Walter Hövel

Und nun?


Mir wird so leicht langweilig.

Ich kenne so vieles.

 

Schon auf der Arbeit, vor Jahren, kannte ich die Situationen und die Probleme. Ich funktionierte. Ich arbeitete sie ab. Oft fraßen sie mich auf. Oft überforderten sie mich. Ich bin naiv, aber höchst aufmerksam, wenn Menschen unterdrückt werden. Ich bin gerne ein Kind.

 

Nur wenn etwas Neues passierte, und ständig passierte etwas Neues, geriet ich in Flammen.

 

Ich lebe das Leben eines Workaholics, übergepfropfte Anerkennung - und gleichzeitig das Gefühl nichts wert zu sein.

 

Ich bin jetzt pensioniert, seit einigen Jahren. Ich schreibe meine Zitate, meine Artikel. Ich male hin und wieder, koche, bügele, wasche, räume auf. Ich mähe ab und an den Rasen oder schneide ein paar Äste ab. Am liebsten liege ich zuhause auf meinem Bett.

 

Ich habe ein paar Freunde. Ich treffe sie gerne um mit ihnen zu reden, zu essen oder zu kochen. Sogar mit meiner Frau rede ich. Die Vorwürfe und Argumentationen werden weniger. Ich rede mit allen Kindern.

 

Ich schaue meine Mails an, ab und zu einen Film oder einen Bericht im Fernsehen. Immer wenn mir etwas gefällt, brenne ich.

 

Politik ärgert mich. Corona verunsichert mich.

 

Alles reizt mich dazu an, immer wieder Texte zu schreiben, wie jetzt.

 

Ich muss viel nachdenken, eigentlich immer. Über andere Menschen, die Zusammenhänge, Beziehung, Beziehungen, über Bildung, über Gesellschaft und Politik, über meine Eltern, die Vergangenheit, meine Kindheit, meine Gegenwart. Manchmal denke ich nichts - oder mir selbst viel zu langsam.

 

Ab und an halte ich ein Seminar. Ich bin ich Leser von Arbeiten. Ich akzeptiere gerne die Themen der Studies. Ich mag ihnen nicht reinreden. Aber ich bin enttäuscht, wenn sie nicht zu Kindern halten.

 

Ich kann nichts wirklich planen. Ich überlege ein paar Aktionen, ansonsten denkt und redet es mich, - oder ich lasse einfach geschehen.

 

Ab und an lese ich ein Buch. Ich kann weder diese langweiligen Vampir-Liebes-Ulk- Geschichten ab, noch hoch stehende Literatur. Das langweilt mich wie Frau Kinkel oder fast alle Fachbücher. Ich muss auf eine junge Frau Rowlings, auf einen Romane schreibenden Stanislaw Lem, Michael Ende oder Erich Maria Remarque stoßen. Es begegneten mir Kai Maier, Frau Poznanski oder Herrn Seethaler. (Aber letztere sind zu Ende gelesen.) Ich verschlang die Bücher und habe höchstens die Befürchtung, dass ich sie zu schnell zu Ende gelesen habe und es dann wieder nichts Neues zu lesen gibt. Wie immer und früher. Manchmal beginnen auch diese Schriftsteller*innen mich zu langweilen.

 

Dabei höre ich gerne Menschen zu, die etwas Spannendes zu erzählen haben, ob sie nun Paul le Bohec, Jürgen Reichen oder Wolfgang Mützelfeldt heißen. Oft widersprach ich ihnen. Ich muss nicht ihrer Meinung sein. Ich genieße bestimmte Werke von Max Ernst, Pina Bausch oder John Lennon. Ich erprobe am liebsten an mir selbst, etwa einen Arno Stern, einen Augusto Boal oder eine Elise Freinet.

 

Eigentlich sollte ich mit mir und meinem Leben zufrieden sein. Aber immer wieder erfasst mich Langeweile, Desinteresse, Sinnleere. Richtig depressiv bin ich nicht. (Auch wenn einige - vielleicht zum eigenen Schutz - das behaupten). Ich bin gerne mit mir alleine. Andere Menschen regen mich an, sind mir aber nach einiger Zeit zu anstrengend. Ich gehe gerne.

 

Reisen, nicht die Reise, langweilen mich eher, erst recht der Tennisclub oder die xte Inklusionssitzung. Um etwas mit Freude zu tun, muss es meins sein. Es ist es aber nur solange es entsteht. Ist es fertig, wird es mir fremd. Nur weniges lebt für mich weiter. Manchmal ist es auch etwas anderes, etwas Zufälliges, wie ein Feuerwerk, eine Mandelblüte oder die Scherben eines Spiegels, die mich brennen lassen.

 

Ich gehe gerne Essen, und das Trinken schmeckt oft nach ein paar Gläsern nicht mehr. Drogen interessieren mich so wenig wie Sport oder Mode. Dagegen liebe ich viele Formen der Ästhetik. Ich verabscheue das Schoppen, das Konsumieren, liebe aber passende Klamotten und etwa den Jugendstil.

 

Ich habe Angst vor Spritzen und keine Ahnung wie ich einmal sterben soll. Ich lache über schwarzen intelligenten Humor, Situations- und Sprachkomik oder sogar über mich selbst.

 

Ich kann weinen, wenn andere weinen, einer eine Medaille gewinnt oder ich „was Kölsches“ erlebe. Ich rege mich auf, wenn einer faschistoiden Quatsch oder die Unwahrheit erzählt. Beim nächsten Mal kann jemand ungestört braune Kacke und Beleidigendes erzählen. Es lässt mich kalt, ich kann schweigend oder vernichtend rational argumentieren. Ich mag den Karneval im Saal nicht, den "Spaß" der Bürgerlichen nicht.

 

Gerne kenne ich zu jedem das Gegenargument. Selten gibt es wirklich Neues, Ich weiß nie, wie ich gleich reagiere. Zu oft weiß ich erst im Nachherein, was ich Tolles erlebte. Zu oft eröffnet mir erst die Sprache was ich erlebte. Oft habe ich tiefen Respekt vor den Erlebnissen und Taten anderer.

 

Mich stört mein Übergewicht, meine Faulheit, mein mangelnder Ehrgeiz oder mein Verlangen nach Anerkennung, meine Sturheit, mein Aufbrausen, Schimpfen oder "dummes Gequatsche" oder zu schnelle Bereitschaft, meine Uneinsichtigkeit oder meine kooperationsbereite Naivität, mein zu oft auftretendes Desinteresse,  meine Verletztheit oder mein undurchdringlicher Panzer, mein Schweigen oder mein nicht enden wollendes Kommentieren, meine Selbstkontrolle oder mein ausbrechendes Selbstmitleid.

 

Und dann meine Sehnsucht alleine zu sein. Meist bin ich froh auch liebe Gäste wieder zu verlassen. Sie tut mir selbst und anderen weh. Sie verletzt, ich verletze. Sieht so unverantwortlich aus. Menschen glauben verlassen zu werden, dass ich mich abwende. Dabei suche ich mich selbst. Nur so spüre ich andere. Ich fühle kaum Gefühle oder Emotionen. Streit mit anderen wie Pia, Frank oder Severin mag ich eigentlich nicht. Aber ich kann sehr stur sein. Andere ehre ich, sie hielten immer zu mir, wie Ute, Falko, Angela, Angelika oder andere.

 

Ich wünsche mir oft ich könnte Euch, meiner Frau, meinen Kindern und Enkeln, meinen Freunden, meinen Mitmenschen, und manchmal auch mir selbst, meine Liebe öfter zeigen.

 

Ich liebe Sprachen, alles mit und über Sprache. Ich spreche gerne Kölsch und Englisch und lese Texte lieber auf Deutsch. Ich liebe Italienisch.  Ich kann einiges auf Türkisch. Mir fehlt aber jeder Ehrgeiz mehr zu lernen. Ich bin faul und besessen.

 

Meine Zeit rast und ich mit ihr, in ihr ruhend, mitgerissen und mitreißend. Oft bin ich bereits nicht mehr da.

 

Ich freue mich aber auf meine Termine in dieser Woche, das Einkaufen in der Metro, den Besuch bei Jakob in Bonn, das Treffen mit Alexander in Hennef, die Telefonate mit Karl oder den Studies, die Sitzung bei der Osteopathin, das Kochen und Reden mit Marco und Jessica, das Meditieren beim Hausarzt, der Besuch bei Yesim in Köln, das Lesen der Bachelorarbeiten, die Stunde bei der Masseurin, das Interview bei der Mahnwache und das Wachen selbst. Dazu kommt bestimmt noch ein Gespräch mit Uschi und Rudi, mein Schreiben, mein Musikhören. Meine Termine in 5 Tagen. Großsucht?!

 

Und wie sie mir wieder unwichtig werden, wie Telefonate mit Studies, der Besuch bei Yesim, bei der Mahnwache, anderes bleibt und kommt sogar wieder.

 

Ich denke oft an meine Mutter. Ich liebe das Alleinsein, aber im Gegensatz zu ihr, liebe ich auch das Reden und Treffen mit vielen Menschen, die mich interessieren. Interessiere ich sie? Eine rethorische Frage.

 

 

Und so liege ich hier und schreibe diesen Text.