Angelika von Amern und Sepp Kasper

Aysel, Aynur, Havva, Demet, Emel, Fatma

LEHRERROLLE - FREIE TEXTE – MATERIAL - KOOPERATION - ARBEITEN - KLASSENRAT - LERNENLERNEN - SELBSTBESTIMMUNG

SCHÜLERINNEN im Interview

Im 10. und letzten Schuljahr rückten Angelika und Sepp mit Mikrofon und Aufnahmegerät in unserer Klasse an einer Kölner Hauptschule an. Zusammen mit Irene Jung, Otto Vierkötter und Ute Geuss hatte ich diese Klasse im vierten Jahr. Durch viele Hospitationen waren die Schülerinnen relativ geübt im Umgang mit Lehrerinnenfragen,so dass es uns reizvoll erschien,die Reflexion der Arbeit durch diese Menschen selbst in Interviewform festzuhalten. Im folgenden Text sind kleinere Passagen ausgelassen, andere waren beim Abhören der Aufnahme nicht mehr verständlich.

Walter Hövel

 

Angelika: Fangen wir mal mit dem Verhältnis zu eurem Klassenlehrer an, bzw. zu eurer Klassenlehrerin, ihr habt ja zwei. Was haben die hier für eine Rolle?

Aysel: Das ist jetzt schwierig zu sagen.

Sepp: Ihr braucht den hier jetzt nicht unbedingt zu loben oder so.

Aysel: Nein,

Sepp: Wie geht er so mit euch um, geht er offen mit euch um, oder.

Aysel: Wir sind jetzt jeder hier in der Klasse fast wie Freunde. Also der ist schon unser Lehrer. Wir haben schon Respekt vor ihm, aber z.B. während des Unterrichts, dann stellt er sich nicht wie ein Lehrer vor, er ist da für uns wie ein Freund.

Sepp: Und was macht die Lehrerin?

Aysel und Aynur: Die ist genau so. Wir haben keine Schwierigkeiten mit den beiden.

Sepp: Wie hat sich denn das entwickelt? War das von Anfang an so, oder hat sich das erst im Laufe der Zeit entwickelt?

Aynur: Das kam vielleicht so nach einem halben Jahr.

Aysel; Wir waren ja vorher bei anderen Lehrern und da war das ja ganz anders als hier. Der hat uns das beigebracht, also dass wir ihn nicht wie als Lehrer nur sehen sollten.

Aynur: Und wenn wir mal Probleme haben, also die auch nicht zur Schule gehören, reden wir mit ihm ganz offen.

Sepp: Gibt es da denn extra Stunden für oder ...

Aysel: Nein,

Sepp: Oder ist das einfach so zwischen durch mal.

Aysel: Wir haben ja donnerstags Klassenrat.

Aynur: Auch zwischen durch.

Aysel: Und da wird das ständig reingebracht.

Aynur: Aber z.B. wenn man am Morgen kommt und hat total Probleme, dann machen die anderen schon Unterricht wir uns daran gewohnt. Später konnten wir drei dann auch zusammenarbeiten, oder mal zu zweit.

Havva: ... wir konnten nicht vortragen wie die hier ... erst hatten wir Fehler und so, und da hat er gesagt, das ist zu Anfang normal, und da konnten wir alles lernen, also erst mal mit anderen Schülern, die haben uns das beigebracht, und der Lehrer hat uns Chancen gegeben... Wir haben jetzt gelernt wie das geht.

Sepp: Aber auch mal zu so Schwierigkeiten. Z.B., wenn der Walter mal morgens schlecht gelaunt ist, oder ihr seid schlecht gelaunt, es gibt doch auch mal Krach. Was ist denn da so aufgetaucht, würd mich mal interessieren. Es ist ja nicht nur Friede,Freude,Eierkuchen, also was für Schwierigkeiten tauchen denn da auf? Und wie lost ihr dann diese Schwierigkeiten?

Aynur: Also, vor den Weihnachtsferien wollten wir eine Woche zum DGB, und dann klappte das nicht. Und da hat jeder rumgemotzt und da war die Stimmung in der Klasse total anders, da hat fast niemand mehr mit dem anderen freundlich geredet, da sind auch Ausdrücke gefallen, was hier nicht gewöhnlich ist, und haben wir uns auch hingesetzt und darüber gesprochen. Und da sind wir darauf gekommen, dass der Grund war, dass wir nicht gefahren sind, und das dadurch diese Stimmung plötzlich aufgetaucht ist. Und der Herr Hövel meinte dann, vielleicht wird das nach den Ferien wieder gut sein, und das hat gestimmt. Da hat jeder seine Laune wieder zurückgefunden.

Aysel: Natürlich hat jeder mal einen schlechten Tag. Man hat dann auch keine Lust mehr zu arbeiten. Es ist schon öfters vorgekommen, dass in einer Gruppe drei Schüler sitzen, zusammen- arbeiten, und das dann einer nichts getan hat. Derjenige, der nichts getan hat, musste halt etwas tun, also nachträglich, der braucht ja auch seine Note. Z.B. die neuen Schüler, die in die Klasse kamen, die hatten das Problem öfters, die dann einfach sagten, die anderen tun das ja schon, ich brauche es ja dann nicht zu tun. Oder die sagten einfach, ich habe keine Lust das zu tun. Aber die haben jetzt auch gelernt, das sie etwas lernen müssen. Also ich glaube, wir haben gelernt uns selber das Lernen beizubringen. - Also nicht immer durch den Lehrer.

Sepp: Also ihr seid doch alle aus der Türkei

Mehrere: Ja

Sepp: Was mich da jetzt interessieren wurde, gibt es so

Aysel: Feindlichkeiten?

Sepp: Probleme, zwischen den Jungs und euch zum Beispiel

Aysel: überhaupt nicht! Wir verstehen uns alle gut. Also in der Klasse habe ich bisher noch nicht gehört, dass es zwischen Türken und Deutschen Feindlichkeiten gibt. Also jeder ist gleich hier, egal ob Junge oder Mädchen. Wir sitzen, wenn es Ihnen aufgefallen ist, gemischt, Türken, Deutsche,

Mädchen, Jungen. Und jeder arbeitet mal mit jedem zusammen.

Aynur: Also mir ist das auch egal, ob wir Jungen, Türken oder Deutsche sind.

Sepp: Arbeitet ihr eher als Mädchengruppe zusammen, oder ist das gemischt, häufiger gemischt, ist das der Normalfall, das ihr gemischtgeschlechtlich arbeitet? Oder arbeitet ihr eher zusammen?

Aysel: Es ist bei den Mädchen natürlich so, die wollen allein, zusammen arbeiten, weil wir dann mehr Scheiße, auf deutsch, ...(Lachen)..., und wenn wir das mit den Jungen machen, die machen das ja nicht mit.

Aynur: Die wollen was anderes...

Aysel: Ja, und wenn wir vier jetzt zusammenarbeiten, dann, wenn wir nichts tun, fällt das ja nicht auf, entweder holen wir das zuhause nach, oder wir arbeiten das an einem Tag so schnell auf, das wir das wieder hinkriegen. Aber wenn ich mit den Jungs zusammenarbeite,dann ist es nicht so. Dann muss ich mit denen jedes Mal arbeiten.

Aynur: Also bei uns fehlt jetzt noch eine, mit der wir immer Zusammenarbeiten, wir vier wollen meistens Zusammenarbeiten. Aber manchmal ist das auch so, das wir bei einigen Themen mit anderen zusammenarbeiten, z.B. beim Thema "Meer" habe ich mit zwei Jungen...

Angelika: Aber das könnt ihr euch aussuchen, mit wem ihr Zusammenarbeiten wollt?

Aynur: Ja

Sepp: ... (wendet sich wieder an die "Neuen") habt ihr euch manchmal ausgeschlossen gefühlt, weil das ja alles so anders ward, ihr da ja neu reingekommen seid ...

dann reden wir ...

Angelika: Ihr seid ja jetzt ein bisschen neuer in der Klasse, wie ist das denn für euch?

Havva: Also für uns war's auch sehr gut, unser bisheriger Lehrer stellte sich wie ein Lehrer vor uns. und da kann man sich ja auch nicht so gut mit einander verstehen. Aber jetzt ist das ganz anders. Wir gewöhnen uns jetzt auch daran, er ist für uns jetzt auch ein Freund,

Angelika: Welche Rolle spielt er denn für euer Lernen, wenn er nicht mehr so die Funktion hat als Lehrer vor der Klasse zu stehen? Wie lernt ihr zusammen? Welche Rolle übernimmt er da? Was macht er für euer Lernen?

Aysel: Der ist schon unser Lehrer, wir sehen ihn auch als unseren Lehrer an, aber der zwingt uns nicht.

Demet: Also wir beschließen ja jedes Mal am Anfang des Schuljahres, in einer Woche, was wir alles wahrend des Schuljahres tun möchten, und da wird das beschlossen,und wenn die Zeit gekommen ist, dann sagt er einfach, jetzt ist Erdkunde dran, wir machen jetzt Erdkunde, und diese Themen waren ja schon beschlossen. Wir wählen dann (unser Thema) und bearbeiten es.

Aysel: Wir suchen unsere Themen selber aus. Und wie wir das bearbeiten, das entscheiden wir selber. Wir gehen z.B. zur Bücherei, in Reisebüros ...

Demet: Wir kümmern uns darum, wir gehen irgendwo hin...

Sepp: Was war das z.B. für ein Projekt, könnt ihr mal ein Beispiel nennen

Aysel: Z.B. "Frauen-Männer", da haben wir ganz alleine gearbeitet. Wir haben dann bei bestimmten Stellen angerufen, haben Termine abgemacht, haben Leute in die Klasse eingeladen, wir sind hingefahren, haben Informationen gesammelt und das dann vorgetragen. Also der hat da nichts mitgemacht.

Sepp: Hat er euch irgendwie beraten?

Aysel: Ja, wir haben ihn z.B. gefragt, wo wir die Informationen bekommen können, und da hat er uns Telefonnummern gegeben. Und das andere sollten wir alleine rauskriegen.

Angelika: Du hast eben gesagt, dass ihr zu Anfang des Schuljahres den Plan für das ganze Schuljahr zusammen

Aysel: Gemacht habt, hm, vorgetragen. Also der hat da nichts mitgemacht.

Angelika: Vielleicht könnt ihr das nochmal beschreiben. Denn an und für sich gibt es ja einen Lehrplan, was in bestimmten Klassen zu machen ist und eigentlich müsst ihr euch ja auch ein bisschen daran halten,

Aysel: Wir halten uns auch daran, z.B. das Thema "Meer" oder auch "Plastik", glaube ich, waren ja in den Lehrplanen. Aber was wir in den Themen im einzelnen machen, das bestimmen wir(!). Und wir machen ja nicht alle das Gleiche , jede Gruppe hat ihr eigenes Thema.

Aynur (verweist auf die Wandzeitung mit den Jahresthemen): Da ist die gelbe Liste, wo alles drauf steht,z.B. "Meer","Frauen - Männer" , "Lyrik" , und so weiter. Diese Themen werden gemacht, aber je zwei oder drei Schüler suchen sich darin ihre Themen aus, es muss sich nur an das Thema halten, wie z.B. "Tiefseeforschung" oder "Bodenschätze im Meer"

Angelika (wieder an die "Neuen" gerichtet); Seid ihr denn damit zurecht gekommen, dass war doch für euch eigentlich vorher anders? I

Havva: Wir hatten da keine solche Zusammenfassungen oder Vortrage gemacht, wir haben so Mappen gemacht; und das hatten wir nur abgeschrieben, also nicht richtig gelesen, wir haben uns nicht wirklich dafür interessiert. Aber hier hatten wir jetzt zuerst Schwierigkeiten mit den Vortragen, aber wir haben viel mehr gelernt und wir sind stolz in dieser Klasse zu sein. Also, hier kann man gut lernen, wir nehmen ja ein Thema, das uns interessiert, und es macht uns dabei Spass, alles rauszukriegen, weil wir das möchten, weil wir das lernen mochten.

Angelika: Und vorher? Wie war das vorher?

Havva: Wir hatten einfach so Bücher bekommen, auch aus der Stadtbücherei und so ein Thema, und da haben wir eben einfach nur abgeschrieben, Bilder geklebt und eigentlich nicht so richtig gelesen. Und wenn wir mal Vortrage gemacht haben, dann haben wir nur abgelesen. Wenn man hier aber sein eigenes Thema

wählt, geht's viel besser.

Angelika: Und wie seid ihr über die Schwierigkeiten hier hinweggekommen?

Emel: Ja, erst mal hat der Hövel uns mit den anderen arbeiten lassen, also nicht die Neuen alleine, und so haben

Emel und Havva: Ja

Sepp: Ihr hockt jetzt zu dritt hier (meint Aysel, Aynur und Demet), und ihr auch zu dritt (Havva, Fatma und Emel), seid ihr auch eine Clique?

Aynur: Bei uns fehlt noch eine.

Demet: Ja

Sepp: Aha, wie ist das denn bei euch, sitzt ihr auch zusammen, seid ihr eine Clique, eine feste Gruppe?

Fatma, Havva, Emel: Ja

Aynur: Ich meine, das kann auch daran liegen, das wir uns schon seit 6 Jahren kennen. Und die andere ist jetzt auch schon seit 2 Jahren hier.

Aynur: Wir kannten uns zwar, aber eben nur von der anderen Klasse her und vom Morgen sagen und so, aber sonst nicht.

Angelika: Können wir nochmal zu dem Punkt kommen, was passiert, wenn ein Konflikt in der Klasse ist. Ihr habt vorher gesagt, da bleibt alles liegen, da diskutieren wir erst mal drüber.

Aynur: Nein, da bleibt ja nicht direkt alles liegen, wir machen schon unsere Arbeit weiter, aber wir nehmen uns die Zeit dafür.

Angelika: Aber es gibt doch auch einen festen Termin, wo Sachen besprochen werden?

Mehrere: Ja,ja, unsere Klassenversammlung.

Sepp: Und da besprecht ihr eure Konflikte?

Mehrere: Ja

Sepp: Oder ist das für andere Sachen da, also

Aynur. Ja, da werden alle unsere Probleme behandelt, also uns wird von der Klasse geholfen.

Sepp: Was mich noch interessiert, weil ihr eben türkische Mädchen seid, es gibt doch so - ich weiß jetzt nicht, ob das ein Vorurteil ist - aber das doch zum Beispiel in türkischen Familien es strenger ist, autoritärer zugeht. Stimmt das? Also empfindet ihr das so oder hat sich das geändert.

Demet: Ich meine

Sepp: Gibt es denn da keine Widersprüche zu dem, was hier passiert? Also ich meine den Erziehungsstil, das ihr vielleicht dem Vater gehorchen must? Und hier, wenn das hier ganz offen ist, stoßen da nicht zwei Systeme auf einander?

Demet: Aber ich meine, zuhause haben wir ja auch was zu sagen. Wir sagen ja auch da offen unsere Meinung, wie wir das auch hier tun. Zuhause ist das - ich weiß nicht, - wie gut sie türkische Mädchen kennen – also alle die ich hier kenne, sagen ihre Meinung immer offen. Und die besprechen auch alles mit ihren - also nicht alles mit ihren Eltern...

Aysel: Eigentlich ist diese Atmosphäre bei den anderen in der Klasse auch so, also, wir haben hier sehr viel gelernt etwas selber zu machen, also wir müssen nicht darauf warten, das jemand anders kommt und sagt, du tust das, das man nicht weiß, was man tun soll. Also hier in der Klasse sind die Schüler selbstbe-wusster. Also da können schon viele sagen, was sie machen wollen. Die brauchen nicht auf jemanden zu warten, der ihnen sagt, was sie zu machen haben, sonst schaffst du nichts.

Angelika: Aber wie geht ihr jetzt damit um, wenn jemand sagt, ihr müsst das machen? Es kann ja sein, das ihr jetzt nach der Schule zum Gymnasium oder in eine Lehrstelle geht, da könnt ihr ja nicht mehr das lernen, was euch interessiert, oder ihr könnt nicht mehr sagen, heute habe ich nicht soviel Lust, ich arbeite dann lieber zuhause,] da kann es doch sein, das ... eine ganz andere ist?

Aynur: Also das haben wir auch gelernt, anders zu lernen, im 5. und 6. Schuljahr,

Aysel: Wir können eigentlich beide Sachen machen, auch ,wenn man uns zwingt. Wir haben z.B. Chemie-Physikunterricht, da müssen wir das mitmachen -(Lachen)- . Und da machen wir halt mit, auch wenn uns das überhaupt nicht interessiert.

Aynur: Oder z.B. im letzten Jahr waren immer diese Erweiterungs- und Grundkurse in Englisch und Mathe, da haben wir genau so gearbeitet, da waren - wir wollen jetzt nicht angeben - aber da waren wir vielleicht

besser als die anderen Schüler aus den anderen Klassen. Auch in den Noten.

Angelika: Und warum ist das so ..,

Aynur: Ich meine, wir wollen alle ein Ziel erreichen, darum müssen wir auch arbeiten.

Sepp: Also noch mal die andere Frage, das ist wohl noch nicht abgeklärt, also was ich meinte mit eurer türkischen Identität. Kommt ihr da nicht in Konflikte mit dem, was hier passiert? Also nehmen wir mal

an, ihr erzählt jetzt, was ihr hier in der Schule tut, oder das ihr mal nichts getan habt, sagt dann euer Vater oder eure Mutter nicht, das ist keine richtige Schule, was macht ihr da eigentlich, ihr müsst richtig lernen und so, gibt es da keine Probleme?

Aysel: Also meine Mutter findet das eigentlich ganz richtig in unserer Klasse.

Sepp: Waren denn eure Eltern schon hier bei Elternversammlungen?

Mehrere: Ja, ja

Angelika: Was macht für euch jetzt das Lernen interessant? Weil ihr euch aussuchen könnt, was ihr lernt, oder weil ihr vielleicht auch anders lernt?

Demet: Ich finde beides, beides interessiert für mich, und ... Z.B. hatten wir ein Thema "Universum", das hat mir überhaupt keinen Spass gemacht, weil mich das überhaupt nicht interessiert hat, aber ich musste das machen, weil das von der Klassenversammlung im Jahresplan verabschiedet worden war. Ich hab' das gemacht, und weil ich keine Lust hatte, habe ich auch nichts behalten. Bei den anderen Themen, wo ich Lust hatte, habe ich vieles behalten. Das ist der Unterschied.

Angelika: Vielleicht könnt ihr auch mal beschreiben, wie ihr an einem speziellen Thema arbeitet.

Aysel: Erst Material, erst suchen wir uns das Material aus.

Angelika: Wo kommt das denn her?

Aysel: Das hängt eigentlich von dem Thema ab. Beim Thema "das Meer" mussten wir zur Bücherei, beim Thema."Frauen-Männer" mussten wir zu verschiedenen Stellen, zu "Wildwasser", "Pro familia" und so, da haben wir auch Interviews gemacht, bei "Lyrik" haben wir mit einer Kartei gearbeitet, bei "Wie funktioniert das?" waren wir in Geschäften, in Betrieben oder bei einem Arzt. Also es hängt ganz vom Thema ab.

Angelika: Wenn ihr das Material jetzt habt, wie arbeitet ihr daran?

Aysel: Also wir machen keine Mappen. Bzw., wir haben dieses Jahr nur einmal Mappen gemacht, damit wir das auch wieder lernen können, wie man das eigentlich macht. Ansonsten tun wir das so wie wir wollen. Aber wir müssen einen Vortrag halten. Der Vortrag muss für die anderen verständlich sein. Entweder machen wir das mit Wandzeitungen, mit dem Tageslichtprojektor, mit Dias, Zeichnungen, Theaterspiel, Schattenspiel oder Modellen, usw. Den Vortrag kann man halten, wie man es will.

Angelika: (an Fatma,Emel und Havva) Und was ist euer Problem jetzt mit den Vortragen? Du hast doch eben gesagt, ihr hattet damit Probleme gehabt, weil ihr das gar nicht konntet?

Havva: ...nur abgeschrieben hatten, nur einfach durchgelesen und mit Folien gezeigt und ... Also wir hatten nur abgelesen, aber hier muss man alles verstehen, was man da liest, also wichtige Dinge, ... erklären ... gemeinsam...

Angelika: Also ich hab ja auch hier Vortrage erlebt (im 8.Schuljahr), und teilweise war ja das Problem, das das langweilig war. Gerade, wenn man das so vorliest. Wodurch sind denn jetzt Vortrage interessanter? Ihr habt ja sicherlich gelernt, wie man interessant vortragt?

Havva: Dass die Leute wichtige Dinge sagen, die wirklich interessant sind.

Aysel: Erzahlen und diskutieren! Das macht's spannend. Wenn man nur vorliest, dann ist's natürlich lang-weilig. Die konnten e's ja genau so gut selber in dem Buch nachlesen. Die anderen stellen uns zum Beispiel Fragen und daraus entsteht eine lange Diskussion. Dann können auch die Leute, die den Vortrag halten,

 selber Fragen stellen.

Sepp: Aber ihr müsst euch ja erst Mal irgendwie informieren, bevor ihr diskutieren könnt, ihr müßt ja erst mal was wissen über das Projekt. Ist da also erst Mal irgendeine Art von Vortrag da, und dann folgt die Diskussion?

Havva: Zum Beispiel bei dem Thema "Frauen und Männer" haben wir nur ein paar Sätze gesagt,

Emel: Das war so interessant und da ging die Diskussion schon los und das dauerte nur bei unserer Gruppe schon so ungefähr vier Stunden.

Angelika: Habt ihr keine Angst, das so Fragen aus der Klasse kommen, die ihr nicht beantworten könnt?

Emel: Doch schon. Aber wir müssen ja sagen, was wir wissen, und die fragen uns ja, und wenn wir was nicht wissen, haben wir eben Pech.

Angelika: Was passiert denn dann, wenn ihr das nicht wisst?

Aysel: Dann wird denen geholfen, wenn das einer weiß, dann sagt er das halt

Angelika: Und wenn es keiner weiß?

Emel: Dann lassen wir's aus.

Aysel: Nee, wir lassen das nicht aus!* (Lachen) Das wird irgendwie nachgeschlagen . Oder der Hövel hilft.

Angelika: Also wenn eine spannende Frage ist, die keiner weiß, wie hilft der dann?

Aysel: Wir gehen Stück für Stück durch - und dann kommt man einfach drauf! Auch wenn man das vorher nicht weiß.

Angelika: Aber es gibt doch auch so Phasen, wo er euch dann mal was erzählt? Wenn ihr das wissen wollt.

Mehrere: Ja, ja

Sepp: Gerade jetzt mal bei diesem Thema "Männer-Frauen" ist's doch spannend auch. Was war denn da jetzt so der Diskussionspunkt?

Aysel: Kindermissbrauch, Religion,

Emel: Geburt,

Aysel: Werbung mit Frauen, Frauen bei Militär, es gab sehr viele Themen,

Angelika: Habt ihr auch über Frauen in der Türkei geredet?

Havva: Ja, haben wir,

Demet: Bei Frauen in der Geschichte,

Aysel: Und auch mit Religion zusammen.

Havva: Zum Beispiel, warum viele türkische Frauen Kopftücher tragen, das konnten wir nicht beantworten. Doch, das konnten wir erklären, aber nicht so genau, wir hatten das nicht so gut verstanden, und da war auch keine Zeit mehr, und der Hövel hatte das dann so überlegt und uns dann am nächsten Tag alles erzählt, was wir nicht wussten, ...

Angelika: Das wusste der aber auch nicht direkt?

Havva: Ne, das wusste er auch nicht.

Angelika: Ich denke mir auch, und was ganz wichtig ist, und was ich auch erfahren habe, das jeder das Recht hat, was nicht zu wissen, auch der Lehrer,

Havva: Ja

Angelika: und ich weiß nicht, wie das sonst bei anderen Lehrern war? Haben die auch schon mal gezeigt, das sie manche Sachen nicht wissen?

Havva: Nein, nie. (Lachen)

Emel: Die haben immer so getan, als ob sie alles gewusst hatten.

Angelika: Was hat man denn als Schüler für'n Gefühl, wenn der Lehrer so...

Emel: Ich hab' immer gesagt, das sind Angeber. (Lachen)

Havva: Und dann ging das immer so: … und jetzt machen wir Englisch, los, raus mit den Heften. Und jetzt machen wir Geschichte, ihr macht das Thema,

Demet: Da wird nur rumkommandiert

Havva; Ja, nur so.

Emel: Und wir haben über unser Thema gar nichts gewusst, wir haben bloß gelesen und abgeschrieben. Aber hier lesen wir wirklich und schreiben das raus.

Angelika: Du hast eben gesagt ihr habt dadurch, dass ihr euch Sachen erarbeitet, dadurch was wisst und auch hier so untereinander eben Konflikte austragt, dadurch habt ihr ein ganz anderes Selbstbewusstsein.

Wie ist das denn beim Selbstbewusstsein bei euch gewesen? (an Havva,Fatma, Emel)

Havva: Ja, vorher war das nicht so. Wir wissen jetzt, dass wir Wissen brauchen.

Aysel: Sie hatten eigentlich gro0e Angst etwas zu sagen,

Emel: Hmm

Aysel: da, wo sie neu waren, die haben kaum geredet

Emel: Das hängt ja auch vom Lehrer ab

Havva: Wenn wir da ein Wort falsch gesagt haben, wir sind ja Türken, wir können nicht so gut reden wie ihr, und wenn wir etwas falsch gesagt haben, hat uns sogar unser Lehrer blamiert und gelacht und alles mögliche,

Emel: Die haben das gemacht, wir haben gedacht, der Hövel wurde auch so was machen, aber der ist nicht so.

Havva: Dadurch konnten wir nicht alles sagen, aber jetzt geht's doch besser oder? (Lachen)

Aysel: Natürlich!

Havva: Da hatten wir Angst blamiert zu werden, das sie uns auslachen, aber hier lacht ja keiner,...

Angelika: Also das hat für euch jetzt was verändert?

Havva: Ja, uns hat das verändert.

Angelika: War das denn auch eine Veränderung, dass ihr jetzt lieber in die Schule geht, das ihr Schule anders seht?

Sepp: Hauptschüler sagen doch im Schnitt, sagt man doch sonst, Schule ist Scheiße, ist Mist, kann man vergessen und so weiter. ist das für euch genau so?

Havva: Also ich meine, das dieses Jahr für mich sehr interessant ist, mir fallt auf, das wir viel mehr lernen als die anderen, bei anderen Lehrern geht das doch sofort wieder aus dem Kopf raus, aber hier musst du die Dinge selber machen, man lernt doch mehr. Also die Realschüler und die vom Gymnasium, die arbeiten ja nicht wie wir. Ayten und Sascha, die am Gymnasium und der Realschule waren, sagen auch, wir konnten

nicht so viel lernen wie hier.

Angelika: Was meint ihr denn,... was müsste man am traditionellem Unterricht verändern, damit's so wird wie hier?

Havva: Erst der Lehrer. Und es muss so gearbeitet werden wie hier: ich bestimme das Thema und dieses "Ich-will-etwas-lernen". Sonst lernt man, ist doch egal,ob wir lernen oder nicht, wir lernen sowie so nichts und arbeiten nichts.

Aysel: Also ich weiß nicht, vielleicht war ich damals zu jung, um zu merken, dass es hier eine Veränderung gab.

Aynur: Wir waren ja nicht in einer anderen Klasse, wir waren ja immer hier.

Sepp: Was mich noch interessiert,ihr habt jetzt sehr viel über den Lehrer gesprochen, über die Personen, das die wichtig sind. Welche Rolle spielt denn das Material für euch? Es gibt zum Beispiel so Karteien. Arbeitet ihr damit, hat es für euch irgendeinen Sinn,...?

Aysel: Wir haben gerade mit der Moorkartei gearbeitet, und uns ist da aufgefallen, dass die Informationen, die da drinnen stehen, zu wenig sind.

Aynur: Vor dem Thema "Moor" war "Kosmetik" dran, und da sind wir Bücher kaufen gegangen (u.a. das Hobbythekbuch von Jean Pütz), und damit konnten wir selber tolle Schminke und anderes machen.

Angelika: Aber ihr habt ja auch andere Karteien, ihr habt ja auch mit der Kunstkartei gearbeitet, bzw. habt ihr die ja auch mit entwickelt?

Aynur; Ja, mit der Kunstkartei haben z.B. Aysel und ich immer Kunstmappen gemacht.

Sepp: Spielt das für euch also nicht so eine große Rolle für eure Arbeit, mit den Karteien, die sind ja doch schon was anderes als Lehrbücher?

Aysel: Also die Kunstkartei finde ich schon ganz interessant, aber die anderen Karteien finde ich nicht so interessant.

Aynur: Es gibt doch vom Herrn Hövel die Gedichtkartei (=Literaturkartei), oder?

Aysel: Doch, die ist auch sehr interessant.

Aynur: Also, die Gedichtekartei und die Kunstkartei.

Angelika: Ihr schreibt doch eigentlich auch freie Texte? (an Havva & Co) habt ihr das vorher auch gemacht?

Havva: Wir haben bei den anderen Lehrern vorher Diktate geschrieben und Aufsätze, Gedichte und so haben wir nicht geschrieben.

Angelika: Wie ist das für euch, wenn ihr jetzt so'n Text von einer Klassenkameradin lest oder selber was schreibt, ...euch das irgendwas? Habt ihr auch schon freie Texte geschrieben? (an Havva,Emel,Fatma)

Havva: Ja, ein paar

Angelika; Wie war das denn, den ersten Text selber zu schreiben?

Havva; ...sehr schwer. Als wir gehört haben, wie die anderen geschrieben haben, haben wir uns gewundert, es war sehr schwer, aber dann haben wir..., aber wir lernen's bestimmt noch in diesem Jahr...

Aynur: Also das ist bei uns so, wir schreiben Texte und Gedichte auf türkisch und auf deutsch.

Sepp: Könnt ihr denn vielleicht mal … selber ...

Aynur: Also ich meine, unsere meisten türkischen Gedichte sind über die Liebe...

Aysel: Türkische Gedichte?

Sepp: Natürlich, vielleicht auch, ja, ich meine, es war' natürlich besser, wenn es deutsch wäre, weil wir türkisch nicht können, ihr könnt ja erst mal türkisch und dann übersetzen...

Aysel: Also übersetzen ist sehr

Demet: schwierig

Aysel: ganz schwierig. Da brauchen wir erst mal mehr Zeit und wir brauchen 'nen Duden dazu ...

Havva: Ein deutscher Text ist besser.

Aysel: Ja, von mir aus

Aynur: Wo ist denn dieser, wie heißt der, "die Natur" ?

Demet:

" Meine Gedanken über Menschen.

Die einzigen Menschen für mich sind die,

die kämpfen können,

kämpfen, ohne anderen dabei zu schaden.

Leute, die mir meine Schuld verzeihen können,

Menschen, die nicht nachtragend sind,

Menschen wie ich.

 

Beste Freunde, die so fühlen wie ich.

Menschen, die Kummer nicht runterschlucken,

sondern den Schmerz durch Weinen mildern,

die jedoch nicht überlegen darüber reden.

Menschen, die zwischen Gut und Schlecht

erkennen können,

aber in allem was sie tun

das Gute sehen.

 

Dabei nicht vergessen,

das vieles Schlechtes um uns herum wirbelt.

Menschen, die sich selbst vertrauen,

aber nicht rücksichtslos werden,

Menschen, die Respekt und Anstand gegenüber

Menschen aufbringen.

Menschen, die von vorneherein wissen,

dass sie leben wollen,

aber ihr Leben nicht mit einem Traum

verwechseln

und Menschen, die von Illusionen glücklich

werden,

dabei aber ihre Gefühle überwachen,

damit alle diese Illusionen und Wunschträume.

diesen Lebensdrang und Platz nicht einnehmen."

Sepp: Wer hat den Text geschrieben

Aysel: (ganz leise) Ich.

Angelika: (an Havva,..) Und als ihr die Texte gesehen und gehört habt, von euren Klassenkameraden, habt ihr bestimmt einen Schock gekriegt?

Aysel: Ja, ich weiß z.B. vom Hövel, das viele Lehrer nicht glauben wollen, dass die Texte von uns sind. Die wollen das nicht wahrnehmen, das Schüler solche Texte schreiben können.

Angelika: Ich glaube, dass die meisten Lehrer so nicht schreiben können

Aysel: Aber eigentlich, wenn man das sehr lange schreibt und übt, dann ist es eigentlich bei einem drin, etwas zu schreiben, was man fühlt, und sich nicht zu verstecken.

Angelika: Verändert das auch etwas im Umgang mit geschriebenem Wort, mit Büchern oder Texten, wenn man selber schreibt? Lest ihr mehr?

Sepp: Wenn man Gedichte gedruckt liest, dann hat man so eine Achtung davor. Und wenn man jetzt selber schreibt, dann denkt man, ich kann das ja auch, dann denkt man nicht mehr, das ist so hoch oben, das ist der große Dichter, wie der Nazim Hikmet oder wie heißt der?

 Mehrere: Nazim Hikmet

Sepp; Das kann ich auch, könnt ihr jetzt sagen, oder?

Aysel; Also vielleicht nicht so gut wie die, aber wir können ganz bestimmt auch schreiben.

Sepp: Habt ihr noch 'nen zweiten Text?

Aynur: Ja, der ist sehr gut;

 

"Der Abgrund steht noch vor der Tür,

ich lies mir meine Liebe montieren,

und jetzt gehst du fort,

mit einem Abschiedsbrief.

 

Du hast mich aus der Welt abgeschaltet,

ich merke, wie ich schmilze,

alles erlöscht sich in mir.

 

Vielleicht bin ich eine Irre.

Ich bin erst 18,

fühle mich schon wie 80,

wo die Welt für mich lila und rosa war.

 

Die Welt erblühe in meinem Sinn

wie ein Traum.

Versuche jetzt nicht,

mich zu erdolchen,

wie ein Experte,

der an Tieren experimentiert.

 

Du warst für mich meine Herzverpflanzung,

ein Gedicht für meine Leidenschaft.

Jetzt bist du für mich nur noch

in meinen Gedanken und Träumen."

 

Aysel: Hat das Ihnen was geholfen?