mit elektronischer Technik, organisierte Erlebnisse), ihre Intelligenz ist in zunehmender Zahl (was für einige Kinder in der Klasse gelten kann) der Intelligenz der LehrerIn überlegen. Sie übernehmen im immer schneller werdenden Maße - im Guten, wie im Schlechten - soziale und psychische Verhaltensweisen der Erwachsenen.

 

Dass es sich oft um Doublebind-Situationen und -Erlebnisse handelt, erschwert die Dinge allerdings. Zu schnell sollen die Kinder lernen, sich wie Erwachsene zu verhalten, so zu "funktionieren" wie sie, aber sie lernen von ihren Eltern nicht wirklich erwachsen zu werden. Sie sollen als Babies möglichst schnell laufen und sprechen lernen, schnell wachsen und alles lernen, aber alt werden dürfen sie eigentlich nicht, denn es gilt die gesellschaftliche Ziel-Devise "Forever young".

 

Zu Freinets Zeiten begegnete die Pauk- und Lernschule "ihren" Kindern mit autoritären Strafen und Unterwerfungen, Einschüchterung, Anschreien und Schlägen und einer Erziehung zum bedingungslosen Gehorsam, der Unterordnung und unbedingtes Ablernen der geforderten Lehrinhalte und Ideologien verlangte. Die Erziehung zum "vorauseilendem Gehorsam" war höchstes Ziel von Schule.

 

Hinzu kommt, dass die Struktur der Schule sich immer noch nicht von seiner feudalistischen Prägung4, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegen die humanistischen Bildungsideale eines Goethes, Schillers, oder von Humboldtdurchgesetzt wurde, lösen konnte. Leider hat Schule in einigen seiner Organisationsformen Strukturen des Militärs. Kinder werden entsprechend ihres numerischen Lebensalters, nicht entsprechend ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung zu einem bestimmten Stichtag für eine bestimmte Zeitspanne "eingezogen". Sie werden einer bestimmten Gruppe und einem bestimmten "Ausbilder" "zugeordnet". Die Kinder haben noch immer ein bestimmtes Ausbildungsprogramm bei bestimmten Ausbildern an bestimmten Orten und Zeiten zu absolvieren. Hier wird nicht überlegt, ob der Lerntyp und die Persönlichkeitsstruktur des Kindes zum Lehrertyp passt, ob die Gruppe oder die Entwicklungsstufe stimmt. Dabei sind die Lösungen bekannt: Auflösung der Jahrgangsklassen durch altersübergreifendes Lernen, family grouping, individuelle Einschulung im laufenden Jahr in bestehende Gruppen, Zuordnung der Kinder durch gemeinsame Entscheidungen der Eltern, der KindergärtnerInnen, der LehrerInnen und der Kinder (!) zu ihren Lerngruppen, ein Tutorensystem mit einem Mann und einer Frau anstelle des Klassenlehrersystems. Die Top-Down-Strukturen von der MinisterIn über Inspektoren und Schulleitungen bis zur LehrerIn muss ersetzt werden durch Beratungs-, Kooperations- und Autonomiestrukturen. Die Schule muss aus ihrer örtlichen und inhaltlichen Isolation als kasernierte Lernanstalt herausgeführt werden, zu einem für alle offenen "Haus des Lernens", wo das Lernen der Gesellschaft im Mittelpunkt steht und mit ihnen zuerst die Kinder, aber auch alle anderen gesellschaftlichen Gruppen.

 

LehrerInnen müssen aus ihrer Rolle als Zwangsvermittler von Wissen und Qualifikationen entlassen werden. Sie können in einem immer höheren Maße in und an Lernprojekten arbeiten, die eingebettet sind in kommunale Absichten, in demokratische Prozesse zur Organisation der Gesellschaft. Sie dürfen nicht weiter als nicht mehr wirklich zu qualifizierende "Fach-Spezialisten" isoliert arbeiten. Sie müssen lernen, dass "ihre" Lerner es lernen, sich selbst jene Lernwege in die außerschulische Wirklichkeit zu echten Spezialisten, zu Know-How und Informationen zu bahnen, die sie für ihren Lernfortschritt und ihre Qualifikation brauchen. Sie werden Begleiter der Prozesse der Selbstorganisation der Individuen in ihrem sozialen Kontext. Das schlechter werdende Image der Lehrerschaft entsteht nicht durch schlechter werdende Lehrer, sondern dadurch, dass ihre Rolle (in einer nicht ausreichend versorgten und anerkannten Schule) nicht mehr den Anforderungen unserer gesellschaftlichen Qualifikationsbedingungen entspricht. Dass zu viele unserer KollegInnen unter diesen Bedingungen leiden, erklärt dann allerdings, dass es berufliche Resignation, erhöhten Krankenstand, Gleichgültigkeit, Vermittlungs- und Durchsetzungsprobleme gibt.

 

Noten, Prüfungen und andere Mittel der Selektion mögen zwar weiterhin aus den Mängeln der Schule heraus begründbar sein, gehören aber schnellsten abgeschafft durch Formen der Selbstevaluation und Selbstbewertung, wie sie die Freinetpädagogik immer pflegte.

 

Auch die Loslösung der Schule heute von der Vorstellungen der Lern- und Paukschule ist noch nicht vollständig geschehen. Immer noch wird versucht die Kinder und Jugendlichen Lehrstoff "fressen" zu lassen, damit sie "formale Leistungsforderungen" erfolgreich absolvieren, deren Inhalt sie eine Woche nach der Klausur wieder vergessen haben. Noch immer erwarten Lehrkräfte, dass "ihre" Kinder bedingungslos stillsitzen, während sie langweilige Vorträge ohne erkennbaren Sinnbezug für die Lerner halten und uninteressante Tafelbilder abschreiben lassen, deren Sinn sie selbst als oft verzweifelte oder frustrierte Lehrer nicht sehen, sondern ihn gegen Unruhe und demonstratives Desinteresse präsentieren, da das Schulbuch oder das Curriculum den Stoff für diese Woche vorsah.

 

Und wenn diese Realisierung von Schule immer weniger funktioniert, Kinder und Jugendliche sich immer häufiger verweigern, sich in illusionäre Welten flüchten, als Mitläufer an der Oberfläche der Freizeitangebote dahin konsumieren, demonstrativ die Übernahme von Verantwortung ablehnen, krank werden oder in jetzt auch schon kommerzialisierte subkulturelle Fallen laufen, anti-demokratische Parolen und Ausländerwitze nachplappern, mobben und selber unter Ausschlussspielen leiden, ohne sich um ihre schulische Entwicklung kümmern zu wollen, oder umgekehrt - eine coole Leistungsgeilheit an den Tag legen, ...

 

Alles in allem werden die Kinder vielen Erwachsenen, ob in ihrer Funktion als LehrerIn oder Eltern, immer unverständlicher und fremder. Und in dieser Situation fordern starke gesellschaftliche Kräfte die Wiedereinführung militaristischer oder preußischer Bildungsideale wie Disziplin, Ordnung, Gehorsam und Fleiß.

 

Hier greift das Bild des "vom Erwachsenen zu erziehendem Kind". Hier greift der Anspruch, dass der Erwachsene weiß, wie ein Kind zu sein hat, die Hybris man wisse, wie richtige Erziehung und Bildung zu sein hat. Leider herrscht diese Grundeinstellung auch in unseren europäischen Ländern außer den Englisch sprachigen vor, wenn Bildungskommissionen Curricula einer zentralisierten Schule mit Monopolanspruch auf Bildung und Erziehung entwerfen, die für jeden Ort, jede Schule, jede Klasse und jedes Kind in einer bestimmten Altersphase in einem bestimmten Schuljahr zu gelten hat. Ein amerikanisch-kanadischer Wissenschaftler sei hier zitiert, der die französische Schule stellvertretend beschreibt: "Für Nordamerikaner ist der offensichtlichste Gegensatz zwischen U.S.-amerikanischer und kanadischer Erziehung auf der einen Seite und französischer Erziehung auf der anderen Seite die Zentralisierung des Schulsystems der letzteren. Eine (etwas schelmische ) Anekdote, die es aber auf den Punkt bringt, erzählt, dass der französische Erziehungsminister in jedem beliebigen Moment auf die Uhr schauen kann, um genau zu wissen, was jeder beliebige französische Schüler gerade lernt. Das ist natürlich eine Übertreibung, aber es beschreibt den Kern des Charakters der französischen Erziehung".5

 

Hier geht die Freinetpädagogik den Weg, den die Europäische Union mit der Stärkung der selbst-verantwortlichen Autonomie der einzelnen Schule mit Erarbeitung von Schulprogrammen und der Entwicklung eigener Profile vorgibt.

 

Zu hoffen bleibt, dass das zurück zu zentralen Gewalten und ihr erzieherischer Geist sich nicht gegen die historische Erfahrungen durchsetzt oder die Entwicklung der Modernen Schule zu sehr behindert.

 

Gerade in den Ländern, die traditionell eher eine zentralistische Kulturpolitik kannten, geht die Tendenz zur Stärkung einer demokratischen modernen Leistungsschule. Die staatlichen Stellen sind die, die die Reform, die Verbesserung der Qualität von Bildung und Ausbildung oft gegen den passiven, manchmal offenen Widerstand der Schulen voran treiben.

 

Diese Langsamkeit und Mühe der Umsetzung von staatlich verordneten und empfohlenen Reformen basiert einerseits auf der mangelnden Bereitschaft des Staates selbst den Bildungsbereich mit (vorhandenen!) ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten.

 

Andererseits zeigt sich der Mainstream der Kolleginnen und Kollegen in diesem seit Jahren andauerndem Paradigmenwechsel verunsichert. Zu oft hörten viele von ihnen wie es nicht mehr in Erziehung und Unterricht gehen sollte. Zu oft traten "Theoretiker" in Fort- und Weiterbildungen auf, die "neues Lernen" propagierten, es selbst aber nie erprobt, geschweige denn wirklich verstanden hatten. Sie schickten zu viele KollegInnen, die zu Veränderungen bereit waren, in eine Sackgasse. Pädagogische Zeitschriften und ministerielle Schriften beschrieben und propagierten zu oft "Musterbeispiele" von "Musterprojekten" an "Musterschulen", die unter künstlichen oder begünstigten Bedingungen entstanden waren. Aus der LehrerInnenbildung kommen nun junge Menschen an die Schulen, die über ein höheres Wissensniveau und eine reichhaltigen Kanon an Unterrichtstechniken verfügen, aber sie sehen sich immer noch als Vermittler von Unterrichtsstoff. Dass sie die erwachsenen Vermittler zwischen Welt und Erwachsenenwelt und Kindern und ihrer Welt, dass sie Begleiter der kindlichen Lernprozesse sein können, konnte ihnen die alte Ausbildung oft nicht beibringen, da Ausbilder allzu oft nur das neue Vokabular gelernt hatten.

 

Die Freinetpädagogik sammelte über Jahrzehnte eigene unabhängige Erfahrung in der kooperierenden Selbstberatung, der selbstorganisierten Fort- und Weiterbildung, in der Eigenevaluation der täglichen Arbeit und der Formulierung der eigenen Erkenntnisse.6

 

In der Praxis der Schule sind viele Lehrerinnen und Lehrer heute orientierungslos. Das Klagen über die "Kinder von heute" und den "Stress des Schulalltags" nehmen zu. Wenn in früheren Zeiten die Erziehung zum Gehorsam im Mittelpunkt stand, gibt es nun recht häufig, nicht recht wissend, was man will und wohin man will, die Erziehung zur Anpassung. Nicht auffallen, nicht anecken, gut durchkommen, Hauptsache die Noten stimmen, Matura oder Abitur machen, sich alle Wege offen halten, ...funktionieren. Du bist gut, wenn du es der Lehrerin oder dem Lehrer recht machst, sie oder er will gut gelitten werden, braucht Anerkennung für seine Arbeit.

 

Und in der Tat provozieren die Lehrkräfte bei den Kindern die Kunst der "vorauseilenden Anpassung". Die Kinder wissen sehr wohl, was sie tun müssen, um zu gefallen, um "etwas" zu erreichen, bei ihren Eltern oder Lehrern. Oft kombiniert sich dies mit den Formen des Widerstands gegen die leicht zu durch schauende Erwachsenenwelt: gegen einander ausspielen, trotzen bis zum letzten, sehr wohl wissend, welche Eltern und Lehrer zurückstecken, nicht weiter wissen, um jeden Preis auf sich aufmerksam machen.

 

Viele dieser Pädagogen (und Erwachsenen) suchen heute im Sinne des Zeitgeistes nach sofort anwendbaren einfachen Rezepten und schnellen Lösungen, möglichst kaufbar, in Form von Sachbüchern, Kinderpsychologen, Programmen, möglichst kompatibel zur Playstation, die ansonsten keiner Veränderung bedürfen.

 

Die Freinetpädagogik hat hier eben keine schnellen Lösungen oder garantiert erfolgreichen Rezepte. Was sie anzubieten hat, ist ein Grundeinstellung, so etwas wie eine pädagogische Seele, die manifestierbar ist, in Formen der Lernorganisation in der Klassenkooperative, in den Techniken des Freien Ausdrucks, in ihren Kommunkationsformen, in der "Methode Naturelle", in der Lernweise des "tastenden Versuchens" und eigenen "Forschens" und "Fragens"in der Welt, in der Vermittlung von Arbeitstechniken zur Erschließung jener Inhalte, die sich das Kind ausgewählt hat, im Angebot von Lernmaterialien, die die Aneignung von "notwendigem" schulischen Wissen zum Durchlaufen der schulischen Selektion erleichtern, von Zeit und Emotion, die die Kinder zur Entwicklung ihrer eigenen starken Persönlichkeit brauchen.

 

 

 

Ist Freinetpädagogik studierbar?

 

Seit Jahren sahen sich die FreinetpädagogInnen in vielen Ländern Europas in unzähligen Diskussionen mit der Frage konfrontiert, ob es eine Freinet-LehrerInnen-Ausbildung geben kann. Zahlreiche Fragen wurden gestellt.

 

Reicht nicht die bisherige „Selbsternennung“ zum Freinetpädagogen durch die Teilnahme an internationalen und nationalen Fortbildungen und Treffen regionaler Kooperativen?

 

Soll die Ausbildung nicht allein Sache der Freinetbewegung bleiben, etwa in Form von Bausteinen oder in Lehrgängen selbst gegründeter Institute?

 

Sollte die Freinetausbildung gegen Bezahlung angeboten werden, wie etwa ein Montessoridiplom?

 

Brauchen wir nicht sogar eine eigene unabhängige Ausbildung wie sie etwa die Waldorfpädagogik kennt?

 

Gibt es die Möglichkeit innerhalb des staatlichen Ausbildungssektors eine Freinetausbildung anzubieten, da wir ja auch in der Regel in der staatlichen Schule arbeiten?

 

Sind die staatliche LehrerInnenbildung und das Selbstverständnis der Freinetpädagogen überhaupt kompatibel?

 

Sollten wir nicht in Projekten Freier Universitäten arbeiten, um mit anderen pädagogischen Richtungen gemeinsam einen neuen LehrerInnentyp auszubilden?

 

Muss oder darf es überhaupt noch eine spezielle Freinetausbildung in Zeiten eines sich entwickelnden modernen europäischen Curriculums geben, das sich orientiert am entstehenden Selbstverständnis eines humanistischen Pluralismus in der Pädagogik?

 

In den letzten Jahren war es) zunehmend gelungen, sich bei Tagungen und Symposien einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Freinetbewegung begab sich mit der eigenen Pädagogik zunehmend in die wissenschaftliche und bildungspolitische Diskussion. Es zeigte sich deutlich, dass sich die Freinetpädagogik in verschiedensten Erziehungsstrukturen in unterschiedlichsten Bildungslandschaften über viele Jahrzehnte sich nicht nur in der Praxis bewährt hatte, sondern eher an Aktualität gewonnen hatte, da sie offensichtlich mit ihrer Vorstellung einer "Modernen Schule" auch konzeptionelle und systemische Elemente zur Entwicklung einer neuen Organisation von Schule anzubieten hat.

 

Vieles aus den Reformüberlegungen Freinets wird in der Regelschule umgesetzt, hat im offenen Unterricht oder in anderen pädagogischen Konzeptionen ihre Umsetzung erfahren. Mehr und mehr stellt sich die Fragen nach einem allgemein vermittelbaren Freinet-Curriculum für die staatliche LehrerInnenaus-, Fort- und Weiterbildung einerseits, als auch nach der Effiziens der Freinet-pädagogischen Erfahrungen, ihrer sich stetig weiterentwickelten Systemelementen, und der Herausbildung eines neuen Typus von LehrerIn bei der Entwicklung einer neuen europäischen Schule.

 

Für die Freintpädagogik selbst stellt sich die Frage, wie sie heute aussehen kann, ohne dass ihr pädagogisch-radikaler Ansatz durch modische pädagogische Strömungen verwässert oder gar weggeschwemmt wird. Die bloße Vereinnahmung einzelner Techniken und Ideen geht immer an den wesentlichen Aspekten und Kernideen der Freinetpädagogik vorbei. Deshalb ist es in der Verantwortung der Freinetpädagogen selbst, die innovative Weiterentwicklung vorzustellen, zu zeigen und zu formulieren, wie die Arbeitspädagogik Freinets heute aktueller denn je ist..

 

Nachdem sich die Freinetpädagogik jahrzehntelang durch den gegenseitigen Austausch von Praktikern entwickelte, ist in den letzten Jahren das zunehmende Interesse der Wissenschaft an der theoretisch kaum aufgearbeiteten Pädagogik feststellbar. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, den Freinet selbst provozierte, verliert sich mehr und mehr durch das Zugehen der Wissenschaft auf die Freinetpädagogik, als auch durch vermehrte wissenschaftliche Arbeiten von Freinetlehrerinnen innerhalb und außerhalb von Hochschulen und Universitäten.

 

Auch um diesem Anspruch gerecht zu werden, wagten wir uns im Rahmen der Gesamtentwicklung von Curricula für die LehrerInnenbildung in der Form von Hochschullehrgängen daran, ein Konzept für einen Hochschullehrgang zur Freinetpädagogik zu entwickeln. Zurückgreifen konnten wir dabei auf verschiedene konkrete Erfahrungen, die mit der Vermittlung von Freinetpädagogik gemacht wurden:

 

  • die Freinet pädagogische Entwicklungsreihe des Pädagogischen Institutes des Bundes in Kärnten, die mit dem Kärtner Verein "Kooperatve Freinet" organisiert wurde,

  • die Seminararbeit u.a. an den Universitäten Bremen, Kassel, Köln, Oldenburg, Berlin, Riga (Lettland), Zagreb (Kroatien), der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg, der Pädagogischen Akademie Kärnten.

  • Den Erfahrungen des Vereins für ganzheitliches Lernen", PrinzHöfte, Niedersachsen, die theoretisch und praktisch seit Jahren an einer Verbindung systemischer Theorien und Freinetpädagogik arbeiten,

  • verschiedener Symposien zur Freinetpädagogik in Bremen, Heidelberg, Kassel und Wien.

 

 

 

Mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheit konnten die Pädagogische Akademie des Bundes in Kärnten und die Uni Bremen als Träger gewonnen werden. Nach unzähligen Diskussionen in der Entwurf- und Planungsphase, gelang es, ein wissenschaftlich abgesichertes und akzeptiertes Konzept für den Hochschullehrgang zu erstellen. Dieser vier semestrige Lehrgang "Schulforschung, Schulentwicklung und Lernkultivierung auf der Grundlage der Freinetpädagogik" gliederte sich wie folgt:

 

  • Erfahren des freinetpädagogischen Lernbegriffs anhand systemischer Kriterien und durch eigenes Handeln in angebotenen ganzheitlichen Arbeitsprozessen. Begegnung mit der Geschichte, Praxis und den Grundbegriffen der Freinetpädagogik

  • Erprobung freinetpädagogischer Lerntechniken zu selbstbestimmten Inhalten in Kooperation. Beschreibung des aktuellen Entwicklungsstandes durch Beschreibung der eigenen Praxis und der Ansprüche der gesellschaftlichen Veränderungen und wissenschaftlichen Theorie. Vorbereitung der Selbstorganisation vor Ort und des letzten Teils des Studiengangs. Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Vermittlung von Freinetpädagogik

  • Praktische Arbeit in freinetpädagogischen Klassen, Schulen und in der Lehrerinnenbildung des In- und Auslands in Mentorenschaft mit individueller Auswertung und einem Treffen zum Austausch der Erfahrungen

  • In selbst gestalteten Systemen das Lernen Lernen lernen, Evaluation, Dokumentation, Reflexion und Veröffentlichung7

 

 

 

 

 

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"Kinder haben das Recht, ein Indianer mit allem Drum und Dran zu werden"

 

Florian, 7 Jahre alt

 

 

 

Wir haben uns für die Kinder und ihre Rechte entschieden

 

 

 

Das Kind ist dem Erwachsenen prinzipiell gleichgestellt, für das Kind gelten die gleichen Grundrechte.

 

Wir haben uns für die Verwirklichung der Menschenrechte entschieden.

 

 

 

Kinder sind Menschen, die ihre eigene Aktivität entwickeln. Diese eigene Aktivität ermöglicht erst ihre Entwicklung, indem sie sich mehr und mehr mit der Welt auseinander setzten. Sie konstruieren ihre eigene innere Welt und nehmen zunehmend und mit zunehmender Verantwortung an jener Konstruktion von Welt teil, die wir als gesamte Menschheit vollziehen. Dabei verändern sie sich selbst und die Welt.

 

Wir haben uns für die Mündigkeit der Kinder entschieden.

 

 

 

Kinder sind kompetente Wesen. Sie verfügen über die Fähigkeit in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt zu lernen. Sie sind im Vergleich zu Erwachsenen nicht „mangelhaft“ oder „ungebildet“, sondern wir können sie als „qualitativ anders“ (Jean Piaget) ansehen.

 

Wir haben uns dazu entschieden, dass wir den Kindern in unserer Verantwortung als Erwachsene begegnen.

 

 

 

Das Kind ist unser „Interaktionspartner, der nicht ausschließlich nach den Vorstellungen des Erwachsenen geformt, gebildet, sozialisiert wird, sondern seinerseits auch auf den Erwachsenen einwirkt und somit die Prozesse der Sozialisation und Erziehung aktiv mitgestaltet.“8

 

Wir wissen, dass wir von Kindern lernen können.

 

 

 

Das Individuum selbst muss die festen Grundlagen seines Lernens schaffen, wobei es die Möglichkeit haben sollte, auf Erwachsene und ein Milieu zurückzugreifen, die ihm hilfreich zur Seite stehen: In diesem Fall sprechen wir von Erziehung. Wenn man von außen dem Kind einen Rahmen von Verhaltensregeln auferlegt, die seinen natürlichen Bedürfnissen fremd sind, sprechen wir von Dressur“ (Elise Freinet)

 

Wir haben uns für die Erziehung entschieden.

 

 

 

Kinder sind das wertvollste Gut der Menschen. Sie sind unsere Zukunft als Menschen. Hieraus leiten wir Rechte ab, die ihnen in ihrer Kindheit garantiert sein müssen:

 

Kinder haben das Recht auf ihre eigene Zukunft. Dies gilt für ihre eigene Entwicklung genau so wie für globale Fragen unserer Gesellschaft und der Zukunft der Welt. Im Sinne der Agenda 21 der Vereinten Nationen fördern wir konsequent eine Erziehung im Bewusstsein der Verteidigung des Lebens und der Menschenrechte heute und in Zukunft.

 

 

 

Kinder haben gegenüber allen Mitmenschen das unveräußerliche Recht auf Achtung des Kindes (Janusz Korczak). Kinder sind weder kleine Erwachsene, noch zu bevormundende noch zu verhätschelnde Besitztümer der Erwachsenen. Nur die Achtung ihres Status als Kind lässt jene Entwicklung zu, die sie brauchen.

 

So haben das Recht auf ihren eigenen heutigen Tag, ein Kind zu sein, so wie es ist (und nicht wie der Erwachsene es haben will) und das Recht Erwachsenen zu begegnen, die sich ihrer Verantwortung und eigenen Rechte als Erwachsene und ihres Erwachsenseins bewusst sind.

 

So haben Kinder ein Recht auf „überschaubare und überschreitbare Grenzen“ (Janusz Korczak).

 

 

 

Sie haben das Recht etwas Falsches zu tun. Dies macht sie weder schuldig, noch minderwertig, sondern zeigt an, wo sie unsere Hilfe und Begleitung brauchen. Kinder haben das Recht Fehler zu machen, denn wir Menschen lernen nur durch die Fähigkeit zur Selbstkorrektur von Fehlern. Fehler sind der Antrieb zur Entwicklung, zum Erkennen, zum Ansammeln von Wissen und zum Leisten. Nur wer gelernt hat kleine Fehler zu korrigieren, kann große Fehler verhindern.

 

 

 

Kinder haben das Recht Probleme zu haben. Nur wer lernt diese zu artikulieren, lernt sich Hilfe in der Gemeinschaft zu organisieren, lernt sich selbst zu helfen. Sie haben ein Recht auf Trauer und Freude, auf Angst und Mut, auf Neugier und Zurückhaltung.

 

Kinder haben ein Recht auf sich selbst. „Aufgabe der Pädagogik ist es, das Kind den Erziehern gewachsen zu machen“ (Janusz Korczak).

 

Wir haben uns für die Stärkung der Kinder entschieden.

 

 

 

Kinder haben das Recht Werte zu haben und sich selbst als wertvoll zu sehen. Unsere Aufgabe ist es nicht, ihre Leistungen durch Noten oder Beurteilungen abzuwerten, sondern ihren Leistungen durch unsere und ihre eigene individuelle, als auch gemeinsame Be-Wertung ihrer Arbeit die Anerkennung ihres Wertes zu geben. Kinder haben das Recht auf ein entwickeltes Selbstwertgefühl, das die wirkliche Grundlage für Selbstbewusstsein ist.

 

Wir haben uns gegen Noten, für die Würdigung wirklicher Leistung entschieden.

 

 

 

Kinder haben das Recht zu ungezwungener Arbeit, zur eigenen Einteilung ihrer Zeit, zur eigenen Entscheidung, zur Entwicklung der Verantwortungsfähigkeit, zur Wahl der eigenen Freunde.

 

Wir erkennen das Recht der Kinder auf Vergnügen an, das schon immer von Schule verdrängt wurde. Das Recht auf Vergnügen wird von jenen als etwas Ungeheuerliches angesehen, die die Menschen von Kindheit an auf die Entfremdung einer von „oben“ auferlegten Arbeit vorbereiten. Leben sollen sie erst in Konsum und Freizeit erfahren. Die Bestrebungen der Kinder aus eigenem Antrieb zu lernen, werden von uns nicht durch willkürlichen Zwang zu fremd bestimmten Zielen umgeleitet. Wir akzeptieren den Wunsch, aus eigenem Interesse ein frei gewähltes Ziel zu erreichen. Dieser Weg wird nicht ohne Mühe und Enttäuschungen sein. Aber die Erfahrung der eigenen Leistungsfähigkeit garantiert Vergnügen. Für uns gibt es keine andere Formung des Willens als die Erziehung zu freien Menschen durch die Übernahme von Verantwortung.“ 9

 

Wir haben uns für die Leistung entschieden, die Mühe kennt und Spaß macht.

 

 

 

Kinder haben das Recht auf gute Lehrer. Das sind jene Lehrerinnen und Lehrer, „bei denen man viel lernt, die beim Lernen helfen, wo alles geklärt wird, wo es einen Klassenrat gibt, die darauf achten, was mit den Kindern psychisch los ist, die keinen Ärger machen, wenn ein Kind etwas falsch gemacht hat, sondern dem Kind hilft, die helfen, wenn es einem nicht gut geht, die sich auch einmal von Kindern helfen lassen“ 10, aber die Kinder selbst lernen lassen. Freinetlehrerinnen und -lehrer arbeiten kontinuierlich an ihrer Professionalität, Einstellung und Weiterbildung. Sie tun dies bevorzugt selbstorganisiert, in ihren regionalen Gruppen oder in ihrem Kollegium (falls es sich um eine entsprechende Schule handelt), in nationalen und internationalen LehrerInnentreffen,, durch die Veranstaltungen von Symposien und Arbeitstreffen zu speziellen Themen und last but not least durch Publikationen in ihren eigenen Zeitschriften.11

 

 

 

Wir haben uns entschieden, nicht gleichgültig weg zu schauen:

 

Kinder haben das Recht gefragt zu werden, aber nicht dann, wenn Erwachsene nicht für sich selbst entscheiden wollen. Kinder haben das Recht nicht verletzt, missbraucht oder entwürdigt zu werden. Dies ist die oberste Regel in unseren Klassen und Schulen. In diesem Sinne haben Kinder das Recht zu nichts gezwungen zu werden was sie nicht tun wollen oder können.

 

 

 

Kinder haben das Recht auf eine eigene Meinung. „Die großen Leute verstehen nie etwas von selbst, und für die Kinder ist es zu anstrengend, ihnen immer wieder erklären zu müssen...ich bin viel mit Erwachsenen umgegangen und habe Gelegenheit gehabt, sie ganz aus der Nähe zu betrachten. Das hat meiner Meinung über sie nicht besonders gut getan“. 12

 

Wir haben uns entschieden, auch mit der Möglichkeit zu leben, dass unsere Entscheidungen falsch sein könnten.

 

 

 

Das Kind hat das Recht seine eigene Sprache, und damit sich selbst und seine eigenen Welt, finden zu können. Es hat das Recht sich frei auszudrücken, um zu sich selbst zu finden, frei zu kommunizieren, um andere zu finden, die Kooperation in der Gemeinschaft der Klasse zu erproben, um den und das Andere zu erfahren und zu begreifen, die Welt selbst zu erkunden und zu erforschen, um sie und sich selbst zu verstehen.

 

Wir haben uns entschieden den Kindern das Wort zu geben.

 

 

 

Die Kinder haben das Recht, dass ihr Lernen einen Sinn hat. Wir arbeiten nicht für Tests, Noten oder Ablagen, sondern um das Gelernte auszutauschen, gemeinsam Erkenntnisse zu formulieren, Wissen zu mehren, um sich selbst als Mensch zu erkennen und zu verstehen. Die beste Art sich zu bilden, ist das Leben selbst, selbst zu leben. Dies gilt für Kinder auch hier und jetzt. Das ist der eigentliche Grund, die Schule zu öffnen.

 

Wir haben uns für das Leben, "nichts als das Leben"13 entschieden.

 

 

 

Und das Leben der Kinder findet nicht nur in einer fernen Zukunft statt, sondern bereits hier und jetzt.

 

Das ist unser Grund, die Schule zu öffnen.

 

 

 

Noch immer ist die Charta der fundamentalen Rechte und Bedürfnisse der Kinder gültig, die die französische Freinetbewegung formulierte14 :

 

 

 

  1. Geburt und Aufnahme des Kindes in diese Welt

 

 

 

  • Das Kind hat das Recht, kein Produkt des Zufalls zu sein.

  • Das Kind hat das Recht, um seiner selbst willen gewollt zu werden und nicht im Interesse irgendeiner Politik.

  • Das Kind hat das Recht, um seiner selbst willen gewollt zu werden, und nicht alleine im Interesse seiner Eltern.

  • Das Kind braucht eine Schwangerschaft und eine Geburt ohne traumatische Schädigung

  • Das Kind hat das Recht, angenommen zu werden, so wie es ist - wie auch immer seine körperliche

  • Konstitution sein mag.

  • Das Kind hat das Recht, angenommen und geliebt zu werden, ohne Rücksicht auf sein Geschlecht.

 

 

 

  1. Entwicklung des Körpers

 

 

 

  • Das Kind hat das Bedürfnis nach einer ausgewogenen Ernährung.

  • Das Kind hat das Bedürfnis nach seinem eigenen Rhythmus zu leben und sich auszuruhen.

  • Das Kind hat das Recht, dass die Bedürfnisse seines Körpers berücksichtigt und auch nicht unbewusst missachtet werden.

  • Das Kind hat das Bedürfnis, sich aller Möglichkeiten seines Körpers bewusst zu werden.

  • Das Kind hat das Recht, nicht dauernd sauber und untadelig sein zu müssen.

 

 

 

  1. Die Achtung vor der Person des Kindes

 

 

 

- Das kleine Kind braucht den Kontakt mit der Mutter und dem Vater.

 

  • Das Kind braucht den Kontakt mit Erwachsenen beiderlei Geschlechts.15

  • Das Kind braucht den Kontakt mit Kindern beiderlei Geschlechts.

  • Das Kind braucht gefühlsmäßige Geborgenheit.

  • Jedes Kind ist einzigartig und hat ein Recht darauf, dass seine Persönlichkeit respektiert wird.

  • Das Kind braucht Vertrauen.

  • Das Kind hat das Recht auf Würde.

 

 

 

  1. Die volle Entfaltung des Kindes

 

 

 

  • Jedes Kind hat das Recht auf die maximale Entfaltung aller in ihm angelegten Möglichkeiten, es hat das Recht auf Genuss und Vergnügen.

  • Das Kind hat das Recht auf Selbständigkeit und Verantwortung.

  • Das Kind braucht das Erlebnis des Erfolgs.

  • Das Kind hat das Recht auf Irrtum.

  • Das Kind hat das Bedürfnis erfinderisch und kreativ zu sein.

  • Das Kind hat das Bedürfnis sich auszudrücken.

  • Das Kind hat das Bedürfnis mit anderen zu kommunizieren.

  • Das Kind hat das Bedürfnis nach ästhetischen Empfindungen.

 

 

 

  1. Der Zugang zum Wissen

 

 

 

  • Das Kind hat das Recht auf wahre und plausible Antworten auf die Fragen, welche es sich stellt.

  • Das Kind hat das Recht sich jedes Wissen anzueignen.

  • Das Kind hat das Recht die sozialen und wirtschaftlichen Phänomene zu verstehen, die es umgeben.

  • Das Kind hat das Bedürfnis sich seiner sozialen Umwelt bewusst zu werden.

 

 

 

  1. Die Umwelt

 

 

 

  • Das Kind hat das Recht auf ein Minimum an Raum.

  • Das Kind hat das Bedürfnis nach lebendigem Kontakt mit der Welt.

  • Das Kind hat das Bedürfnis mit sehr verschiedenen Materialien zu experimentieren.

  • Das Kind hat das Recht auf seine Umwelt Einfluss zu nehmen.

 

 

 

7. Das soziale Verhalten

 

 

 

  • Das Kind hat das Recht, weder indoktriniert noch konditioniert zu werden.

  • Das Kind hat das Recht nicht den jeweils wechselnden Moden unterworfen zu sein.

  • Das Kind hat das Recht Kritik zu üben.

  • Das Kind hat das Recht, am Berufsleben teilzunehmen, bevor es selbst in die Produktion eingespannt ist.

  • Die Kinder haben das Recht, sich demokratisch zu organisieren, um für die Respektierung ihrer Rechte und die Verteidigung ihrer Interessen einzutreten.

 

 

 

 

 

Und wir haben uns entschieden, die Kinder immer wieder ihre eigenen Rechte formulieren zu lassen16 und uns damit auseinander zu setzen:

 

 

 

"Kinder haben das Recht Rechte zu haben.

 

Kinder haben das Recht traurig zu sein.

 

Kinder haben das Recht Haustiere zu haben

 

Kinder haben das Recht sich zu verlieben.

 

Kinder haben das Recht spät schlafen zu gehen und spät aufzustehen.

 

Kinder haben das Recht zu lachen.

 

Kinder haben das Recht Pferde zu haben.

 

Kinder haben das Recht Blödsinn zu machen.

 

Kinder haben das Recht Uhren zu haben.

 

Kinder haben das Recht zu weinen.

 

Kinder haben das Recht auf einen Hund.

 

Kinder haben das Recht Buden zu bauen.

 

Kinder haben das Recht schwimmen zu gehen.

 

Kinder haben das Recht Feuer zu machen.

 

Kinder haben das Recht auf Bäume zu klettern.

 

Kinder haben das Recht zu tanzen.

 

Kinder haben das Recht die Schule zu sprengen.

 

Kinder haben das Recht fröhlich zu sein.

 

Kinder haben das Recht faul zu sein.

 

Kinder haben das Recht mit Freunden zu spielen.

 

Kinder haben das Recht nicht angeschrien zu werden.

 

Kinder haben das Recht zu schenken.

 

Kinder haben das Recht etwas zu vergessen.

 

Kinder haben das Recht zu arbeiten.

 

Kinder haben das Recht ihre eigenen Blumen zu gießen.

 

Kinder haben das Recht die Erde zu schützen.

 

Kinder haben das Recht alles zu machen.

 

Kinder haben das Recht laut zu sein.

 

Kinder haben das Recht nicht zu Hausaufgaben gezwungen zu werden.

 

Kinder haben das Recht auf ein eigenes Zimmer.

 

Kinder haben das Recht gesunde Zähne zu haben.

 

Kinder haben das Recht nicht rausgeschmissen zu werden.

 

Kinder haben das Recht mit ihrer Mutter oder ihrem Vater zu schmusen.

 

Kinder haben das Recht sich hin zu setzen, wo sie wollen.

 

Kinder haben das Recht Deutsch zu lernen.

 

Kinder haben das Recht alleine spazieren zu gehen.

 

Kinder haben das Recht zu fliegen.

 

Kinder haben das Recht in der Schule zu fehlen, wenn sie Angst haben.

 

Kinder haben das Recht am Daumen zu lutschen

 

Kinder haben das Recht richtig schreiben zu lernen.

 

Kinder haben das Recht auf Geschwister

 

Kinder haben das Recht in die Schule zu gehen.

 

 

 

 

 

 

 

Rede an mein Kind17

 

 

 

Ich wünsche dir einen gelingenden Lebensweg, auf dem Glück, Arbeit und Leistung sich auf Deine eigene Weise verbinden.“

 

 

 

Mutter, warum muss mein Lebensweg gelingen?

 

Was soll gelingen?

 

Gibt es Wege, die nicht gelingen?

 

Es gibt kein Gehen ohne Wege,

 

sie entstehen doch beim Gehen?

 

Warum soll ich gelungen gehen?

 

Und dann soll ich Glück, Arbeit und Leistung verbinden!!!

 

Warum nicht Trauer, Müßiggang und Lust?

 

Warum nicht Feuer, Wasser und Luft?

 

Warum nicht die Quantenphysik, den Stabhochsprung und die Komposition der Musik?

 

Was ist das, was Du mir anbietest?

 

Sind es nicht Deine Ängste,

 

Du könntest nichts leisten,

 

würdest Arbeit verlieren

 

Du könntest verraten, dass Du unglücklich bist?

 

Und dann die ultimative pädagogische Steigerung

 

Ich soll auf meine eigene Weise

 

Deine

 

schon von Glück, Leistung und Arbeit verbinden.

 

Ihr wollt, dass die Kinder, das was Ihr von ihnen erwartet,

 

auch noch selber tun,

 

wie Ihr es erwartet!

 

Warum sagt Ihr uns nicht

 

Geht nicht unserer Wege!

 

Geht ab von den Wegen!

 

Geht nicht oder geht!

 

Arbeitet nicht!

 

Leistet nichts!

 

Fürchtet euch nicht vor dem Unglücklichsein!

 

Warum erwartet Ihr immer von uns?

 

Könnt Ihr nicht mit uns reden, spielen, lachen

 

Für euch verantwortlich sein

 

Und uns für uns

 

Oder ganz ohne Antworten sein

 

Und uns fragen lassen?

 

Vielleicht erfinden wir die Verfraglichung

 

Wenn wir selbst arbeiten in Eifer oder im Gehenlassen

 

selbst glücklich sind im Glück und Unglück

 

es uns leisten,

 

etwas zu leisten oder nicht zu leisten

 

Warum wünscht Ihr euch etwas von uns

 

Und nicht von euch selbst?

 

Warum wünscht Ihr euch etwas von uns,

 

wo Ihr uns nichts als das Leben schenktet.

 

Warum wollt Ihr es mit euren Wünschen einengen,

 

erweitert, in Kanäle führen

 

oder überfluten?

 

Warum lasst Ihr uns nicht leben?

 

 

 

 

 

"Das ist gewöhnliche Pädagogik: Ungefragte Antworten und unbeantwortete Fragen" Karl Popper

 

 

 

Fragen zur Welt

 

 

 

Wir begannen gemeinsam die "Fragen zur Welt" einzuführen, in einem zweiten Schuljahr einer Grundschule auf dem Land in der Nähe von Köln, und in einem dritten Schuljahr einer Volksschule mitten in Wien.

 

Fast jede Woche verließen wir die Klassenräume, um in der für uns erreichbaren Welt außerhalb der Schule zu lernen. Die Landkinder gingen am liebsten in den Wald, zu einem alten Wasserauslauf, spazierten durch die Flußauen zwischen dem Fluss und der Eisenbahnlinie, sie wandern durch Felder und Straßen oder besuchen das örtliche Theater oder den alten Friedhof. Die Stadtkinder fuhren mit der Straßenbahn in den Wald, gingen in den Park, besuchten Ausstellungen, Museen, Theater und Informationsveranstaltungen für Kinder.

 

Irgendwann entstand die Idee, gegen Ende eines solchen "Spaziergangs"18 auf dem Rückweg zur Schule stehen zu bleiben, einen Kreis zu bilden und die Augen zu schließen. Jedes Kind denkt sich eine eigene Frage zur Welt aus. Danach stellt jedes Kind den anderen seine Frage vor. Nachdem wir wieder in der Klasse sind, schreiben alle ihre Frage auf kleine Zettel, die dann ins große "Fragen- zur- Welt - Buch" eingeklebt werden. Diese Aufgabe haben bald die Kinder selbst übernommen.

 

Vor dem Einkleben liest jedes Kind noch einmal seine Frage vor. Manchmal spielen wir vorher noch das "Befreiungsspiel". Es wird ein Kreis gebildet, in welchen du erst dann gehen darfst, wenn eine MitschülerIn deine Frage noch weiß und sie laut sagt. Eine Variante ist die, dass schon alle im Kreis sitzen. Jetzt wird das "Befreien" dadurch symbolisiert, dass diejenigen sich auf die Erde setzen, deren Frage von jemandem anderen gewußt wurde. Es ist erstaunlich, dass die Kinder wirklich noch alle Fragen der anderen wissen.

 

Es ist noch nie ein Kind übriggeblieben, weil seine Frage nicht wiederholt werden konnte.

 

 

 

Einige Fragen aus unseren ersten drei Schuljahren:

 

 

 

Warum sickert das Wasser in den Flüssen nicht ein, aber das Wasser sonst?

 

Warum können Menschen nicht fliegen?

 

Wie entstand das Küssen?

 

Warum haben Pflanzen Wurzeln und Menschen Beine?

 

Warum sind Blätter nicht viereckig?

 

Warum kann man die Zeit nicht anhalten?

 

Wieso gibt es Kriege?

 

Wie verstehen Ausländer ihre eigene Sprache?

 

Warum werden Bäume so groß?

 

Wieso gibt es Fragen?

 

Warum gibt es bei uns keine Elefanten?

 

Wieso gibt es Mädchen und Jungen?

 

Warum hat die Rinde Striche?

 

Wie alt kann ein Grashalm werden?

 

Gab es einmal Herkules?

 

Warum dreht sich die Erde und der Boden nicht?

 

Warum haben Tiere andere Sprachen als wir?

 

 

 

Gibt es Lebewesen auf anderen Planeten?

 

Wie ist die Erde entstanden?

 

Was ist der Wind?

 

Wann wird die Sonne wieder scheinen?

 

Warum töten Menschen Tiere?

 

Müssen Blumen nichts essen?

 

Warum fällt die Sonne nie runter?

 

Wie entstanden die Sterne?

 

Warum sind Ameisen so klein?

 

Wie wachsen Äste?

 

Wie schmeckt das Essen bei Außerirdischen?

 

Warum läuft das Wasser nicht aus der Erde in den Weltraum?

 

Was ist Licht?

 

Warum sind Wolken blau und weiß?

 

Gab es früher wirklich Wahrsager und Zauberer?

 

Was passiert, wenn Steine ins Wasser fallen?

 

Warum müssen Erwachsene alles beurteilen?

 

 

 

 

Uns ist es nicht wichtig, dass alle Fragen beantwortet werden, wichtig ist, dass jedes Kind seinen Frage stellt und jede Frage ins "Fragen- zur- Welt-Buch" kommt.

 

Wichtig ist, dass jedes Kind und jede Frage ernst genommen wird. Es gibt keine "guten und schlechten Fragen". Es gelingt niemals alle Fragen zu beantworten, hierzu reicht die Zeit nicht. Also müssen Fragen ausgewählt werden. Zum Beispiel darf das Kind, das als letztes Geburtstag hatte, sich eine oder mehrere Fragen aussuchen.

 

In der Regel werden die Fragen im Kreis beantwortet, manchmal geschieht es in kleineren "Fragen-zur-Welt-Gruppen". Die Kinder beginnen eigene Antworten auf die gestellten Fragen zu finden. Jede Theorie, jeder Erklärungsversuch wird ernst genommen, jedem Gedankengang wird gefolgt. Die Kinder philosophieren, die LehrerIn hält sich zurück. Die Erwachsenenerklärungen - falls sie überhaupt gebraucht werden - sind erst nach denen der Kinder dran. Sie bilden aber nicht den "krönenden Abschluß", um die "richtige" Antwort zu geben, sondern sind eine Erklärung von vielen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werden verschiedene Arbeitsformen eingesetzt. So machten wir Wasserexperimente mit Eimern und Bechern zu der Frage, warum man einen Wasserfall hören kann. Die Frage, wie das Universum entstanden ist, versuchte ein von den SchülerInnen eingeforderter Lehrervortrag zu beantworten. Wie alt eigentlich ein Grashalm werden kann, wurde von einem Universitätsprofessor und einem Biologen auf die schriftliche Anfrage der Kinder hin, beantwortet. Es sind auch schon kleinere Bücher entstanden, zum Beispiel zu der Frage, wie das Küssen entstanden ist.

 

Oft beinhalten die Fragen auch das aktuelle Projektthema. Wie zum Beispiel bei unserem "Ägyptenprojekt", das mehrere Wochen dauerte, kamen immer wieder Fragen zu diesem Thema. "Wie sind die Pyramiden entstanden?". Die Frage "Wieviele Sekunden braucht man um auf eine Pyramide zu klettern?" führte dazu, dass wir dies gemeinsam im Kreis ausgerechnet haben. "Ganz nebenbei" wiederholten wir die gesamte Uhr.

 

Es kann auch vorkommen, dass wir bewußt eine Aktion mit den Kindern machen. So haben die Landkinder in Schnee und Eisregen auf einer Wiese ein Feuer mit nassem Holz entzündet. Daraufhin folgten fast ausschließlich "Feuerfragen". Wie zum Beispiel: "Warum ist Feuer heiß?", "Warum gibt es überhaupt Feuer?", "Wie entsteht Feuer?".

 

 

 

Die Frage: WIESO GIBT ES ARBEIT?

 

So antworten die Kinder (Protokoll eines Kreisgesprächs drittes Schuljahr):

 

Arbeit gibt es zum Geld verdienen - Wenn kein Geld da wäre, müßten wir tauschen - Ohne Arbeit würden sich niemand Mühe geben - Zum Überleben müssen wir arbeiten - Um Neues zu erfinden - Wenn wir nicht arbeiten würden, würden die Flüsse alles überschwemmen - Es gäbe keine Felder, kein Essen und keine Häuser - Wir würden auf der Straße wohnen - Man muß halt selber Häuser bauen - Pullover stricken ist Arbeit - Keine Arbeit, keine Felder - Aber wir brauchen keine Autos - Lehrer arbeiten, gäbe es keine Lehrer würden wir nichts lernen - Lernen manche nicht auch so? - Eine Schule bauen ist Arbeit - Braucht man überhaupt eine Schule? - Nein eigentlich nicht, man braucht nur Lehrer - Es gibt auch Arbeit ohne Geld. Manche machen das. - Arbeit kann Spaß machen, damit einem nicht fad wird. - Man kann auch draußen lernen. - Wenn es regnet, könnten wir in einer Höhle leben. - Wenn da kein Bär ist! - Dann kämpfe ich gegen den Bären! - Oder wir suchen eine Höhle ohne Bären. - Kinder arbeiten auch! - Wir arbeiten mit dem Gehirn! - Schreiben ist auch eine Arbeit! - Wir Kinder arbeiten ohne Geld! - Wir arbeiten um etwas wichtiges zu lernen. - Lernen ist Arbeit. - Mathe ist Arbeit - Selber Rechnungen erfinden und aufschreiben, das ist Arbeit! - Erfinden ist ein Hobby, das mache ich gerne. - Arbeiten, das ist Schreiben und Rechnen, das muss gemacht werden, das macht weniger Spaß. - Hobby ist auch Arbeit, das macht Spaß! - Wenn man schwimmen will, oder Fahrrad fahren, das musst du vorher auch lernen und das Lernen ist Arbeit. - Gehen lernen! Das ist Arbeit für Kinder! - Kinder wollen das Gleiche lernen wie ihre Eltern. Das ist Arbeit! -

 

Und dann kam bei den Kindern eine neue Frage auf: Wie sollte die Schule sein? Was wollt ihr in der Schule lernen?

 

Reiten können - Suppen machen - Kochen - Arbeiten wie Eltern, Bilder zeichnen - Rechnen - Ja, kochen - Schreiben wie du (zu Lehrerin gesagt) - Fenster bauen - Modellflugzeuge basteln - Im Galopp im Sattel bleiben - Ein Rad reparieren können - Kochen - Lesen - Stricken - Basteln - Auto fahren - Sich gut bei Tisch benehmen, wenn Gäste da sind - Karate - Lieben und heiraten - Liebe und Arbeit gehören zusammen - Im Kreis, was wir gerade tun, das ist Arbeit - Obwohl wir nicht gezwungen werden - Zuhören und nachdenken ist Arbeit - Was du schon kannst, brauchst du nicht mehr zu lernen!

 

Auch die Lehrerin stellt eine (echte) Frage: Gibt es etwas, was ihr nicht von den Erwachsenen lernen wollt?

 

Rauchen - Bier trinken - Hauen - Schnaps trinken - Autos bauen - Wein trinken- Töten! - Dumm sein - Streiten - Eifersüchtig sein - Anderen etwas wegnehmen - Bedrohen. - Die Kehle aufschneiden - Brutal sein - Sich scheiden lassen - Nein - Doch! Sich scheiden können lernen - Sich trennen können - Woanders wohnen können - Nicht heiraten -

 

Und dann kamen sie zurück zu ihrem Thema:

 

Kinder arbeiten aber auch anders als Erwachsene - Wir machen Geheimschriften - Wir machen Würmer - Wir bauen Löwenpiranjabecken - Geschichten am Computer schreiben, das ist Denkarbeit - Bumerangs bauen - Kochen - Fische fangen - Neues erfinde. - Ja, Fische fangen - Es sich gemütlich machen - Eine Klofabrik bauen - Lieder erfinde. - Nicht Auto fahren - Bilder male. - Eine Tierfabrik aufmachen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt manchmal längere Pausen bis wir wieder einen Kreis bilden, um neue Fragen zu stellen oder sie zu beantworten. Trotzdem ist es für die Kinder mittlerweile selbstverständlich, dass sie Dinge hinterfragen, sich Gedanken über die Welt, über Ereignisse in ihrer direkten und indirekten Umgebung machen.19

 

Das „Warum“ gibt den Kindern das Recht auf ihre eigenen Fragen zurück.

 

Wie das Schreiben in der Freinetklasse von den Kindern als Technik des Freien Schreibens erobert wird, haben sie das Fragen zur „Technik des Freien Fragens“ entwickelt, und sich so das Fragen als eine eigene Technik des Lernens zu eigen gemacht.

 

 

 

Fragen zu Fragen zur Welt

 

Strukturieren eigene Fragen die äußere und innere Welt der Kinder?

 

Führt eigenes Fragen die Kinder von ihrer ganzheitlich konkreten Wahrnehmung der Welt zu einem geistig abstrahierenden Erkennen, ohne dass sie ihrer konkreten Ganzheitlichkeit beraubt werden?

 

Wie viele Geheimnisse stecken in den Fragen der Kinder?

 

Wie fraglich ist den Kindern die Wirklichkeit, wie wirklich sind ihnen ihre Fragen?

 

Können Kinderfragen die Zusammenhänge zwischen den Dingen der Welt, zwischen der Welt und ihnen selbst und zwischen den Fragenden verknüpfen?

 

Finden die Kinder durch eigenes Fragen den Sinn des Lebens?

 

Leben fragende Menschen sinnvoller?

 

Könnten Menschen ohne Fragen leben?

 

Wann und wer hört Kindern zu, wenn sie Fragen stellen?

 

Verträgt Schule überhaupt die Fragen der Kinder?

 

Kann eine Frage falsch sein?

 

Suchen Philosophen die Fragen oder die Antworten? Was suchen die Kinder, was die Lehrerinnen und Lehrer?

 

Gibt es einen Unterschied zwischen Mädchen- und Jungenfragen?

 

Wie viele richtige Antworten gibt es auf eine Frage?

 

Wie viele Fragen gibt es zu einer Antwort?

 

Wie oft muß ein Kind seine Frage stellen bis es seine Antwort findet?

 

Sind Fragen nicht die Antworten der Kinder?

 

Sind Fragen nicht ein Grund, sich aus eigenem Antrieb um eine Antwort zu mühen?

 

Ist die bewußte Wahrnehmung unserer Sinne Voraussetzung um fragen zu können?

 

Verändern die Fragen der Kinder unsere Sichtweise der Wirklichkeit?

 

Wie politisch sind Kinderfragen?

 

Wird uns durch Kinderfragen bewußt wie wenig wir wissen?

 

Haben Erwachsene Angst vor Kinderfragen?

 

Sollten LehrerInnen ihre eigenen Kinderfragen noch kennen?

 

Warum wissen so wenige Erwachsene, dass sie wie Kinder fragen können?

 

Warum wissen so wenige Kinder, dass ihre Fragen wichtig sind?

 

Verändert die (fragende) Sprache die Wahrnehmung der Kinder?

 

Können Fragen die Wahrnehmung der Kinder wirklich ausdrücken?

 

Gibt es ein Lernen ohne Fragen?

 

Verlierst du durch Fragen die Angst vor den Antworten?

 

Geben uns Fragen mehr Mut zu leben?

 

Erobern Kinder die Welt durch ihre eigenen Fragen?

 

Werden Kinder, die das Fragen gelernt haben auch später ihre eigenen Kinder fragen lassen?

 

Sollten die Fragen der Kinder nicht alleiniger Inhalt unseres gesamten Unterrichts sein?

 

Können Kinder dadurch, dass sie lernen ihren Fragen zu trauen mehr Selbstvertrauen gewinnen?

 

Ist in der Frage bereits die Antwort?

 

Muß jede Frage beantwortet werden?

 

Wann und wem stellen LehrerInnen ihre Fragen?

 

Kannst du fragen?

 

 

 

Zum 100sten Geburtstag von Celestin Freinet überlegte die Wiener Freinetgruppe, wie Kinder am Programm teilnehmen konnten, ohne wie bei anderen pädagogischen Feiern nur "als Beiwerk" zu dienen. Also wurde ein Klassenrat in der Wiener Klasse einberufen. Nachdem die Kinder geklärt hatten, dass sie an der Abschlußveranstaltung des Symposiums teilnehmen wollten, wurden verschiedene Möglichkeiten besprochen. Sie entschieden sich für die Fragen zur Welt, weil sie diese "für etwas Besonderes" hielten. Zudem hatte so der Beitrag jedes einzelnen Kindes im Rahmen der gemeinsamen Präsentation seine Wichtigkeit, ohne dass die Bedeutung der gemeinsamen Arbeit in den Hintergrund trat.

 

Die Fragen zur Welt bildeten nach dem Vorlesen Freier Texte aus anderen Wiener Klassen den Abschluss der Kinderpräsentation unter dem Titel "Den Kindern das Wort geben". Ein Kind nach dem anderen trat auf die Bühne und trug seine Frage vor. Dies taten sie ohne jede Probe, nur nach einer kurzen Besprechung des Ablaufs. Sie zeigten beim Vortrag ausnahmslos eine Sicherheit, die alle Zuhörer, ob Eltern, LehrerInnen oder erfahrene Freinetpädagogen zutiefst beeindruckte.

 

 

 

Die Fragen der anwesenden Kinder lauteten:

 

Wie entstand die Welt?

 

Wie haben die Ägypter die Hieroglyphen erfunden?

 

Warum vergewaltigt man Kinder?

 

Warum unterrichtet mich die Uschi und nicht die Mama?

 

Wo schauen die Augen hin, wenn wir schlafen?

 

Wie schaut es in einer Pyramide aus?

 

Warum gibt es die Sonne?

 

Warum bin ich ich?

 

Warum gibt es Menschen, die ihre Kinder hauen?

 

 

 

Warum gibt es böse Menschen?

 

Wozu gibt es Schulhefte?

 

Warum gibt es mich und warum ist meine Zwillingsschwester gestorben?

 

Warum gibt es den Herbst?

 

Warum gibt es Menschen, die die Welt verschmutzen?

 

Warum können wir ohne Luft nicht leben?

 

Wie lange braucht ein Flugzeug um rund um die Erde zu fliegen?

 

Warum gibt es die Schule?

 

Einige Monate später luden wir die Eltern zu einer Präsentation eines selbst geschriebenen und initiierten Schattentheaters und einer Dichterlesung ein.

 

Zum Abschluß dieses Abends gaben die Kinder ihren Eltern das Wort und ließen sie Fragen zur Welt stellen.

 

 

 

Heute, fast 5 Jahre nach der Einführung der "Fragen zur Welt", fragen bei uns schon wieder andere Kinder ihre Fragen. Jede Frage bleibt spannend, selbst wenn wir sie schon einmal gehört haben sollten.

 

!999 arbeiteten wir an der Erstellung eines Schulbuches mit und schlugen vor, die Fragen zur Welt in das Schulbuch zu übernehmen. Die Lektorin des Verlags verstand den Sinn nicht, die Gutachterin des Ministeriums wollte ihre Streichung. Das wäre nicht kindgerecht und vielleicht Niveau der gymnasialen Oberstufe. Zum Glück gibt es in Verlagen und Ministerien aber Leute, die etwas weitsichtiger sind. Die "Fragen zur Welt" setzten sich durch.

 

Aber in mit einem hatte die Zensorin trotz ihrer Einstellung zur gewöhnlichen Pädagogik recht, mit der Höhe des Niveaus, zu dem Kinder fähig sind:

 

 

 

Janusz Korczak:

 

"Ihr sagt: Der Umgang mit Kindern ermüdet uns. Ihr habt recht.

 

Ihr sagt: Denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen.

 

Hinuntersteigen, uns herabneigen, beugen, kleiner machen.

 

Ihr irrt euch.

 

Nicht das ermüdet uns, sondern dass wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen.

 

Emporklimmen, uns ausstrecken, auf die Zehenspitzen stellen, hinlangen.

 

Um nicht zu verletzen."

 

 

 

 

Was sind heute freie Texte?

 

 

 

Definition

 

Die aktuellste Definition geben für uns Lothar Klein und Herbert Vogt20:

 

Freie Texte (text libre) / Freier Ausdruck

 

Freie Texte werden regelmäßig geschrieben. Aber sie werden geschrieben, wann und wo das Kind es wünscht. In vielen Klassen besitzen die Kinder dafür ein gesondertes Heft. Weder für den Inhalt noch für die Form gibt es irgendeine Vorgabe oder Einschränkung. Die Lehrer geben keinerlei wertende Kommentare ab. Die Kinder schreiben und zeichnen wirklich das, was sie wollen. Auch die Auswahl des Materials , auf dem der freie Text verfasst wird, erfolgt alleine durch das Kind. Freie Texte sind, wenn das Kind es zulässt, Anlass für einen Dialog. Wer einen freien Text verfasst hat, kann ihn der Klasse vorstellen. Es kommt zum Gespräch und vielleicht entscheidet sich die Klasse dafür, den Text zu drucken. In diesem Fall wird der Text mit Hilfe der anderen Kinder und des Lehrers auf grammatikalische und orthographische Fehler hin untersucht. Die letzte Entscheidung bleibt aber dennoch bei dem Kind, das den Text geschrieben hat. ...

 

Freie Texte sind außerordentlich aufschlussreich. In ihnen spiegeln sich die ganze Erfahrungswelt des jeweiligen Kindes, seine Gefühle, Erlebnisse und Gedanken. Sie helfen auf diese Weise den Erwachsenen, das Kind zu verstehen. Es kann sich über die Texte ausdrücken. Inzwischen weiß man, dass freie Texte auch therapeutische Wirkung haben können.“21

 

 

 

Wie ist der Freie Text entstanden?

 

Vergleichen wir diese Definition mit dem, was Freinet selbst im Jahre 1920 oder 1921 als freien Text einführte, so treffen wir damals auf ein (scheinbar) vollkommen anderes Selbstverständnis.

 

Elise Freinet22 schildert den Vorgang der Entstehung des freien Texts so:

 

Freinets erste Veränderung des herkömmlichen Unterrichts besteht darin, dass er mit den Kindern den Klassenraum verlässt, um im Freien, außerhalb der Schule zu lernen.

 

Dies nennt Freinet die „Spaziergangsklasse“23 Hierbei ging es ihm um Entwicklung von „Aufmerksamkeit“24, um „ein ständiges Suchen mit den Augen, den Ohren, mit allen für den Zauber der Welt offenen Sinnen25“, um „Entdeckungsreisen“, „den Beginn des Erfassens der Welt26“, um eigene „ausgetauschte und gemeinsame Erfahrungen.“ „So wurde“ fährt Elise Freinet fort, „die kindliche Seele befreit“.

 

Um dieses wohltuende Eindringen in die freie Natur zu verlängern, schrieb der Lehrer nach der Rückkehr in die Klasse die wichtigsten Punkte der Entdeckungen , die zufällig unterwegs gemacht worden waren, an die Tafel“27

 

Es waren keine Schülertexte, die nun von den Kindern von der Tafel abgelesen und abgeschrieben wurden! Es waren Formulierungen des Lehrers Freinet, zusammengesetzt aus seinen Beobachtungen der Natur und der Welt und den Gesprächen, die er mit den Kindern führte. Es waren keine freien Texte, wie wir sie heute definieren! Der freie Text entstand nicht als freier schriftlicher Ausdruck der Kinder, sondern: „so entstand ganz natürlich und durch die Anregung, die das Leben selbst gab, der freie Text.„28

 

 

 

Der freie Text ist „eine Technik des Lebens“29 . Das revolutionäre am freien Text ist im Jahre 1920/21 nicht unser heutiges Freiheitsverständnis, sondern dass die Freiheit der Natur, der Welt, des Lebens in die Schule geholt wird. Die Kinder werden befreit von der Muffigkeit der Schulklasse, von der Dummheit, Langeweile und Manipulation der Schulbücher, von einem Lernverständnis, das den Kindern Wissen eintrichtern zu können glaubt. Das Revolutionäre des Herrn Freinet ist, dass er wirklich die Schule verlässt, dass er wirklich am und im Leben mit den Kindern lernen geht. Die Verschriftlichung der selbsterfahrenen Inhalte des Lebens macht den freien Text zu einem „Freien Text„. Die Form des Arbeitens ist zunächst sekundär. Die Entdeckung des Schöpferischen und der Freiheit in der Ausdruckskraft des Kindes, wird erst nach diesem ersten Schritt der Befreiung folgen.

 

 

 

 

 

Denn was geschieht in der Folge des Abschreibens der ursprünglichen freien Texte in Freinets Klasse? Die Kinder beginnen ihren „Textschreiber“ zu imitieren, sie beginnen eigene Texte über ihren Alltag, ihre Familie und ihr Dorf zu schreiben. Doch was macht Freinet? Hierzu wieder Elise Freinet: „Soweit und so gut sich der junge Lehrer seinerseits von dieser Entstehung des schöpferischen Ausdrucks gewinnen ließ, und um zwischen den kindlichen Persönlichkeiten und der Persönlichkeit des Erziehers Brücken zu schlagen, schrieb er über die Texte der Kinder Gedichte von großer menschlicher Resonanz. Die Kinder nahmen diese schlichten und einfühlsamen Schöpfungen mit großer Freude auf....“.30 Greift Freinet zu dieser Zeit die Texte der Kinder noch mit der Skepsis eines Lehrers auf und schreibt sie um? Ist Freinet zu dieser Zeit noch nicht auf dem Stand seiner Erkenntnisse, wie 40 Jahre später, als er vielleicht seinen eigenen Lernprozess in der Retroperspektive beschreibt: „Meine Entdeckung war es - aber sie ist doch so natürlich und dermaßen vernünftig - mich in diesem Stadium davon zu überzeugen, dass das Kind - egal, was man darüber sagt - fähig ist, wertvolle Texte zu erstellen, würdig, unsere Lernschule zu beeinflussen.“31 Oder hat er den eigenen Lernprozess „instinktiv“ richtig begleitet, indem er seine Fähigkeiten als Schreiber den Kindern - nicht aufdrängte, sondern - als kompetenter Erwachsenenpartner im Lerndialog anbot?

 

 

Der Sinn des Freien Textes

 

Freinet war, so könnte aus der Literatur geschlossen werden, ein Entdecker der „Fähigkeiten„ der Kinder. Durch das „Hereinholen des Lebens32 in die Tristesse der Paukschule, dadurch, dass er den Kindern die Kraft der Sprache als Ausdrucksmittel der Wirklichkeit für alle erfahrbar anbot, entwickelte sich die vorhandene Fähigkeit des gekonnten Benutzen der lebendigen Sprache.

 

Vielleicht hat er dann allerdings – auf der ständigen Suche nach der Sinnhaftigkeit33 einer modernen Schule und des Lernens der Kinder – den Sinn des Schreibens weniger (als z.B. Paul le Bohec) im Zusammenhang von Konstruktion und Selbstkonstruktion von Welt, Mensch und Sprache gesucht, als vielmehr in der Druckerei. Diese rückte er sehr bald immer mehr ins Zentrum seiner schulischen und propagandistischen Aktivitäten, denn in der gesamten Literatur erscheint der freie Text als mit der Druckerei gesetzter Text. Diese Tradition wird in Deutschland heute vor allem noch von den Schuldruckern gepflegt.

 

In anderen Teilen der internationalen Freinetbewegung setzte sich der Trend weg von der Druckerei fort, in Frankreich stärker hin zum Nutzen der elektronischen Kommunikationstechniken, in Deutschland (mit der Gründung der Pädagogik-Kooperative in den 70er Jahren) hin zum freien individuellen Freien Text als Mittel des persönlichen Ausdrückens, egal ob gedruckt, gemailt oder mit der Hand geschrieben.

 

Diese Form transportiert natürlich weiterhin den Grundgedanken Freinets. Da Menschen im Freien Ausdruck das ausdrücken, was sie in der Welt beeindruckt (Paul le Bohec), bleibt der Freie Text ein „Text des Lebens„, allerdings meist aus der Sicht des Einzelnen, oder um es zeitkritischer zu formulieren, aus der Ein-Sicht des Vereinzelten. Dies bleibt vor allen Dingen so lange, wie FreinetpädagogInnen ihre Erfahrungen mit den Kindern, den freien Texten und dem eigenen Schreiben austauschen, solange jene Zusammenhänge bestehen bleiben, die eine Technik nicht von der pädagogischen und gesellschaftlichen Einstellung trennen.

 

Anders wird es, wenn UniversitätsprofessorInnen, Didaktiker, Seminar- und FachleiterInnen, die nie ein Freinettreffen besuchten, die Techniken des „Freien Texts„ für sich als Motivationsmittel in einer mehr und mehr sinn-losen Schule entdecken. Wenn sie „Schreibkonferenzen„, „Elfchen„ und gar „Klassenräte„ propagieren, ohne zu wissen, was und wer dahintersteckt. So besteht die Gefahr, dass Dinge in die Bildung der LehrerInnen eingebracht werden, die ihren Sinn und ihren Wert als in-halts-leere Formen verlieren.

 

Unseres Erachtens kommt Freinetpädagogen die Aufgabe zu, nicht nur Formen und Ideen des Freien Schreibens zu zeigen und weiter zu geben, sondern den Zusammenhang zu einer demokratischen Auffassung von Lernen und Erziehung herzustellen.

 

Daher bitten wir darum, der Definition von Freien Texten voran zu stellen: „Die Technik des Freien Texts ist eine Technik des Lebens„ oder „Freie Texte sind Texte des freien Lebens„ oder.....

 

 

Einige Formen freier Texte heute

 

 

Der individuelle freie Text

 

Kinder kreieren ihre eigenen Texte. Sie lernen selbst ihre vorhandenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, Gefühle, Intuitionen und Denkfähigkeiten in schriftliche Sprache zu transferieren. Beim Vorlesen in der „Freien-Texte-Stunde“ oder „Dichterlesung“ findet die Steuerung durch die Umgebung statt. Hier findet die eigene „Schreibleistung“ ihre kritische Würdigung, das Hören der Texte der anderen gibt vielfältige Beispiele für andere Schreibstrategien, regt an, erweitert die Erfahrungen der Schreibkunst entlang der Entwicklung der gesamten Schreibgruppe. Dies ist kein Prozess der Belehrung oder der Fremdbestimmung, sondern ein selbstgesteuerter Prozess einer natürlichen Methode des Lernens. Ohne misstrauende Vorgaben von außen können die Kinder ihr Selbstvertrauen in ihren eigenen schriftsprachlichen Ausdruck gewinnen. “ Sie lernen eine Sprache zu beherrschen, die sie beherrschen soll.“ (Paul le Bohec)

 

 

 

 

Schreibtechniken

 

Die Freinetpädagogik heute organisiert die Anregung von außen, etwa durch literarische Werke34, Schreiberfahrungen anderer Kinder35 oder ausgesuchten Schreibtechniken36, als Angebote. Angebote sollen animieren, sie schreiben nicht vor, wie zu schreiben ist. Solche Angebote können von den Kindern sofort verändert werden, oder gar abgelehnt werden. Sie werden vom Vorgang „des“ Freie-Texte-Schreibens abgetrennt. Techniken des Freien Schreibens werden in Stunden angeboten, die der Klassenrat beschlossen hat, die in den Tagesplan aufgenommen wurden, oder in Ateliers, wo die Teilnahme freiwillig bleibt. Diese können in eigenen Dichterlesungen vorgelesen oder veröffentlicht werden. Die Erfahrung zeigt, dass es Kinder gibt, die so erlernte Techniken in ihr eigenes Repertoire des freien sprachlichen Ausdrucks übernehmen.

 

 

 

Freier Text als gemeinsames Ausdrucksmittel

 

Es gibt Themen, die eine Klasse gemeinsam behandeln will. Zum Beispiel: „Was ist ein Kind?“, „Über das Küssen“, „Was uns an Erwachsenen auffällt“, oder „Was können

 

Jungen von Mädchen lernen - was können Mädchen von Jungen lernen?“ Dies sind keine vom Lehrer, oder einem Lehrplan oder einem Wettbewerb einer Sparkasse vorgegebene Themen, sondern eigene Themen, wo es gelungen ist, individuelle mit einer kollektiven Fragestellung innerhalb einer kooperierenden (!) Klasse in Einklang zu bringen. Die Bearbeitung der Frage findet nun mit Mitteln des freien schriftlichen Ausdrucks statt. Die Kinder schreiben ihre freien Texte. Als Dokumentation bietet sich hier u.a. die gute alte Form der Zeitung an.

 

 

 

Kollektive Texte

 

In den 70iger Jahren taucht in der Freinetpädagogik der Begriff des „kollektiven Texts“ auf.37 Hier wird das Beispiel der „Rundumgeschichte“ geschildert, wo alle einen Teil zu einer gemeinsamen Geschichte beitragen. Heute gibt es eine Vielzahl solcher Techniken38 die vielfältig weiterentwickelt und neu erfunden wurden. Das Ergebnis solcher Techniken sind entweder Freie Texte, die kollektiv entstanden sind, oder eigene Texte, die nur durch die Kooperation einer Gruppe entstehen konnten.

 

 

 

Freier Text als individuelle Technik der Erarbeitung

 

Das Freie Schreiben ist zudem immer mehr ein Mittel geworden, um in der Bearbeitung eines Themas Gedanken, individuelle Ansichten, Erkenntnisse oder Lernergebnisse kreativ darzustellen. Ein Mensch, der in der Bearbeitung eines Inhalts zum Mittel des sprachlichen freien Ausdrucks greift, schreibt zweifelsfrei einen freien Text, solange er selbst entscheidet, sich, in dieser Form ausdrücken wollen.

 

 

 

Freier Text als Technik der kooperativen Erarbeitung

 

In der Begegnung mit systemischen Denkern39 entstanden Formen des Schreibens, die das individuelle und kooperative Schreiben zur Erarbeitung und Vertiefung eines Inhalts so integrieren, dass das Ergebnis eines Schreibvorgangs nicht mehr der Summe seiner Einzelteile entspricht. Vielmehr entstehen Prozesse, die durch das Verfassen von Texten Lernsituationen entstehen lassen, die mit Kriterien zu beschreiben sind, die als Metaphern aus der Beschreibung von Eigenschaften und Vorgängen lebender Systeme gewonnen wurden. In der „Rasterlyrik“40 zum Beispiel, entstehen durch ein kooperatives „Bearbeiten“ individueller Texte wieder individuelle Texte, die Erkenntnisse der bearbeitenden Gruppe in lyrischer Form hervorbringen.

 

Nicht veröffentlichter freier Text

 

Tagebücher, Texte für sich alleine, Verarbeitungstexte, die niemandem gezeigt werden, können auch von LehrerInnen gewürdigt werden. Dies ist eine Frage des Vertrauens zwischen den Menschen in einer Klassenkooperative.

 

 

 

Freie-Text-Formen vor dem Schreiben gemeinsam erfinden

 

Als wir mit den Kindern unserer dritten und vierten Klassen „Ich-Texte“ schrieben41(vergleiche Fragen und Versuche 88) begannen wir und die Kinder vor dem Schreiben die Formen zu variieren und neu zu erfinden.

 

 

 

Spaziergangsklasse heute

 

Auch heute funktioniert der „klassische“ freie Text. Wer regelmäßig außerhalb der Schule lernt, findet alle Möglichkeiten des Schreibens, um Erfahrenes, Gelerntes, Erkanntes oder Wiedererkanntes selbst oder in der Gruppe für sich selbst oder andere festzuhalten42. Das schafft Schulbücher ab43!

 

 

 

Miteinander reden - miteinander arbeiten

 

 

 

Techniken der kooperativen Selbstorganisation in Schulklassen, Seminaren, Konferenzen...

 

von Jochen Hering und Walter Hövel

 

 

 

 

 

Der freie Ausdruck als Kraftquelle

 

Johannes Stüttgen, ein Schüler von Josef Beys, schreibt in einem Aufsatz über einen eigenen Lebensabschnitt wie über einen Abschnitt seines künstlerischen Schaffens:

 

"Ich hatte die Kraft, jenes Bild zu erzeugen, aus dem Bild selbst erhalten! Ich hätte die Kraft also, es zu erzeugen, aus dem erzeugten Ergebnis."

 

Schon zu Beginn der Arbeit ist das Ende der Arbeit, - das Ergebnis - die Kraftquelle. Das klingt paradox! Und gleichzeitig ist es eine Erfahrung, die jeder machen kann, der seine Arbeit in der Schule nach den Gedanken Elise und Célestin Freinets gestaltet. Anders als im Unterricht der "Paukschule" gibt es beim freien Arbeiten kein Ergebnis, das Lehrer oder Schüler vorher gekannt hätten. Nie kennen wir zu Beginn das Ergebnis unserer Arbeit, aber schon zu Beginn der Arbeit ist das Ergebnis unsere Kraftquelle. Woran liegt das?

 

Es gibt einen Zusammenhang von "freiem Ausdruck", "sich selbst erfahren", der Freude daran, im Einklang mit sich sein und der Kraft die das gibt. Ein Beispiel: Lilith konnte im Alter von 3 Jahren auf jedem Gang zum Bäcker um die Ecke stundenlang auf Mauern oder dem Bürgersteig balancieren, schräge Garageneinfahrten hinunter und wieder hinauf rennen.

 

Warum balancieren Kinder? Weil sie damit ihre "Potentialität" entfalten. Sie benutzen und entfalten ihre Sinne und Organe, z.B. den Gleichgewichtssinn. Sie erfahren sich im Umgang mit den Herausforderungen der Welt (Das bin ich, die das kann!), und sie erfahren die Welt, wie sie ist (z.B. schräg oder abschüssig). Diese Erfahrung und ihre Bewältigung macht Freude und Ichstärke. Genau so ist es im freien Ausdruck. Wer einmal Kindern zuschaut, vor allem Kindern, die vorher traditionell unterrichtet worden sind, und die jetzt beginnen, freie Texte zu schreiben, kennt diesen Vorgang aus eigener Anschauung. Zu Beginn arbeiten die Kinder vielleicht noch ein wenig zögerlich, tastend, so, als müssten sie ihre Fähigkeiten erst selbst be-greifen. Aber je mehr sie schreiben, umso mehr

 

überlassen sie sich dem Fluß ihrer Gedanken. Sie bekommen eine Ahnung von dem, was in ihnen steckt, stürzen sich´mit wachsender Erfahrung - voller Vorfreude auf das Ergebnis - in den Beginn der Arbeit.

 

Und auf diesem Weg gibt es nicht die Vorstellung eines irgendwie abzuleistenden Pensums. Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit den anderen in der Klasse, stehen Neugier und Freude am eigenen Tun und Entdecken, steht Lust mit und an sinnerfülltem Arbeiten, möglichst in übergreifenden Zusammenhängen. Was zählt, ist der Weg, das Sich-Selbst-Kennenlernen und -Erfahren im Ausprobieren. Das ist ein Lernen, bei dem die übliche Bedeutung des Wortes "Fehler" (etwas falsch gemacht haben, "versagt" haben) keinen Sinn mehr macht. Fehler sind vielmehr die je eigenen Besonderheiten und Erfahrungen oder auch notwendigen "Umwege" auf dem Weg zum Ziel.

 

So entsteht ein Raum, in dem die eigenen Kräfte und Fähigkeiten in der Kooperation mit den anderen erlebt, ausprobiert und entfaltet werden können, in dem Respekt vor dem eigenen Tun und Vertrauen in die Gemeinschaft statt Vereinzelung, Diskriminierung, Gewalt und Hierarchie aufgebaut werden, in dem sich Selbstvertrauen schon zu Beginn einer Arbeit als "innerlicher Vorgriff" auf das zu Schaffende einstellt.

 

Diese "zeitverkehrende Kraft" ist so etwas wie die Ästhetik der Freinet-Pädagogik.

 

Die Techniken und Werkzeuge, die Freinet für die unterrichtliche Arbeit vorschlägt, sind die praktischen Voraussetzungen für die Umsetzung dieser "Ästhetik". Es ist der freie Ausdruck im Schreiben, Musizieren, Malen und Tanzen, es ist die natürliche Methode, ob nun beim Sprachen lernen oder in der Mathematik. Es sind Drucken und Korrespondenz, ob nun per Brief oder via e-mail, es ist der Klassenrat, die Kooperation mit eigenen Regeln und verbindlichen Plänen und Verträgen, es ist das freie Experimentieren oder einfach die Herstellung eigener Bücher.

 

Diese Techniken, in denen sich pädagogische Erfahrungen materialisieren, gewährleisten die schulische Arbeit der Freinet- Pädagogik, sind wirksame Helfer gegen "Materialgefängnisse" oder "lebensferne Verschulungssituationen". Sie sind wie Einzelteile eines Hologramms, die jedes für sich immer die Information des Ganzen in sich tragen. Sie sind selbstähnlich, wie ein Begriff aus der Mathematik lautet, der ein Phänomen bei Fraktalen beschreibt, wo in Vergrößerung von Randstücken Bilder erscheinen, die der Gesamtfigur sehr ähnlich sind.

 

Scheinbar chaotische Unordnungen entpuppen sich als Wunderwelten der ästhetischen Ordnung. Und diese Selbstähnlichkeit scheint uns ein sinnvolles Kriterium bei der Betrachtung neuerer pädagogischer Techniken und Methoden zu sein.

 

 

 

 

Die pädagogische Praxis Selbst zur Lernaufgabe machen.

 

Ein Grundprinzip der Freinet-Pädagogik

 

 

 

"Man hat... wissenschaftlich... festgelegt und Ihnen bewiesen, daß das Kind faul ist, den Weg des geringsten Widerstandes sucht und nur für Gewinn und Spiel empfänglich ist und daß ihr pädagogisches Verhalten folglich daraufhin ausgerichtet werden müsse.

 

Und wenn das alles vollkommen falsch wäre? Wenn genau das Gegen­teil richtig wäre? Wenn das Kind unter normalen Umständen vor al­lem eine Neigung zur Arbeit hätte mit der ganzen positiven Skala von Eigenschaften, die dies voraussetzt?

 

Müssen wir nicht ohne vorgefaßte Meinung dieses wichtige Problem aufklären, dessen neue Konzeption unser ganzes pädagogisches Ver­halten umzustürzen droht?

 

Man hat uns gelehrt, unsere ganzen pädagogischen Anstrengungen auf einem falschen intellektuellen Prozeß aufzubauen, der Bankrott gemacht hat. Wir müssen neue Wege erforschen, um aus dem einge­fahrenen Gleis herauszukommen..."i

 

 

 

Theoretikern der Erziehung ist Célestin Freinet immer mit Mißrauen begegnet. Seine Pädagogik sollte kein theoretisches Ideal, sondern eine praktische Pädagogik sein. "Unsere Methode - schreibt Célestin Freinet - ist nicht fix und fertig aus dem frucht­baren Geist des einen oder anderen Theoretikers entsprungen. Sie ist das Ergebnis langjähriger Erfahrungen in tausenden von Schulen."ii Und an anderer Stelle heißt es: "Wir dürfen niemals die noch so gängigen Glaubenslehren als endgültig akzeptieren, vor allem jene nicht, die man uns bisweilen dadurch, daß sie eine lange Tradition aufweisen, für heilig anbieten will, und wir dürfen uns nicht fürchten, die Kenntnisse und Methoden, deren wir uns bei unserer Tätigkeit bedienen, durch das Sieb des be­ständigen Versuchens laufen zu lassen.... Wir bieten ihnen mögliche Lösungen an, die wir kollektiv nach der wissenschaftlichen Methode erprobt haben, indem wir in der Erfahrung und durch die Erfahrung selbst die Methoden und das Material ausgesiebt haben, die sich als unzulänglich erwiesen. Wir haben Fährten freigelegt, deren Er­forschung ernsthaft betrieben wird und auf die sie sich von jetzt an mit dem Wissen um einen tröstenden Prozentsatz an Erfolg und Wirksamkeit begeben können.

 

Aber halten sie diese Fährten und Erleuchtungen nie für endgültig, errichten sie nicht wieder Tabus... (und) neue Dogmen..."

 

Das tastende Versuchen der LehrerInnen, die Ausgestaltung der eigenen Praxis als ihre wesentliche Lernaufgabe, scheint uns das revolutionäre Element der Freinet-Pädagogik zu sein.

 

Die pädagogische Praxis selbst zur Lernaufgabe zu machen, heißt: Pädagogik muß sich immer wieder verändern, neuen historischen undgesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen, nach angemessenen und erfolgreichen Wegen suchen. In diesem undogmatischen Zug liegen Herausforderung und Attraktivität der Freinet-Pädagogik.

 

"Es gibt keine Freinet-Methode, aber es besteht eine ausgedehnte pädagogische Er­neuerungsbewegung, deren Grundlagen wir experimentell ermittelt haben. Es ist eine Art gemeinsamer Fahrt, bei der wir die Klippen und gefährlichen Strömungen nicht unterschätzen, bei der wir mit ruhigem Wasser zufrieden sind und doch von dem wilden Gedränge der Stromschnellen Gebrauch machen, aber bei der wir alle vor­wärts kommen und uns selbst entwickeln, kurzum: leben."

 

Das eben ist die Stärke der Freinet-Pädagogik, daß sie sich selbst als einen päd­agogischen Entwurf, als etwas Vorläufiges definiert, immer bereit, ihre Forschungs- und "Vergrößerungs"- Arbeit an ihren Berührungsrändern fortzusetzen.

 

Wir haben die Methode "Lesen durch Schreiben" von Jürgen Reichen als natürliche Leselernmethode begeistert übernommen, was uns allerdings auch nicht schwerfiel, da Freinet selbst bereits vor mehr als 50 Jahren Vorstellungen über eine natürliche Methode des Lesen- und Schreiben-Lernens entwickelte, die die Methode "Lesen durch Schreiben" bereits enthielten. Wir haben sie allerdings eingebettet in unsere Methoden, viele Anhänger des "Lesen durch Schreiben" gehen heute andere Wege. Wir haben vom Boaltheater gelernt und taten das wieder bei den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung und all den praktischen Umsetzungen dieser Erkenntnisse. Wir erproben - immer erst mit uns selbst - Angebote der Ge­staltpädagogik oder der Suggestopädie. Und auch hier wurden wir dadurch nicht zu "Gestaltpädagogen" oder mussten anderen "Modeerscheinungen folgen. Auf der Suche nach effektiven und ganz­heitlichen Techniken des Lernens studieren wir Management-Trainer und Karriere­berater. Wir arbeiten mit der Freinet-Druckerei und realisieren gleichzeitig seit vielen Jahren, wenn auch ausgesprochen kritisch und wachsam, den Einsatz von Komputern und elektronischer Kommunikation.

 

Geleitet von dem Wunsch nach Selbstbewußtsein und Selbstverantwortlichkeit der Kinder, überzeugt von ihrer Fähigkeit und ihrem Bedürfnis zur Kooperation, ausge­richtet an dem Ziel, ihnen "das Wort zu geben", ihre Phantasie und Gestaltungskraft zu fördern, zu wissen, daß der Kopf nur der halbe Mensch ist, daß Arbeit auch Ar­beit mit allen Sinnen und Gliedmaßen sein muß, begeben sich Freinet-LehrerInnen also auf den Weg praktischer Erfahrung, hinein in das Leben mit den Kindern. Dies ist in unserer Tradition der Weg der "Modernen Schule".

 

Wie dieser Weg jeweils genau aussieht, ist ständiger Gegenstand unserer Diskussionen, praktischen Erprobungen und Reflexionen. Der Weg selber aber entsteht erst unterwegs. Eine wichtige Einsicht ist aber, daß die Veränderung des Unterrichts nicht gelingt durch irgendwelche Reformen des Schulwesens, umfangreiche neue curriculare Planungen oder besondere finanzielle Anstrengungen. Entscheidend ist es, sich auf den Weg zu machen und sich vorwärts zu tasten. Garantiert erfolgreiche Wege gibt es dabei nicht. Aber es gibt Techniken und Methoden, die sich in der Arbeit in vielen Schulklas­sen bewährt haben:

 

 

 

Viele der Gesprächs- und Arbeitstechniken, die wir im folgenden vorstellen, sind schon in der Anfangszeit der Freinet-Pädagogik entstanden, das Kreisgespräch im Stuhlkreis zum Beispiel oder die Wandzeitung.

 

Andere sind neu hinzugekommen, Arbeitstechniken, die wir aus der Arbeitswelt übernommen haben ("Managementtechniken"), aus dem sogenannten Kreativitäts­training, aus der Theaterarbeit oder von anderen pädagogischen Richtungen

 

 

 

Was macht Techniken zu Freinet-Techniken?

 

 

 

Arbeitsformen, die das selbstbestimmte und selbstorganisierte Lernen von Men­schen unterstützen, tragen bestimmte Merkmale, unterstützen bestimmte Pro­zesse, verhindern andere. Und was uns bei der Übernahme von Methoden und Tech­niken interessiert, ist, wieweit bei der Arbeit mit ihnen Prinzipien der Freinet-Päd­agogik unterstützt werden. Wir fragen also bei Techniken, die wir für die Arbeit in der Schule übernehmen möchten:

 

 

 

Unterstützen sie das selbstbestimmte, selbstorganisierte, selbstbewußte und Selbstwertgefühl schaffende Lernen von Menschen?

 

Bekommen wir mit ihnen effektive, aber auch dehierarchisierende Formen der Kommunikation und Kooperation, des Erarbeitens und Entscheidens an die Hand?

 

Machen sie die Prozesse in einer Gruppe, die Arbeitsverläufe und Entscheidungs­findungen öffentlich, für alle Beteiligten sichtbar und damit nachvollziehbar und kritisierbar?

 

Und wenn sie also Öffentlichkeit herstellen, dienen sie der Entwicklung demokrati­scher Strukturen?

 

Schaffen sie die Bewertung anderer zugunsten der Schaffung gemeinsamer Werte ab?

 

Verhindern sie das Streiten um Macht und Rechthaberei durch Abstimmungs- und Diskussionsrituale? Und unterstützen sie stattdessen das Miteinander-Redens, die gemeinsamen Suche nach Lösungen und Übereinkünften?

 

Erweitern sie die Entscheidungs- und Handlungskompetenz aller Beteiligten?

 

Fördern sie - bei einzelnen oder den vielen einer Gruppe - Ideenvielfalt, tragen sie zur Entstehung neuer Gedanken, zu Fantasie, Beweglichkeit und neuen Problemlö­sungen bei?

 

Machen sie es möglich, spielerisch zu arbeiten und Freude an Anstrengungen zu haben?

 

Lassen sie dem freien Ausdruck Raum und der Entfaltung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten?

 

 

 

 

 

Öffentlichkeit in der Klasse: Die Wandzeitung

 

 

 

Die Wandzeitung ist eines der ältesten Kommunikations- und Ord­nungsmittel der Freinetpädagogik. Sie hängt im Arbeitsraum und alles das, was die Arbeitenden be­wegt, kann hier aufgeschrieben werden. Auf der Wandzeitung können sich die Ge­fühle und Eindrücke der Gruppe spie­geln, und sie kann genauso gut zur Dokumenta­tion eines Projektes und als Protokoll benutzt werden.

 

Regeln oder Arbeitsvorschläge, Kritik, Lob, Ideen, Verabredungen, alles kann hier seinen Platz finden. Die Wandzeitung begleitet den Klassenrat, die LehrerInnenkonfe­renz, die Sitzung der Jahrgangsstufe oder das Ge­spräch einer Arbeitsgruppe. Und die Gruppe selbst bestimmt, indem sie die Wandzeitung gestaltet, auf diesem Weg ihre nächste Tagesordnung. Damit ist dann ein wichtiger Schritt zur "Selbstverwal­tung" getan. Jetzt übernimmt die Wandzeitung eine "Steuerungsfunktion" für die Gruppe.

 

Die Wandzeitung ist demokratisch, sie stellt Öffentlichkeit her, ist Überblick für alle. Die Wandzeitung fordert zur Selbstverantwortung auf. Der Lehrer, der die Kinder zur Gestaltung einer Wandzeitung anregt, setzt einen entsprechenden Prozess in Gang. Entscheidungen, Wünsche, Bedürfnisse, Enttäuschungen. werden öffentlich sichtbar. Das Miteinan­der und die Zusammenarbeit in der Klasse werden zum Thema, kritisier­bar, veränderbar.

 

Die Wandzeitung muß keinen Rahmen vorgeben. Sie kann offen bleiben für Gesichts­punkte, Themen, Gliederungen, die die Gruppe vornimmt. Für den Einstieg ist es aber sicherlich hilfreich, eine Gliederung vorzuge­ben, z.B. die klassische Dreiteilung "Ich lobe - Ich kritisiere - Ich schlage vor". Damit soll die Gruppe angeregt werden, nicht nur zu kriti­sieren, oder nicht nur zu loben oder Vorschläge zu machen, sondern in der Reflektion ihrer Arbeit möglichst immer alle drei Dimensionejn zu berücksichtigen.

 

Was die Wandzeitung nicht ist, - womit sie nicht verwechselt werden darf:

 

Sie ist kein Informationsbrett (obwohl sie auch informiert!), sie ist keine Litfaßsäule, kein Kummerkasten, keine Anschlagtafel, obwohl sie auch Funktionen solcher "Insti­tutionen" übernehmen kann. Sie ist Or­gan, Sprachrohr einer Gruppe, zur Veröffentli­chung der die Gruppe be­treffenden Angelegenheiten, Steuerung von Gruppenprozes­sen, Dezen­tralisierung und Demokratisierung von Entscheidungen, sie unterstützt und begleitet die Selbstverwaltung der Gruppe.

 

Von daher nimmt sie eine Sonderstellung in der Zeit ein. Sie ist nicht punktuell, kein Arbeitsschritt unter anderen. Sie ist arbeitsbegleitend, steht im Hintergrund, ist Be­zugspunkt für das Gespräch der Gruppe.

 

 

 

Miteinander reden

 

Kreis und Kreisgespräch

 

 

 

"´Versammlung´ hat ein Junge... das Bild genannt, das er mir am Ende des 4. Schuljahres zum Abschied schenkte. Es zeigt die Gruppe an unserem Versamm­lungsort im Treppenturm, wie sie zuhört und sich Vorstellungen macht über das, was ich lese: Deutlich erkennbar geht es um das Kapitel über den Fri­seur Fuzzi aus ´Momo´. Die Versammlung findet in der Stunde vor dem Mit­tagessen an einem ruhigen Ort in der Schule statt; die Stammfläche der Gruppe im Großraum der Laborschule ist für eine solche Veran­staltung nicht geeignet. Die Gruppe hat einen Absatz im Trep­penhaus des benach­barten Oberstufenkollegs als einen Ort herausgefun­den, wohin sie sich zurückziehen kann. Er ist ge­rade groß genug, daß wir alle - an Geländer oder Wand ge­lehnt - eng aneinander im Kreis auf dem Boden sitzen können...

 

´Versammlung´ bedeutet: Gelegenheit für einzelne Kin­der, et­was von sich mitzuteilen, das nicht nur die Freunde wissen sol­len. ´Versammlung´ist auch: Forum für die Gruppe zum Regeln der Angelegenheiten, für die sonst die Zeit nicht reicht...

 

Wenn die Versammlung ausfallen muß, dann ist der Schultag aus dem Gleichgewicht; ´Ohne Versammlung gestern war ich ganz durcheinander und hab den Bus verpaßt...´sagte ein Junge, als ich für einen Tag nicht in der Schule war."

 

 

 

Montag, erste Stunde. Die Kinder der Klasse 3a haben sich im Stuhlkreis zusammengesetzt. Für diesen Monat ist Sabine gewählte Präsidentin. Sie erteilt das Wort, achtet auf die Einhaltung der Regeln, ruft die Tagesordnungspunkte auf, läßt Abstimmungen durchführen.

 

Was wäre anders, wenn die Kinder nicht im Kreis säßen, sondern in der Klasse vorn, die Präsidentin vorn, vielleicht am Lehrerpult, die MitschülerInnen ihr gegenüber.

 

Unser Empfinden, wenn wir uns die beiden Bilder vor Augen halten, täuscht uns nicht. Der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende, er kennt kein vorn und hinten, er kennt nur ein Nebeneinander und Miteinander (Nebenbei: Kindern der ersten Klasse fällt es gar nicht leicht, einen Kreis zu bilden. Das Neben- und Miteinander will halt gelernt sein.), und er kennt eine Mitte, den Spannungspunkt, der die Menschen im Kreis zusammenhält.

 

Die Form des Kreises ist schon immer Symbol für gleichberechtigtes Miteinander ("Runder Tisch") wie auch Symbol für Kraft spendendes ("Energiekreis") gewesen. Die Freinetpädagogik pflegt diese Form des wirklichen Miteinander-Redens seit Jahrzehnten. Es ist selbstverständlich, daß der Klassenrat, das Plenum, die morgendliche Besprechung, das "Freie-Texte-Vorlesen, das Vorstellen von Erfindungen, das Erzählen und der Tages- oder Wochenabschluß, die Montagsversammlung oder Versammlung der ganzen Schule im Kreis stattfinden. Der Kreis ist eine Form, die zum gleichberechtigten Wollen paßt, es in sich aufnimmt und allen Teilnehmenden lebendig vor Augen hält: Wir sitzen im Kreis.

 

 

 

Die Zwiebel

 

 

 

Das klassische Problem bei Diskussionen in der Gruppe: viele reden zuviel, hören zuwenig zu, haben ihre Antworten schon fertig, bevor die Fragen noch gestellt sind, statt den Gedanken der anderen hinein in ein gemeinsames Gespräch zu folgen. Die Zwiebel ist eine Technik, diesem Problem zu begegnen, eine andere Art des Miteinander praktisch zu erfahren und vielleicht schätzen zu lernen.

 

 

 

Ein Problem wird erörtert, Fragen werden beantwortet, etwas soll entschieden werden. Alle sitzen im Kreis. In der Kreismitte stehen 3 bis 5 Stühle, je nach Größe der Gruppe. Nur diejenigen, die auf diesen Stühlen sitzen (sich also im Inneren der Zwiebel befinden), dürfen reden, die im äußeren Kreis hören zu.

 

Möchte jemand aus dem äußeren Kreis mitreden, so steht sie oder er auf, klopft jemandem aus dem inneren Kreis auf die Schultern und nimmt dessen Platz ein, während dieser im äußeren Kreis Platz nimmt.

 

Jeder, der möchte, kann sich in den inneren Kreis klopfen, auch der, der dort schon gesessen hat.

 

Wie bei den anderen Arbeitstechniken auch können eigene Sonderregeln entwickelt und ausprobiert werden. Wer zum Beispiel das Gefühl hat, daß er nichts mehr zu sagen hat und lieber zuhören möchte, darf auch bevor er abgeklopft wird in den äußeren Kreis zurückkehren, muß dort allerdings solange stehen, bis ein Sitzplatz frei wird.

 

In der Arbeit mit der Zwiebel können wir die Langsamkeit beim Denken und Reden wieder entdecken (Vgl. hierzu auch den Punkt "Brainstorming und die "PMI"-Methode.), der Dominanz einzelner Grenzen setzen. Das ist ihr Vorzug. Sie ist davon abhängig, daß sich alle in die Mitte trauen, Fensterredner selbstbewußt abgeklopft werden, damit das Innere auch das Äußere repräsentiert.

 

 

 

Der Reißverschluß. Jede mit jeder

 

 

 

Die Ausgangssituation: Im Kollegium einer Schule sollen die Vorstellungen zum nächsten "pädagogischen Tag" abgeklärt werden. Die Erfahrungen, die die LehrerInnen miteinander in der letzten Zeit gemacht haben, machen kaum Hoffnung auf ein konstruktives Gespräch. Zu rasch kommt es im Gespräch zu "Lagerbildungen", unterschiedliche Positionen stehen sich dann schroff gegenüber, obwohl viele gern offen und sachlich miteinander reden würden. Außerdem ist in der letzten Gesamtkonferenz einhellig festgestellt worden, daß insgesamt zuwenig miteinander geredet wird, womit genauer - gemeint ist, daß immer nur dieselben KollegInnen zusammen sitzen und zusammen reden. Aus diesem Grund ist als Arbeitsform für diese Konferenz der "Reißverschluß" vorgeschlagen worden.

 

Und so sieht die Arbeit mit dem "Reißverschluß" aus, die eine Gruppe des Kollegiums vorbereitet hat:

 

Insgesamt 8 Fragen sollen beantwortet werden (zum Beispiel: Welches Problem hat Sie im letzten Schuljahr am meisten beschäftigt? Was kommt im Alltag unserer Schule zu kurz? Was macht ihnen zur Zeit in der Schule am meisten Freude? Was würden sie im Unterricht gern anders machen?). Dazu sitzt sich das Kollegium in zwei langen Reihen gegenüber. Jeweils die beiden Gegenübersitzenden arbeiten zusammen. Und während ein Partner sich seinem Gegenüber mündlich etwa 2 Minuten lang zur ersten Frage äußert, ist es Aufgabe der/des anderen, diese Äußerungen in einem Kurzprotokoll zusammenzufassen. Danach rutscht die eine Reihe einen Stuhl weiter nach rechts, und die Rollen werden getauscht. Das heißt: es sitzen sich erstens zwei neue PartnerInnen gegenüber, und wer vorher redete, protokolliert jetzt die Antworten. Auf diese Art werden alle 8 Fragen bearbeitet. Zum Schluß hat jeder 8 Kurzprotokolle vor sich.

 

Die Ergebnisse können von einer Arbeitsgruppe für die nächste Konferenz aufbereitet und vorgestellt werden. Die Arbeit kann auch direkt in Kleingruppen fortgesetzt werden (Vorlesen der Kurzprotokolle, Mehrfachnennungen festhalten, Meinungsbild erstellen, grafisch umsetzen und vorstellen).

 

 

 

Werte sichtbar machen

 

 

 

In einer vierten Klasse herrschen Unfriede und Faustrecht. Die Kinder be­kamen den Auftrag aufzuschreiben, was sie nicht mögen, was mit ihnen ge­schieht, und was sie gern mögen. Eine Veränderung im Verhalten der Kinder brachte bereits das unkommentierte, nicht diskutierte Vorlesen dessen, was alle aufgeschrieben hatten. Die Werte wurden nur sichtbar. Der schulbeliebte Vorgang des "Be-Wer­tens" entfiel. Und könnte gerade darin nicht ein Teil des Dilemmas der Leistungs und Konkurrenz orientierten Schule liegen: Alles wird bewertet - und kein Wert bleibt. Die ständig bewertende Schule, mit ihrer Tendenz, über Werte zu reden, statt als gemeinsam erkannte Werte zu leben, ist mit auch Auslöser, zumindest aber Spiegelbild des gesellschaftlichen Wertever­lusts.

 

 

 

Auch Kollegien, deren Zusammenarbeit auf das Nebeneinander- Unterrichten im jeweiligen Fachunterricht reduziert ist, die aber den Wunsch nach mehr Koope­ration haben, können sich mit dem Sichtbarmachen ihrer Werte eine erste nötige Grundverständigung erarbeiten. Grundlage der Kooperation kön­nen "teilbare Werte" ("shared values") sein.

 

 

 

Das Vorgehen sieht dabei folgendermaßen aus:

 

Alle KollegInnen schreiben ihre "Werte" auf Karten auf, die sichtbar an die Wand geheftet werden.

 

Wenn alle "Werte" an der Wand hängen, können zu den "Werten" Fragen ge­stellt werden, sie können interpretiert werden. Werte können und sollen nicht vertei­digt oder diskutiert werden (vgl. hierzu den Aufsatz über "Tra­dition" von Kola­kowski als spätere Anmerkung). Erweist sich im Gespräch ein Wert als nicht teilbar, so wird er zur Seite gehängt. Jetzt stehen die teilbaren Werte im Mittel­punkt, die "Seiten-Gespräche" können später von den Betroffenen geführt werden.

 

Aus den Werten, die die Gruppe miteinander teilt, sucht sich jede Person einen Wert aus, schreibt ihn auf einen Streifen klebendes Krepppapier und befestigt ihn auf der Kleidung. Nun geht die gesamte Gruppe auf einen Spa­ziergang, auf dem nicht über die mitgenommenen Werte gesprochen wird, sondern jedes Mitglied ist der Wert, den es auf der Brust trägt, und die Werte begegnen sich im Gespräch. So unterhält sich beispielsweise die Liebe mit der Ordnung, der Respekt mit der Freiheit, die Verbindlichkeit mit der Menschenwürde, die Verantwor­tung mit der Selbstbestimmung. Verabredet oder spontan wechseln die Ge­sprächspartner während des Spaziergangs.

 

Auch gleiche Begriffe können sich begegnen und feststellen, daß sie doch - trotz ihrer äußeren Gleichheit - sehr unterschiedlich sind. Auf diese Art führt der Spaziergang zu einem tieferen Verstehen, verhindert die Gefahr ei­ner vorschnel­len Debatte in einem sensiblen Bereich, fördert die Fähigkeit zuzuhören und den Wunsch nach Verstehen, bevor ich urteile.

 

Nach dem Spaziergang geht es darum, aus den wichtigsten "teilbaren Werten" konkretes Handeln an der Schule zu machen. Das kann geschehen in schulin­ternen Arbeitsverträgen, Netzplanungen oder Schulprogram­men. Hat sich zum Beispiel herausgestellt, daß "Wertschätzung der ver­schiedenen pädagogi­schen Richtungen im Kollegium" ein wichtiger Wert für die Gruppe ist, kann das konkrete Handeln in gegenseitigen Hospita­tionen oder entsprechender Teambildung ("lagerübergreifend") bestehen. Wird "demokratisches Miteinan­der" als Wert ge­nannt, könnte die Abgabe von Aufgaben der Schulleitung ins Kollegium (z.B. Vor­bereitung von Konferenzen) ein praktischer Schritt sein.

 

 

 

Tragbare Entscheidungen

 

 

 

Ein Diebstahl ist in der Klasse vorgekommen und nicht aufgeklärt worden. Einige Kinder haben erklärt, daß sie sich jetzt unsicher fühlen, sich nicht mehr trauen, den liebgewor­denen Füller oder die gesammelten Karten oder die Aufkleber in der Klasse liegen zu lassen. Wie sollen wir mit diesem Problem umgehen? Es scheint schwierig zu sein. Wir haben zwar unter­schiedliche Lösungsvorschläge, z.B. die Klasse immer abzuschließen, aber dann kann kei­ner mehr wie gewohnt auch mal allein in der Pause drin bleiben und noch weiterarbeiten. Wertvolles zu Hause lassen? Geht das immer? Und was ist, wenn man dem Freund gern die neuen "Errungenschaften" zeigen möchte? Wir werden uns einigen und vor allem unsere Lösun­gen auch praktisch ausprobieren müssen. Damit alle die Vorschläge ernst nehmen, sie wirklich "mit tragen", werden die verschiedenen Vorschläge auf große Pappen geschrieben. Wer sich für einen Vorschlag entschieden hat, muß mindestens noch 5 Kinder finden, die ihm helfen, den Vorschlag einmal in der Runde durch die Klasse und dann nach hinten zu unserer Pin-Wand zu tragen.

 

Jetzt müssen wir noch sehen, ob wir alle "getragenen" Entscheidungen auch in der ganzen Gruppe "mit-tragen", ob sie sich nicht widersprechen, und wann wir uns das nächste Mal zu einem Gespräch über unser Problem zusammensetzen.

 

 

 

Meta-Plan: Das Gespräch vor Augen

 

 

 

"Das Auge ist ein Meister in der Fähigkeit, schnell zu wiederholen. Es kann ein dargebotenes Bild in kurzer Zeit beliebig oft abtasten und auf diese Weise im Gedächtnis befestigen.

 

Die Führung des Auges ist eine hohe Kunst. Mit der Entwicklung des Films z.B.... hat sich neben den Wortregisseur der kongeniale Bildregisseur gestellt... In der Óptischen Rhetorik´ wollen wir die Fähigkeit eines Bildregisseurs entwickeln...

 

Die Funktion des Auges macht es möglich, bildhaft Dargestelltes längere Zeit wirken zu lassen. Auf den optisch unterstützten Vortrag angewandt heißt das:

 

Der rote Faden ist jederzeit ersichtlich.

 

Der Zuhörer kann die Teile des Vortrags, die ihn besonders interessieren, beliebig oft mit Hilfe der... (Bilder) in sein Gedächtnis zurückrufen. Er kann später Gesagtes mit früher Gesehenem vergleichen. Damit gelingt es dem Zuhörer, sich seinen eigenen roten Faden durch das Angebot zu ziehen."

 

 

 

Eine Diskussion in der Klasse. Es geht um das Thema "Klassenraumge­staltung". Jede und jeder hat Karteikarten (Din A6) zur Hand und einen dicken Filzstift. Wer eine Idee hat, schreibt sie auf, liest sie dann laut vor, geht nach vorn und heftet sie dort auf eine große Pin-Wand.

 

Langsam füllt sich die Pin-Wand. Und je mehr Ideen sich dort finden, je mehr werden die Kinder zu weiteren Ideen inspiriert.

 

Die Karten sind leicht arrangierbar auf der Tafel, und die Lehrerin bittet zwei Kinder, zunächst allein und dann mit der weiteren Hilfe aller ein wenig Ordnung in die Karten zu bringen.

 

So entstehen "Klumpen", zu denen dann "Schubladen"/Oberbegriffe gefun­den werden können.

 

Schließlich geht es abschließend darum, das gesamte Bild auf der Pin-Wand übersichtlich und aussagekräftig zu gestalten ("optische Rhetorik").

 

Und genauso, wie sich ein Thema zeitlich kompakt bearbeiten läßt, kann die Pin-Wand zu einem Thema natürlich auch über einen längeren Zeit­raum offen für Beiträge sein, die allmählich geordnet werden und zu ei­nem verabredeten Zeitpunkt bereits erstes Arbeitsergebnis der Gruppe sind und den gemeinsamen Arbeitsprozeß in der Gruppe einleiten.

 

 

 

Hinter dem inzwischen gebräuchlichen Begriff "Meta-Plan-Arbeit" verbirgt sich im Kern eine schlichte Angelegenheit. Es geht z.B. darum, eine Diskussion mit Hilfe von Stichworten und Schlüsselbegriffen auf Karteikarten festzuhalten. Diese Karten werden vom Moderator der Diskussion für alle sichtbar auf einer Pin-Wand aufgesteckt, von der Gruppe gemeinsam "geklumpt" (Welche Stichworte passen zusammen?), mit Oberbegriffen versehen, zum Schluß ev. noch in eine besondere Form gebracht und grafisch aufbereitet (mit Farbkarten und Symbolen), so daß die TeilnehmerInnen das Gespräch und sein Ergebnis direkt vor Augen haben. Wer diese Arbeitsweise kennt, weiß, wie entlastend und produktiv so ein "visuelles Protokoll" sein kann.

 

"Entscheidend ist nicht, daß du einen guten Eindruck machst, und die ZuhörerInnen von dir begeistert sind. Entscheidend ist, daß es sich für die ZuhörerInnen lohnt, dir zuzuhören und daß sie deinem Vortrag gut folgen können." (Regel aus der Meta-Plan-Arbeit"

 

 

 

Meta-Plan kann in Verbindung mit einem Brainstorming genutzt werden. Frage: Wodurch wird "Lernen in der Klasse unterstützt? Jeder schreibt seine Karten.

 

Ist eine Arbeitstechnik, die man auch für sich alleine machen kann. Mit den Karten wird dann hinterher das Ergebnis der "Denkarbeit" vorgestellt, die Präsentation/der Vortrag optisch unterstützt. Mit dem "Bild" auf der Wand ist es einerseits wesentlich einfacher, frei vorzutragen, zum andern wesentlich leichter, dem Vorgetragenen zu folgen. Mit Hilfe des "Bildes" an der Wand bekommt die Diskussion hinterher leichter Bezug auf das Gesagte, Kritik und Korrekturen können u.U. sogar schon "eingebaut" werden und das Bild verändern. Und die Zuhörer sind von der sonst notwendigen Gedächtnisleistung befreit, den roten Faden des Vorgetragenen und seine Struktur während des Hörens selbst zu erarbeiten und zu speichern. Der auch "optisch Zuhörende" wird auch nicht mehr durch kräftezehrendes Mitschreiben abgelenkt. Er kann seine Energie dafür verwenden, Gedanken weiterzuspinnen, produktiv eigene Ideen entwickeln.

 

 

 

Im Rahmen der Erstellung eines "Schulprofils" führt eine Arbeitsgruppe des Kollegiums eine etwa 15minütige Befragung durch.

 

Alle sollen auf Karteikarten (Din A6) zur Arbeit an der Schule Stellung zu nehmen und dabei 3 positive und 3 negative Stellungnahmen aufzunotieren.

 

Dies ist eine assoziative Fragetechnik. Die Karten werden hinterher "geklumpt" (Was paßt zusammen?), Oberbegriffe werden gebildet. Es entsteht ein strukturelles Bild, das interpretiert werden kann. Die In­terpretation zeigt mögliche Tendenzen und eventuelle sinnvolle Ar­beitsgebiete für das Kollegium, nicht mehr aber auch nicht weniger.

 

Die Karten dieser Befragung können in insgesamt 9 "Schubladen" (Klumpen) abgelegt werden:

 

1. Schulstandort / Kinder

 

2. Schul- u. Unterrichtsstrukturen

 

3. Pädagogische Gestaltung

 

4. Räumlichkeiten (+ Schulhof)

 

5. Arbeitsmaterial und Aussattung

 

6. Schul-Management

 

7. Kooperation untereinander und mit der Schulleitung

 

8. Stimmung /Atmosphäre im Kollegium

 

9. Umgang mit Zeit

 

 

 

149 Karten werden insgesamt ausgewertet. 79 davon sind positive Nen­nungen, 70 negative. Die quantitative Verteilung auf die einzelnen Schubladen zeigt interessante Ausschläge und gibt Hinweise auf das, was das Kollegium bewegt.

 

Die Schwerpunkte in diesem Meinungsbild liegen in den Bereichen "Schul- und Unterrichtsstrukturen", "Schulmanagegement", "Koopera­tion", "Stimmung/Atmosphäre" und "Umgang mit Zeit".

 

In den Bereichen "Schul- und Unterrichtsstrukturen" und "Stimmung/Atmosphäre" überwiegt die positive Einschätzung. Die Bereiche "Schulmanagement", "Kooperation" und "Umgang mit Zeit" scheinen dagegen die Problembereiche für das Kolle­gium zu sein.

 

 

 

Im Anschluß an die Auswertung werden die Karten grafisch aussagekräftig geordnet an eine Wand im Lehrerzimmer gehängt. Das Ergebnis steht den LehrerInnen so bis zur nächsten Konferenz vor Augen, die Diskussionen haben dann einen direkten "augenfälligen" Bezugspunkt.

 

Eine Technik, mit sich selbst oder in der Gruppe ein Brainstorming zu machen (vgl. Opt. Rhetorik, S. 8)

 

Eine Technik, per Kartenabfrage das Meinungsbild einer Gruppe sichtbar zu machen.

 

Auf Karten werden Ideen, Assoziationen zu einem bestimmten Bereich abgefragt, z.B. Lehrerkonferenz: Auf welchem pädagogischen Themen sollte in diesem Schuljahr der Schwerpunkt unserer gemeinsamen Arbeit liegen?

 

 

 

Langsam denken. Die PMI-Methode

 

 

 

"Ich bat einmal siebzig gescheite Erwach­sene jüngeren Alters, einen Essay über den Vorschlag zu verfassen, die Ehe solle ein alle fünf Jahre zu erneuernder Vertrag sein. Sie­benundsechzig von ihnen schrieben ihre An­sicht zu dieser Idee im ersten Satz ihrer Ab­handlung nieder und untermauerten im rest­lichen Aufsatz diese Gedanken. Das Thema wurde also nicht eigentlich erforscht, son­dern eine bereits gebildete Meinung wurde lediglich gestützt."

 

Was halten sie von dem Vorschlag, jede/r Arbeitende sollte alle 5 Jahre verpflichtet sein, ein halbes Jahr in einem ihm fremden Beruf zu arbei­ten? Oder wie wäre es damit, eine "rotierende Arbeitslosigkeit" einzu­führen, damit einerseits nicht immer dieselben unter dem Verlust der Arbeit leiden, andererseits alle einmal in den "Genuß" staatlicher Un­terstützung der "Zwangsarbeitslosigkeit" kommen.

 

Halt! Urteilen sie nicht vorschnell!

 

Lassen sie sich Zeit!

 

Wir wissen, daß sie zu al­lem und jedem schon eine Meinung haben!

 

Aber wie fundiert ist diese "Meinung"?

 

Haben sie wirklich die unterschied­lichsten Aspekte dieser Vorschläge ausreichend bedacht?

 

Oder reicht es ihnen, eine Meinung zu haben und diese womöglich durchzusetzen?

 

"Intelligenzfalle" nennt Edward de Bono in seinem Buch "Denkschule" dieses Verhalten, seiner vorgefaßten Ansicht zu unterliegen, rasch zu bewerten, statt einen Vorschlag bedächtig ins Auge zu fassen, seinen unterschiedlichsten Aspekten auf die Spur zu kommen, und erst nach ei­ner gründlichen Untersuchung zu einem Urteil zu kommen.

 

Und da uns diese Bedächtigkeit häufig ungewohnt, ja abhanden gekom­men ist, schlägt de Bono als Hilfsmittel die von ihm so genannte PMI-Methode vor. Dabei steht P für plus, M für minus und I für die interes­santen Punkte.

 

Machen sie mit einem der hier angeführten Vorschläge einmal die Probe mit dieser "Denktechnik", und sie werden sehen, als wie vielfältig sich ein Sachverhalt auf einmal erweist.

 

 

 

Das Sechs-Farben-Denken

 

"Was ich in diesem Buch zur Diskussion stelle, ist eine ganz einfache Idee, die es dem Denker ermöglicht, immer nur eine Sache auf einmal zu tun. Er wird befähigt, Emotion von Logik zu trennen, Kreativität von Informationen, usw. Die Idee ist die von dem ´Sechsfarbendenken´, dargestellt mit den sechs Denk-Hüten. Das Aufsetzen eines jeden Denkhutes definiert eine bestimmte Art des Denkens... Die sechs Denk-Hüte ermöglichen es uns, unser Denken so zu dirigieren wie ein Dirigent sein Orchester..."

 

Ein Vierfarbdruck, der zum Schluß ein buntes, vollständiges Bild ergibt, entsteht allmählich. Zuerst wird mit den drei transparenten Farben Magenta (Pupurrot), Zyan (Griechenland-Blau) und Gelb gedruckt, zum Schluß kommt Schwarz hinzu, das für Konturen, Kontraste und Bildtiefe zuständig ist. Dies wäre ein geeignetes Bild für die Absichten de Bonos, die beim Denken beteiligten "Farben" zu trennen, sie bewußt eine nach der anderen dazuzutun, um zum Schluß das bunte, vollständige Bild einer Sache zu erhalten.

 

 

 

Ein alltäglicher Vorgang. Es gibt etwas zu entscheiden. Nehmen wir an, es geht um die Gestaltung des Schulhofs. Einer der Diskutierenden, die sich zu Beginn meldet, sind besonders die Fakten wichtig. Sie ergeht sich ausführlich in Details möglicher Planungen, den notwendigen Finanzen und juristischen Aspekten des Ganzen. Und genau das läßt ihren Gegenüber ausgesprochen emotional reagieren. Für ihn ist das nämlich typisch. Er möchte zunächst Ideen sammeln und nicht gleich zu Beginn schon Möglichkeiten einschränken, nur wegen der Finanzen oder ähnlichem. Gottseidank hat jemand in der Gruppe diese Gefühlsaufwallung registriert und versucht, dies zum Thema zu machen. Leider hört niemand zu, denn soeben macht der nächste einen durchaus kreativen Vorschlag. Spontan wird ihm zugestimmt, positive Erfahrungen zu diesem Vorschlag werden benannt, praktische

 

Anregungen gegeben, als leider, wie so oft in solchen Momenten, einige auf Widersprüchlichkeiten. mögliche Irrtümer bzw. Gefährdungen der Idee hinweisen. Sofort ist einiges von dem Optimisus der anderen verflogen, sie beginnen, sich zu wehren, die Situation wird angespannter. Die anfängliche Sprecherin meldet sich zwischendrin sichtlich entnervt mit dem "dringenden" Hinweis, man würde die Situation noch weiter zerfahren, wenn man sich nicht auf die Fakten

 

konzentrierte.

 

Ein heilloses Durcheinander, aber vertraut und alltäglich. Andauernd werden die verschiedensten Ebenen vermischt, nicht sauber getrennt, was ein reflektiertes, zielgerichtetes und zufriedenstellendes Gespräch mindestens erschwert. Und genau hier setzt De Bono's "Sechs-Farben-Denken" an. Jede Farbe steht für eine unserer möglichen Denk- und Sehweisen. Die Person mit dem jeweiligen farbigen Hut auf dem Kopf hat die Aufgabe, diese "Denkfarbe" ins Spiel zu bringen.

 

 

 

Weiß:

 

Die weiße Farbe steht für Fakten und Informationen. Sie hat kein Interesse an Parteilichkeit und Bewertung und Emotion (und sollte dies auch nicht über die Auswahl von Fakten steuern). Ihr schwebt als Beitrag ein Klärungsprozess über die Sichtung der vorliegenden Fakten vor.

 

Rot:

 

Die rote Farbe steht für die Welt der Gefühle und Werte, die weder gerechtfertigt, noch begründet oder beweisbar sein müssen (und dies ja auch nicht können!). Was zählt, ist die subjektive Anerkennung oder Ablehnung, sind Freude und Lust, aber auch Angst und Mißtrauen, sind Ahnung, Intuition und Ästhetik.

 

Schwarz:

 

Die schwarze Farbe steht für die negative Beurteilung. Der Sprecher dieser Farbe benennt alles, was falsch, ungenau, widersprüchlich und irrtümlich ist. Hier werden Gefahren, Risiken, Sackgassen und Fehler benannt. Es geht nicht ums Argumentieren, nur um die "Aufzählung" negativer Fakten, Erfahrungen, Zukunftsprognosen.

 

Schwarz darf nicht zügelloser "Negativität" Vorschub leisten oder negative Gefühle ausdrücken. Hierfür ist rot zuständig. Die schwarze Farbe darf niemals vor der gelben benutzt werden.

 

Gelb:

 

Die gelbe Farbe symbolisiert Licht und Zuversicht, sie steht für das Positive und Konstruktive. Hier ist alles erlaubt, was aufbaut: Wünsche, Visionen, positive Erfahrungen und Beispiele, konkrete Vorschläge und Anregungen. Gelb lädt ein zum Handeln und macht Mut dazu, immer mit dem Blick auf den Nutzen einer Sache, auf der Suche nach günstigen Gelegenheiten.

 

Gelb ist optimistisch, orientiert an Handlungsdenken, es ist nicht euphorisch (dafür ist "rot" zuständig).

 

"Gelbes-Denken" ist auch kein kreatives Denken. Die effektive Anwendung alter Ideen ist das eigentliche Betätigungsfeld der gelben Farbe. Gelb geht es um die positive Haltung, gelb möchte produktiv sein. "Effektivität - schreibt de Bono - ist demnach viel eher das Kennzeichen des Gelben-Hut-Denkens als Novität."

 

Grün:

 

Die grüne Farbe ist die kreative, laterale, Neue-Ideen-Denkweise. Grün ist tastendes Versuchen, Experimentieren, Suchen nach Alternativen. Hier ist das Lernen wirklich Bewegung. Provokationen, wechselnde Blickwinkel, assoziatives Denken, langsames Denken sind Techniken, Denkschemata, Blockaden aufzulösen, Muster zu verlassen zugunsten neuer Vorstellungen und Sichtweisen.

 

Blau:

 

Die blaue Farbe organisiert das Denken selbst, ist Kontrolle über das Denken. Der blaue Hut ist Supervisor, Gesprächsleitung, Dirigent, Regisseur (ev. bietet es sich an, in einer Diskussion auch mit mehreren festen blauen Hüten zu arbeiten). Die blaue Farbe fordert den Einsatz der anderen Farben, definiert Probleme, stellt die zu lösenden Aufgaben zusammen, schlußfolgert, kontrolliert die Spielregeln.

 

 

 

Die englische Sprache kennt "thinking hats" oder "caps", die in der Redewendung aufgesetzt werden, um über etwas nachzudenken. De Bonos Hüte sollen dies konkret und für alle Beteiligten sichtbar ins Bild setzen. Unterschiedliche Vorgehensweisen sind dabei denkbar:

 

1. Einer der Hüte kommt in die Mitte des Tisches und nun können alle ihre Beiträge liefern, aber immer nur im Sinne der Farbne des Hutes, bis ein anderer Hut in die Mitte kommt. Der blaue Hut sollte für jeden griffbereit in der Nähe liegen. Denn dieser muß zwischendurch aufgesetzt werden können, um das Gespräch konstruktiv weiterzuführen. Das Gespräch kann beispielsweise mit dem weißen Hut beginnen (Fakten und Informationen), mit dem gelben fortgesetzt werden (konkrete Vorschläge, Zuversicht, handlungsorientiert) usw. Und immer daran denken, daß der schwarze Hut erst nach dem gelben Hut kommen darf!

 

2. Alle Hüte liegen auf dem Tisch. Bei jedem Beitrag wird der entsprechende Huit aufgesetzt, der Beitrag darf dann auch nur die entsprechende "Färbung" haben.

 

3. Eine dritte Möglichkeit sieht vor, daß jeder die ganze Zeit über nur einen bestimmten Hut aufhat, und im Sinne seiner Farbe Beiträge liefert.

 

De Bono ist sich über die Künstlichkeit dieser Methode (es gibt die einzelnen Aspekte natürlich nicht völlig gereinigt von anderen!) nicht nur im Klaren. Gerade in dieser Künstlichkeit sieht er den Wert dieser Methode:

 

"(Die Hüte) schaffen einen förmlichen Rahmen, der es einem erleichtert... auf eine bestimmte Art zu denken. Sie stellen Spielregeln für das ´Denken´ genannte Spiel auf... Je mehr die Hüte eingesetzt werden, desto eher werden sie Teil der Denkkultur werden."

 

 

 

"Stumme" Schreibgespräche

 

 

 

Wie viel Unsinniges, Unnötiges und falsches wird gesagt, wenn Menschen reden. Wie viel wird nicht gesagt, überhört oder nicht in die richtigen Worte gefasst?

 

Stumme Schreibgespräche sind nur scheinbar stumm. Es ist nur die Ruhe im Raum, das Konzentriertsein auf das eigene Schreiben und das Wahrnehmen des Geschriebenen der anderen. Was geschrieben wurde gilt! Es hat ein viel größeres Gewicht als das, was nur "mal eben so dahin gesagt wird". Das Medium "gemeinsames Papier" lässt nicht nur eine größere Verbindlichkeit zu, sondern bringt auch näher durch die Nutzung der gemeinsamen Schreib"unterlage". Hier können alle durcheinander reden, ohne das es stört, ohne das es verloren ginge. Hier entsteht eine Dichte des Ernstnehmens seiner eigenen und der eben noch fremden Worte. Kommunikation erhält seinen ursprünglichen Sinn zurück: Mitteilung, Verbindung, Verkehr.

 

 

 

Das Tapeten-Gespräch

 

Stellen wir uns folgende Situation vor: Es geht um strukturelle Veränderungen an der Schule, genauer: um die Frage, ob sich die Schule an dem Projekt "Ganztagsschule" beteiligen

 

soll. Das wird den Schulalltag verändern, Mehrarbeit wird - zumindest in der Anfangsphase - auf alle zukommen. Im Kollegium schwirrt es, jede hat ihre Meinung und möchte sie mit-

 

teilen. Da das Ganze auch noch emotional aufgeladen ist, steht eine hitzige Debatte bevor. Es wird nicht leicht werden, alle zu Wort kommen zu lassen, die Vielredner bitten, sich zu-

 

rückzuhalten und sich gegenseitig zuzuhören. Was tun?

 

Für diese (und ähnliche Situationen) bietet sich das Tapetengespräch an.

 

Auf zusammengeschobenen Tischen liegt eine lange Bahn Makulatur- oder Packpapier oder auch einfach eine Tapetenrolle.

 

Alle am Gespräch Beteiligten stehen um den Tisch herum und beginnen, zu dem vorher abgesprochenen Thema auf das Riesenblatt zu schreiben.

 

Jeder kann herum wandern, lesen, eigene Ideen aufnotieren, die der andern kommentieren, mit Fragen versehen, mit Pfeilen und Kreisen Verbindungen und Bezüge hervorheben, Bilder

 

dazu malen. Niemand redet, das Gespräch findet schriftlich statt. Das "Tapetengespräch" ist so etwas wie ein stummes Brainstorming. Entsprechend gibt es auch keine "Ideenverbote" oder Unrealistisches o.ä. Es gilt - wie bei allen Formen des Brainstormings - das Verbot der "Ideenkiller".

 

Es können zusätzliche Regeln des Gesprächs vereinbart werden, die z.B. die weitere Bearbeitung erleichtern.

 

- Verwendung bestimmter Farben je nach Inhalt des Geschriebenen (positive Vorschläge "grün", Kritik "schwarz", Bedürfnis nach Information "gelb", Fragen "rot" u.ä., vgl. De Bonos "Sechsfarben Denken");

 

- zeitliche Begrenzung;

 

- Bewertung am Ende: jede/r kann den ihm wichtigsten Gedanken markieren.

 

Die Fortsetzung des "Tapetengesprächs" kann - je nach Situation und Absicht - unterschiedlich sein. Die Tapete kann aufgehängt werden, so daß jeder bis zu einer Fortsetzung des Gesprächs dieses weiter vor Augen hat und bedenken kann. Eine Kleingruppe kann das Gespräch bündeln und strukturieren und dann in seiner Essenz vorstellen. Denkbar ist auch, das "Tapetengespräch" vor eine Diskussion vorzu schalten - damit jede/r in seinem Rhythmus seine Ideen vorstellen kann, nichts verloren geht, niemand übergangen wird, alle mit allen reden und alle zu Wort kommen. Das anschließende Gespräch (das z.B. in der Form der "Zwiebel" stattfinden kann) kann davon nur profitieren.

 

Gegenüber dem mündlichen Gespräch haben "stumme" Schreibgespräche den Vorteil:

 

Jeder kommt zu Wort und kann sich seine Zeit nehmen. Die gesamte Kompetenz der Gruppe wird erfaßt. Jeder trägt seinen Teil bei.

 

Die Lösung liegt in der gemeinsamen Verantwortung.

 

 

 

Das kreisende Schreibgespräch

 

Eine Klasse möchte im Gespräch ein Problem angehen. Das Problem kann liegen

 

auf der Planungsebene, z.B. Vorbereitung einer Klassenfahrt

 

auf der Sachebene, z.B. Was interessiert uns am Thema "Indianer"?

 

auf der Beziehungsebene, z.B. "Welche Konflikte sind beim Problem "Es ist zu laut bei der Arbeit" entstanden und wie sollen wir mit ihnen umgehen.

 

auf der Ebene der Ideenfindung

 

Die Großgruppe teilt sich in Kleingruppen auf, ideal sind 4 - 6 Personen, bei 8 TeilnehmerInnen ist bei dieser Form des Schreibgesprächs eine Grenze erreicht.

 

Die Kleingruppen sitzen im Kreis um einen Schreibplatz herum. Jede der Beteiligten an diesem Schreibgespräch hat jetzt ein leeres Blatt Papier vor sich und schreibt das Thema des Gesprächs oben auf. Dann besteht die Aufgabe darin, einen Gedanken zum Thema zu notieren und dann das Blatt an den Nachbarn zur Rechten weiter zu reichen. D.h. während mein ursprüngliches Blatt nach rechts wandert, bekomme ich von links ein neues. Auf diesem Blatt findet sich jetzt schon ein Gedanke. Ich kann auf diesen eingehen, ihn fortsetzen, kommentieren, widersprechen, einen neuen Gedanken beginnen. So wandert das Blatt, bis du dein eigenes zurück erhältst. Die Gruppe entscheidet selbst, wann sie das Gespräch für beendet ansieht.

 

So entstehen im Laufe des stummen Gesprächs Gedankenstränge, die sich verdichten und immer wieder - aufgrund der Assoziationen, die die Gedanken der einen beim anderen auslösen, -überraschende Einfälle und Wendungen.

 

Möglichkeiten zur Weiterarbeit mit den Gedanken des Schreibgesprächs:

 

Wer schon häufig an Schreibgesprächen teilgenommen hat, weiß, daß die einzelnen Gesprächsverläufe (die einzelnen Blätter) unterschiedliche Qualität bekommen. Das kann zum Beispiel von der Fruchtbarkeit des Einstiegsgedankens abhängen. Daher kann z.B. verabredet werden, daß jede Kleingruppe zwei ihrer Blätter hinterher in der Großgruppe vorstellt.

 

Häufig ist es aber auch so, daß sich das Gespräch einer Gruppe jeweils in einzelnen Teilen eines Blattes wiederfindet. Dann bietet es sich an, abschließend eine "Schreibkonferenz" zu machen, und in Form einer "Collage" die der Gruppe wichtigsten Teile zusammenzustellen, zu verbinden, Überleitunen hinzuzufügen u.ä. Daneben ist es auch denkbar, daß jede Gruppe aus ihrem Schreibgespräch ein Thesenpapier erstellt und das dann in der Großgruppe vorträgt. Das ist eine gute Übung, die eigenen Gedanken noch einmal zu strukturieren und zu komprimieren und die wesentlichen Gedanken heraus zu abeiten.

 

 

 

Das "ausgesuchte" Schreibgespräch

 

Bei der dritten Art liegen leere Blätter aus. Du nimmst eines, schreibst etwas und legst es zurück in die Mitte. Jederzeit kannst du ein neues Blatt anfangen, etwas lesen, was andere geschrieben haben, diesen Text aussuchen und ihn Text fortsetzen. Am Schluß wird alles vorgelesen.

 

Diese Form des Schreibgesprächs eignet sich auch für andere Zusammenhänge, z.B. als Methode des "Schreibens in der Gruppe", gemeinsames Schreiben eines Märchens, einer Tiergeschichte.

 

Dieser Prozess setzt nicht nur die kreativen Potentiale frei, sondern ist zudem noch ausgesprochen stressfrei.

 

 

 

Verbindung von Metaplan-Technik und Schreibgespräch.

 

 

 

Kinder schreiben im kreisenden Schreibgespräch in kleinen Gruppen (zu viert oder fünft) Texte zur Frage "Ruhe bei der Arbeit". Danach liest jede ihren Text vor. Und direkt nach dem Vorlesen notiert sich jeder in der Runde, auch der/die Lesende selbst aus der Erinnerung einen Gedanken aus dem soeben gehörten, schreibt diesen Gedanken auf eine Karte und legt diesen Gedanken / diese Karte in die Mitte des Tisches. Bei einer 5er Gruppe liegen so 25 Gedanken auf dem Tisch. Diese Gedanken werden jetzt nochmals vorgelesen.

 

In der nächsten Arbeitsphase sucht jede Person den ihr wichtigsten auf dem Tisch liegenden Gedanken heraus und nimmt die Karte an sich.

 

Alle Kleingruppen treffen sich jetzt wieder im Kreis. Jede/r liest ihren/seinen Gedanken vor, steht auf, hängt den Gedanken an die Wand (Pin-Wand). Jetzt entsteht vor aller Augen ein Abbild der Arbeit in der Gruppe, die allen wichtigen Punkte, mögliche Überschriften, Verbindungen, Gruppierungen sind sichtbar.

 

Zum Abschluß kann die Gruppe sich wieder in Kleingruppen aufteilen, um jetzt einzelne Punkte zu konkretisieren, Vorschläge zu erarbeiten, Regeln aufzustellen usw. Auch dabei kann die Gruppe diskutieren, nochmals ein Schreibgespräch führen oder zu einer anderen der hier vorgestellten Methoden greifen.

 

 

 

Abstraktionslyrik (Rasterlyrik)

 

 

 

Zu jedem Thema oder Problem kann "jede und jeder" einen eigenen freien Text auf ein Blatt Papier schreiben. Je nach Größe der Gesamtgruppe werden jetzt Kleingruppen von 4,5 oder 6 Menschen gebildet, die ihre Texte an die Wand heften oder auf einen Tisch legen. Alle lesen die Texte durch, wobei aus jedem Text von jedem der wichtigste, eindrucksvollste Gedanke - eine Passage, ein Satz - herausgesucht wird.

 

Wenn jeder diese Aufgabe erledigt hat, liegen bei 5 Leuten insgesamt 25 "Gedanken" vor. Diese werden nun in ein vorbereitetes Raster - auf einem Papier oder einer Pin-Wand - befestigt.

 

 

 

 

Max

Michaela

Jakob

Uschi

Max

1

 

 

5

Michaela

 

 

2

 

Jakob

3

 

 

 

Uschi

 

4

 

 

 

 

 

 

 

1: Hier hängt Max einen Gedanken aus seinem eigenen Text hin;

 

2: hierhin klebt Michaela den Gedanken aus Jakobs Text

 

3: hierhin Jakob den aus Max Text,

 

4 : hierhin Uschi den aus Michaelas Text,

 

5 : hierhin Max den Text von Uschi,

 

usw.

 

 

 

Wenn das Raster gefüllt ist, schreibt jede ihren Text aus dem Raster ab, indem sie sich nach ihren Gedanken und Assoziationen aus dem Raster bedient. So entsteht eine "Lyrik", die später von allem im Gesamtkreis vorgelesen wird. (vgl. hierzu die Kartei "Schreiblandschaften", Verlag an der Ruhr)

 

Die plakative Begegnung

 

 

 

Ein Thema steht an, z.B.: "Welche Regeln sind uns in der Klasse wichtig?" oder "Was ich von Hausarbeiten halte!" Ziel der gemeinsamen Arbeit ist es, uns auf etwas zu verständigen. Wie beginnen wir die gemeinsame Arbeit an unserem Thema? Die plakative Begegnung ist eine Einstiegsmöglichkeit. Jede und jeder gestalten ein Plakat zu ihrer Vorstellung. Neben Schriftlichem sind bei der plakativen Begegnung natürlich Bilder und Grafiken sinnvolle Gestaltungselemente.

 

Jede hängt sich ihr Plakat um, wandert durch den Raum, läßt sich betrachten, betrachtet andere, fragt nach, erklärt selbst.

 

 

 

Das Mind-Mapping. Im Bilde sein.

 

 

 

Miteinander reden und miteinander arbeiten geht oftmals spontan. An vielen Stellen kommt Spontaneität, also so etwas wie ein Brainstorming, aber für den einzelnen auch zu früh, steht einer vertieften inhaltlichen Auseinandersetzung im Wege. Spontane Gespräche bevorzugen ja auch immer die Schnellsprecher und Schnelldenker, den etwas Bedächtigeren wird dann die Zeit für ihren Gedankengang genommen wird. (Vgl. hier Nadolny, Entdeckung der Langsamkeit). Genau an dieser Stelle hat das Mind-Mapping, die "Denk-Karte" können wir etwas holprig übersetzen, seinen Platz.

 

Nehmen wir an, eine Klassenfahrt soll vorbereitet werden. Die Gruppe möchte zunächst jedem die Möglichkeit geben, seine Gedanken zu ordnen, bevor es an die Diskussion geht. Üblicherweise machen wir uns in so einem Fall Notizen, vergleichbar den Notizen für eine Gliederung, wie wir es in der Schule gelernt haben. Das könnte dann so aussehen:

 

- Ziel unserer Fahrt?

 

- Wie hoch sind die Kosten?

 

- Wollen wir uns selbst verpflegen?

 

- Ist ein Schwimmbad in der Nähe?

 

- Was können wir da noch unternehmen?

 

- Wie lange wollen wir wegfahren?

 

Immer schön der Reihe nach schreiben wir unsere Gedanken auf. Wie gesagt, so könnte das aussehen. Diesmal soll aber eine neue Methode ausprobiert werden: Das Mind-Mapping.

 

Ob wir beim Telefonieren Notizen machen, eine Exkursion planen, eine Gliederung brauchen, ein Buch zusammenfassen, ein Konzept erarbeiten wollen, Besprechungen, Diskussionen oder Vorträge festhalten, die lineare Aufzeichnung - Wort für Wort und Satz für Satz - erweist sich oft als sperrig. Zu vieles geht uns gleichzeitig durch den Kopf. Da taucht noch ein Gedanke auf, hier möchten wir einen besonderen Zusammenhang festhalten usw.

 

Das Mind-Mapping ist eine effektive Methode, die zunächst auf uns einstürmenden Gedanken und Ideen in Form eines "Gedankennetzes" (einer Gedanken-Landkarte) bildhaft festzuhalten und dann schrittweise zu strukturieren.

 

Mind-Maps verschaffen - durch ihre Bildhaftigkeit - Überblick, erhöhen die Konzentrationsfähigkeit und schärfen das Gedächtnis. Sie helfen Zeit sparen und fördern verborgene Ideen zutage.

 

Als visuelle Arbeitstechnik, die sowohl assoziatives als auch strukturierendes Denken verlangt, trainiert sie ganzheitliches Lernen (= Lernen mit beiden Hirnhemisphären).

 

Mind-Mapping ist eine bestechend einfache Methode, die ohne technische Hilfsmittel auskommt. Neben Papier, Bleistift und farbigen Stiften ist das wertvollste Instrument der eigene Kopf.

 

 

 

Entscheidungen abgeben

 

 

 

Bei einer Fortbildung haben wir folgendes Experiment zum Thema "Wir gründen eine neue Schule" gemacht: Eine Gruppe ist klassisch vorgegangen. Alle Vorschläge wurden diskutiert und dann mehrheitlich abgestimmt. So setzte sich "Beschluß" für "Beschluß" ein Plan einer neuen Schule im Protokoll zusammen.

 

Die andere Gruppe diskutierte auch, aber für jeweils eine bestimmte Zeit hatte jeweils nur eine Person Entscheidungsbefugnis. Sie konnte das Gespräch stoppen und sagen: "Ich entscheide aufgrund eurer Vorschläge, daß es in unserer Schule so und so gemacht wird!" Dann bekam ein anderer die Entscheidungsbefugnis. Der Protokollant achtete darauf, daß sich die Entscheidungen nicht widersprachen.

 

Die erste Gruppe verhielt sich bald wie ein typisches LehrerInnenkollegium. Die zweite Gruppe funktionierte länger und schneller.

 

Lutz Wendeler hat mir von einem ähnlichen Experiment erzählt, daß sie es in der Entstehungsphase der Freien Schule Prinzhöfte tatsächlich gemacht haben. Über einen bestimmten Zeitraum durften - zum Beispiel - nur die Frauen bestimmen.

 

1

 

1 Und das, obwohl die Grundideen der Freinetpädagogik in den Richtlinien der Grundschule im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen schon seit zwei Jahrzehnten integrativer Bestandteil sind, obwohl die Europäische Union sie als richtungsweisend empfiehlt (vergl. hierzu: Wolf-Dieter Kohlberg, Wie modern ist die "ECOLE MODERNE", In:Harald Eichelberger, Lebendige Reformpädagogik, Innsbruck, Wien 1997

 

2 Célestin Freinet, Pädagogische Werke Teil 2, Paderborn 2000, S. 489

 

3 ebenda

 

4 vergleiche hierzu Wolfgang Klafkis Aufsatz über Sinn und Unsinn der Leistungsbewertung, Frankfurt 1975

 

5 William B. Lee, John Sivell,French Elementary Education And The Ecole Moderne, Bloomington, Indiana USA 2000, S.12f.; eigene Übersetzung

 

6 vergl. hierzu: Ingrid Dietrich, Handbuch der Freinet-Pädagogik, Weinheim und Basel 1995

Jochen Hering, Walter Hövel, Immer noch der Zeit voraus, Bremen 1996

Christian Schreger, Christine Wiedermann, Emmerich Gradauer, Tastendes Versuchen -

wissenschaftliche Erkenntnis, Wien 1997

Herbert Hagstedt, Freinet-Pädagogik heute, Weinheim 1997

 

7 Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse dieses Studienganges ist 2002 zu rechnen

 

8Jean Piaget, Meine Theorie der geistigen Entwicklung, Hrsg. Reinhard Fatke, Frankfurt 1983, S. 19f.

 

 

9 zit. nach: Walter Hövel, Rechte der Kinder, Freinet-Pädagogik, Bremen 1993

 

10 "Sternschnuppen" an der "Grundschule Harmonie", 2.Schuljahr, Oktober 2000

 

11 Die deutschsprachigen Publikationen sind: "Freinet Kooperativ" (Kärnten), die "Atelier Zeitung"(Oberösterreich), "Die Feder" (Wien), der "Bindestrich" (Schweiz), der "Schuldrucker" und die "Fragen und Versuche" (Deutschland). Zunehmend geschieht dieser Austausch auch über die elektronischen Medien, die mit einander verlinkt sind: http://freinet.paed.com

 

12 Antoine De Saint Exupéry; Der kleine Prinz

 

13 Titel des internationalen Symposions der Freinetbewegung in Bremen 1999

 

14 aus Ingrid Dietrich, Politische Ziele der Freinetpädagogik, Weinheim und Basel 1982

 

15 Dies sollte vor allem bei Bildungspolitikern angesichts bestehender Ungleichgewichte in den verschiedenen Schulstufen ankommen, wie etwa der "Männermangel" in den Volks- und Grundschulen.

 

16 Die folgenden Beispiele entstammen der Arbeit verschiedener zweiter Klassen der Primarstufe

 

 

17 Dieser Rede ist Teil des Schlussvortrages des Symposions in Bremen 1999, die in einer Arbeitsgruppe erarbeitet wurde. TeilnehmerInnen dieser Arbeitsgruppe waren: Ute Andresen, Ingrid Dietrich, Ute Geuß, Walter Hövel, Kerensa Hülswitt, Peter Hülswitt, Cornelia Pörzgen, Uschi Resch, Kersten Zühlke.

 

18 Das "Verlassen der Übungsräume", die "Spaziergangsklasse" oder die "Heckenschule" hat in der Freinetpädagogik die wohl älteste Tradition. In der Literatur sind u.a. folgende Informationen zu finden:

Celestin Freinet, Verlaßt die Übungsräume, S.155f, In: Hering/Hövel,Immer noch der Zeit voraus, Bremen 1996

Elise Freinet,Erziehung ohne Zwang,S.20-24,Stuttgart 1981

Gudiez,Guilléu, Déléam, Eigene Untersuchungen der Schüler, S. 93-98, In: Christine Koitka, Frankfurt/M 1989

Herbert Hagstedt ,Freinetpädagogik und Erziehungswissenschaften - ein gestörtes Verhältnis?, S.217, In: Hering/Hövel, Immer noch der Zeit voraus, Bremen 1996

Walter Hövel, Demokratie im Klassenraum, S.67, In: Ingrid Dietrich, Handbuch der Freinetpädagogik, Weinheim und Basel 1995

Hans Jörg, Célestin Freinet, die Bewegung "Moderne Schule" und das französische Schulwesen heute, S. 152, In: Freinet, Die moderne französische Schule, Paderborn 1979

Martin Merz, Lernen - ein Puzzlespiel, S.64ff, Linz 1996,

 

 

19 Werner G.Mayer hat bei der Editon Dieck, Heinsberg 1994, eine Schrift unter dem (irreführenden) Titel "Der Sachunterricht" herausgegeben. Hier gibt er aktuelle und erfrischende wissenschaftliche Begründungen und pädagogische Denkanstöße für ein Lernen, das er, an den Begriff der "Weltorientierung" der niederländischen Jenaplanschule angelehnt.

 

 

20 Lothar Klein, Herbert Voigt, Freinet-Pädagogik in Kindertageseinrichtungen, Freiburg, Basel, Wien 1998.

Die Autoren sind, wie sie in ihrem Vorwort schreiben, „selbst auf Freinet gestoßen“. Sie haben unabhängig von der Freinetbewegung „ihren“ Freinet in ihrer eigenen Praxis gefunden. Ihre Begründungen beziehen sie aus der „gängigen“ Literatur. Im Gegensatz zu manchen universitären Schreibern stützen sie sich hierbei nicht alleine auf historische Texte der Freinetpädagogik, sondern sind genaue Kenner, Leser und Verarbeiter der Literatur, die die jeweils aktuelle Praxis der Freinetpädagogik im deutschsprachigen Bereich beschreibt und reflektiert. Daher halten wir ihre Definition des freien Textes für recht repräsentativ.

 

21 ebenda, S.29f

 

22 Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang, Stuttgart 1981, S. 20ff

 

23 vergleiche hierzu: Herbert Hagstedt, „Freinetpädagogik und Erziehungswissenschaften - ein gestörtes Verhältnis?“, In: Hering/Hövel, Immer noch der Zeit voraus, Bremen 1996, S. 216f. Hier behauptet Hagstedt, Freinet habe das Vokabel bei Berthold Otto (1901) „geborgt“.

 

24 Ein Begriff, der in der sowjetischen Lerntheorie von Wygotsky, Leontjew, Galperin u.a. eine große Rolle spielt.

 

25 Das "Lernen mit allen Sinnen" erscheint durch die Überbetonung der Form der Stationsarbeit und esoterische Zeitgeistinterferenzen wie eine Modeerscheinung der 90er Jahre, war aber immer Standard, etwa bei Comenius, Kükelhaus oder eben Freinet

 

26 vergleiche: W.G. Mayer, Der Sachunterricht, Heinsberg 1993. Hier wird fundiert begründet, was wir alle tun (können).

 

27 Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang, S.21

 

28 ebenda, S.21

 

29 So nennt die französische Freinetbewegung (I.C.E.M.) 1979 in ihrer Schrift „Ein erster Blick auf die Freinetpädagogik“ zu allererst den Freien Text, zitiert nach Dietlinde Baillet, FREINET - praktisch, Weinheim und Basel, 1983, S.17f.

 

30 Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang, S.24

 

31 C. Freinet, Praxis der Freinet-Pädagogik, In: Hans Jörg, Praxis der Freinetpädagogik, S.24

 

32 vergleiche zum Begriff „Leben“ bei : Roland Laun, Freinet - 50 Jahre danach, S.38f.

 

33 Vergl.: Peter Teigeler, In: Hellmich/Teigeler, Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik, Weinheim und Basel 1994

 

34 z.B. Texte von Jandl und Goethe oder Schwitters und Lennon, z.B. in: "Warum nicht Literatur" (Verlag an der Ruhr); Vergleiche hierzu auch: Wolfgang Mützelfeld’s Aufsatz in Fragen und Versuche 88, Bremen 1999

 

35 übliche Klassenkorrespondenz, Internetseiten für Kids-Texte (Besuchen Sie z.B. einmal: "http.//www.webonaut.com/ortnergasse" von Christian Schreger/Wien oder "Kinderlyrik mit dem Poststempel" und "Die Neue Tapete" (Martin Merz, Kremsmünster) - oder die "Pänzböcher" der 80er Jahre (Klaus Hoff, Köln) oder z.B. Ina Hesse und Heide Wellershoff, "Es ist ein Vogel. Er kann fliegen im Text", Bremen 1996

 

36 Karteien wie Schreiblandschaften, Vorhang auf Gedichte, Warum nicht freie Texte, Mal und erzähl, alle bei Verlag an der Ruhr) Schreib los (Kaleidoskop), Die Musenkussmischmaschine (nds-Verlag). Den umfassendsten Anschub für die Entwicklung des Freien Schreibens in diese Richtung gab Sepp Kasper Mitte der 80er Jahre mit der Herausgabe von: Kasper, Josef (Hrsg.): Freies Schreiben - Sich frei Schreiben, Verlag Kaleidoskop o.J.

 

37 C. Charbonnier, u.a., Anregungen zum freien Ausdruck, In: Christine Koitka, Freinet Pädagogik, Frankfurt am Main 1977, S.33

 

38 Siehe Schreiblandschaften: „Sprachteppich“, “Transparente Texte“, „Innenleben“, „Kettengeschichte als Bilderbuch“, „Kettengeschichte als Vorlesetheater“, „Vom Punkt zum Gedanken“, „Die lebende Schreibmaschine“, etc.

 

 

39 Maturana, Batison, von Foerster, (Wolfgang Mützelfeld und Lutz Wendeler arbeiten seit Jahren innerhalb der Freinetbewegung konsequent an diesem Thema. Ihr Schulprogramm ist lesenswert: "Lernen heißt lebendig sein, Konzept der Freien Schule PrinzHöfte", Bestellung an PrinzHöfte, Simmerhauserstr.1, D 27243 PrinzHöfte

 

40 “Rasterlyrik“ in Schreiblandschaften.... weitere ähnliche Techniken: „Textteilung“, „Texte einer Ausstellung“, „Fragebogen“; alle in „Schreiblandschaften“

 

41 vergl.: Fragen und Versuche, Heft 88, Juni 1999, S.28f.

 

42 vergl. hierzu: Walter Hövel, Ursula Resch, "Fragen zur Welt" in diesem Buch

 

43 C. Freinet, "Schluss mit den Schulbüchern, In: Hering/Hövel, Immer noch der Zeit voraus, S.117f.

 

i1 C. Freinet, zit. nach Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinets, Stuttgart 1981, S. 153.

 

ii2 C. Freinet, Eine kurze Übersicht über die moderne Schule, S. 8, 1973 ins Niederländische übersetzt von B.G. Donkersloot, liegt den Autoren in deutscher Fassung als Manuskript vor.