Walter Hövel
Von diesen und jenen Strukturen

 

Mit Kindern über Langeweile, Konsumieren, Funktionieren und ihr Lernen reden

 

 

 

 

Zu unseren Strukturen gehört es, Kinder nicht durch Lernziele, Unterrichtsziele oder Lehrer gemachte Wochenpläne Dinge ablernen zu lassen, sondern ihr selbst bestimmtes Lernen zu organisieren.

 

 

 

Im Forum der Grundschule Harmonie gibt es immer wieder Teilversammlungen unserer Schülerschaft. Mal treffen sich alle Kinder, die mit Bussen zur Schule kommen, wenn es dort Probleme gab. Mal treffen sich alle Erstklässler, weil sie in verschiedenen Klassen 1-4 sind und so ein eigenes Forum des Erfahrungsaustauschs haben. Mal gibt es eine Vollversammlung der Mädchen, mal der Junge, mal aller Dritt-, dann aller Viertklässler zur Reflexion des gemeinsamen Englischunterrichts.

 

 

 

Es gibt auch Treffen, die „Testtimes“ heißen (Hier kann man auf eigenen Wunsch eine Mathearbeit oder ein Diktat schreiben), Sing-Ins, etwa zu Weihnachten, zu Karneval, zu Sankt-Martin. Hier treffen sich am Vormittag immer wieder Klassen übergreifende Arbeitsgruppen, die von LehrerInnen, Studies, Eltern oder Gästen angeboten werden.

 

 

 

Heute gibt es eine Versammlung all derer, die das Problem gemeinsam haben, beim eigenen Schreiben oder bei der Suche nach eigenen Themen nicht zu wissen, an welchen Themen sie arbeiten wollen.

 

 

 

In der Montagsversammlung sind sie eingeladen worden. Es sind gut 25 bis 30 von 200 Kindern und drei LehrerInnen, die dann der Einladung zur „Testtime“ folgten.1

 

 

 

Die Kinder beschreiben wie sie sich fühlen, wenn ihnen nichts einfällt. Sie beschreiben chaotische innere Gefühle, Ablenkung; Stress von Außen, eigene Stressmache. Sie erzählen wie sie sich Hilfe holen, bei Mitschülern, sich Anregung durch Dinge im Klassenraum, in der Natur, durch Bücher oder Bilder organisieren.

 

 

 

Dann fokussieren die Beschreibungen an den gleichen Punkt. „Aus Langeweile fällt mir nichts ein“, und … „das macht dann noch mehr Langeweile“.

 

 

 

Ursache ist gleich Wirkung und umgekehrt. „Sie wissen nichts mit sich anzufangen“, beschrieben unsere Altvorderen noch diese Situation.

 

 

 

Am gleichen Tag erhielt Uschi Resch, Leiterin der benachbarten Grundschule einen Anruf einer Tagesklinik. Sie wollten ein Kind, das vorher an der Grundschule Harmonie war in der anderen, einer Schule mit gemeinsamen Unterricht, unterbringen. Das Kind, das vorher bei uns in Falko Peschels Klasse war, verließ immer wieder den Klassenraum, suchte Beschäftigung im Spiel, geriet mit anderen Kindern an einander, arbeitete eigentlich nie, konnte aber seinem Alter entsprechend Lesen, Schreiben und Rechnen….bis sich die Eltern nach gemeinsamen Gesprächen entschlossen, das Kind in eine Tagesklinik zu geben. Dort ist es ein Jahr lang stationär zu dritt oder viert unterrichtet worden.

 

In diesem Telefongespräch sagte eine Lehrerin der Anstalt den Satz der Sätze: „Das Kind braucht mehr Struktur“. Die Grundschulleiterin erklärt ihr, dass ihre Vorstellungen vielleicht an einer Sonderschule zu realisieren wären, da eine „normale“ Grundschule heute mindestens mit Wochenplänen arbeiten und nicht durchstrukturiert vorgibt, was die Kinder zu arbeiten haben.

 

 

 

Die Leiterin der Tagesklinik hatte – wie viele Lehrer*innen - eine Schule in ihrem Kopf, die vielerorts so funktionieren will. Die Leiterin der anderen Grundschule vertrat eher „meine“ Schule.

 

 

 

Was ist das, dieses „mehr Struktur“? Wenn früher die Kinder durch Erziehung zum Gehorsam unselbstständig und zu Befehlsempfängern erzogen wurden, so geschieht dies heute durch Konsumangebote.

 

 

 

Das Schlimme sind nicht die Fernseher, dann die Gameboys, jetzt die MP3Player, die LANs, die Videos, ….,sondern die Tatsache, dass der Gott Konsum dich immer mit Ideen und Aktivitäten beliefert. Du musst dir die Dinge nicht ausdenken, sondern du musst am besten „spielerisch“ funktionieren. Und so hätte der eine Teil der Gesellschaft auch gerne die Schule: Klare Vorgaben, professionell, transparent, überprüfbar, evaluierbar, vergleichbar, mobil, ganzheitlich, selbstverantwortlich, kreativ…..

 

 

 

Sie übernehmen ein ganzes Vokabular, das dereinst die Loslösung aus der gehorsamen Masse förderte. Heute sollen diese Werte und Fähigkeiten dem Funktionieren in Beruf und Nichtberuf, In Zeit und Freizeit, in digitaler Kultur etc.… dienen. Sie wollen früher und mehr Noten, mehr Vergleichsarbeiten, mehr Ranking, geschriebene Berichte, - statt gelebtes Lernen.

 

 

 

Und was setzt eine „moderne Schule“ heute dem entgegen: Selbststeuerung, Selbstorganisation, Selbstwertgefühl, Selbstbestimmung.

 

 

 

Daher nicht verunsichern lassen von denen, die wieder Druck, Noten, etc. fordern.

 

An der alten Schule ist so viel kaputt, dass viele unserer Dinge „mitgenommen“ werden müssen, um Schule zu erneuern.

 

 

 

Von daher dürfen wir nicht erschrecken, wenn Erwachsene dieses „mehr Strukturen“ fordern.

 

 

 

Wir, die modernen Schulen, erarbeiten mit den Kindern Strukturen: Ihre eigenen inneren selbst verantworteten Strukturen und Ihre Strukturen der Kommunikation und Kooperation als demokratische selbst bestimmte Wesen in einem demokratischen Gesamtwesen.Ziel ist es, der Struktur des Lernens jedes einzelnen Kindes auf die Spur zukommen.

 

 

 

Das ist das besondere Geschäft vieler Therapeuten und Psychologen. Sie haben mit den Krankheiten durch die heutige Zeit verursacht, aber auch dem Neuen unserer Zeit zu tun.

 

 

 

Sie erkennen, dass wir in der Tat in der Zeit eines Strukturwandels leben. Er ist nötig, um die Herausforderungen der Zeit und der Zeiten wie Klimaschutz, Ausbeutung, Ernährung, Krieg und Schutz der Natur durch neue Gedanken und Herangehensweisen zu lösen.

 

 

 

Viele von ihnen versuchen die Analyse der erkrankten auf die verbleibenden Gesunden zu übertragen . Ein sicherer Weg noch mehr Menschen krank zu machen Und die Kranken. Ja, sie brauchen Strukturen, innere, nicht äußere. Denn äußere Strukturen dürfen nach unseren demokratischen Selbstverständnis keinen Formen der Gewalt, des Drucks der Fremdbestimmung, der Beherrschung sein. …

 

 

 

Es ist eine Frage der Entscheidung: Wollen wir angepasste funktionierende, kontrollierte Kinder, die sich bald einen Therapeuten leisten sollten, um ihre privaten, schulischen, beruflichen und Beziehungs-Depressionen auszuhalten, die nur noch über gute Comedy lachen.? Dann ist zumindest die friedlichere und ein wenig das Klima beschützende, etwas Demokratie übernehmende Grundschule in Deutschland …?

 

 

 

Oder wollen sie selbstbewusste, aufrechte, Menschen, widersprüchlich, ohne Angst vor ihrem und der anderen Eigensinn, voller Lebens- und Lernlust, die sich an ihrem Erfolg erfreuen und über kleine und eigene Fehler lachen können ... nicht aber die großen Fehler der Menschheit (mit)machen.

 

 

 

Wenn diese oder jene Kinder der Langeweile begegnen, ist es unsere Aufgabe sie nicht zum Lernen zu zwingen um sie mit Konsum zu belohnen, sondern ihnen die Chance zu geben, die Langeweile als etwas Fremdes zu durchschauen und sich selbst als bekanntes, Vertrautes Ich und Wir zu erkennen, zu finden und zu werden und zu sein.

 

 

 

Die Lernen gestaltenden Strukturen werden beim einzelnen, also wirklich allen Menschen angesiedelt. Sie bauen sich ihre inneren Lern- und Persönlichkeitsstrukturen auf. Sie können alles abholen…

 

 

 

Die äußeren Gesellschafts- und Schulstrukturen entäußern sich durch ihre belehrenden Strukturen.

 

 

 

Das Gespräch, der Kreis sind der Ort, wo die eigene Strukturierung gesteuert, nachgebessert, kritisiert, verändert und verbessert wird.

 

 

 

Hier wiederum wird keine Lernenlernstruktur vorgegeben, sondern hier wird das Lernenlernen vom Einzelnen und der kooperativen Gemeinschaft gesteuert!

 

 

 

Schule bekommt die strukturelle Aufgabe als „lebendes selbst lernendes Wesen“ das Lernenlernen zu lernen.

 

 

 

Diese Struktur ist demokratisch im Sinne optimaler Ausschöpfung aller Möglichkeiten maximalen Spielraums, synergetischer Klimax.

 

 

 

Das Gespräch ist nicht Regulierungs- und Steuerungsmittel der vorgegebenen Ziele, sondern Ort der Zielstrukturierung des Einzelnen, der Gruppe und der Schule.

 

 

1 Es ist bei unserer offenen Form des Arbeitens und Lernens auch für LehrerInnen kein Problem an solchen Events teilzunehmen