Walter Hövel

 

Vom Kopfgehen


Kaum haben die Kinder die Schule verlassen, täglich nach Schulschluss - oder beim Schulabschluss, drehen sie sich wieder herum, drehen ab und kommen einfach wieder auf die Füße. Zumindest einige oder viele. Einige bleiben geschädigt. Die, die es schaffen, lernen einfach weiter. Viele können das sogar in der „weiterführenden“ Schule und lernen trotz Schule, schließlich sind sie ja keine Lehrer oder Lehrerinnen, sondern Lerner und lassen sich nicht so einfach Hals über Kopf irgendwo hinstellen.

 

Dabei wird an üblichen Schulen das Kopfgehen an den Schülerinnen und Schülern täglich erprobt. Zunächst werden die Basisübungen des Gefallens am Kopfgehen spätestens in der Schule schmackhaft gemacht. Die erste Übung heißt „Sitzen“, nicht mehr. Nicht Gehen oder gar Laufen, um sich auf den Kopf zu konzentrieren. Um den Kopf voll zu bekommen, mit dem Stoff, der rein soll, muss das Ding unten sein. Aber auch schon „nicht den Kopf auf den Tisch legen“ und in der Turnstunde den Kopfstand üben.


Weit über die Hälfte der Menschen wird ausgesiebt, bei ihnen geht’ es mal so mit dem Lernen, sie sind praktischer veranlagt und stehen gerne mit beiden Füßen im Leben oder stehen weniger gerne in der Schlange bei der ARGE, dem Arbeitsamt. Nicht alle sollen gegen Bares zur Universität. Hier wird mehr auf den Kopf gesetzt, hier wird Fundament im Gehirn gelegt. Welch eine Sicherheit beim Kopfgehen!

 

Eine Abteilung dieser „Ausgesuchten“ wird auf das Lehramt vorbereitet, in der Regel, die, die am ruhigsten an ihren Plätzen saßen und schon lernten nicht Sitzenzubleiben, wenn man mit Köpfchen in die nächste Klassen kam. Sie mussten auch schon gute Kopfnoten haben. Ihnen wird nun beigebracht wie man anderen etwas lehrt.

Dazu sitzen sie dann wieder drei bis fünf Jahre an der Universität und sie müssen die gesamte Theorie des Lehrens und Unterrichtes in ihre Köpfe bekommen. Das zieht nach unten, den Kopf, weil der so voll ja nach unten will. Einige fallen um oder aus oder durch und schaffen es nicht.

 

Ein Literaturpreisträger sagte einmal, dass du den Kopf so lange senkst bis er abgehackt wird

 

Andere lernen ihr Gleichgewicht zu finden, was sie dadurch beweisen, dass sie wieder in Prüfungen und Klausuren sitzen, wo sie möglichst viel aus ihren Köpfen herausbekommen müssen. Die, die das schaffen dürfen dann in ihre „zweite Ausbildungsphase“. Sie kommen zu denen, die schon seit Jahren diesen einzigartigen Handstand-Kopfstand-Gang des Lehrens beherrschen. Diese konnten Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr, einige sogar Jahrzehnte lang 45 Minuten für 45 Minuten die Kinder aus ihrer vorbildlichen Lehrerhaltung heraus motivieren, alles aus ihren Köpfen heraus.

 

Mit Didaktik lehren sie sogar Sachen, zu denen sie vorher genau das Gegenteil sagten

 

Hier lernen sie endgültig die Kunst nicht etwa Kinder lernen zu lassen, sondern sie zu unterrichten. Ja und da können sie sehen, wie diese Lehrerinnen und Lehrer, sich vor ihren Klassen verrenken, wie sie Kopf stehen, wie sie Beine ausreißen, um auch dem letzten noch etwas beizubringen, wie sie die Welt Kopf stehen lassen, damit sie auch von den „Dümmsten“ verstanden wird, sie bieten den Störern und Faulen die Stirn, so raufen sie ihre Haare, wenn sie Noten geben müssen. Sie können noch immer den Kopf schütteln, über die Leistungen und Einstellungen, haben allerdings oft Kopfschmerzen, Nacken- und Rückenprobleme, Kreislaufstörungen (Stehen sie mal stundenlang auf ihrem Kopf!). Viele machen in ihrer Freizeit etwas zum Ausgleich: Tennis, Volleyball, Walken, wandern, Yoga (mit sehr effektiven Übungen selbst im Kopfstand), Meditation, bekommen Massagen, gehen Schwimmen, machen viel Urlaub, weil der tägliche Job ja wirklich so anstrengend ist.

 

Kein Berufsstand ist solchen Problemen ausgesetzt wird die unterrichtenden Mittelschichten

 

Die Lehrer und ihre Auftraggeber balancieren ihre Köpfe mitten auf die grüne Wiese, bzw. grünen Tisch der Planung von Unterricht, wobei sie immer beide Arme und Hände benutzen, weil nur die absoluten Kopfstandkünstler ohne das Dreieck von Kopf und Händen stehen können.

 

Sie finden also zum Gleichgewicht. Dazu braucht man viele Jahre.

 

Was sagen Sie? – Lehrer stehen doch gar nicht auf dem Kopf? Oder sie müssten nur lernen – im übertragenen Sinne - wieder auf die Beine zu kommen. Sie müssten nur das Unterrichten und Belehren aufhören und nur das Recht auf eigenes Lernen in Freiheit und Autonomie wieder entdecken.

 

„Neiiiiiiiiiin!“, schreit meine fiktive Lehrerkopfgeburt, die, wenn es ums Lernen geht, immer die Dinge und sich selbst auf den Kopf stellt, „nein, wir sind so ausgebildet, das haben wir so gelernt, das haben wir immer so gemacht! Ohne den Kopf zuerst lernt der Mensch nicht! Schüler lernen nur durch guten Unterricht! Wir müssen das Lehren denken und Schüler üben, üben, üben, wiederholen und festigen. Ohne Fleiß kein Preis. Der Kopf, der Kopf ist das Wichtigste, der kommt zuerst.

 

Erhebt nicht die Hand gegen die Schule. Lasst uns auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Sei kein Querdenker oder einer, der an Weltverschwörungen glaubt. Sie müssen auch so arbeiten wie wir! Das sind Vorschriften! Da gibt es die Wirklichkeit, Erlasse, Verordnungen, Gesetze, Schulregeln und Schulordnungen.

 

Dürfen sie das überhaupt, was sie da tun??? Nicht unterrichten? Lernen lassen? Das geht doch gar nicht. Die Kinder und Jugendlichen machen doch sonst was sie wollen. Und wir brauchen unsere Hände doch um unser Gleichgewicht zu halten, da Schule eine Kopfsache ist, „Schule soll so bestehen bleiben, das hat sich bewährt“ Wenn wir uns aus dem Kopfstand begeben, kippen wir um!

 

„Wir fallen auf die Schnauze! Das wollen wir nicht. Und vor allem wollen wir unsere Kinder davor schützen.

 

Ich würde ja – vielleicht aber meine Kollegen,…und der Stundenplan lassen das nicht zu und meine Belastung!!!! Ich habe schon genug zu tun! Alle wissen doch, wie anstrengend heute Kinder sind,…und erst die Eltern, die wollen doch, dass wir für ihre Kinder auf dem Kopf stehen. Es müssten nur mehr Lehrer sein, und solche, die das Kopfstehen besser gelernt haben und vor kleineren Klassen wäre das auch einfacher.

 

Und wir verlieren sonst unseren Überblick (der ja wirklich einzigartig ist, stellen sie sich vor, wie sie Welt sehen, vorne vor den Bankreihen, den Kopf nach unten, dieser unvergleichbare Blick der die ganze Ebene des Klassenraums erfasst, unter den Bänken her, bis zur hinteren Wand!

 

Das haben schon ganz andere versucht, uns den Kopf zu verdrehen, mit Fortbildungen, Erlassen, Richtlinien, pädagogischen Artikeln, Lehrplänen, Literatur und Konferenzen,einige sogar in der Ausbildung. Wir stehen fest, den Kopf nach unten, die Welt mit unseren eigenen Händen fühlend, den Verstand immer nah an der Wirklichkeit unserer Erde. Wir geben den Überblick über unser Fußvolk, die Schüler nicht auf. Nur so sehen wir unsere Schüler, ob sie unter dem Tischen mit den Füßen scharren, mit kleinen Zetteln pfuschen wollen, im Geheimen simsen, Kaugummis unter die Bänke kleben wollen, wie sie stehen und der Mädchen Maschen und der Knaben Leisten.

 

Lieber halten wir an altbewährten Strukturen fest, ein bisschen Druck, im Kopf am Besten zu spüren, sogar mit Kopf, Herz und Hand, Noten zur Kontrolle, Tests zur Erziehung, mit mir als Kopf der Klasse. Mein Kopf gibt die Richtung an, sagt wo es lang geht, mit Erfolg und Leistung durch Unterrichten.

 

Diese Innovationen wollen alles aus dem Gleichgewicht bringen! Die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße drehen wollen – schon ein Herr Marx forderte dies – und wir wissen wohin das führte! Wenn wir unsere wohl begründete Position aufgeben, den kühlen Kopf in der Nähe des Bodens verlieren, müssten wir zu Kreuze kriechen, im Dreck uns winden, auf den Knien um Leistung flehen, könnten uns beim Kopfsprung verletzen, wir würden in der Luft hängen, von den Schulen fliegen, oder gar baden gehen, ersaufen in den Pfützen der schwindenden Niveaus, im Strudel des Chaos der Antiautoritären und Kuscheleckenpädagogen, uns verlieren, wie unter Summerhill-Sudberry-Freihets-Drogen traumtanzen zum Gespött der profanen Welt, und was sollte erst die Wirtschaft von uns denken. Die schauen immer noch auf die Schrift und Rechtschreibung! .. Zumindest hier bei uns in der Region! Nur so bekommen Sie außerdem ihren Job!

 

Auf dem Kopf stehen wir unseren Lehrer, so bieten wir der Dummheit der Stirn, hartnäckig gegen die Abschaffung von Schule und Bildung, die Hand gegen die Welt gestützt.

 

Ja, wir geben zu, dass wir die Welt so sehen wollen, dass nur so das Unterrichten des jungen Menschen zu im unsren Sinne gebildeten und erzogenen Bürgern führt. Sie wollen gar nicht selber lernen. Sie haben es nie gelernt. Nur wir wissen, was sie lernen müssen, damit sie so werden wie wir.

 

Es ist unsere heilige Pflicht sie zu unterrichten, ihnen zu lehren die Haltung zu Himmel und Erde und wie der Kopf sich beugt in Ehrfurcht vor den Zielen der Klassenarbeiten, Tests, Zeugnissen, den Berufen, der Hochschulreife und der Arbeitslosigkeit.

 

Es hat uns doch nicht geschadet, dass wir fleißig gelernt in Unterricht und Lehre. Jeder kriegt bei uns doch eine Arbeit, wenn sie oder er nur lernt, also will! Was wir tun ist Lernen!!!

 

Die Lerner brauchen uns und unser Wissen. Wo kämen wir denn hin, wenn Lerner ohne Unterricht, wenn die, die unterrichten und die die lernen verwechselt würden, wenn Schulen lernen müssten und Kinder sich darüber unterrichten würden, wie man selbst lernt.

 

Sie wollen nur die Schule abschaffen, die Anarchie ausrufen uns den Chinesen, Islamisten und Russen ausliefern.

 

Da wird noch unterrichtet! Zwar hart, oft zu brutal, aber erfolgreich. Da wird nicht SELBT GELERNT. Da gibt es noch Pauken, Anstrengung, Schweiß und wenn es sein muss, auch einmal Tränen.

 

Bleibt mit den Füßen auf der Erde, wenn ihr lernt, tragt die Köpfe hoch bei guten Noten, noch bestimmen wir, was in unserem Unterricht geschieht, wie das richtige Lehren und somit auch das Lernen geschieht. Ihr verwechselt Lernen und unterrichten und begreift nicht, dass es das Gleiche ist, macht einfach guten Unterricht und hört auf zu …“

 

So schrie er die letzten Worte mit verzweifelter und doch drohender Stimme mit hochrotem Kopf zu den eingeschüchterten Lehr-Amts-Anwärtnern als er seinen dritten Hörsturz bekam. Der nächste in der Reihe griff zum Glas sagte „Prost“ und unterschrieb die vorzeitige Pensionierung. Einer mischte sich unter die, wie er dachte kiffenden Oberstufler. Er hatte sich allerdings vertan. Sie rauchten die Schicha mit Erdbeergeschacktabak, die Mama ihnen zum 13.Geburtstag geschenkt hatte.

 

Der Schulleiter schrieb die letzten Berichte für die Qualitätsanalyse ab, während der Kommunalpolitiker dem Elternratsvorsitzenden des hiesigen Gymnasiums versprach unvermindert für die Verwandlung der Hauptschule in eine Sekundarschule einzutreten, sie nicht ohne weiteres oder sie höchstens in eine Gesamtschule umzubenennen.

 

Sie merkten es nicht, dass einige Kolleginnen und Kollegen ihre verkopfte Haltung aufgegeben hatten, aufgestanden waren und sich auf den Weg machten zur Kindergarten mit ihrem Freien Spiel, Grundschule mit offenem Lernen, Kinderparlament und neuer Leistungsfreude. Sie merkten, dass die Schule ein bisschen Kopf stand, aber die Lehrerinnen und Lehrer auf den Füßen gingen, oft langsam, aber gezielt durch das Leben.

 

Als sie sich – in Augenhöhe, - sie hatten dem Versuch widerstehen können sich am Schuleingang in den Kopfstand zu begeben, - begegneten, schauten sie sich die lernenden Kinder an und fragten: „Wie geht das?“

 

Die Grundschulkollegin war verführt zu sagen: Das Kind geht auf den Füßen!“