Walter Hövel
Imaginäres Lernen

und andere Kinderspiele

 

Es beschwerte sich einmal ein Kind, dass es zu wenig spielen konnte.

Daraus schlossen wir gerade vormittags viel mehr zu spielen.

 

Wenn Kinder, also junge Menschen eigene Arten des Lernens haben, haben ältere bis alte Menschen das auch noch. Nur ältere Menschen lernen nicht mehr so viel. Sie funktionieren lieber, was sie auch Kindern versuchen beizubringen.

 

Ein „junger Mensch“ ist übrigens juristisch, sehr verschieden, einer von (ca.) 0 Jahren bis 27 Jahren1. Ich war mit 22 Jahren erst Wahl und Auszugs berechtigt. Heute ist „mensch“ das laut UNO mit 18. In Kommunen darfst du vielerorts mit 16 wählen. Mit 14 entscheidest du, ob du am Religionsunterricht teilnimmst. Im Mittelalter warst du mit 15 erwachsen2. Arbeiten und bei Militär dienen kannst du heute in vielen Ländern früher. Es hängt vom Denken der Menschen ab, wann sie oder er seine eigene Kindheit definiert. Es gilt schon für einige und wird in irgendeiner Zukunft für alle Menschen gelten. Frauen werden seit einigen Jahren theoretisch als vollwertige Menschen anerkannt. Das heißt aber nicht, dass alle die anderen Menschen als Menschen sehen.

 

Viele Arten des Lernens werden durch Erziehung in Familie, Kindergarten, Schulen, Berufen und Hochschulen „weg trainiert“. Viele sehen dies „als etwas ganz Normales“ an. Die Mehrzahl der Menschen kann an Lernformen scheinbar am besten, was am meisten verlangt wird. Intelligenz wird oft mit Anpassung verwechselt. Wie Inhalte am besten gelernt werden, ist keine Frage der Belehrung. Ich glaube, es ist komplizierter zu lernen wie Menschen Lernen lernen.

 

Lernen, Verantwortung übernehmen oder Leben gestalten kannst du früher. Spätestens die Grundschule Harmonie hat bewiesen, was du als Kind alles kannst, was Erwachsene können (oder nicht). Vor allem können Kinder ihr eigenes Lernen bestimmen und demokratisch kooperieren. Außerhalb steht klar die Sexualität mit Minderjährigen.

 

Steffi Maxa, später Peschel führte als Lehramtsanwärterin mit meiner Klasse und mir ein Projekt durch. Wir „spielten“ einen Scheidungsprozess. Ein Kind wurde die zu scheidende Ehepartnerin, ein anderes deren Ehemann. Andere spielten die neuen Partner und deren alte Partner. Andere die vielen bekannten Kinder aller Altersstufen, beste Freundinnen und Freunde, die Großeltern, Nachbarn, etc. Jede und jeder in der Klasse spielten eine Rolle. „Frei erfunden“ entwickelten die Kinder eine neue Realität.

 

Zum „Abschluss“ kam ein echter Familienrichter, Manfred Fuchs, in die Klasse. Er hörte sich den „Fall“ an und entschied wie im wirklichen Leben. Die Kinder erwiesen sich als sehr kompetent und real. Manfred war begeistert. Am nächsten Tag kam ein Schüler meiner Klasse und sagte im Kreis: „Jetzt müssen wir uns alle zurück verwandeln, damit das Spiel aufhört“. Spätestens da wusste ich, wie wichtig imaginäres Lernen ist. Ich ahnte wie ernst Spielen ist.

 

Das selbstständige, meist Lehrer*innen unabhängige Lernen stand im Mittelpunkt des Lernens unserer Schüler*innen. Im Klassenrat, im Kreis, im Rahmen unserer Kinderuniversität, in den Englischgruppen oder in einer AG wurden von Kindern, Gästen oder sonstigen Erwachsenen für Kinder, alleine, mit Freunden oder im Klassenverband, Lernangebote und Lerngänge angeboten.

 

Oft genug wurden Angebote abgelehnt. Es wurde kurz oder lange darüber geredet. Immer kam irgendetwas raus.

 

Hier war ein Bestandteil etwas, ebenfalls losgelöst vom sonst anderswo herrschenden Muss des Schulalltags, was „frei“ und relativ unbeschwert funktionierte. Es tauchte später wieder, für Erwachsene nun sichtbarer, im selbstständigen Lernen der Kinder auf.

 

Wichtig war, dass Kinder und Erwachsene auch über die Lernformen mit ihren Inhalten entschieden. Oft genug bekamen wir Erwachsene gar nicht mit, wie eigenständiges Lernen entstand.

 

Die eine Quelle dieses Lernens ist das Kinder typische Fantasielernen3. Sie erfinden „Mutter-Kind-Spiele“, „Was-wäre-wenn-Spiele,“, „Gelände-Spiele“, „Wald-Spiele“, neue „Lernspiele“, Feste, Materialspiele“, „Theaterspiele“, „Pausenspiele“, Kooperationsspiele“ oder sogar „Schule-Spiele“. Die andere Quelle ist das Rollen-, Märchen-, Simulations- oder eben Imaginationslernen, das sonst viel zu wenig beim Lernen und erst recht nicht beim Lehren eingesetzt wird.

 

Es spielt keine Rolle hierbei, wer die Spiele oder Lernwege mitbringt oder ob sie neu erfunden sind. Wichtig ist, dass lernend gespielt und spielend gelernt wird.

 

Im Folgenden möchte ich weitere Beispiele hierfür aus meiner nahen oder fernen Begegnung in der Praxis schildern.

 

Eine Klasse beschließt mit seiner Lehramtsanwärterin zu einem Indienprojekt ein Indienfest zu machen. Sie stellen ihre Arbeitsergebnisse bei einem Fest vor. Zudem „besorgen“ sie echte Inder, die im Ort leben, eine Kathaktänzerin, machen indisches Essen, etwas zu trinken, besorgen indische Musik, etc.

 

Kinder schlafen in der Schule und feiern eine „Harmony Night“ auf Englisch. Auf der Bühne findet eine Attraktion nach der anderen statt. Sie sind von Schüler*innen gemacht und vorgeführt. Das ganze wird in Fotos und im Film festgehalten.

 

Sportstunden finden bei der „Regentrude“, „Über den Dächern von Paris“, als „Afrika Rallye“, im „Neuen Schlaraffenland“, oder unter sehr vielen Themen statt. Und niemals vergessen wir die geschaffene Realität wieder zu verlassen.

 

In den Sportstunden gab es immer neue Kooperationsspiele, wie „der Gefängnisausbruch“, die „Matten-olympiade“, „Die Ruheburg“, Die „Ringeschaukel“ oder „die Schlaue Jagd“

 

Englischstunden finden in der Sporthalle auf dem „Piratenschiff“ statt. Es gibt die „Songs on Stage“, das Forum zur englischen (Wimmel)-Kleinstadt verwandelt, die „Superkräfteausbildung“ und zig andere Englischstunden.

 

Es werden eigene Filme wie der „Schulkrimi“ gedreht, mit einem echten Polizeiauto oder einem ermordeten Schulleiter mit einem echten Messer in der Brust. Es gibt eine eigene Premiere mit Gästen in einem echten Kino.

 

Da werden eigene Theaterstücke gemacht, zum 100jährigen Bestehen des Ortteils, zu Martin-Bubers-Religions-thesen oder oder einem Lang-Lang-Konzert.

 

Da gibt es immer wieder Schulbands, die auftraten, zweiwöchige Schulversammlungen, die immer wieder ein anderes neues Programm mehrerer Auftritte von Kindern zeigte. Immer wieder organisierte dies eine andere Klasse.

 

Da boten Väter und Mütter AGs oder Spiele - und Arbeitsgruppen an. Es gab die Wikinger-AG, die Speckstein-hütte, das Obstpflücken und Einmachen, das Aquarium, der Besuch der echten Ritter, die Spintheorie-Filme, das Schwitzhüttenprojekt, die Wallfahrtwanderung oder den englischen Gottesdienst.

 

Es gab die „Piratenverfassung“, das Tanzen der klassischen Tänze, Indianertänze, die Befragung der Bürger-meisterkandidaten, die Experimente mit Feuer oder Schaum,der Gang an den Flussstrand, das Feuer auf dem Schnee, der Besuch des Kölner Nazihauses mit eigenen Vorträgen, die Besuche im Altersheim, das Singen und Vorlesen im Kindergarten, das Anbieten der Kinderuni für Kindergartenkinder, …

 

Da gab es die Mathekreise für Mathehasser, die intelligente Mathematik, die Adam-Ries-Kreise und, und, und.

 

Aus dem Verkaufsladen entstanden eigene Währungen, die Beschäftigung mit dem Bankrott. Wir beschäftigten uns mit der Miniphänomenta, den eigenen Versuchen, den eigenen Texten und Fragen zur Welt.

 

Da gab es Praktikumswochen für Grundschulkinder, Radfahren ins Schullandheim oder an der Ems. Da gab es die Wanderung an den Rhein, die Fahrt nach Rostock, nach Brüssel, die Lehrer*innen-konferenz in der Schweiz, die jährliche Fahrt nach England und die mehrtägige Übernachtung der englischen Schülerinnen in unserer Schule.

 

Es verging keine Woche, die nicht mindestens eine andere Lernattraktion zeigte, Und das 20 Jahre lang. Der größte Feind von Lernen war die Langeweile. Aus unserer Schule machte keiner eine Schule.

 

Und wie wir die Computer nutzen. War jemand in Urlaub machten alle die wollten eine Reise in die USA. Wir machten Bildungsreisen in verschiedene Städte der Welt. Wir schrieben freie Texte, speicherten in unseren Dateien, zeichneten. Wir trafen Freunde in Dunstable (Englisch), in Klagenfurt Deutsch und Türkisch) oder Luxemburg (Deutsch und wenige auf Französisch). Wir lernten immer mit dem gesamten Wissen dieser Ma-schinen.

 

Du konntest immer auf dem Dachboden lernen, draußen im Schulgelände, im Lehrer*innenzimmer, im Hochsitz im Forum, im Bett liegend, im Verbotenen Wald, in der Druckerei, im Waldraum oder bei den Frauen in der Küche. Unsere Grundschule war ein Ort der Freiheit. Und wir Erwachsenen liebten es das Lernen zu provozieren.

 

Wir brachten den Kindern unserer Schule das eigene Denken bei, vertikales und laterales Denken4.

 

Die Kinder antworteten mit ihren Inhalten und Formen des Spiels und Lernens.

 

1https://dejure.org/gesetze/SGB_VIII/7.html

3Für andere sind das Explorations-, sensomotorische, Funktions-, Konstruktions-, Arbeits- und/oder Regelspiele wichtig.