Natürlich machen eine AfD und die Wähler*innen anderer Rechtskräfte in deutschen, europäischen und weltweiten Parlamenten Angst. Natürlich sind es weit über 10 % aller Deutschen, 50% der US-Amerikaner, Türken oder Italiener und noch mehr Polen und Ungarn, die wieder auf diese braunen Rattenfänger, auf rassistische, menschenfeindliche, nationalistische Herrenmenschen und kapital-finanzierte Kräfte mit Wagen-burgmentalität reinfallen. Die Verführbarkeit hierzu scheint eine Frage der Intelligenz, bzw. der Bildung, familiären und Freundes-Erziehung und Einstellung zur gesellschaftlichen demokratischen Entwicklung zu sein.

Walter Hövel

Vom Sinneswandel zur Sinneswanderung

Politik, Bildung, die Menschen und die Lehrerschaft

 

Ich habe einmal die Bundestagsergebnisse von 1961 mit denen von 2017 verglichen. 1961 wählten 12,8% aller Wähler in der Bundesrepublik Deutschland die FDP, 45,3% die CDU/CSU, 36,2% die SPD und 1,9% die DFU (Deutsche Friedensunion), zusammen also 38,1% für „eine Linke“.

 

1961 war die Mehrheit der CDU/CSU als „übliche“ Regierungspartei in Kommunen, Ländern und Bund, so rechts, das es kaum aushaltbar war in diesem grauen Land. Die FDP war und ist rechts geblieben. Die SPD, progressiver, als „kleineres Übel“ bekannt, sollte bald mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder drei Bundeskanzler stellen.

 

Über 50 Jahre später 2017 hatte sich das Schema - trotz dazu gekommener DDR-Bevölkerung und so vieler Flüchtlinge und Migranten - verschoben: 12,6 % der Deutschen wählten die FDP, 45,5% die CDU/CSU, davon über 10% für die AfD und 38,6% zusammen die SPD, Grünen und die Linken.

 

Verschoben haben sich also die Mehrheitsverhältnisse von 1961 bis 2017 bei den Wähler*innen nur um 0,5%!

 

Veränderung der Parteien, nicht der Wähler*innen: Dass die Mehrzahl der AfDler unzufriedene rechte CDUler sind, auch SPDler, ist bekannt. Tatsache ist auch, dass sich CDU, CSU, SPD und FDP sich seit dem „Kriegsende“ ehemaligen Nazis öffnete. Fakt ist auch, dass CDUler*innen seit einigen Jahren sich eher zur Demokratie bekennen, auch wenn viele von ihnen noch immer rechte Sprüche klopfen. Der Weg zu Menschenrechten als antikapitalistische Ausrichtung scheint aber für diese Partei auch, oder gerade wegen 40 Jahren Einheitsregierung in der DDR mit Kommunisten, sehr weit. Laut Umfragen halten sich trotzdem selbst ein Drittel aller CDU-Mitglieder „für links“.

 

Der Weg der SPD: Sie spaltete sich erst in die „alte SPD“, in „Unabhängige Sozialdemokraten“, „Spartakisten“, „Kommunisten“ und später, 1949, in zwangsvereinigte „SED“-Sozialisten. Seit den 1970er Jahren entstanden die Grünen. Mit SDS, SHB oder Falken gab es einst eine eigene Linke. Nach 1990 entstand die Partei „Die LINKE“.

 

Die SPD versäumte vor allem unter Willy Brand die eigene Veränderung zu erkennen und anzuerkennen. Die eigene Linke, hauptsächlich in studentischen Bereichen als SDS und dann als SHB wurde ausgeschlossen. Sie wurden als zu links links liegengelassen. Später sollte sogar der Vorsitzende der SPD mit Oskar Lafontaine zur LINKEN wechseln.

 

Nach 1972/3 bildeten sich - erst ebenfalls an den Hochschulen - die ersten grünen Organisationen. An „meiner“ Hochschule, der Pädagogischen Hochschule Rheinland, gründete sich aus dem SHB und Basisgruppen eine Gruppierung, die sich „Sozialistische Arbeitsgemeinschaft, SAG“ nannte. Zunächst orientierte sie sich an der Ideologie des „Offenbacher Büros“. Die ersten Grünen waren hier organisiert. Es war die Gründung der „Spontis“, die die Grünen waren und wurden.

 

Die heutige „LINKE“ entstand durch das Zusammengehen der SED/PDS-Reste der DDR und der verstreuten, zu großen Teilen demokratischen Sprenkel des Westens. Sie verstanden es, sich aus vielen Traditionen des Spartakusbundes, der USPD, der KPD, der DKP und der SED zu lösen.

 

Alle links-ideologischen Richtungen wurden von der SPD ignoriert oder abgelehnt. Stattdessen gründeten sie die „Juso-Hochschulgruppen“. Die SPD sollte in den nächsten Jahrzehnten ihre Bedeutung mehr und mehr verlieren.

 

Der Grund ist für mich ein doppelter. Einerseits haben sie ihre eigene Entwicklung zu Grünen und der eigenen Linken aus demokratischer Schwäche und selbst überschätzender Stärke nicht in ihre eigene Entwicklung integrieren können. Dies scheiterte an ihrer Arroganz und der eigenen immer dagewesenen Rechts-Auffassung. Immerhin stimmte sie aber 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis, also gegen die Abschaffung der Gewaltenteilung.

 

Der andere Grund ist der, dass in unserem Land die klassischen, stinkenden Fabriken verschwanden. Zuvor schaffte die Fabrikarbeit der Proletarier und die zu großen Teilen zuhause arbeitenden Frauen und Kinder den Grund für die Existenz der Sozialdemokratie und eine Gewerkschaftsbewegung zur Kontrolle von Besitzenden.

 

Einerseits erzeugte dieser Kapitalismus die Ausbeutung der Armen und den Reichtum der wenigen Besitzenden. Andererseits schaffte er aber auch den Reichtum der Gesellschaft und damit eine nie gekannte Vervielfachung der Weltbevölkerung.

 

Nun verpennte die SPD zwei maßgebliche Entwicklungen. Sie bekam nicht mit, dass die Menschen durch diese Form von Konsum und Konsum-Vernichtung der eigenen Produkte sich die eigene Zukunft vernichtete. Zu spät erkannte sie die Folgen von Klimawandel, Rohstoffreservenvernichtung und Entrechtung durch die Gewinne einer kurzfristigen Profitmaximierung. Sie setzte zudem – vor allem nach der Niederlage ihre eigenen kommunistischen Brüdern - weiter auf Arbeit anstatt gegen Armut, für soziale Sicherheit und für Menschenrechte konsequent einzutreten. Sie verschliefen das Eintreten gegen Krieg und nationalistischen Neoliberalismus.

 

Mit „den eigenen Fabriken“ „verschwanden“ auch das sichtbare klassische Proletariat, langsam, aber sicher. Nicht, dass es heute keine Fabriken mehr gibt! Sie stehen nur in anderen Ländern, sind also nur hier verschwunden. „Unsere“ reichen Firmen, Familien und Aufsichtsräte lassen, weil für sie billiger und einträglicher ist, in anderen Ländern und Kontinenten produzieren.

 

Dadurch entstand bei uns, sehr vereinfacht ausgedrückt, einerseits ein Heer der Facharbeiter*innen, anderseits ein neues Prekariat der Arbeitslosen, Migranten und Flüchtlingen. Die SPD verstand es nicht sich zum Sprachrohr der neuen Armen und Unterprivilegierten zu machen. Die Konzentration auf „ihre“ Facharbeiterschaft, die „hart Arbeitenden“ und Gewerkschaften führt sie heute unter die 10% der Wähler*innenstimmen, und bald zu Bedeutungslosigkeit und Auflösung.

 

Die CDU rückte „zur Mitte“ und verlor die bis neulich in ihr, der CDU und auch in der SPD organisierten rechten Bevölkerungsteile. Die Spitze der AfD sind reiche Konservative, Unternehmer, uralt denkende, junge Nazis und weiße Männer. Ihre Wählerschaften haben sich kaum verändert.

 

Die Grünen eroberten größere Bereiche der Intellektuellen und mehr und mehr bürgerlich orientierten Teile der Bevölkerung.

 

Allerdings gab und gibt es eine entscheidende Veränderung der deutschen Gesellschaft, wie auch in anderen Ländern wie in Skandinavien, Kanada oder ganz anderen Ländern. Mehr und mehr bildete sich über die Parteien hinaus eine immer größer werdende Mehrheit, die für Menschenrechte eintritt.

 

Nur hier liegt der Grund für den Spruch: „Es gibt keine Linken und Rechten mehr“. Aber so lange es arme Menschen hier und in der Welt gibt, gibt es einen Grund für eine neue Parteinahme.

 

Veränderungen der Bildung All das zeichnet unsere Bildungslandschaft wieder. Die CDU, CSU, SPD und FDP setzen (in ihren Differenzierungen) auf die Orientierung an den durchaus widersprüchlichen Bedürfnissen der regionalen, nationalen und globalen Wirtschaften. Und sie setzen auf die vorsichtigere Erneuerung der Gesellschaft und ihre Schulen, oft orientiert an der EU und UNO.

 

Sie hängen, wie ihre Wählerschaft, dem veralteten dualen, Schichten bevorteilenden und einem autoritären preußischen, oft noch feudalem Schulsystem an. Die SPD zeigte, im Gegensatz eigener Mitglieder, kein eigenes Konzept zu einer progressiven Bildung.

 

Gemeinsam mit den Grünen und der LINKEN vertreten sie alle – mit Ausnahme der AfD - allerdings mehr und mehr einen menschenrechtlichen, wenn auch diffusen und Kapitalismus einschließenden Anspruch in wichtiger werdenden Programmforderungen der Bildung.

 

Die Grünen stellten in ihren ersten Jahren reformpädagogische und frei-sinnig bürgerliche Forderungen an die Bildung. Heute verwalten sie eher die bestehende Schule, um mit größter Vorsicht Neuerungen zu vertreten. Sie treten mit den anderen bürgerlichen Parteien - verspätet - für eine digitale , stärker naturwissenschaftliche und ökologisch fundierte Orientierung ein.

 

Sie zeigen aber die nötige Feigheit bei der sozialen Bevorzugung der reicheren Schichten, der Lehrerzentrierung und Stoffvorgabe einer systemerhaltenden Schule.

 

Die LINKE beginnt gerade erst zu begreifen, dass Bildung anders verlaufen könnte als eine Frau Honecker, ein Genosse Hoernle oder Paul Oestreich es historisch vorgaben.

 

Wenn schon vor ihrer „Machtergreifung“ die Nationalsozialisten im Berufsstand der Lehrer und der wenigen Lehrerinnen ihren größten Organisationsgrad und ihren mächtigsten Einfluss fanden, „entging“ dieser Berufsstand nach dem Krieg der Entnazifizierung. Aber nicht zuletzt durch eine alliierte Reeducation, eine halbwegs demokratische Pressearbeit, den Einfluss vieler Künstler und der linken Traditionen einer Studentenbewegung veränderten sich die Einstellung der neuen Lehrer*innenschaften Deutschlands hin zu einem konservativ-grünen Denken und Lehren. Außer in Gesamtschulbereichen wählen sie in ihren Personalratswahlen seit Jahrzehnten noch nicht einmal „links“ oder gewerkschaftlich.

 

Und die Lehrerschaft Der allgemeinen Kolleg*innenschaft taten es auch ihre progressiven Teile gleich. Schon 1995 schrieb ich in der Fragen und Versuche: „Bei den Freinis jedenfalls war die übergroße Angst vor Streit, Anstrengung und psychischer Verletzungsgefahr eingekehrt. Die eben beschriebene Vereinzelung und „Vergruppung“ wurde noch vom Zeitgeist unterstützt. (FuV 73, S.67).Dies gilt heute für alle Lehrer*innen und Erzieher*innen, vor allen Dingen für die jungen angehenden, noch studierenden Teile. Sie wollen demokratisch und friedlich sein, wissen aber selten wie das geht. Sie denken nicht geschichtlich, selten politisch, eher psychologisch-soziologisch.

 

Heute werfen Lehrer*innen das Jugendlichen und Kindern vor. Sie waren –im Chor mit den anderen Kolleg*innen - erzieherisch durchaus erfolgreich.

 

Zu viele von ihnen sind - wie eh und je - zufrieden in „ihren“ Klassen, in ihrer „Kooperation“, in „ihrer Praxis“. Sie sind gehorsam. Viele sind und waren veraltet, selbstzufrieden, weil „immer noch anders“. Sie sind, provoziert durch die Systeme Hochschule, Schule und Kindergarten, überanstrengt, ausgelaugt, krank oder unfähig zur eigenständigen politischen Aktion. Sie sind aber vor allem weniger, älter oder schon pensioniert. Sie sind jünger, scheinbar „unwissender“, politisch frustriert nicht interessiert.

 

Schlussfolgerung „Wir brauchen Lehrer*innen, die nicht einfach für den Lehrplan, das Fach und den Staat, sondern als Demokraten zuerst für die Kinder und sich selbst arbeiten.“ Das schreibend, komme ich aber auf einen ganz anderen Gedanken, oder bin in der Nähe der Beantwortung der Frage, warum so wenige selbst etwas tun.

 

Bin ich der Verrückte, Altmodische, der Altlinke oder Unmoderne, wenn ich immer noch schreibe, immer noch lese? Oder lässt die Ausbildung der Erzieher*innen solche Einstellungen nur peripher zu? Geht es in Hochschule, Schule und Kindergärten gar nicht um die Bildung solcher Fachkräfte? Wollen die, die Schule brauchen gar keine andere als die bestehende? Oder ist eine demokratische Bildung für alle schlicht gar nicht finanzierbar?

 

Allmählich müsste allen klar geworden sein, dass die große Alternative, das elektronische Netz nicht die demokratische Plattform des einfachen Menschen geworden ist. Es ist nur ein Mittel neuer und alter Herrscher. Schließlich sind Twitter, Whatsapp, web und google auch im Besitz großer weltweiter Firma, und was einen Hashtag bekommt, bestimmen sie auch.

 

Und was nützt es, wenn ein Christian in Wien oder eine Dagmar in Hamburg schon lange begriffen haben, dass die Druckerei von heute der Computer ist. Was nutzt es, wenn Lehrer*innen nicht mehr frontal, fern der Kinder, über ihre Köpfe hinweg im Unterricht herrschen, aber die Lehrinhalte und Prüfungsziele vorgeben.

 

Es gibt schon lange kein Lernen mehr ohne an das (elektronische) Wissen der Welt und ihre Geschwindigkeit angeschlossen zu sein. Aber es gibt das Lernen in allen Bildungseinrichtungen, dass in Zwangsanstalten mehr denn je nur auf das „Bestehen“ von Tests und Aufgaben aus ist. Nicht die Bildung zu einem demokratischen Menschenbild scheint im Vordergrund zu sein, sondern die Ausbildung zur beruflichen Verwertbarkeit der Besten.

 

Die Kontrolle und Steuerung werden nur noch besser – und eben schneller. Wenn ich in pädagogischen Zeitschriften oder gar Büchern schreibe, steht das erst Monate später drin. Eine attraktive Doppelung in elektronische und/oder eine Papierausgabe ist den Verantwortlichen, soweit ich es überblicke, mangels Interesse, noch nicht gelungen. Die Nachhaltigkeit des gesagten und geschriebenen Wortes verliert sich. Online lese ich nichts von jungen und älteren engagierten Lehrer*innen oder Erzieher*innen mitten in einer Welt, die mehr denn je schreibt und bebildert. Sie schweigen in ihrer Mehrzahl. Wie viele von ihnen lesen? Was lesen sie? Wie geht ihr Lesen?

 

Haben oder hatten sie alle keine pädagogische fortschrittliche Praxis? Engagierte Hochschul-dozent*innen fühlen sich vielerorts überrannt oder arbeiten hoffnungsvoll angepasst vor sich hin. Vielleicht waren sie bis auf wenige Ausnahmen immer so.

 

Keine Gedanken zur Zukunft? Gibt es nichts auszutauschen, keine demokratische Perspektive, keinen Willen zur Kooperation? Ist „ihr“ pädagogischer Ansatz schon lange in der Wirklichkeit unserer Schulen verwirklicht? Gibt es nicht eine „moderne“ Alternative zur privaten „freien“ Schule, die „sich selbst“ finanzieren? Gibt es nicht noch immer die gesellschaftliche Notwendigkeit eine Schule für Alle, für das ganze Volk zu schaffen?

 

Sind wir nicht mehr der „Zeit voraus“? Wo ist der Ort, an dem du noch schreiben kannst, was sonst untergeht? Und warum wird in dieser Zeit nicht genutzt, dass du schreiben und lesen kannst, was andere interessieren könnte? Im Netz schreibst du ohne nennenswerten Widerhall in eine riesengroße Comunity, die dich liked oder nicht. Du kannst selber schreiben, was dich interessiert. Zumindest in unseren Ländern wirst du „nur von Marktgesetzen“ zensiert, von keiner Mehrheit oder Macht. Oder reicht es, wenn auf Knopfdruck das Licht im Handy angeht oder meine ganz persönliche Nachricht sofort bei dir oder mir ist?

 

Seid ihr zeitlich und kräftemäßig im Beruf, oder nicht mehr – so ausgepowert, dass da nicht mehr ist? Seid ihr mundtot? Habt ihr alles gesagt? Wollt ihr das Sagen, Lesen und Schreiben den „noch Jüngeren“ bis zu einem Sankt Nimmerleinstag überlassen“? Aber Vorsicht, die die hier nicht schreiben, schreiben auch woanders nicht!

 

Wie heißt der Spruch? „Wenn auch nur ein Leben gerettet wird, ist das so wichtig, wie die Rettung der ganzen Menschheit.“ Wäre das ein Grund den eigenen Beruf selbst zu prägen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur:

 

Walter Hövel,. "Und sie bewegt sich doch", Fließen - Veränderung - Stillstand - Erinnerung - Wesentliches, S. 293 ff, In: Hahn, Esslinger-Hinz, Panagiotopoulou, Paradigmen und Paradigmenwechsel in der Grundschul-pädagogik, Hohengehren 2016. Download: https://www.walter-hoevel.de/lehrerinnenbildung/und-ich-bewege-doch/