Walter Hövel

Ganz kleine Geschichten

 

Ich weiß wirklich nicht, was andere Leute mit meinen Geschichten anfangen können. Fur mich und meine

Geschichte als Lehrer waren sie wegweisend, warum auch immer.

 

Als mein Sohn Hannes so etwa 5 Jahre alt war und schon einige Freinettreffen erlebt hatte, fragte ich ihn einmal, was denn für ihn eigentlich ein Lehrer sei. Nach einigem Zögern meinte er, dass waren so Leute, die einem immer und immer etwas beibringen wollten.

 

Ingrid Dietrich erzählte einmal, dass sie nach einer längeren Serie von Prüfungen, bei denen auch immer das Thema Freinet vorkam, vollkommen genervt war. Sie musste sich nämlich immer wieder die Geschichte anhören, die die Studenten wohl am meisten beeindruckt hatte, dass nämlich Herr Freinet, und so hatten sie es bei Hans Jörg nachgelesen, seine Pädagogik entwickeln musste, weil er ja einen Lungenschuss im Krieg erhalten hatte. Einem Beisitzer der Prüfingskommission musste es wohl ähnlich ergangen sein, bis er laut zurück fragte: „Und was wäre passiert, wenn er einen Kopfschuss gehabt hatte?“

 

Jürgen Reichen erzählte in einem seiner Vorträge von einer Kollegin, die im ersten Schuljahr mit "Lesen durch Schreiben" angefangen hatte, obwohl sie wusste, dass sie bald ihren Erziehungsurlaub antreten würde und die Klasse eine Vertretungslehrerin bekam, die noch immer Fibelunterricht machte. Daraufhin fragte eine Kollegin aus dem Publikum, ob sie da nicht unnötig Probleme geschaffen hatte. Worauf Jürgen nur antwortete: „ Für welche von den beiden?

 

Vor vielen Jahren war ich auf einem internationalen Freinettreffen in Deutschland. Dort war eine ungarische Kollegin, die nach dem Zerfall der Sowietmacht, zum ersten Mal auf ein Treffen inswestliche“ Ausland reisen konnte, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Sie hatte schon Jahre zuvor illegal Kontakt zur fran-zösischen Freinetbewegung aufgenommen. Als wir abends zusammensaßen, begannen einige von uns Lie-der aus unserem fortschrittlichen Liedgut zu singen. Ich erinnere mich an "Brüder zur Sonne zur Freiheit“. Die ungarische Kollegin war hoch betroffen und verstand nicht, warum wir diese „stalinistischen“ Lieder sangen, dies seien „die Lieder der Verfolgung der fortschrittlichen Menschen ihres Landes“.

 

Als mir die Freien Texte begegneten, lernte ich auch eine besondere Art kennen. Schüler hatten irgendeinen Unsinn angestellt. Im Gespräch mit ihrem Schulleiter, forderte dieser sie auf, bis morgen habt ihr bei mir einen freien Text abzugeben, wo ihr mal aufschreibt, was euch dazu bewegt hat, dies anzustellen.“

 

An der gleichen Schule saß ich im Lehrerzimmer. Eine Kollegin, mir seit dem Studium bekannt, politisch hoch engagiert, kam herein, schüttete sich eine Tasse Kaffee ein, während sie mir sagte: ,J)u, draußen auf dem Hof ist eine Riesenschlägerei“, setzte sich und trank ihren Kaffee.

 

Lutz Kramer aus Schweden erzählte einmal von seinen Frustrationen, die er mit der sehr fortschrittlichen Schulreform in seinem Land erlebt hatte: „Weißt du, in meinem Land gab es nur zwei erfolgreiche Refor-men, die Verkehrsreform und die Schulreform. Bei der Verkehrsreform fuhren von einem Tag zum anderen alle Leute von der linken Straßenseite auf die rechte. Alles andere blieb wie bisher. Bei der Schulreform war es genau so.“