Walter Hövel
Belastbarkeit, oder besser Resilienz

 

Die Belastbarkeit hat sich verändert
„Oh nee, nicht das auch noch. Ich bin nicht mehr belastbar.“ Das durfte man früher sagen. Heute ist „Belastbar-keit“ nicht nur ein Zahlungskriterium für Krankenkassen.

 

Belastbar sind Brücken oder andere Konstruktionen. Menschen bei der Arbeit, ihre Psyche und ihre Körper sind es auch. Religion oder Psychologie fragen: „Was macht Menschen belastbar?“ Es gibt Konzepte der Belastbarkeit. Du bist verantwortlich für die Erhaltung der eigenen Arbeitskraft zum Verkauf deiner Zeit.

 

Deine emotionale Belastbarkeit ist deine Resilienz. Wenn Mediziner, Soziologen, Ethnologen oder Psychologen sich mit der Stressbelastbarkeit befassen, reden sie meistens von Resilienz.

 

Laut Wikipedia „bezeichnete Resilienz auch eine spezielle Eigenschaft von Personen (besonders Kindern), die ihre psychische Gesundheit unter Bedingungen erhielten, unter denen die meisten Menschen zerbrochen wären. ... Um ein Kind als „resilient“ zu definieren, wurden oft Merkmale der Lebensführung miteinbezogen. Häufig wurden etwa Kinder so bezeichnet, die – trotz Bedingungen wie Armut oder Flüchtlingssituation in der Kindheit – im Erwachsenenalter eine qualifizierte Berufstätigkeit ausübten, nicht mit dem Gesetz in Konflikt kamen und psychisch unauffällig waren. Später wurde die Bedeutung ausgeweitet. Dies ist mit der Erkenntnis verbunden, dass psychische Widerstandsfähigkeit nicht nur in Extremsituationen, sondern immer von Vorteil ist. Heute werden Menschen mit diesem Merkmal allgemein als resilient bezeichnet. Der Begriff wird nun zum Beispiel auch für Menschen verwendet, die mit Belastungen der Arbeitswelt in angemessener Weise umgehen und so ihre psychische Gesundheit erhalten.“1

 

Kinder und Jugendliche scheinen bei der Vorbereitung auf die Present- und Future-Zeit unendlich belastbar. Viele Kindergarten-, Schul- und Ausbildungskonzepte wollen es so. Aber sie werden - vielleicht deshalb - immer menschlicher. Kinder und Jugendliche nehmen sich das Wort und fordern Veränderungen für ihr jetziges und zukünftiges Leben. Sie wollen mitreden und mit bestimmen.

 

Belastbare Aussagen von Wissenschaft

So sind heute auch „Studien“ oder „wissenschaftliche Untersuchungen“ „belastbar“. Die Aussage der Belastbarkeit berechtigt als Beleg für eine Behauptung benutzt zu werden. Ein Begriff erweiterte sich zum Schutz oder Umgang der Menschen. - Und wie immer wird versucht, diesen Begriff wieder als Vokabel der Beherrschung von Menschen „zurück oder umzuwidmen“.

 

Rechte Kräfte machen es sich sehr einfach. Schon Hitler und seine Vorgänger erklärten die bestehenden „Wissenschaften“ als irrelevant, um auch heute noch behaupten zu können, was ihnen nutzt. Oder sie gründen ihre eigenen Institute und Wissenschaften, um zu veröffentlichen, was sie „als alternative Wahrheiten“ sehen wollen. Sie manipulieren mit ihrer eigenen Propaganda.

 

Demokratische und linke Kräfte dagegen werden gerne anerkannt. Sie tendieren dazu „Belegbares“ zu sagen. Doch, wer bestimmt, ob welche Untersuchungen „belastbar“ sind? Wir wissen, dass Wissenschaften käuflich sind und große Firmen sich eigene „wissenschaftlichen Institute“ halten. Wird die Überprüfung der „Belastbarkeit“ deiner Aussagen zu einem „freiwilligen Resilienzcheck“?

 

Machen dabei Kriterien, wie die Menge der Untersuchungen, die Menge der einbezogenen Menschen, an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten, etc. Aussagen verifizierbar? Doch wer entscheidet was solche Kriterien sind, Bundesministerien, die Wissenschaft selbst? Vielleicht fällt die Entscheidung bei google oder Amazon in den USA? Oder das macht die „Presse“, der Zeitgeist, Likes - machen es demokratische Abstimmungen oder Institutionen?

 

Oft sind es unwahre Erfindungen, wie das Nichttaufkochen von Spinat , die Jungfräulichkeit Marias, Wikingerhelme mit Hörnern, Gleichmut bei Armut und Krankheit, das“ natürliche“ Recht der Kaiser und Könige oder eine Dolchstoßlegende? Bestimmen sie nicht auch das Denken und Handeln der Menschheit? Darf mensch da nicht auch schon einmal behaupten, dass Vögel bei gestimmten Strahlen, einer Technik oder Chemikalie tot vom Himmel fallen?

 

Das gesamte Denken der Menschen wird als „idealistisch“ oder „systemisch“, also als anders als die Realität ist, als selbst erklärt oder gemacht, dargestellt. So gibt es Menschen, oft Anführer, die behaupten, dass es keine Klimakatastrophe gibt, der Mensch wie in der Bibel beschrieben beschaffen wurde oder die bestehende Schule alle gleich bildet. Aber wir streben dazu die „Wahrheit“ zu erfahren, uns selbst zu vermenschlichen.

 

Belastbare Presse
2018 schreibt Vanessa Reske beim WDR unter „Darum solltet ihr nicht jeder Studie glauben“:
…Eine Metaanalyse der amerikanischen Wissenschaftler Jonothan Schoenfeld und John Ioannidis zeigt, dass etwa 80 Prozent der amerikanischen Ernährungsstudien nicht wissenschaftlich belastbar sind und sich teilweise gegenseitig widersprechen. … Um mehr Geld für ihre Forschung zu bekommen, versuchen Wissenschaftler Ergebnisse zu veröffentlichen, die neu und weltbewegend sind. In der Realität sind die Erkenntnisse allerdings oft unspektakulär oder lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten. … Die Versuchung ist groß, die Daten etwas zurechtzubiegen oder kleinste Tendenzen aufzubauschen … Manche Umfragen deutscher Marktforschungsinstitute sind fast vollständig frei erfunden, hat eine Recherche des Magazins "Der Spiegel" aufgedeckt. Auch manche medizinische Studien zu schwerwiegenden Erkrankungen werden von Wirtschafts- und Pharmaunternehmen manipuliert. Sie bestechen Universitäten oder Marktforschungsinstitute mit großen Summen, um Studienergebnisse zu erstellen, die ihr Produkt hervorheben.... Oft werden Ergebnisse von Studien mit weniger als 20 Teilnehmern auf die gesamte Gesellschaft übertragen. … Zwar ist es nicht immer einfach, gute von schlechten Studien zu unterscheiden. Es gibt aber einige Hinweise: In der Regel werden gute Studien von unabhängigen, renommierten Instituten durchgeführt und sie haben eine große Teilnehmerzahl, sind nicht finanziell beeinflusst und laufen über einen langen Zeitraum. Gibt es keine Informationen dazu, sollte man misstrauisch bleiben.“2

 

Aber was sind „unabhängig, renommierte Institute“? Wer ist bestechlich, wer nicht? Woher bekomme ich zuverlässige Informationen? Die Frage steht, wer über die Belastbarkeit der Belastbarkeiten entscheidet?

 

Im Falle von Menschen wollen das gerne „Arbeitgeber“ oder wiederwählbare, populistische Politiker*innen sein. Wir müssen wissen, dass viele von Ihnen für ihren Gewinn oder Vorteil lügen und lügen lassen. Sie wollen die „Wissenschaften“ benutzen, die aber allen Menschen gehört. Konsum setzen sie als ihren erfolgreichen Verkauf und Kauf. Auch sie finden ihre unterstützende Presse.

 

Politische Belastbarkeit

Die Zerstörung der CDU“3 war der Titel eines Videos im Vorfeld der Europawahl 2019, vom Webproduzenten Rezo veröffentlicht. Es hatte 13 Seiten Quellenverzeichnis. Hierin kritisiert er die aktuellen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowie die AfD und FDP. Besonders der CDU/CSU wirft er vor, „zur immer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich beizutragen, den Klimawandel mit voranzutreiben und die USA in ihren kriegerischen Auseinandersetzungen zu unterstützen“.

 

Weitere über 70 Blogger*innen lassen in einem zweiten Film folgen: „Wählt nicht die CDU/CSU, wählt nicht die SPD. Wählt auch keine andere Partei, die so wenig im Sinne von Logik und der Wissenschaft handelt und nach dem wissenschaftlichen Konsens mit ihrem Kurs unsere Zukunft zerstört. Und wählt schon gar nicht die AfD, die diesen Konsens sogar leugnet.“ Eine ganze Generation erhebt sich mit seinem neuen Medium.

 

Der Generalsekretär und die Vorsitzende der CDU werfen ihnen vergeblich „Pseudofakten“ vor. Ein Energieforscher unterzog die Entgegnung der CDU einem Faktencheck und hielt fest, er habe „keine belastbaren Aussagen der CDU gefunden, welche die Inhalte in Bezug auf Klimaschutz des Videos von Rezo substanziell widerlegen“4 würden.

 

Erst vollkommen hilflos und überrascht wurde nach der Wahl die Taktik des „Totschweigens“ und Splitten der zurecht gesammelten wissenschaftlichen Fakten gewählt. Die Armut und Kriegsführung wurde vernachlässigt, beim Klimaschutz war das schwerer. Die „Belastbarkeit“ musste zumindest in Teilen anerkannt werden.

 

Aber Rezo und die vielen Anderen haben aufgezeigt, dass es an uns Menschen ist, immer wieder und immer wieder neu, wissenschaftlich korrekt, selbstbewusst entlang der Faktenlage zu publizieren. Menschen entdecken auch politisch ihre Resilienz.

 

Manchmal sagen wir zurecht Dinge, die Herrschende nicht als „belastbar“ anerkennen wollen. Wir müssen immer wieder Belastbares, also „Wahres“ sagen, gegen Könige und Fürsten, gegen Konzernbesitzer und Regimevertreter, die ihre Herrschaft über Menschen, Klima und unser Leben „mit Gott, Macht oder Natur gegeben“ begründen wollen.

 

Die Vielfalt der Resilienz der Widerstände hat auf mehreren Ebenen zugenommen. Bisher waren Kinder und Jugendliche nicht unabhängig von Erwachsenenorganisationen. Sie waren in der Regel „ihre“ Jugendorganisationen. Nun verselbstständigen sie sich . Zudem haben die widersprechenden Jugendlichen und Kinder ihre Heimat nicht in staatstragenden, autoritären, rechten Institutionen, sondern sind eher der Tradition eines kritischen demokratischen Lager zu zu ordnen. Das andere Problem herrschenden Denkens ist, dass soziale und Umweltfragen eher zu einander fanden.

 

Noch nie waren die Argumente der Ausbeutung von Natur und Mensch so eingeschränkt. Zur Zeit setzen deshalb diese Kräfte auf Nichtberücksichtigung, Nationalismus und die Kraft der eigenen Bildung.

 

Belastbare Sprachen

Wie so oft lenkt der Blick in die englische Sprache Was heißt hier „belastbar“? Es sind „reliable“, scientifically based“, „safely“, „statistically-robust“ oder „valid“, „suitable“, „strong scientific“, „providers and lenders based“, „solid scientific“ oder „consistant scientific“ „studies“. Es setzt sich der Begriff der „resilient studies“ durch.

 

In einigen anderen Sprachen (in unserer Schreibweise) heißt „belastbar“: „veerkragtige, elastic, maran, chkun, esnek, möhkəm, otporan, Tánxìng de, robust, vastupidavad, nabanad, kimmoisa, résiliente, elastikós, mai juriya, lacheela, athléimneach, elastis, seigur, resiliente, Danryoku-sei no aru, rizilyant, ïkemdi, resistent, thn, turuktuu, tanlyeog-issneun, thonthanto, mollis, izturīgs, atsparus, tiflaħ, uyan khatan, sprężysty, Yụ̄dh̄yùn, pružný, elastir, Lacakīlā, uprugiy, Nekiḻtiṟaṉ, rugalmas, bardoshli, kiên cường, fearkrêftich, ukomelela, resilient, tsy voahozongozona oder ukubekezelela.

 

Bald werden alle von Resilienz sprechen. Wird uns angesichts des Dauerstresses und Konkurrenzdenkens das eigenständige Denken abgenommen oder vereinfacht? Oder sind es Hilfsmittel? Müssen wir nicht selbst sprechen und denken? Werden wir mit Demokratie und der Verteidigung von Menschenrechten “belastet”? Versuchen wir “Arbeit” an elektronische Maschinen und ihre Spezialisten abzugeben?

 

Belastbare Menschen, oder besser:
Wie lange belastet sich die Natur mit uns?

 

Dabei ist belastbare Resilienz keine Anpassung an die Ausbeutung durch Arbeit, sondern die demokratische Resilienz dient der freien Entwicklung der Menschen, der Durchsetzung der Menschenrechte aller Individuen.

 

Sind wir Menschen belastbar bis wir verschwinden in unserer selbst gedachten linearen Zeit? Oder entlasten wir Menschen uns um weiter voranzukommen? Unsere Evolution macht uns. Wir tauchen auf in dem, was wir als Geschichte von Lebewesen beschreiben.

 

Seit gut einer Million Jahren soll es uns geben, seit einigen zehntausend Jahren sprechen wir unsere sich entwickelnden Sprachen. Unsere eigene Geschichte kennen wir seit 5000 bis 7000 Jahren. Catal Hüyük oder Jericho zählen 9000 Jahre. Unsere Erde soll 4. 5 Mrd. Jahre alt sein, unser Universum 13,8 Milliarden.

 

Wir stehen heute auf der Kippe zwischen unseren besten Zeiten und unserer Selbstzerstörung. Und dann fragen wir nach „Belastbarkeit“. Ist es Zufall, dass wir uns gerade im Deutschen dieses Wort für unsere Beweise aussuchen, das etwas viel Weitergehendes beschreibt?

 

Wir wollen, dass die Menschen aufhören sich selbst und andere zu belügen. Wir wollen, dass alle Menschen sich selbst respektieren, um jeden Menschen respektieren zu können. Wir wollen die Achtung der Achtung aller Menschen, wie Janusz Korczak es schon vor 80 Jahren für Kinder forderte. Wir wissen heute, dass dies nicht über Nationalismus, Rassismus, Krieg und Ausbeutung zu verwirklichen ist. Aber nicht alle respektieren dies.

 

Es geht darum Menschen, Arbeit, Wissenschaft und Wahrheit zu entlasten. Es geht darum nicht zu „re-silieren“, also „zurückspringen, abprallen“ zu können.

 

Sollten wir nicht nur „abprallen“, sondern endlich „springen“, nicht vor etwas „zurück“, sondern endlich nach vorne, weiter springen.

 

Wir sollten nicht einfach „gehen“ (was aus Latein „ire“, „incedere“ oder „vadere“ heißt). „Springen“, „hüpfen“, „tanzen“ ist auch „bewegen“, also „lernen“. Das entlastet, macht Dinge leichter.

 

„You better move on!“

 

1https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)

3 Die Zerstörung der CDU Rezo: auf YouTube, vom 18. Mai 2019 und Folgevideo: Ein Statement von 90+ Youtubern auf YouTube, vom 24. Mai 2019

4 In: Website von Volker Quaschning, abgerufen am 25. Mai 2019. zitiert in https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Zerst%C3%B6rung_der_CDU