Walter Hövel

Zum Begriff der Kooperation

Kooperieren Sie“, brüllt der Weiße in der Uniform eines US-amerikanischen Polizisten den jungen Farbigen an.

Dann erschießt er ihn. Soweit zum „zeitgemäßen“ US-amerikanisierten Gebrauch des Wortes Kooperation

 

Elise und Celestine Freinet

Der erste Grund für Teamwork oder Teamarbeit, working together, Zusammenarbeit, Kollektiv, Kooperation und Kollaboration sollte immer sein, dass jeder Mensch etwas anderes erlebt und etwas anderes weiß. Der zweite, dass jeder Mensch etwas wissen will. Das braucht viele Wege, über sich selbst und andere. Kinder sind immer vollwertige Partner dieses Lernens in der Gemeinschaft. Dies kann nur in Freiheit geschehen. Das braucht freie Kinder, und freie Erwachsene! Es braucht Menschen, denen selbst geschaffene Freiheit begegnet. Diese Menschen müssen selber lernen wollen.

 

Elise und Célestin Freinet waren Sozialisten. Sie wollten eine Welt in der Unterdrückte das Sagen haben. Habsucht, Rassismus, Umweltzerstörung, Egoismus, Nationalismus, Krieg, Armut, Arbeit für andere und Gewalt werden abgeschafft. Ihr Weg dorthin: In einer von ihnen veränderten, staatlichen und freien Schulen sollen Kinder sich selbst zu Demokrat*innen erziehen, in einer Welt der Kooperation, durch einen demokratischen Umgang mit einanden.

 

 Das besondere an den Freinets und den Tausenden Mitgliedern ihrer Bewegung war, dass sie diese Schule nicht in einer nahen oder fernen Schule der Zukunft erreichen wollten. Sie wollten „das Andere“, die Demokratie, hier und jetzt verwirklichen, an der bestehenden Schule. Sie wollten hier und jetzt in der Umsetzung der Rechte aller Menschen leben und lernen. Sie wollten als Lehrer*in nicht mehr unterrichten und lehren. Sie selber kooperierten, von ihren sehr verschiedenen Standorten aus.

 

Sie wussten, dass die Realisierung dieser gegenwärtigen Zukunft die Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen ist. Sie wollten auch mit jenen zusammenarbeiten, die anders als sie über Demokratie und Menschrechte dachten. Sie nannten dies Kooperation.

 

Kooperation in der Freinetklasse

Ihre Kooperation begann in der eigenen Klasse, setzte sich in der Region fort und mündete im internationalen Zusammenarbeiten mit eigenen und anderen Kräften, weit über Schule hinaus.

 

 Kinder wollen kooperieren! Auch ohne Lehrer, ohne Schule. Sie wollen aus ihrem Kinderstatus geraus. Sie wollen erwachsen werden oder Erwachsene im Kinderstatus bleiben.

 

Wenn Kinder aufhören zu kooperieren, dann wurde entweder ihre Kooperationsbereitschaft überstrapaziert oder ihre Integrität verletzt.

Es geschieht niemals, weil sie nicht kooperieren wollen.“
Jesper Juul

 

Bei den Freinets gab es noch die gemeinsame Korrektur eines Freien Textes aus den Texten von Schülern und Lehrkräften an der Tafel. Er wurde danach mit der Druckerei gesetzt und in Büchern veröffentlicht, die verschiedene Klassen austauschten. Ihre (erste und heutige) Kooperation war der Zwang zu einer Kooperation in der gewollten Geldknappheit der Bildung. Es war die Kooperation der Unterdrückten.

 

Heute werden die verschiedenen freien Texte und Geschichten im Kreis der Gruppe, oft in verschiedenen Sprachen, oft „Dichterlesung“ genannt, vorgelesen. Übliche Schulbücher kommen da nicht mit. Diese „Mittel der Kinder“ und andere „demokratische Techniken“ werden an vielen Regelschulen und freien Schulen übernommen.

 

An der Grundschule Harmonie gab es den Austausch von schweizerischen, österreichischen und deutschen Schulklassen mit der fantastischen „Lyrik mit dem Poststempel“. Es gab das permanente E-Mail-Schreiben (als Lerngruppen) mit englischen Klassen und aus ihnen kommenden Austauschschüler*innen. Es gab das wöchentliche Vorlesen der eigenen freien Texte und das Vortragen des eigenen Themas per „Skype“ mit Klagenfurter Schüler*innen. Es gab das „Bestücken“ der Schul-Homepage mit Texten, mit anderen Arbeiten. Es gab noch das eigene Büchermachen mit selbst gedruckten oder geschriebenen Texten. Es gab kein Schreiben-Üben. Kinder machten ihre Notizen und schrieben ihre eigenen Texte alleine, oder eben „kooperativ“.

 

Die Freinetpädagogik setzt auf die kooperative und demokratische Kraft der menschlichen Gruppe. Die nach ihr arbeiten oder ihr Arbeiten Kinder und deren eigenes Lernen favorisiert, schaffen mit ihrer professionellen Macht als Lehrer*innen Freiräume zum schulischen Erlernen von demokratischem Reichtum, inklusiver Vielfalt und menschenrechtlichem Alltag. Vor allem Künstler*innen suchen die Kooperation.

 

Ebenen der Kooperation
In der Freinetklasse wird auf mehreren Ebenen die Kooperation ausgehend vom gemeinsamen Lernen gepflegt. Im Zentrum, als Ausgangspunkt jeder Kooperation steht Demokratie mit dem Kreis als Klassenrat und den entscheidenden Versammlungen.

 

 Hier werden individuell und mit der Hilfe der anderen die eigenen Themen und Aufgaben-stellungen, das Lernen von den Menschen selbst gefunden und festgelegt. Hier bestimmen Lernende selbst nicht nur die eigenen Fragen und die eigene Arbeit, hier finden sie ihre Zeit, Mitarbeiter*innen, Gruppen, ihren Arbeitsstil, ihre Muße und ihr eigenes Lernen und Leben. Hier gibt es eine Zusammenarbeit in internationalen Gruppen wie bei "Comenius" und „Erasmus“, bei "Blick über den Zaun", der Freire-Gesellschaft oder anderen nationalen Zusammenschlüssen.

 

 Schulen bieten viele weitere Ebenen der Kooperation, mit Kindern anderer Klassen oder in Klassen eigenen und klassenübergreifenden Dichterlesungen, Adam-Ries-Kreisen, in Präsentationen oder Selbsteinschätzungen. Es gibt „Versammlungen“ in Kinderparlamenten, Schulversammlungen, Ateliers oder Arbeitsgruppen. Es gibt das Lernen draußen in der realen Welt und das elektronische Lernen im weltweiten Netz.

 

Es gibt „Kinderuniversitäten“ und Vorlesungen, von Kindern geführt, von Erwachsenen der Schule oder Menschen aus „dem Dorf“ oder der Region. Wir sind das Dorf.

 

Zur Geschichte der „Freinetvereine“

Nach einem Treffen von Professor Hans Jörg und Celestin Freinet gründeten sich in der jungen BRD „die Schuldrucker“. 15 Jahre später, 1968, gründete sich in mit Sitz in Bremen ein neuer, moderner Verein. Sie nannten sich „Pädagogik-Kooperative“. In der Zeit gründeten sich weitere Freinetvereine.

 

Sie hatten unter anderem zwei Gedanken klar. Nicht alle in der Freinetbewegung sind Freinet-Lehrer*innen, Freinets sind bei ihnen organisiert, aber eben nicht alle. Und es ist kein Verein, sondern eine „Kooperative“. Hier wird zusammengearbeitet. Es ist kein Lehrer*innenverein, sondern eine Bewegung.

 

In der Tat bewegten sie einiges in der Bildungslandschaft Deutschlands, Europas und der Welt. Einiges bewegte sich dort. Sie sammelte sich um ihre Zeitschrift „Fragen und Versuche“. Es war ein Organ, wo du frei schreiben und lesen konntest. Sie hielt es bis zur Coronaaffäre aus. Dann verbot sie einen Artikel. Sie hatten nicht gelernt das Verschiedenes zusammengehört. Sie waren keine Kooperative geworden, sondern ein Verein. Die Zeitschrift blieb. Sie ist die älteste pägagogische Zeitschrift in Deutschland. Sie akzeptierten allerdungs nicht mehr die Mündigkeit ihrer Leser*innen. Sie konnten nicht mehr selbst denken, es wurde für sie gedacht. Und das wurde von der Mehrheit der Leser*innen gedeckt.

 

Der „Verein“ benannte sich schon vorher um in „Freinet-Kooperative“. Ich trat aus, schrieb aber weiter in der FuV. Ein Verein engt ein. Er lässt nur ihre Freinetpädadago*innen sprechen.

 

Einige wehrten sich gegen einen pädagogischen Verein. Sie wollten lieber eine Bewegung sein. Sie suchten die Nähe der GRÜNEN. Auch dieser Versuch schlug fehl. Sie, die GRÜNEN, waren noch immer ein Teil der SPD-Arbeiterbewegung.

 

Die neuen Freinis gründeten eigene staatliche Schulen. Gleichzeitig versuchen sie es mit "freien Schulen“. Sie halten die bestehende unter staatlicher Aufsicht Schule nicht mehr für veränderbar.

 

Die Fortbildungen der Freinis werden als eigene Fortbildungen sehr beliebt. Die Freinis schreiben Bücher, machten Karteien und viele machten, teilweise mit dem Namen Freinet, ihre Karrieren in Hochschule, Schulen, Kindergärten und Schulverwaltung. Einige „stiegen aus“. Einige machten „trotz der Freinets“ Karrieren.

 

Seit den 1980er gab es Freinet auch in Kindergärten. In altgedienter Lehrer*innenmanier ignorierten sie die „Pägagog*innen“ diese Bewegung. Sie hatten im Kindergartenbereich vor allem eine eigene Ausbildung. Die „Lehrer*innen“ (educateur) Deutschlands zerfallen vertikal und horizontal in viele verschiedene Ausbilungen. Später machten Hochschul- und -Lehrer*innen eine Ausbildung für Grund-, Sek-I und Sek-II-Lehrer*innen nach. Aber die „Freinet-Kooperative“ fanden auch hier nicht zu einer Zusammenarbeit. Eher orientierten sie sich an Monetessori und Waldorf, also weit weg von einem Kooperativgedanken. Sie wollten mit jungen Mitgliedern „ihren“ Verein retten.

 

In Österreich gab es nur Landesverbände, wie die Niederösterreichischen, die Kärtner, zeitweise die Steiermarker, den eng mit Montessori verbundenen Salzburger, zeitweise einen Vorarlberger und einst den überregionalen Verband „Im Ernst“. Sie fanden in Kärnten und Wien zu einer Ausbildung schon weit vor den Freinis Deutschlands. In der Schweiz gab es einen fusionierten französisch-sprachigen und deutschsprachigen Verband. Liechtensteiner waren bei den Schweizern, Luxemburger bei den Deutschen und Südtiroler bei den Italienern organisiert.

 

Die Chance eine Kooperatve zu werden ist jetzt vertan. Warten wir bis zur nächsten Gelegenheit. Die Freinis sind ein Verein und diesen versuchen sie als Verein zu retten.

 

Zu einem modernen Kooperationsbegriff

Setzen Sie dem Kooperationsbegriff von heute, dem von oben nach unten, einen Kooperationsbegriff in beide Richtungen entgegen.

 

Ich war in 35 Jahren begeistert zu sehen, was ein Christian Schreger in Wien oder eine Jenny Wienecke oder Herbert Hagstedt in ihren Lernwerkstätten in Berlin und Kassel schafften. Es war mir eine Augenweide die Arbeit von Gudrun Maaser, ihre Kolleg*innen in der Primarstufe der Winterhuder Gesamtschule oder Holger Butt in Hamburg, einer Angela Bolland mit ihren Studies oder einem/r Lutz Wendeler, Ellen und Wolfgang Mützelfeld mit den Schüler*innen in Bremen zu erleben. Ich denke an die Glänzels als Sek-II- oder Mathematiklehrer*innen, einem Andy Honegger in der Schweiz. Ich genieße Pia Hölzel, Anton Strobel, Marta Fontana oder Versuche von Piamaria und Prof. Gerhard Rabensteiner in Klagenfurt. Ich sah Ben Schreiner in Luxemburg, Carolina Oslath in Bassum, Donat Stemmle in Hausen, Ulli Schulte, Marc Bohlen, die Peschels und Anne Mondig (Witt) in Eitorf. Ich lernte von Ute Geuß, Rolf Wagner und Vivian Breucker in Köln, Monika Bonheio in Essen, den Hartmanns in Solingen oder Barbara Wenders und Reinhold Stähling in Münster. Sehr viele sind nicht aufgezählt.

 

Nach Vorne zeigende Kooperation braucht Demokratie. Demokratie ist keine Bewegung in die Vergangenkeit der Menschen, nicht in ihren Handel und ihr kriegerisches Handeln, nur in ihre Zukunft. Unsere Zukunft sind Kinder. Wir brauchen Menschen die Nein sagen können. Wir brauchen Menschen, die das Ja finden.

 

Walter Hövel. Freinetpädagogik. In: Maren Gronert / Alban Schraut. HANDBUCH VEREINE DER REFORMPÄDAGOGIK. Reformpädagogische Vereinigungen und Institutionen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Südtirol und Liechtenstein. Würzburg 2018. Download: https://www.walter-hoevel.de/freinetp%C3%A4dagogik/freinet-kooperative-e-v/

Walter Hövel. Die Dichterlesung. In: Fragen und Versuche 151/2015. http://www.walter-hoevel.de/lesen-und-schreiben/die-dichterlesung/

Walter Hövel, Kindheit als Lerngelegenheit verstehen lernen. In: Donja Amirpur, Andrea Platte (Hrsg.) Handbuch Inklusive Kindheit. utb 2017. Download: https://www.walter-hoevel.de/beitr%C3%A4ge-zur-grundschule-harmonie/kindheit-als-lerngelegenheit-am-beispiel-der-grundschule-harmonie/

Vgl. z.B. Herbert Renz-Polster, Die Kindheit ist unantastbar, Beltz 2014

Walter Hövel, Grundschule Harmonie - „Sich selbst und sein Lernen begreifen“ - vom eigenem Arbeiten bis zur Kinderuni, Eitorf 2013, http://www.grundschuleharmonie.de/pdf/artikel_kinderuni.pdf

Walter Hövel. Kinder brauchen das ganze Dorf. In: Rabensteiner/ Rabensteiner. Internationalization in Teacher Education. Interculturality. Volume 2. Schneider Verlag. 2014. S.187-214. http://www.walter-hoevel.de/schulentwicklung/kinder-brauchen-das-ganze-dorf/

 

 

 

Kooperationen mit Firmen

 An vielen deutschen Grundschulen gibt es „Kooperationen um das Programmieren, Roboterbauen oder Lösungsfindung zu lernen“. Noch mehr „Kooperationen“ gibt es in naturwissenschaftlichen Bereichen im Rahmen von MINT- oder STEM-Programmen.