Walter Hövel
Als Schule auch Arbeitgeber sein

20 Jahre ein „Arbeitsamt“

 

Die Grundschule Harmonie, wie manch andere staatliche oder private Schule im In- und Ausland, ist und war nicht nur Anstalt der Bildung des Geistes oder Körpers, sondern Ort der Bildung von Menschen. Schule kann auch ein reales Beispiel für Verrückte, eine Kinderrepublik, eine Sondererscheinung, eine lebende Demokratie oder ein Arbeitsamt der sinnvollen und sinngebenden Lebensbeschäftigung von Menschen sein.

 

 So eine „Schule“ ist mehr als eine Schule. Sie ist wenig geeignet oder gefördert als Modell. Sie wird wieder abgeschafft. Weil sie zeigt, dass eine positive Menschenbildung keine Vision ist, sondern im jetzigen Jetzt möglich ist. Vielleicht meinten das die Freinets als sie von „einer Bewegung der modernen Schule“ sprachen. Sie wollten mit einer Realität der Gegenwart Beispiel sein für eine Zukunft. Sie wollten nicht Reform-, noch alternative Pädagog*ìnnen sein. Doch wenigstens wird sie von einigen als Reform verstanden.

 

Nicht auf Berufe vorbereiten - auf das Jetzt achten

 

Kinder sind nicht auf ein Leben als „mündige Bürgerinnen und Bürger“ in ihrer Zukunft vorzubereiten, sondern sie sind jetzt mündig. Ein Grund ist, dass Kinder als vollständige Menschen ihr demokratisches Selbst jetzt erleben. Je besser sie es jetzt, in ihrer Kindheit erfahren, um so besser können sie in ihrer Zukunft. Jetzt lernen sie von uns, von wem, was, wie, mit wem, wann sie es wollen. Aber sie lernen auch uns oder unser Handeln abzulehnen, wenn sie können und wollen. Sie lernen anders als wir sie positiv oder negativ erziehen wollen zu werden. Sie werden sie selbst. Ihre Kinder werden wieder sie selbst.

 

Die Grundschule liegt zwischen „Kindergarten“, (heute eher wieder zurückverwandelt in die Vergangenheit des „Kinderhauses“. Das Ziel nennen wir nicht mehr „Garten“ (welch ein wunderbarer Begriff), sondern „Tagesstätte“1 = „Kinderaufbewahrung“ und „weiterführender“, mehr selektierender Schule der Sekundarschule2. In dieser Zeit entscheidet sich für die jungen Menschen, Kinder genannt, das Leben, ihr Leben. Es ist ihre dritte Grundlagen-, also Basiszeit. In dieser Zeit ist ihre „Berufskarriere“ schon im vollen Gange. Sie werden gesellschaftlich eingeordnet. Es gibt weiter das Freundefinden und die ersten Beziehungen.

 

Wir, die Lehrer*innen der Grundschulen, haben alle Kinder wie in Harmonie3 aufs Gymnasium, auf die Gesamtschalen oder auf individuelle Wege der alternativen und Berufs-Schulen (gemeint ist das duale Abitur) orientiert.

 

Und wie vor allem die Gymnasiallehrer*innen über uns und die Kinder schimpften.Wie oft waren Kinder und Jugendliche für sie „nicht schulreif“. Wir schickten nicht die üblichen 40% unserer Abgänge in ihre Schule. Oft genug schickten wir über 70%. Die sind vielleicht nicht von der Herkunft her so gymnasial, aber intelligent. Sie sind Migranten, Bildungsunbewusster oder Kinder aus 'schlechten' Familien.

 

Sie, die Unterschichtler oder unteren Mittelschichtler, haben in der Regel nicht die Unterstützung von Zuhause, weder ideologisch noch finanziell. Trotzdem machen immer mehr das Abitur, vor allem an Gesamtschulen, es studieren immer mehr. Trotzdem gehen Unterschichtler nicht so oft ins Ausland, haben die Jugendlichen nicht das Geld um ihren Beruf überhaupt zu finden, nicht so oft kann der Papa seine guten Beziehungen zu den Betrieben oder Verwaltungen ausspielen.

 

Oft gaben wir den Kindern, die heute junge Erwachsene sind, immerhin Selbstvertrauen in des eigene Können, Sein und Lernen, oft genug geben wir ihnen mehr demokratisches Bewusstsein mit.

 

Und Vorsicht, natürlich siebt die Reihenfolge der Sek-1-Schule weiterhin mit Sonder-, Haupt- Sekundar-, Real-, Gesamtschule und als Krönung das richtige Gymnasium noch (immer) aus. Einige Eltern können sich die private Ausbildung an Fach- und Fachhochschulen leisten. Wie viele Studies aber müssen ihre Studien an den Unis abbrechen oder bestehen, wie bei den Jurist*innen, die Prüfungen nicht. Natürlich spielt es eine Rolle, dass die Geschwister, Eltern, Großeltern und vielleicht noch Ältere vor ihnen schon studierten. Wie viele Menschen, vor allem aus Unterschichten, bezahlen noch Jahre lang ihre Stipendien an den Staat zurück? Viel „Begabung“ ist vererbt.

 

Gerade die Grundschule, als einzige echte Gesamtschule in Deutschland, kann hier dagegen halten. Noch mehr Lehrer*innen könnten es, wenn sie selbst nicht Mittelschichtler mit durchschnittlicher Begabung und Bildung wären. In der Regel werden sie nur durchschnittlich oder eben mittel-mäßig gebildet. Nur unter- oder durchschnittliche Fachkräfte gehen in Pflege oder Lehre. In Deutschland gehen „die Besseren“ in Wirtschaft und Wissenschaft.

 

Aber die Zahl der Erzieher*innen und Lehrer*innen nimmt zu, die Kinder nicht einfach „belehren“ wollen. Auch das tradierte, konservative, das Frauen feindliche, Arbeitgeber freundliche, „Leistungs“- und Kasten orientierte Denken in der Gesellschaft, die aggressiv kriegerische Schicht spielt eine, oder die Rolle.

 

Kinder und ihre Gegenwart und Zukunft als Menschen sind das eine. Das andere sind die Schulen mit ihrem oft veraltetem Lernbegriff selbst.

 

Als Arbeitsamt für Erwachsene
In der Gemeinde gab es mindestens drei Menschen in einem für uns wichtigen Amt, die so ähnlich dachten wie wir4. Sie sahen Menschen nicht als Untergebene, Diener, Angestellte oder Arbeiter, die für sie oder andere zu arbeiten hatten. Sie sahen sie als Menschen, die sich nicht Gesetz und Ordnung unterzuordnen hatten, sondern für deren Schutz und Vorankommen Gesetze und Ordnung gemacht wurden. Sie sahen sie nicht als Sklaven oder Arbeit“nehmer“. Sie sahen sie als Menschen, die nichts als leben wollten.

 

Wir schafften Arbeitsplätze für sie, indem wir ihre Würde und ihre Kompetenzen anerkan#

 

Ein-Euro-Kräfte als Assistenten
Die beiden ersten, an die ich mich erinnere, waren zwei Menschen, die für eine Deutsche Mark mehr pro Stunde bei uns waren. Der eine war „Bömmel“. Er kam als Hausmeister. Der andere kam als Drucker.

 

Die Gemeinde besetzte die Stelle eines Hausmeisters, wann und wie sie wollte oder nicht, obwohl sie musste. Es war ihr zu teuer Menschen zu bezahlen. Lange überlegte das Kollegium, ob wir diese Menschen missachtende Politik unterstützten, wenn die Gemeinde ihnen eine DM oder später einen Euro zahlte. Da wir nicht vorhatten, sie wie als Arbeitslose zu behandeln, sondern wie Kolleg*innen, nannten wir sie „Assistenten“ Das leiteten wir von der Sitte der Briten ab, bei Lehrer*innen-Erkrankungen Assisten*innen anzurufen, die die Stunden gegen Bezahlung übernahmen. Auch halfen sie im laufenden Unterricht. Sie wurden wenigsten drei Monate ausgebildet, um Lehrer*innen assistieren zu können.

 

Auf jeden Fall kam Bömmel. Er war Türsteher in der Diskothek „Lord“s Inn“ in Köln, mochte den Job und akzeptierte Kinder als Menschen. Er blieb ein Jahr. Ein anderer Mann war Drucker und trockener Alkoholiker. Er machte den Hausmeisterinnenraum zu einer Druckerei und brachte einigen Eltern das Drucken bei. Nach einem Jahr ging er über 60 Jahre als nach Köln, um in einer Druckerei zu arbeiten. Drucken taten viele Generationen Eltern mit sehr vielen Kindern.5

 

Bald arbeiteten bei uns jeweils für ein Jahr immer drei bis vier jüngere und ältere Menschen6 Wir sahen so gut wie 50 bis 60 von ihnen als Eine-DM- und Ein-Euro-Kräfte. Viele von ihnen fanden ihren Weg zurück in Berufe. (Diese und andere nannten man später z.B. PIA-Kräfte 'Praxis integrierte Ausbildung')

 

Schwervermittelbare als Assistenten
Bei vier Menschen gelang es mit Hilfe der genannten Leute bei der Gemeinde ihnen als „Schwervermittelbare“ über die ARGE unkündbare 30- und 40-Stundenverträge mit Kranken-, und Renten-Versicherungen zu besorgen. Eine wurde bei uns Chefin einer eigenen Schulküche, einer Hausmeister, bis er eine Lehre als Computerfachmensch absolvierte und zwei leiteten einen täglich genutzten Kunstraum der Schule. Es war der Unterschied der Übergabe von Eigenverantwortung oder der „großzügigen“ Einstellungsmentalität.

 

Pädagogische Ganztagskräfte als Assistenten
Viele wurden vom Ganztagsverein mit 400-€-Verträgen eingestellt. Dies waren bis zu 11 Menschen im Schuljahr. Sie wurden nie Angestellte einer betriebsfremden Firma, sondern der schuleigene Verein den Ganztags (FLieG) blieb der Arbeitgeber. Es gelang uns den Vormittag und den Nachmittag zu einem Schultag zu integrieren. Im Gegensatz zu anderen OGS-, also Offene-Ganztags-Schulen schrieben wir immer schwarze Zahlen. Über 60% der Schüler*innen blieben den ganzen Tag. So schafften wir Arbeitsplätze an Vor- und Nachmittagen.

 

Angestellte anderer Geldgeber
Drei Jahre lang konnten wir eine Sozialarbeiterin vom kommunalen Schulamt, also der Landesregierung einstellen, deren Aufgabe es war Unterschichtler zu sagen wie sie an Geld für ihre Kinder kommen, das ihnen gesetzlich zustand. Sie füllten mit ihnen oder für sie die Anträge aus und sorgten für das Wegschicken der Post. Darüber hinaus begleiteten sie alle Kinder in ihrem selbstorganisiertem und eigenständigem Lernen. Ihre Spezialität war das Bearbeiten der eigenen Themen der Kinder. Sie richtete einen Waldraum ein. Leider wurde dieser Job wieder ersatzlos gestrichen.

 

Eine zusätzliche Lehrkraft der Schulaufsicht machte für zwei bis drei Jahre eine „Lounge“ auf. Sie brachte den Kindern nicht bei zu lesen. Das Lesen zu lernen hatten sie bei uns bereits selbst getan. Sie brachte ihnen bei Bücher zu lesen.

 

Trotzdem ließ der Staat uns immer unterbesetzt. Nicht nur in Coronazeiten ist die Grundschule ein Sorgenkind deutscher Bildung. Z.B. gibt es in den Gemeinden nur die Hälfte des Geldes für Grundschulkinder. Mit nur dem staatlichen Personal pflegst du als Schulleiter*in fast immer den Notstand.

 

Wo immer es Mittel gab („Skills for life“, „Kunst in der Schule“, die „Waldschule“ und einiges mehr7) beantragten wir diese und bauten die Angebote meist für eine oder zwei Wochen, ein Jahr, aber auch länger in unseren Lernalltag ein.

 

Wir suchten die für uns ebenfalls kostenfreie Kooperation mit dem Deutschen Tennisbund (Ein Spieler namens Jimmy Little kam in unseren Sportunterricht), dem Golfspielen (Wir gingen über zwei Schuljahre golfen), dem Fernrohrbauen (Student von einer Uni), den Kirchen (Referenten, gemeinsame Projekte, Selbstverteidigung für Kinder), der Mission, der NaBu (jährliches Krötensammeln), Museen (Beethovenhaus, ELDE-Haus in Köln, Museum König), den Fordwerken (Kästen als Hochbeete) oder anderen Firmen (Kreissparkasse, Feuerwerke der WECO, Computer der Telekom), Universitäten (Köln, Bremen, Klagenfurt, Linz, Siegen, Bielefeld), die Freinet-Kooperativen (Druckerei), Kita-Vereine (Lesetage, Kinderuni von Kindern für Kinder), der Gemeinde (Umwelttage, „Stolpersteine“ oder „Fotovoltaik“), dem WDR (Konzerte, Radio und Fernsehauftritte, Sendereihen und Berichte über ein Jahr), Karnevalsvereinen (Prinzenbesuch, Teilnahme am Zug, Kinobenutzung), der Kreisverwaltung (Umweltpreisverleihung, Europawettbewerbe, Umweltschule), Vereinen und Stiftungen.

 

Hierbei waren uns oft genug Eltern und unser selbst geschaffenes Netzwerk eine sehr große Hilfe. Wir versuchten „unsere“ Schule als Einrichtung der Region, unseres „Dorfes“ zu sehen.8 Wir verwechselten den Begriff des Dorfes nie mit unserer Gemeinde. Politik und Verwaltung wollten in ihren bestimmenden Teilen die Schule nie haben.9 Sarkastisch sei bemerkt, dass sie wenigsten da „nachhaltig“ war.

 

Geldmittel und Personal Dritter
Es gab aber sonst wo ungeheuer viel Geld für Ideen, Personal, Kontakten und Fahrten in Comeniusprojekten, beim „Blick über den Zaun“, dem DAAD, der EU, bei Ausschreibungen von Preisen, bei Wettbewerben in Fächern bei Mathe, Sachunterricht, Deutsch, etc.

 

Ferngehalten habe ich mich, wo es ging, von Parteien, Gewerkschaften, Verlagen, der Bildungsverwaltung- und hierarchie, … Ich musste immer vorsichtig sein, sie kamen von selbst, du musstest sie finden oder sie kamen nie.

 

Oft kapierte ich zu spät, dass ihr Geld auch dazu da war, etwas zu kaufen. Ich kapierte auch manchmal selber zu langsam, wenn junge Menschen auf elektronische Medien setzten. Es erinnerte mich nur ans Bilderstürmen. Und meine Bildung sagte mir, dass ich da nicht mitmachen sollte...

 

Personal über Jugendämter
Und dann bekamen wir die Schulbegleitung oder offiziell „Integrationshelfer“. Wie waren AOSF - Anträge angeblich nötig, die aber dafür gar keine Voraussetzung für den Erhalt einer „Schulbegleitung“ waren. Es war nur eine Erfindung einiger Jugendämter. Auf jeden Fall bekamen „Autist*innen, Sonder– oder Förder– Schüler*innen, Menschen, die gerne ausrasteten, Verängstigte und viele andere eine 1:1-Betreuung zugesprochen. Es war unklar, ob dies geschah, damit die Regelschule „Sonderschüler*innen“ aushielt oder damit Schüler*innen die Schule aushielten.

 

Auf jeden Fall erhielten wir je nach Jugendamt (unsere Schülerschaft kam aus vielen verschiedenen Gemeinden) recht viele „Integrationshelfer“. Wir bekamen pro Jahr bis zu 11. Einige schmissen wir, die Eltern und die Kinder, wieder raus. Sie versuchten mit allen Mitteln Kinder Schule begreifen zu lassen. Andere blieben, weil sie zu den Kindern hielten. Die blieben dann auch an der Schule.

 

Erzählt sei eine Geschichte. X war Alkoholiker. Als er bei uns war, blieb er trocken. Er begriff, dass er nicht nur einem Kind „gehörte“, sondern sich selbst. Es war geborener Brite und sprach Englisch perfekt. Er lebte über ein Jahr in Istanbul und konnte recht gut Türkisch. Er konnte perfekt Deutsch. Also brachte er türkischen und kurdischen Kindern Englisch bei. Das – unter vieles andere mehr – war ein absoluter Renner, weil er zudem „Kinder verstand“.

 

Auf jeden Fall hatten wir viele Erwachsene, die Kinder verstanden. Sie ließen sie lernen. Sie halfen nicht um jeden Preis. Sie sahen Kinder nicht als geschädigte oder defizitäre Kreaturen, sondern als kompetente Menschen.

 

Lern-Kräfte aus Unis
Wir bekamen viele Studies aus allen Unis der Welt. Das bereicherte das Lernen der Kinder, weil sie mit ihnen lernten. Viele forschten mit den Kindern. Sie betrieben „echte Wissenschaften“. Sie taten dies in ihren Praktika, überlegten mit den Kindern Experimente, machten Interviews, schrieben ihre Examensarbeiten oder sogar ihre Doktorarbeiten. Einige schrieben auch für Bücher oder forschten für ihre Profs. Einige Profs kamen selbst. Andere kamen für viele Wochen und lernten bei uns und den Kindern mehr als im ganzen Studium.

 

Am tollsten waren Studies der Uni Linz oder Bremen, die auch in der Schule übernachteten. Es waren zudem Studies (3 bis 5) des Studiengangs „Inklusion“ der Uni Siegen. Sie blieben jedes Mal für drei Semester mit einem Tag pro Woche. Sie kümmerten sich um ein Kind, eine Gruppe, ein Thema oder gingen ihrer Frage nach.

 

Sie sahen andere Schulen, auch in anderen Ländern. Umgekehrt unterrichten sie, was sie konnten, z.B. Mandarin oder mit der freien Zeit umgehen.

 

Ein Ort der Lehrer*innenbildung
Die Zahl unserer LAAs oder auch Lehramtsanwärter*innen betrug pro Jahr eine bis zu vier junge Menschen, die in ihrer zweiten Ausbildungsphase als Lehrer*innen waren. Vor allem später waren fast alle Einserkandidat*innen, was sie auch hielten.

 

Wir brachten ihnen bei, dass sie niemals ihren Fachleiter*innen beizubringen hatten, wie und warum wir so lernten wie es geschah. Stattdessen sollten sie lernen, was das Seminar an Didaktik oder Fachwissenschaft lehrte - und die Mathetik unserer Schule. Sie hatten also eine doppelte Ausbildung. Sie zählten nie(!) ihre Stunden, die sie in der Schule sein sollten. Es war ihre Sache wie lange sie verweilten.

 

Sie waren die Leute von denen wir, die Lehrer*innen und Assistent*innen am meisten lernten.

 

Wir gründeten wöchentlich Sitzungen aller LAAs und so vieler Lehrer*innen wie konnten. Wir machten unsere eigene Ausbildung. Wir gingen ihren Fragen nach.

 

Auf unseren Konferenzen trugen sie ihre Themen vor und wir als Kollegium gaben all unseren „Senf“ dazu. Ihre Projekte machten sie mit den Kindern in den Kreisen und gemeinsam mit allen verfügbaren Lehrer*innen.

 

Sie arbeiten immer an neuen und alten Themen, mit großen und kleinen Gruppen von Kindern. Sie bereicherten das Lernen der Schule ungeheuerlich.

 

Unbezahlte Arbeit
Es gab unbezahlte Arbeit der Eltern. Entweder hatten wir kein Geld oder Eltern hatten genug. Eltern

 

gaben mit oder ohne Bezahlung ihre Französisch -, Spanisch - oder Türkisch – Stunden. Eltern machten Wikinger - AGs, betreuten mit und ohne Kinder das Aquarium im Forum. Sie druckten die „Lyrik mit dem Poststempel“ oder ganze Bücher, bedruckten Schul-Shirts. Da kamen die Briefmarkensammler, die Chorsänger*innen, die Posaunen- und Trompetenlehrer, die Theaterspieler und die Freundschaftsbandknüpfer*innen. Da war der Ritter in seiner Rüstung, der friesische Fibelhersteller - oder der Künstler lud in seine Werkstatt ein.Wir hatten eine eigene Schulfeuerwehr. Da gab es die Bücherreparaturmütter, Gartenbeetbetreuer*innen, die Tänzer*innen, oder Specksteinarbeiter*innen. Die kamen die Bäcker*innen und Kochleute. Es kamen Kloputzer*innen oder Geländegestalter*innen. Es waren unzählige Eltern, die ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellten.

 

Um nichts standen unsere vielen Gäste oder Hospitanten nach. Da gab es die Schachspieler*innen, die Vorleser*innen, die Zeltebauer*innen oder Chemielaborant*innen. Es gab die Papierfalter*in, Maskenbildner*in, die Brückenbauer*in, die Computerfachfrau, die Zeitungsmacher*in, das wandelnde englische Wörterbuch oder einfach die Wissende.

 

Zum Girlsday, später auch Boysday (Was fange ich am Gymnasium nur mit den zurückgebliebenen Jungs an?) oder an anderen Tagen, die sich das Gymnasium freimachte, kamen ehemalige Schüler*innen unsere Schule. Sie halfen den Jüngeren oder brachten einfach tolle Angebote mit.

 

Besonders gerne erinnere ich mich an die Mutter, die ein Jahr lang in unserem Sekretariat unentgeltlich als Praktikantin kam. Ich hatte zum ersten Mal verlässliche Verhältnisse und Vorlagen von Briefen und Schreiben, die ich gar nicht einforderte.

 

So kamen vor allem Mütter regelmäßig in die Schule, um ihren „Dienst“ zu machen. Eine Sonderpädagogin war jederzeit ansprechbar, wenn wir mit einem Kind nicht weiter wussten. Und erst die gewählten Elternvertreter, die vielen Eltern und regionalen Menschen, die Vorlesungen hielten.

 

Da waren immer die Jugendlichen, die mehr Ahnung vom elektronischen Netz und Computern hatten als wir. Aber sie forderten Gegenleistungen. So machten wir zwei LAN-Nächte mit ihnen und ihren Computern. (Sie mussten ihre Computer noch vor Ort vernetzen, um „ihre“ Spiele machen zu können.) Jugendliche waren bei uns zuhause.

 

Oft genug kämpften vor allem die Klassenlehrer*innen mit der Zeit der Kinder das eigene Lernen zu finden und den vielen Erwachsenen, die beim Lernen zur Stelle waren. Kinder hatten es raus, sich Helfer zu organisieren. Vor allem Hospitierenden sagten wir oft, dass sie sich nicht von Kindern „einspannen“ ließen. Ihr Job war das Beobachten. Wir hatten immer einen Grund für das eigene Lernen der Kinder zu werben.

 

Von Eltern extra bezahlt
Last but not least bezahlten die reicheren Eltern englische Native Speaker für alle Kinder. Sie brachten das Englische bei als es noch gar keinen Englischunterricht für Grundschulen gab. So hatten wir einen holländischen Arbeitslosen bei uns, das Lehrerkind, das bilingual erzogen war aus dem Ort. Wir hatten da die LAA aus England oder die amerikanische Schriftstellerin.

 

Als das für alle Kinder und Erwachsene kostenfreie Frühstück nicht mehr aus staatlichen Ressourcen bezahlbar schien, fanden sich sofort Eltern, die bereit waren für die Kosten aufzukommen.

 

Eltern unserer Schule verstanden sich selbst als Solidargemeinschaft.

 

Das Geld
Wir lernten, ich lernte in dieser Zeit, dass (fast) alles ohne oder mit Geld erreichbar ist. Die Menschen arbeiten, wenn für sie und andere Sinn entsteht, wenn sie als Menschen anerkannt und gewürdigt werden.

 

Wir empfanden uns als eine Insel in einer Gesellschaft, die oft anders denkt und in anderen Systemen lebt und diese verwaltet. Du findest aber auch immer die Menschen, die bereit sind etwas anderes, etwas Menschliches zu wollen.

 

Ist es vielleicht umgekehrt? Schafft eine andere Einstellung zu jungen und älteren Menschen mehr Arbeitsplätze? Menschen sind Kräfte, die du knebeln kannst - oder sie erblühen

 

1Die Probleme der Zurückdrängung der bundesrepublikanischen Horts, den Jahren der Regierung Schröder, der Verlängerung der Öffnungszeiten der Kindergärten, der „Wiedervereinigung“ mit der DDR, der zunehmenden staatlichen Finanzierung auch der „Frühen Kindheit“, dem „Entdecken“ der Rechte der Kinder als Menschenrechte, den politischen Zugriffen durch Staat und Industrie (vor allem von Renz-Polster beschrieben), der Einführung der „Offenen Ganztagsschule“ und manches anderes mehr müsste hier breiter diskutiert werden.

2Hier müsste die Entwicklung der „Entschiedenen Schulreformer“, die Gesetzgebung seit den Zeiten der Weimarer Republik, die Nichtveränderung der Selektion seit 1923, also bald 100 Jahren, die Gründung der EU, die PISA-Politik und die Bemühungen der UNO diskutiert werden.

3Siehe Homepage www.walter-hoevel.de

4 Jürgen Selge. Die Grundschule Harmonie. Eine Hommage an Walter Hövel. Erster Teil in Heimatblättern 37/2020.

Buchholz 2020. Download von Teil I und II: https://www.walter-hoevel.de/grundschule-harmonie/hommage-an

walter-h%C3%B6vel/

7Viele Beispiele in der Chronik der Schule: www.walter-hövel.de unter Chronik

8 Walter Hövel. Children Need the Whole Village. In: Rabensteiner/ Rabensteiner. Internationalization in Teacher

Education. Interculturality. Volume 2. Schneider Verlag. 2014. S.215-240. Download: http://www.walter-

hoevel.de/english/children-need-the-whole-village/

9 Walter Hövel. Denkt sich Deutschland in die Nacht. Von Hartz-4 und Hartz-44 und der Selektion im deutschen

Schulsystem. Eitorf 2021. Download: https://www.walter-hoevel.de/politische-aufs%C3%A4tze/denki-s-ich

deutschland-in-die-nacht/ oder Walter Hövel. Krokodilstränen der Wölfe. Eitorf 2016. Download:

https://www.walter-hoevel.de/grundschule-harmonie/krokodiltr%C3%A4nen/