Walter Hövel
Wie ich von Eltern lernte von ihnen frei zu werden


„Hallo Herr Hövel, kennen Sie mich noch?“
„Ja“, antwortete ich, „vom Gesicht her sofort…“.

„Giovanni Singh*, der Vater von Michi*. Der war bei ihnen in der Klasse. … Der hat jetzt Abitur gemacht….“


Ich denke an diese grausige Mutter von Michi, die uns immer die Ohren volljammerte, was wir da alles falsch machten an unserer Schule…mit ihrem Kind …., kaum, dass ihren Sohn an der anderen Grundschule abgemeldet und in meine Klasse gegeben hatte. Wenn dieser Helikopter landete, wurde sehr viel Staub aufgewirbelt. Das Kind wusste bei seiner Ankunft in unserer Schule mit sich selbst und  seinem Lernen nur wenig anzufangen.

„Und der ist gerade Weltmeister im Juniorenkraftrennen* geworden. Den würden Sie jetzt gar nicht wieder erkennen.“

„Wieso nicht“, denke ich und will schon erzählen, was für seltsame Eltern sie waren, das sie ihr nächstes Kind nicht bei uns angemeldet haben…

„Und das will ich Ihnen sagen“, fährt der Vater aber schon fort, „Sie wissen ja gar nicht wie dankbar ich Ihnen bin, dass Sie mir damals mit dem Jungen geholfen haben.
Ich erzähle das auch jedem!“


„Das freut mich“, bringe ich heraus, greife nach seinem Arm … und denke an diesen enttäuschenden Vater von voriger Woche, der gerade sein Kind von der Schule genommen hat, obwohl wir schon drei seiner Kinder geholfen hatten… Gegen so einen kleinbürgerlichen, stark egomanischen Vater machst du nichts … Gute alternative Schulen  sind für einige halt oft nur Reparaturwerkstätten“ …

Herr Singh steigt in sein BMW-Cabrio und winkt freundlich Tschüss.

*

Mein Freund, ein katholischer Pfarrer, hat einmal gesagt:
„Das größte an eurer Schule ist, dass ihr so viele Kinder vor ihren Eltern geschützt habt.“

Es ist wichtig, die Erwartungshaltung aller Eltern zu kennen. Du darfst aber nicht deren Anwalt werden. Auch nicht der, der Kinder! Vielmehr gilt es, sie ihr eigenes Lernen bestimmen zu lassen, sie so zu stärken, dass sie – wie Janusz Korczak einmal sagte – den Erwachsenen gewachsen werden.

Und dann arbeitest du weiter, als dein eigener Anwalt. Wenn du anfängst Dank zu erwarten, verlierst du deine Freiheit.
Und genau dich, mit deiner Freiheit, brauchen die Kinder.

 

*geänderte Namen