C. Freinet

 

Vom methodischen Treppensteigen

 

Adler steigen keine Treppen

 

Der Pädagoge hatte seine Methoden aufs Genaueste ausgearbeitet; er hatte – so sagte er – ganz wissenschaftlich die Treppe gebaut, die zu den verschiedenen Etagen des Wissens führt; mit vielen Versuchen hatte er die Höhen der Stufen ermittelt, um sie der normalen Leistungsfähigkeit kindlicher Beine anzupassen; da und dort hatte er einen zum Atemholen eingebaut und an einem bequemen Geländer konnten die Anfänger sich festhalten.

 

Er fluchte aus folgendem Grund: solange er dabei stand, um die methodische Nutzung dieser Treppe zu beobachten, wie Stufe um Stufe empor geschritten wurde, an den Absätzen ausgeruht und sich an dem Geländer festgehalten wurde, da lief alles ganz normal ab. Aber kaum war er für einen Augenblick nicht da: sofort herrschten Chaos und Katastrophe!

 

Nur diejenigen, die von der Schule schon genügend autoritär geprägt waren, stiegen methodisch Stufe für Stufe, sich am Geländer festhaltend, auf dem Absatz verschnaufend, weiter die Treppe hoch – wie Schäferhunde, die ihr Leben lang darauf dressiert wurden, passiv ihrem Herrn zu gehorchen, und die es aufgegeben haben, ihrem Hunderhythmus zu folgen, der durch Dickichte bricht und Pfade überschreitet.

 

Die Kinderhorde besann sich auf ihre Instinkte und fand ihre Bedürfnisse wieder: eines bezwang die Treppe genial auf allen Vieren; ein anderes nahm mit Schwung zwei Stufen auf einmal und ließ die Absätze aus; es gab sogar welche, die versuchten, rückwärts die Treppe hinauf zu steigen und die es darin wirklich zu einer gewissen Meisterschaft brachten.

 

Die meisten aber fanden – und das ist ein nicht zu fassendes Paradox – dass die Treppe ihnen zu wenig Abenteuer und Reize bot. Sie rasten um das Haus, kletterten die Regenrinne hoch, stiegen über die Balustraden und erreichten das Dach in einer Rekordzeit, besser und schneller als über die sogenannte methodische Treppe; einmal oben angelangt, rutschten sie das Treppengeländer runter … um den abenteuerlichen Aufstieg noch einmal zu wagen. Der Pädagoge macht Jagd auf die Personen, die sich weigern, die von ihm für normal gehaltenen Wege zu benutzen. Hat er sich wohl einmal gefragt, ob er nicht zufällig seine Wissenschaft von der Treppe eine falsche Wissenschaft sein könnte, und ob es nicht schnellere und zuträglichere Wege gäbe, auf denen auch gehüpft und gesprungen werden könnte; ob es nicht nach dem Bild von Victor Hugo, eine Pädagogik für Adler geben könnte, die keine Treppen steigen, um nach oben zu kommen?“1

 

Walter Hövel
Nichts Anderes hatte Falko Peschel in seinem „Widerspruch“ in der FuV 149 gesagt. Leider ist dies nicht angekommen ( FuV 150). Hilft da die andere Geschichte von H. Maturana weiter? Wieder geht es um eine Metapher, diesmal nicht ums „Fliegen“, sondern ums „Schwimmen“.

 

Ja, aber“, sagen die Lehrer,…

 

 

Es gibt eine alte Geschichte über die Einwohner einer Insel. Diese Menschen sehnen sich danach, in ein anderes Land auszuwandern, in dem sie ein gesünderes und besseres Leben führen könnten. Das Problem war, dass die praktischen Künste der Schifffahrt und des Schwimmens bei diesen Leuten nie entwickelt worden oder schon vor langer Zeit verloren gegangen waren. So gab es unter der Bevölkerung der Insel einige, die sich einfach weigerten, über Alternativen für das Leben auf dieser Insel nachzudenken. Andere versuchten an Ort und Stelle ihre Probleme zu lösen, ohne an eine Überquerung des Wassers zu denken.

 

Ab und zu erfand einer der Inselbewohner die Kunst des Schwimmens aufs Neue, und manchmal kam auch ein hoffnungsvoller Schüler zu so jemandem, der das Wasser zu überqueren wusste.

 

 

 

Doch meist entwickelte sich dann folgender Dialog:

 

 

 

Ich möchte schwimmen lernen.‘

 

Möchten Sie einen Vertrag aushandeln?‘

 

Das ist nicht nötig. Ich muss nur meinen Sack Kohlköpfe mitnehmen können.‘

 

Was für Kohlköpfe?‘

 

Na, das Essen, das ich auf der anderen Seite brauchen werde.‘

 

Dort gibt es besseres Essen.‘

 

Wie soll ich das verstehen? Ich kann doch nicht sicher sein. Nein, meine Kohlköpfe muss ich mitnehmen.‘

 

Aber mit einem Sack Kartoffeln können Sie nun mal nicht schwimmen.‘

 

Dann kann ich auch nicht mitkommen. Sie nennen es eine Last, ich nenne es meine lebenswichtige Nahrung.‘

 

Sagen wir einmal allegorisch statt Kohlköpfe <Vermutungen>, <Vorstellungen>, <vorgefasste Meinungen> oder <Gewissheiten>… Was dann?‘

Ich gehe mit meinen Kohlköpfen lieber zu einem Lehrer, der versteht, was ich brauche.“2
Den Adler fragen

Können Adler steppen?

 

Trägt Frau Studienrat von Adler Schleppen?

 

Steigen Adler doch ganz kleine Treppen?

 

Haben Spritzen für des Adlers Adern spitze Nadeln?

 

Ode fahen Adle alte Posche?

 

Fliegen all der Adler wirklich über all der Treppen?

 

Rutschen Adler munter Geländer rauf und runter?

 

Rutschen sie, wenn sie altern, schleppend, zwei Stufen, oder mehr?

 

Benutzen hochbegabte Adler den Lift?

 

Machen sie Liebe in der Luft?

 

Oder unter der Treppe?

 

Mögen Adler Adler?

 

Brauchen Adler Bildungstreppen?

 

Lern da Adler Adler adlern?

 

He Alter, der mit dem Adler fliegt, alter Adler,

 

ist nicht nach Versuchen?

 

 

1 Jochen Hering, Walter Hövel. Immer noch der Zeit voraus. S293/4. Hervorhebungen von W. Hövel

 

2 Maturana/Varela. Der Baum der Erkenntnis. Wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen – die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Scherz-Verlag. 1987. S.268-270