Walter Hövel
Aus der Schreibwerkstatt der Himmelskinder
Wolkenschein-Lyrik
Und andere Ideen aus dem vierten Schuljahr
Meine Kollegin Heike kommt rein und sagt: "Schau mal, was die Franziska aus meiner Klasse für ein Wort erfunden hat: Wolkenschein."
Klar, aus Sonnenschein und Wolken entsteht Wolkenschein. So entstehen Steinschauer, Donnerstaub, Elfenkorn, Schneckenlicht, Augensturz oder Wasserblitz.
Die Himmelskinder, eine vierte Klasse, erfanden eine Tafel voll neuer Wolkenscheinwörter, die als Material für eigene Texte dienten. Das war Christines Text:
Herbst
Wolkenschein und sind Schneewache meine besten Freunde
Drachenfels und Herbstgefühle sind meine Vorbilder
Eisschimmer und Eisklang sind meine Nachfolger
Winddrache und Weihnachtszauber sind mein A und O
Herbststille und ein Wolkentraum sind mir am liebsten
Drachenklang und eine Zauberscheinfigur sind meine Bausteine
Blättermandalas und Schlafblumen sind meine Schokoladenseite
Zauberzapfen und Spinnennächte sind traumhaft schön
Klappschimmer und Schatzzeit machen mich mutig
Im Herbst
Jedes Kind hatte eine Kerze vor sich stehen, in deren Licht es hinein schaute. Vor mir lagen eine Menge von Instrumenten und andere Klänge machende Dinge. Meine Aufforderung hieß. "Blicke in die Flamme und schreibe jedesmal eine Zeile, wenn du einen neuen Klang hörst. Schreibe immer, was du sofort gedacht, gehört, gespürt oder gesehen hast. Fällt dir zu einer Zeile nichts ein, dann lass sie weg." Das war Petras Text:
Lichterklang
Lichterklang hört sich nach Piepsen an.
Der Mond, der regen und die Sterne fallen herunter.
Steine fallen mit den Sternen zusammen und klingen.
Donner, Blitz und die Sonne machen Geräusche mit einander.
Die Klänge zeigen mir den Weg.
Die Lichter leuchten und klingen.
Der Wind zieht vorbei und klingt in den Ohren.
Der Vogel zwitschert schön laut.
Die Nacht ist leise und manchmal laut.
Die Kerze und der Wachs gefallen mir.
Das Christkind, der Weihnachtsmann kommen zu uns Kindern.
Der Regen, das Meer knallen zusammen
(und machen Geräusche)
und ..... das Licht.
Während des "Kunstfälscherprojektes" suchten die Kinder sich aus Kunstdruckbüchern Vorlagen von MalerInnen und GrafikerInnen. Sie versuchten deren Bilder nachzumalen oder imitierten deren Stil. Lea schrieb diesen Text nach der Vollendung ihres Hundertwasserwerkes:
Hundertwasser
Ein Künstler der Zeit
Er ist ein Zauberer
Der Pinsel ist sein Zauberstab
Die Farben sind seine geheimen Zutaten
Und seine Fantasie der Schlüssel
Zur Magie
Seine Bilder sind wie Augen
Die uns hypnotisieren
Sie beobachten uns ständig
Seine Farben verzaubern uns
Und die Kunst seiner Bilder
Erweckt die gemalten Figuren zum
Leben
Tim hatte im Radio die wohl seltene Verkehrswarnung vor einem entlaufenen Lama auf der Fahrbahn gehört. Daraufhin schrieb er die folgende Geschichte:
Heute habe ich im Radio gehört, dass ein Lama den Verkehr behindert. Dann habe ich mir die Geschichte vorgestellt, dass das Lama nach Hause fliegen wollte, aber das Lama wurde nicht eingecheckt.
Das Lama hatte eine Idee. Es könnte doch so tun, als würde es weggehen und sich dann in das Flugzeug mogeln.
Aber das Lama wusste nicht, dass der Flug nach Hause so lange dauert. Er dauerte 10 Stunden. Dem Lama wurde schlecht. Alle Klos waren besetzt. Und das Lama hatte keine Brechtüte. Es wusste nicht, dass die Brechtüten unter dem Sitz sind.
Und das Lama hatte Durst. Es wusste nicht, dass es einen Service gibt. Dann kam eine Stewardess vorbei. Das Lama sah das Zutrinken und nahm sich 10 Wasserflaschen und eine Flasche Cola. Dann musste das Lama auf die Toilette. Es sah einen Mann, der von der Toilette ging. Das Lama wollte aufstehen, aber da blinkte das rote Anschnallzeichen. Aber das Lama musste dringend aufs Klo. Das Lama wollte aufstehen. Dann gab es Turbulenzen. Die Turbulenzen waren so stark, dass das Lama weggeflogen ist.
Das Lama landete in Grönland und es war kalt. Das Lama war Wärme gewöhnt und das Lama fror, dermaßen, dass es ein Schneelama wurde.
Und wenn das Lama nicht gestorben ist, dann lebt es noch heute.
Immer wieder bekomme ich einen englischen oder englisch-deutschen Text,
nicht eingeforderte Resultate der methode naturelle im Englischunterricht,
hier ein Text von Philipp:
Lied !
Renade, Renade wirft gern Tomate, Der Peter der
ist schlau, er kann sogar chinesisch, wau klau rau
ich weiß, das ist langweilig gleich wird es viel besser
How much is the fish? Go for the race!
The go in the race car - full speed, yes and the duck
of the street and I still feel speed. (2x)
The duck is plugged (2x)
And I am in the final lap Go!
and the enemy crashes into a tree
and I'm the
winner
Immer wieder taucht irgendein Stichwort im Leben der Klasse auf, z.B. "Erwachsene" oder "Küssen" oder "Spiel" oder "Wald" oder wie hier "Zeit". An die Tafel schreibe ich alle Begriffe und Assoziationen, die die Kinder mir zurufen, bis die Tafel voll mit kreuz und quer geschriebenen Wörtern ist. Diese dienen dann als Steinbruch für einen Text, hier von Jens und Alex:
Zeit
Zeit ist der Anfang der Neuzeit
Zeit ist ein offenes Fenster
Time is NBA-Showtime
Temps ist Hoffnung
Zeit ist Trauer aber auch Lachen
Zeit ist Tod und Spaß
Zeit ist sonderbar
Zeit ist der warme Sommer
Zeit ist kostbar
Zeit ist etwas Schönes
Zeit ist Zeit und Liebe
Zeit ist Uhrzeit und Geburtstagsfeier
Zeit kann man nicht bestimmen
Zeit ist Herbst und morgen
Wir schauen und hören uns immer wieder an, wie "richtige" SchriftstellerInnen schreiben. Die Verarbeitungen sind sehr vielfältig.
Hier Hasrets Kästnerinterpretation:
Es war einmal in Hamburg eine Ameise. Sie wollte nach Australien reisen. Eines Tages sagte die Ameise zu einer anderen Ameise: "Willst du auch mit mir nach Australien reisen?" "Ja, aber wie? Zu Fuß? Nein, bis Australien zu Fuß gehen?" "Ja, mein anderer Freund ist auch zu Fuß gegangen." "Okay, gehen wir morgen nach Australien."
Und nach zwei Tagen waren sie in Australien. Als sie da waren, fanden sie aber keine Freunde und fragten sich: "Warum sind wir hierher gekommen, da will keiner mit uns Freund sein."
So sind sie wieder nach Hamburg gekommen und waren glücklich.
Der Tipp lautete: "Stellt nur Fragen". Das sind Jennifers Fragen, die mit ihrer Mutter lebt, die aus Peru* kommt:
Wer hat mich gemacht?
Das Wasser mit zarten Tropfen?
Oder der Himmel, der sich im Wasser widerspiegelt?
Oder ein Land*, das nicht viel Geld hat?
Oder eine Brosche mit Kristallaugen?
Oder ein Kind mit Sahneaugen?
Oder eine Tüte, die mich in sich hineinzieht?
Oder ein Tier mit goldenen Zähnen?
Nein, meine Mutter
War es
Die mich gemacht hat!
Wenn wir draußen sind, nehmen immer wieder Kinder die Gelegenheit wahr, um zu schreiben. Mit einer kleineren Gruppe hatte ich mich vorher darüber unterhalten, dass Menschen zur Natur "Kontakt" aufnehmen können. So sah Sarahs Kontakt aus:
Im Wasser
Schön im Wasser zu wandern
Einsam ist keiner
Selbst die Steine kennen sich
Alle Tiere haben nur noch
Augen für mich
So groß möchten sie
Wohl auch sein.
Jan liebt den lyrischen Zehnkampf:
Zehnkampf
40 Stunden Haare schneiden
3mal die Welt umfliegen
20 kg fernsehen
7 Tage Stinktiere werfen
8 Monate Musik hören
100 Jahre Basketball spielen
30 Minuten Wasser gehen
Unendlich lang schwimmen
Eine Sekunde husten
Keine Sekunde spülen
"Suche in irgendeinem Text irgendein Wort heraus und schreibe dazu eine Lyrik." Hier tut es Darinka:
Erscheint
Wenn die Sonne erscheint
Dann scheint sie auf die Erde
Dann erscheint auch dein Name
Dann scheinen meine Augen
Und die Liebe scheint
Niko, dessen richtiger Name in der Sintifamilie anders ist, bringt seine eigene Form des Humors so zum Ausdruck:
Wie ein Vogel?
Es war einmal ein Vogel
Er hatte einen Stink
Er hatte einen Baus
Damit flog er raus.
Ratetexte ersetzen Wörter durch ihre Anfangsbuchstaben:
Es war einmal ein A, der hangelte und hüpfte von B zu B.
Doch eines T fiel der A in den F. Danach war der A ganz nass.
Von nun an passte der A sehr gut auf, damit er nicht noch mal in den F fiel.
Leider hat der A so gut aufgepasst, dass eine S angekrochen kam.
Die S hat den A zu M gegessen.
Der größte Renner in meiner Klasse sind seit über zwei Jahren die Ich-Texte. Sie haben verschiedene Formen, die immer wieder variiert und neu erfunden werden. Hier einige Beispiele von verschiedenen Kindern:
Ich bin wie eine Uhr nur
Ich habe keine Zahlen
Ich bin wie ein Vogel nur
Ich habe keine Flügel
Ich bin wie ein Drache nur
Ich kann kein Feuer speien
Ich bin wie ein vierblättriges Kleeblatt
Das dir Glück bringt
Ich bin wie die Sonne
Die dir ins Gesicht scheint
Ich bin wie der Wind
Der dir durch die Haare saust
Ich bin wie ein Radiergummi
Der dich ausradiert
Ich bin wie eine Feder
Die über's Wasser schwebt
Aber manchmal fall ich rein
Ich bin wie eine Kugel
Die durchsichtig ist
Aber manchmal bin ich dreckig
Ich bin wie ein Buch
Das alles weiß
Aber manchmal auch nicht
Ich bin wie der Wind
Der alle Blätter weg weht
Ich bin wie ihr alle
Ich bin ein Kind
Ich bin wie ein Vogel
Der über sein Revier fliegt
Ich bin wie ein Luftballon
Der durch die Luft segelt
Ich bin wie der Himmel