„In Harmonie ist eine runde Kirche”

 Erinnerungen des ehemaligen Schulleiters Walter Höve

 

...auf jeden Fall lagen die Grundschule und die katholische Kirche keine 100 Meter auseinander. Es fiel mir sofort auf, als die Schule 1994-1996 gebaut wurde.  Dort sollte ich Schulleiter der örtlichen Grundschule mit gut 200 Kindern werden.

 

Ich war durch Elternhaus und Erziehung, durch eigene  Erfahrungen mit einem erzkonservativen, sexuell bösartigen Priester und dem auch kirchlichen Zwang meiner eigenen gymnasialen Bildung frontal gegen Kirche eingestellt.

 

Kirche ließ uns als Schule in Harmonie zunächst in Ruhe, das heißt, es kam keiner. Dann tauchten Menschen auf wie Andreas Garstka, der Jugendreferent der Gemeinde in Eitorf-Mitte und Harmonie, deren Pfarrer Alexander Lubomierski, der Diakon Horst Geuß und eine Frau namens Marlies Schmitz.

 

Und siehe da, sie suchten einen Kontakt auf demokratischer Augenhöhe. Und gleichzeitig taten dies gleichzeitig nicht nur ebenfalls der Kollege der evangelischen Kirche und seine Frau, sondern sogar Imame der islamischen Gemeinde.

 

Das passte nicht in mein Weltbild. Meine Skepsis gegenüber den Taten jener Institution schwand nicht, aber ich gewann partiell, bei einigen Personen mehr, Zutrauen in unseren Begegnungen. Ich wunderte mich, dass es noch Christen in der Kirche gab.

 

Hatte ein Armer kein Geld mehr, half der Diakon. Hatte ein Kind eine religiöse Frage, kamen der Familienreferent oder Pfarrer so schnell es ging in die Schule. Diakon und Familienreferent bereiteten die Gottesdienste grundsätzlich mit den Kindern vor und hielten ihn öfter im Forum der Schule als in der Kirche. So fand eine der Messen in englischer Sprache statt.

 

Und als Sankt Josef weit über ein Jahr restauriert werden musste, wurde die Gemeinde und ihr Gottesdienst jeden Sonntag im Forum unserer Schule abgehalten. Wir wuchsen zusammen. Die Schule bekam  nach über einem Jahr der Beheimatung in unserem Gebäude den Schlüssel der Kirche. Wir konnten den (fast) runden Gottesdienstbereich und zwei Nebenräume nutzen. Manche Feier, Meditation und tägliche Lernarbeit wurden dort geleistet.

 

Bald gab es im AG-Programm der Schule wöchentlich eine „katholische Selbstverteidigungsgruppe“. Sehr viele Kinder wuchsen daran. Wir konnten unter anderem einen Missbrauchsskandal mit der Hilfe des Kindes, seiner Mutter, einer nicht aufgebenden Kommissarin und der Kirche (!) aufdecken. Der Täter verschwand sofort als Kommunionhelfer und aus der gesamten Jugendarbeit, nicht nur der Kirche.

 

Der Familienreferent gab bald zur wöchentlichen Messe eine eigene Stunde des Gesprächs, offen für alle (!) Kinder, die dorthin wollten. Wir machten zusammen mit interessierten Kindern einen Wandbehang, auf dem Kinder die gesellschaftliche Stellung von Frauen gestalteten. Welch ein anderer Ausdruck von Wirklichkeit im Kirchenraum als zu späterer Zeit, als ein überdimensionales traditionalistisches Jesusbild der Hl. Schwester Faustyna aufgehängt wurde.

 

Eine Kollegin malte mit ihrer Klasse die Fußbodenkacheln der Kirche nach. Die Bilder bildeten dort eine Ausstellung. Wir machten gemeinsam eine eigene Wallfahrt mit einem gemeinsamen „Abendbrot“ mit Pide und Weintrauben, , Fürbitten auf in den Fluss gelassene Holzbötchen, Landartmandalas und Gesängen. Wir  besuchten mit vielen Gruppen unserer Kinder die Chagall-Ausstellung, die Marlies Schmitz in der Kirche organisiert hatte.

 

Wir unterstützten Menschen armer Schichten, bildungsbewusste Bürger*innen oder gläubige Menschen darin, ihre Kinder oder Enkelkinder inklusiv zu beschulen. Wir konnten mit Sinti, Griechen , Mitbürgern polnischer oder russischer Abstammung und vielen anderen „Migranten“ kooperieren.

 

Unsere Schule fand mit Hilfe der Kirche Zugang zu manchem Alten- oder Behindertenheim und zu den Herzen vieler Menschen.

 

Wir konnten mit der Hilfe der genannten Personen der Kirche, vor allem Marlies Schmitz, vielen Kindern mit einem „Blickmobil“, zu "autistisch" und zu "behindert" erklärten Menschen helfen. Wir kooperierten engstens mit dem Chor „Young Hope“ aus der Mitte der Kirche. Dies mündete mit der Gründung eines regionalen Kinderchors durch Sandra Krist.

 

Mit Landesmitteln, vermittelt von der Kommune, organisierten wir, die Schule und die Kirchen, ein großartiges ganztägiges Konzert vieler Bürger*innen „gegen Gewalt“.

 

Last but not least waren in der „Blütezeit“ unserer Beziehungen alleine an unserer Schule sechs von acht bis neun feste Lehrer*innen als ausgebildete  Religionsfachkräfte aktiv. Ich selbst kandidierte zweimal als Mitglied des Pfarrgemeinderats und wurde beide Male zum Vorsitzenden gewählt.

 

Als es darum ging, dass der Ortsteil Harmonie seinen 100-jährigen Geburtstag ein Jahr lang feierte, planten Kirche und Schule  Events mit den Bürger*innen der Gemeinde . Manche Information und manche Festlichkeit fanden ihre Realisierung.

 

Großartig war der Ortsausschuss Harmonie. Er brachte dem Ortsteil ein Zentrum, das fehlte. Hier nahm, bis zu ihrem Weggehen, die Kollegin Christine Schaumann von der Schule verbindlich teil.

 

Außer den obligatorischen Einschulungsfeiern, vielen Wochenmessen und unserer Lernarbeit in den Räumen der Kirche fand der Großteil der Zusammenarbeit in der Schule , vieles im Wohnort oder der Zentrale der Kirche in der Ortsmitte statt. Nicht die Existenz von Orten gemeinsamer Nutzung, die wichtigen 1000 Gespräche und vielen Aktionen machen den Kern, sondern das Wissen mit verlässlichen Partnern kooperieren zu können.

 

Leider schickten die Kirchen selbst diese Menschen fort und opferten sie ihrem konservativen Mainstream. Dazu passen dann eher der falsche Umgang mit dem Missbrauch von Kindern und Erwachsenen, der wie in Eitorf negative Einfluss auf kommunale, aber dann auch nationale und internationale Politik, die falsche Sprache der Predigt oder aus der eigenen Historie heraus, die  immer wieder zu findende Anbiederung an Macht und Mächtige.

 

Der andere Grundgedanke aber sei am Beispiel des afrikanischen Spruchs erklärt: „Erziehung braucht das ganze Dorf“. Das Dorf sind Wir! In der heutigen Zeit braucht gerade eine moderne Gesellschaft angesichts Vielfalt und Diversität ihrer Menschen Zentren ihrerselbst. Diese Zentren können nicht nur Leben gestalten oder allen Schichten die Teilhabe am gesellschaftlich Diskurs verschaffen, sondern auch gemeinsam Bildung vermitteln.

 

Erzieher*innen und Lehrer*innen schaffen in ihren Kitas und Schulen heute und in absehbarer Zukunft nicht mehr alleine die Vermehrung von Erkenntnissen und Kenntnissen. Hier wird, wie ein elektronisches Netz uns vormacht, die Zusammenarbeit, weit über eine Vernetzung hinaus, das ganze „Dorf“, die Region oder Heimat der Menschen gefragt sein. Unsere Zusammenarbeit gab ein Beispiel für dieses Hineinkommen in die heutige demokratische Welt.

 

Mit den zwielichtigen Abgängen wichtiger Personen – beider Kirchen - endete die Zeit der Kooperation. Von allen war lange Jahre nichts zu hören und zu sehen. Ein neuer katholischer Geistlicher setzte nach einigen Jahren die Gottesdienstarbeit fort. Aber die Arbeit ist nicht mehr beseelt vom Bild, dass diese Kirchen vorgeben von Menschen zu haben.

 

Die neuen Entwicklungen trieben mich zurück in meine alte Skepsis, ja Ablehnung gegenüber dieser veralteten Kirche. Ich kann meiner antiklerikalen Einstellung gerecht werden.

 

Was blieb sind Freunde, die ihre Zusammenarbeit zur Findung der Würde jedes Menschen und der Menschenrechte fortsetzen, wo immer es geht – und die Erinnerung, dass Kirche in diesem Geist auch ganz anders sein könnte, als ich sie zu oft erlebt habe und erlebe.