Eichelberger, Harald (Hrsg.)

 

Freinet-Pädagogik und die moderne Schule

 

2003 - Innsbruck, Studienverlag

 

 

 

Auf dem Titelbild schauen ein Mädchen und ein Knabe auf den Bildschirm eines Laptop-Computers:Freinet-Online. Der Wiener Professor fur Erziehungswissenschaften Harald Eichelberger sammelt in diesem 178-seitigen Buch verschiedene Beitrage, welche die Pädagogik Celestin Freinets aus der Zeit der Reformpädagogik über das gängige Bild der Schuldruckerei hinaus in die heutige Zeit weiterführen. Denn hinter Freier Text und Schuldruckerei etc. steht ein pädagogisches Konzept, das auch heute, angesichts moderner Kommunikationstechnologie, eine ideale Grundlage fur sinnvolles Tun der Lernenden im Hinblick auf Demokratie in Schule und Leben bildet.

 

 

 

In einer Ubersicht auf die Biographie von Celestin Freinet und seine pädagogischen Prinzipien weisen Harald Eichelberger und Eva Filice darauf hin, dass in der Freinet-Pädagogik "Schule" nicht als Schonraum verstanden wird, sondern als Ort, an dem bei aller Freiheit zur individuellen Entwicklung viel für und durch das Leben gelernt wird, u.a. auch Verpflichtungen zu übernehmen. "In diesem Sinne ist die Freinet-Padagogik keineswegs eine Padagogik des Gewährenlassens, sondern eine Erziehung zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Menschen - und in dieser Aufgabenstellung im höchsten Maße modern." (S. 18)

 

 

 

Anschliessend beschreiben sie die Unterrichtselemente: Klassenrat, Freies Gesprach/Morgenkreis, Individuelles Lernen, Freier Ausdruck, Freier Text, Drucken, Erstlesen, Zeitung und Korrespondenz, Klassentagebuch, Endeckendes Lernen, Ateliers, Auswertung/Bilanz.

 

 

 

Sie verweisen auf drei übergreifende Strukturelemente:

 

 

 

1. Das entwicklungspsychologische Modell von der aktiven Natur des Menschen;

 

 

 

2. systemische Vernetzung / systemische Mobilitat: Die von P. Teigler zusammengestellten Prinzipien ergeben in ihrer Verknupfung einen Lebens- und Lernraum, der dem Lernenden die Reduktion von Komplexitat der Lebenswirklichkeit als Voraussetzung fur die Produktion von Lebenswirklichkeit ermöglicht.

 

 

 

3. "Les stages": Die "Aus- und Weiterbildung" von Freinet-Pädagoginnen ist konsequenterweise basisdemokratisch angelegt. Das Fehlen jeglicher Hierarchie-Struktur, die konsequente Einhaltung eines ‘bottom-up‘-Modells ist der Motor der Entwicklung der Freinet-Padagogik.( S.38)

 

 

 

Das Modell der Freinet-Padagoik ist ein offenes (Schul)-Modell: "Wir holen uns den Honig dort, wo er uns am besten schmeckt" hatte schon C. Freinet gesagt. So kann man zu den Schlüsselbegriffen Freinets Entprechungen in der Existenzpsychologie von Viktor Frankl finden (wie dies P. Teigler machte). Als Probleme führen Eichelberger/Filice an: das gesellschaftpolitische Engagement (z.B. basisemokratische Anliegen, Ablehnung der Selektion, Prüfungen zu festgelegtem Zeitpunkt...) kann zu Konflikten mit den herkömmlichen Schulauffassungen führen.

 

 

 

"Doch Freinet-Padagogik ist keine Alternativ-Pädagogik, sondern ein pädagogisches Konzept mit klaren Zielsetzungen, das innerhalb der Regelschule Anwendung finden kann und das fur eine Entwicklung dessen wertvolle Impulse gebracht hat und auch in Zukunft bringen wird."(S. 42)

 

 

 

Uschi Resch und Walter Hövel spannen in ihrem Beitrag "Zur Bedeutung der Freinet-Padagogik heute"meinen weiten Bogen vom Erfolg und den Problemen der Freinet-Bewegung, von der veränderten,Kindheit, von der Studierbarkeit der Freinet-Padagogik (Lehrgange an Hochschulen in Kärnten, Bremen, Berlin, Oldenburg, Riga, Zagreb... an Symposien oder Tagungen z.B. Prinzhofte...), zu denmRechten der Kinder in der Schulpraxis, zu Formen des Freien Textes heute, zu Erfahrungen an der Freinet-Schule 'Harmonie' in Eitorf. (S. 45-79)

 

 

 

"Politisches Bewusstsein durch Freinet-Padagogik" heisst der Artikel von Gerhard und Pia-Maria Rabensteiner. Sie beschreiben ihren Alltag in der Volksschulklasse 3b Viktring, Wien: Den Kindern das Wort geben - Kreisgesprach, Morgenkreis, Prasentationskreis, Klassenrat. Ohne Kooperation geht es in der Freinet-Klasse nicht. Interkulturelles Lernen ohne Vorurteile. (S. 81-100)

 

 

 

Eva Filice berichtet von ihrer Hospitation bei Marta und Leonardo (Mitgliedern der italienischen Freinet- Bewegung MCE), die sudlich von Neapel mit ihrem Elan Veränderungen in einer Scuola Media und einem Lehrertreffen bewirken wollen. (S. 101-106)

 

 

 

Unter dem Titel "Miteinander reden - miteinander arbeiten" stellen Jochen Hering und Walter Hövel verschiedene Techniken der kooperativen Selbstorganisation in Schulklassen, Seminarien, Konferenzen... vor, ausgehende von der Vielfalt, die man schon bei Freinet findet, ergänzt durch andere Ansätze z.B. 'Zwiebel', ‘Reissverschluss','Meta-Plan', ‘PMI-Methode‘, ‘stumme Schreibgespräche', 'Mind-Mapping'. (S.107-126)

 

 

 

Werner Hangartner, als langjahriger Primarlehrer und heute Didaktikdozent und Leiter der Lernwerkstatt der Pädagogischen Hochschule Rorschach in der Freinet Gruppe Schweiz kein Unbekannter, schreibt einen Beitrag über "Mathematik in der Freinet-Padagogik". Bei Freinet selbst ist wenig Konkretes zur Mathematik zu finden. Viel mehr findet man in der Freinet-Bewegung selber, also bei Leuten, die Mathematik im freinetischen Sinn (vermeintlich) praktizieren oder beschreiben. Ein Ansatz ist unter andern Paul Le Bohec’s naturliche Methode der Mathematik. Es wird immer schwieriger zu unterscheiden, was Selbstverständlichkeit der modernen Mathedidaktik (z.B. Mathe 2000, Ansatz von Urs Ruf und Peter Gallin mit mathematischen Lernweg-Tagebuchern) und was Freinet-Pädagogik ist. Mathematik ist Kommunikation, das Erlernen einer gemeinsamen Sprache.

 

 

 

So einfach die Handhabung des Freien Textes ist, um so vieles komplexer ist der Freie mathematische Text. Es gilt, mathematische Handlungen, bildliche Abbildungen davon und die Symbolsprache in einen Zusammenhang zu bringen. Dies ist anspruchsvoll und gelingt nur in den seltensten Fallen, wenn man es dem Zufall uberlasst. Mathematik kann dabei leicht zu einem belanglosen Getue verkommen. Hangartner skizziert verschiedene kindergemäße Zugange zu Mathematik, es gibt nicht nur einen Weg und eine Lernform, selbst fur eine Lehrkraft, die sich zur Freinet-Pädagogik bekennt. (S. 129-133)

 

 

 

In "Lernen im virtuellen Raum" schreibt Christian Laner (Projektleiter Bildungsserver blikk des Pädagogi-schen Instituts Bozen, Italien), dass es weniger um ein 'Druckerei versus Neue Medien' geht. Bei der Schnelligkeit, die dem Computer innewohnt, dürfen die Vorteile des Handwerklichen der Druckerei nicht vergessen werden. Es geht immer wieder um die Entmystifizierung der (neuen) Medien, deren gezielte Nutzung und Beurteilung der verschiedenen Verfahren. Notwendig sind offene Lehr- und Lernformen und ihre Einbettung in den sozialen und kreativen Prozess, wie wir sie im Konzept von Freinet finden. Christian Laner zeigt Rahmenbedingen fur e-Learning oder online-Lernen auf und verweist auf ein Konzept für inter-nationale Zusammenarbeit im Lernen auf Schüler- und Lehrerebene. (S. 134-150)

 

 

 

Für John Bronkhorst (Universitat Nijmegen, NL) hat die Freinet-Pädagogik einen der am besten ausgearbeiteten Rahmen fur Informations- und Kommunikations-Technologie (ITK), denn schon in seiner Zeit wusste Freinet sehr gut den Bedurfnissen des 'globalen Dorfes' zu begegnen. Eine Fallgrube beim Kommunizieren ist, dass eine Richtung angegeben werden muss, sonst gibt es nach einiger Zeit unbedeutende Gespräche. In Freinet-Schulen sind die Kinder gewohnt, von ihren Fragen auszugehen, Antworten zu analysieren und in ein indivuelles oder gemeinsames Projekt einzubeziehen. Unter dem Titel "Freinet-Techniken und die neuen Medien" führt Bronkhorst die Erfahrungen von holländischen Freinet-Klassen an, die z.B. ihre e-zine (elektronische Klassenzeitung) an etwa 500 andere Klassen in Russland, Südafrika etc. schickten. Sie traten z.B. in e-mail- Korrespondenz mit japanischen Schulen nach einem dortigen Erdbeben und schickten per Post die benötigten Schulhefte. (S. 151-168)

 

 

 

Elisabeth Furch erlautert in "Interkulturelle Pädagogik und die Pädagogik Celestin Freinets" die Berührungs-punkte. Allein Freinet's Anliegen, den Kindern das Wort zu geben, konnte direkt als ein Grundverständnis von Mehrsprachigkeit im heutigen Sinn verstanden werden. Die verschiedenen Techniken wie Klassenrat, Morgenkreis, Publikation, Eigenfibel, Ateliers, Spaziergangklasse ermöglichen das Sich-Ausdrücken und gegenseitige Verstehen . Handlungsorientiertes und entdeckendes Lernen ist für den Erwerb der Zweit-sprache wichtig. Interkulturelle Pädagoginnen und Pädagogen halten die Pädagogik Celestin Freinets als für den Bereich des interkulturellen Lernens am besten geeignete reformpädagogische ldee.(S. 169-175)

 

 

 

Dieses Buch legt mit seinen verschiedenen Beitragen die Modernheit der Pädagogik von Freinet und der Ecole Moderne