Walter Hövel

Die Bank

geschrieben um das Jahr 1991

 

Wir haben eine Bank zuhause. Natürlich keine Commerz Bank, Deutsche Bank oder Kreissparkasse. Unser Konto ist natürlich trotzdem überzogen. Es ist auch nicht die Bank draußen, sondern unsere Küchenbank.

 

Sie sieht uns beim Frühstücken. Sonntags etwas später als sonst. Wir sind „meine Frau“, die zwei Kinder und mich. Ich gehe noch zur Schule in Köln, meine Frau, bald schwanger mit dem dritten Kind, wenn sie kann. Die Kinder gehen zum Kindergarten und zur nahen beschissenen Grundschule.

 

Unsere Bank ist etwas besonderes, mindestens für uns. Alltäglich, besonders am Wochenende, spielt sich bei uns die gleiche Szene ab.

 

Fast immer komme ich etwas später. Schlaftrunken, weil Hannes um 5 Uhr morgens mit mir spielen will. Ich freue mich auf die Familie. Die Freude bleibt auch noch, wenn Jakob, der Jüngste, den Joghurt mit vollem Löffel nur zur Hälfte in den Mund schiebt. Die andere Hälfte geht ins Gesicht. Er verteilt auch noch was auf seine Kleidung. Nicht auf meine!

 

Meinen Kaffee mache ich dann doch selber. Hannes, unserer Ältester überschüttet „meine“ Frau und mich mit einer Unmenge von Fragen und Geschichten. Wie froh ich darüber bin, dass er so viel erzählt. Seine Mutter macht das übrigens genau so. Es ist eine Art Parallelberichterstattung, die da entsteht. Beide reden gleichzeitig. Keiner von beiden bringt eine Satz zu Ende. Es ist, als ob sie darauf achteten.

 

Dann kommt der morgendliche Augenblick, in dem sich Jakob aus seinem Kinderstuhl erhebt. Ich schnappe ihn gerade noch - wie immer. Ich habe den ersten Happen im Mund. Ich wasche ihn ritualisiert ab und setze ihn auf die Erde. Er will runter.

 

Komischerweise gebe ich mich allmorgendlich der Illusion hin, ich könne weiter frühstücken. Also eigentlich könnte ich das, wenn ich nicht so „penetrant erzieherisch“ wäre. Ich bin „so ungemütlich“. Also das soll heißen, ich „provoziere“, anstatt in Ruhe weiter zu essen.

 

Ich neige zu folgenden Vorgang: Jakob watschelt zurück zur Bank und jammert erstmals lauthals. Ich interpretiere das als „Ich will zurück auf die Bank“. Maria, sie ist „meine“ Frau, lächelt, in meinen Augen schalkhaft aus den Augenwinkeln, nimmt ihn hoch und vergisst auch nicht, aus den anderen ihrer Augenwinkel, mich etwas warnend anzufunkeln, mit ihrem Standartsatz „Jetzt lass ihn doch“. Ich habe schon lange die Contenance, heute „Gelassenheit“, verloren, dass Jakob das kann was er will. Jakob erobert die Bank, läuft zwischen Hannes und Maria auf der Bank rum. Er nimmt erreichbare Messer in die Hand, bläst die Kerzen aus, taumelt ab und zu und fällt auch schon mal fast von der Bank. Er wird vorher geschnappt.

 

An dieser Stelle fällt mir immer die Bedeutung der Bank ein. Sie ist nämlich ein Erziehungs-Abgrenzungs-Objekt zwischen Maria und mir. Ich habe nämlich die „dümmlich-konservative“ Ansicht, daß Jakob beim Frühstücken auf seinen Stuhl gehört und nicht auf die Bank.

 

Maria meint, dass er auf die Bank gehört, weil er auf ihr lernt. Und sie braucht - für mich - ein Mittel, warum sie genervt gucken kann, wenn er über sie, die Mutter klettert.

 

Ich habe natürlich das Gefühl dafür verantwortlich zu sein.

 

Was folgt ist eine klassische Soap. Irgendwann habe ich genug von dem Schauspiel, springe auf und nehme ihn von der Bank. Maria lässt daraufhin ihren mütterlichen Schrei „Nein“ los. Sie hält ihn fest, als ob ich ihr das Kind wegnehmen wollte. Dabei vergisst sie nicht ihre Augen zu Schlitzen werden zu lassen, um mich warnend anzufunkeln. Und dabei lässt sie den Satz los: „Was willst du eigentlich? Wir wollten nur in Ruhe frühstücken“.

 

Ja, wenn wir unsere Bank nicht hätten.