Walter Hövel
Gute Noten in einer schlechten Lehrerinnenbildung

 

Die allererste Phase der Lehrer*innenbildung ist die Schule selbst, die du als Kind und Jugendlicher besuchtest. Hier lernst du so zu sein wie du später bist. Du konntest Glück haben, falls du tolle Eltern hattest oder einen Kindergarten besuchtest, der seinen Namen verdiente. Oft ähneln sich noch der Geist der Familien, Kindergärten und Grundschulen. Oft beginnt erst in der „weiter führenden Schule“ die eigentliche Ausbildung. Du verlässt das „schnöde“ Kindsein um endlich „erwachsen“, also so wie die anderen Erwachsenen, zu werden.

 

In der zweiten Phase, die dann die „Erste Phase der Lehrerausbildung“ genannt wird, wird nun auf dem neuesten Stand wissenschaftlich fundiert, was vorher blanke Gewohnheit war. Oft präsentieren sie „kinderorientierte Inhalte in heterogener Vielfalt und inklusiver Menschenrechtlichkeit“. Aber die zukünftigen Lehrkräfte hören etwas, was sie so gut wie an keiner Schule zu sehen bekommen oder an der Uni selbst erfahren. Die Uni arbeitet mit den angehende Lehrer*innen so, wie diese es in der eigenen Schulzeit schon erlebten. Sie lernen möglichst perfekt zu reproduzieren, was andere ihnen vorsagten. Ihr Ziel ist die Bestätigung es „richtig“ und „fehlerfrei“ gemacht zu haben.

 

Bei schlechten Noten droht – wie schon in der Schule - der Ausschluss, oder die „Abschulung“. Bald machen die Meisten ihre Prüfungen nur noch um die Prüfung zu schaffen. Ein „guter Lehrer“ zu werden ist vielleicht noch Sekundärziel.

 

Deutschland kennt, m.W. als einziges Land der Welt, eine „Zweite Lehrerausbildungsphase“. Du glaubst nun endlich die Schulbank verlassen zu können, die du in der Regel seit über 15 Jahren „gedrückt“ hast. Aber du kommst nur in die dritte Phase deines „lebenslänglichen Lernens“. Nun kannst du, unter Aufsicht, Kontrolle und Hilfe des „Studienseminars“ lernen die „Kunst der Pädagogik“ anzuwenden. Du wechselst in die Praxis, auf die Seite der „Lehrenden“.

 

Dass du aber erst dabei bist die Seite zu wechseln, zeigt dir die Notengebung. Einerseits darfst du Kinder und Jugendliche jetzt selbst benoten. Andererseits wirst du selbst noch benotet. Was in der Schule noch an den ganzen Noten mit plus und minus erweitert wurde, erhält an Uni und im Seminar seine Krönung durch „viel gerechtere“ 0,3-Notensprünge. Endlich wird dir klar, was „für ein dummes Gequatsche“ oder „zukünftige hohe pädagogische Zielsetzung“ ein „Lernen ohne Noten“ war. Du schaffst das hier nur, wenn du mit einer Note besser als „mangelhaft“ herauskommst.

 

Wir erlebten an unserer Schule, der Grundschule Harmonie viele Jahre lang wie hoch begabte junge Lehrerinnen und Lehrer in der Ausbildung „einknickten“.

 

Alle, die bei uns ihre „Zweite Ausbildungsphase“ machen wollten, wusstest du: Du absolvierst hier ab jetzt eine doppelte Lehrer*innenbildung. Du lernst mit selbst bestimmenden Kindern „a la Harmonie“ auf ihren eigenen Wegen zu lernen und - du zeigst dem Seminar bei ihren Besuchen hervorragende Unterrichtsstunden. Versuche niemals das Seminar von der Lernweise der Grundschule Harmonie zu überzeugen. Die Lehrerlehrer, die es kapieren, tun dies selbst. Anderen lehrst du nur ihre Abneigung noch besser zu begründen.

 

Treffe dich mit dem Seminar bei ihren besten Inhalten ihrer Fachdidaktik! Lerne im Englischunterricht, dass die Kinder selbstbestimmt selber Englisch redend in echte Dialogsituationen gehen. Lerne in Deutsch, dass die Kinder ihre Sprache so beherrschen, dass sie nicht von anderen beherrscht werden und mit Sprache alles ausdrücken können, was sie beeindruckt. Lehre, dass Sprache das entscheidende Mittel zur Selbstverwirklichung ist. Gehe den Weg über das Forschen, die ureigene Fragestellung, das Aufstellen eigener Hypothesen, das Erkennen und Lösen von Problemen. Lerne die Mathematik handelnd, Aufgaben lösend, kreativ und kooperativ. Lerne mit Musik und Bewegung. Mache sie wie jede Form des Spiels, wie die demokratische Kommunikation, nicht um das Lernen zu garnieren, sondern sie Werkzeuge benutzend zu lernen. Lebe den Kindern vor, sich selbst einzuschätzen, sich zu präsentieren, das Lernenlernen zu lernen. Und hier treffen sich eben eine offene demokratische Schule und die Ziele der sich entwickelnden Fachdidaktiken!

 

Doch die „Lehramtsanwärter*innen begannen, nicht mehr sich selbst zu bilden, an den eigenen Kompetenzen zu arbeiten oder mit Freude zu lernen Lehrerin oder Lehrer zu werden. Sie wurden nicht mehr angelacht vom Lernen. Sie begannen sich selbst vom inneren Kompass des eigenen Wegs zugunsten einer Fremdorientierung am Seminare der Unis oder der Zweiten Ausbildungsphase zu verabschieden.

 

Sie hatten endgültig begriffen, dass sie bereits im Lernprozess benotet werden. Die Note für die eigene Prüfung wird mit dem ersten Unterrichtsbesuch bereits grundgelegt. Sie wissen, dass diese Besuche schon immer Schaustunden waren und geblieben sind. Hier wird, selbst wenn ein langfristiger eigener Lernprozess begleitet wird, aus der subjektiven, mal akzeptablen, mal inakzeptablen Sicht einer Fachleiterin über Schicksale, nicht über Ausbildungen entschieden. Und das bildet Lehrer*innen auch in ihrer dritten Bildungsphase. Sie wissen, dass ihre Noten über eine, ihre Einstellung entscheiden wird, also die Sicht der Fachleiter und Seminarleiter (!).

 

 Sie begannen also Stunden so zu machen, wie sie glaubten, dass ihre Ausbilderinnen und Ausbilder sie sehen wollten. Die Ausbilder*innen beteuern zwar glaubhaft, dass sie das gar nicht wollten, propagieren aber gleichzeitig, Rituale, Regeln, Formen des Unterrichts, Unterrichtsdidaktik[1] und des „guten Unterrichts“.

 

Sie mussten sich auf die Kraft ihrer Reden verlassen, ohne zu zeigen, wie das „Andere“ geht. Erst recht war keine Zeit für die lernenden Lehrer*innen vorhanden, andere Lernformen an sich selbst zu erproben, um sich selbst in diesem Prozess zu erfahren. Sie selbst hatten sie in ihrer „Schulzeit“ in den seltensten Fällen so etwas erlebt, sollen aber in ihrem zukünftigen Lehrer*innendasein ein anderes Sosein praktizieren.

 

Sie begannen die „geheimen Lehrpläne“ ihrer vor- gesetzten Ausbilder*innen zu erforschen, sie zu begreifen, nicht mehr, um möglichst viel für sich selbst und den Beruf zu lernen, sondern für ihre Note, die über ihren Berufseinstieg entscheiden wird.

 

Wer verneint, dass dies geschieht, hat noch nie mit jungen Lehrerinnen und Lehrern gearbeitet oder hält seinen eigenen (geheimen) Lehrplan für den einzigen und schon immer, richtig gewesenen oder fürchtet die Alternativen als nicht durchsetzbar oder zu radikal. Es wird also weitergewurschtelt, weil immer gewurschtelt wurde. Oder du hast Glück und stößt auf „Aus“bildnerinnen, die bilden und das auch vermitteln können.

 

Viele dieser jungen Lehrkräfte beginnen zu „klonen“, was ihre Mentoren und die Umgebung der ihnen zugeordneten Schule zu bieten hat. Meist ist dies die Ausbildung von vor 20, 30 Jahren, die damals von den damals jungen Lehrerinnen geklont wurde. Das Resultat ist was es ist: In der Mehrzahl werden junge Lehrerinnen und Lehrer die gleichen Lehrerinnen und Lehrer, die sie erleben. Und zwar so, wie man sie kennt. Sie reproduzieren, was sie selbst als Kinder in der Schule erlebt haben und was sie in der Ausbildungszeit gesehen, erlebt und durchlebt haben.

 

Selbst, wenn sie nun an der Uni oder im Seminar oder an einer selbst lernenden Schule mit kompetenten Mentoren Menschen erlebt haben, die sie zu einer veränderten, demokratischen, menschlichen, inklusiven und erfolgreichen Grundhaltung zu Lernen und Lernern auffordern, wird die Realität der Ausbildung sie zu dem machen, was das System „Lehrerausbildung“[2] will: An das vorhandene Konzept von Schulpflicht und Schulrealität angepasste Streber, Pragmatiker, Teilresignierte, oft genug schon Kranke oder Aufgeber, die versuchen, nie das „Falsche“ zu machen, damit sie keine schlechten Noten bekommen.

 

In den letzten Jahren ist es gelungen, dass die Probanden viel besser reden können als früher. Sie können viel besser auswendig, daher sagen, wie Pädagogik gehen sollte. Auch kennen sie alle Kinohalbkreis- Regel-, Ritual-, Diagnostikformen, etc., etc. und können (fast) alle dafür sorgen, dass das, was sie da zeigen, wie Unterricht aussieht. Aber die Qualität des Lernens, das Lernen der Menschen, die Qualität von Leben, die Verwirklichung der Qualität eines jeden Leben eines jeden Einzelnen, das kommt nicht in den Mittelpunkt von Erwachsenen, die gelernt haben mit Kindern zu lernen, sondern die Noten mit der Suche nach Zeugniserfolg und formaler Anerkennung, Hauptsache „sehr gut“.

 

Dann gibt es die vierte Ausbildungsphase. Du wirst Lehrerin oder Lehrer. Viele setzen nun die Anpassung fort. Sie werden wie Ihre Kolleg*innen, sorgen für Ruhe, entsprechen den Erwartungen der Kinder, der Eltern, der Schulleitungen oder der Gesellschaft. Einige „knicken“ erst jetzt ein. Sie blieben in der eigenen Ausbildung begnadete Außenseiter*innen. Erst jetzt „holt sie die Realität der Schule“ ein. Andere stoßen auf überraschend offene oder fundierte Umstände. Erst jetzt beginnen sie eine eigene qualifizierte Pädagogik zu entfalten. Wieder andere bekommen eigene Kinder. Ihre Einstellung oder ihr Verstehen öffnet sich zu neuem Mut und neuen Taten. Es gibt auch welche, die nun selbst erwachsen werden. Der Begriff des „lebenslangen Lernen“ wird wichtiger als das „lebenslängliche Lehrer“.

 

Viele Lehrerinnen und Lehrer glauben, sie müssten Kinder glücklich machen, sie müssten Eltern belehren und überzeugen. Oder sie brauchen die Anerkennung und Bestätigung der Kollegen oder Schulleitung. Oder sie müssten innerhalb der Lehrpläne und Unterrichtsstrategien ihr Bestes geben.

 

Dabei wäre es an der Zeit, auch hier über Menschenrechte nachzudenken. Die Urmutter der Menschenrechte, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung nennt drei Grundrechten als die wichtigsten: Leben, Freiheit und die Verfolgung des Glücks.

 

Es ginge im Lehrer*innenberuf „nur“ darum, das eigene Lernen und Forschen als Lebensverwirklichung, in Freiheit, mit dem Ziel des Glücks zu leben. Es geht nicht um Noten und Abschlüsse zur Befriedigung des Funktionierens, um besser zu sein als andere oder man selbst, wie Schule es provoziert. Steigern Sie nicht noch die Not mit den Noten! Sie selbst und alle anderen Lernenden leben eigentlich um zu lernen. Das braucht keine Benotung durch andere oder mich selbst.

 

Finden Sie Ihr Glück als Lernkraft!

 

 

 



[1] im Gegensatz zu einer Didaktik des Lernens. „Mathetik“ wird eher für einen Begriff aus der Mathematik gehalten. Lernen in der Schule als systemisch steuerbarer Vorgang des demokratischen Miteinanders in einer Lernumgebung ist noch weiter weg von jedem Verständnis in der tagtäglichen Lehrerinnenbildung..

[2] anstatt „Lehrerinnen- und Lehrerbildung“. Nur einige Folgen seien aufgezählt: Die Kinder leiden, die „Lehramtsanwärter“[2] leiden, das Niveau des Unterrichts leidet, die Schulentwicklung leidet, die Ausbilder leiden, und es kostet Abermillionen von Euros, die für Ausbildung, Fortbildung, Schulentwicklung, Forschung, Lehre und Wissenschaft zum Fenster hinausgeschmissen werden, und uns jeden Tag in der Schule fehlen!