Walter Hövel
Hausaufgaben
Beantwortete Fragen

Lieber Herr Hövel,
vor ein paar Wochen habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Herr Hansen bei Ihnen an der Schule hospitiert. Wir selber sind von der GGS Sülztal in Overath, dem Zuständigkeitsbereich Ihrer Frau. Wir unterhielten uns darüber.

Dank der QA sind wir an der GGS Sülztal in einen Umstrukturierungsprozess geraten. Im Verlauf dieses Prozesse haben wir als Kollegium vor zwei Wochen festgestellt, dass wir viel glücklicher ohne Hausaufgaben wären. Damit aber die ganze Schule glücklich mit einer solchen Entscheidung wird, gilt es ein gutes Konzept zu haben und (damit) die Eltern ins Boot zu holen. Mit der Arbeit daran beginnen wir noch vor bzw. in den Ferien, um möglichst ohne Hausaufgaben nach den Ferien (zumindest versuchsweise) starten zu können.

Von meiner Hospitation bei Ihnen weiß ich, dass es an der Harmonieschule keine Hausaufgaben gibt. Meine Frage an Sie ist nun, ob Sie mir ein paar unterstützende Informationen dazu geben könnten, wie wir am besten die Eltern mit ins Boot bekommen und davon überzeugen, dass ihre Kinder auch ohne Hausaufgaben genügend lernen.

Ihr ehemaliger Kollege Jürgen Koch ist Schulleiter an meiner Nachbarschule, mit ihm habe ich schon Kontakt aufgenommen und werde sicherlich auch Ideen und Anregungen von ihm bekommen. Da er aber selber noch mit den Hausaufgaben kämpft und, wie wir, nicht den Prozess der Abschaffung und Konzeptentwicklung durchlaufen hat, werde ich von ihm keine praktischen Erfahrungswerte erhalten können.

Daher würde ich mich sehr über eine Rückmeldung Ihrerseits freuen! Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende,
Ilka Göhring

 

Liebe Ilka Göhring,

 

vielleicht benennen Sie das Problem, das wir alle haben, am Schluss Ihrer Mail: „Da er aber selber noch mit den Hausaufgaben kämpft“. Da ich Jürgen Koch kenne, weiß ich, dass nicht er solche „Kämpfchen“ nicht erfindet, sondern, dass es sie gibt. Aber wie wäre es einmal mit der Sicht, dass „wir“, also Jürgen, Sie und ich, „gegen Hausaufgaben kämpfen“.

 

 

 

Wenn Eltern merken, dass wir gegen „Hausaufgaben kämpfen“, werden sie ihr tradiertes Verständnis von Lernen und Schule inklusive des Hausaufgabengedankens verteidigen.

 

 

 

Ich denke, wir müssen an drei Stellen überlegen:

 

Einerseits haben die Eltern einen Grund, wenn sie Hausaufgaben wollen. Sie sehen hier eine Qualität von Schule, die sie unter der Überschrift „Hausaufgaben“ erhalten wissen, sehen oder erreicht haben wollen.

 

 

 

In der Regel wollen sie wissen, was ihre Kinder in der Schule tun. Sie wollen wissen, ob „alles normal läuft“, ob sie eingreifen müssen. Sie wollen eine Kontrolle, ein Mitspracherecht bei Bedarf. Sie wollen sich kümmern, sie suchen Orientierung zum Wohle ihrer Kinder.

 

 

 

Oft sind es die eigenen Erfahrung mit Schule, die vermeintlichen Erfahrungen mit dem eigenen (schulischen) Lernen. Oft ist es die ungeheuer intensive Propaganda in diesem Lande für hergekommene Unterrichts- und Lernformen in hergebrachten selektiven, sozial determinierendem gegliederten Schulsystem. Dazu kommt der Stress der Menschen, ausgelöst durch eine harte Konkurrenz und intensivste psychologische, zeitliche und ökonomische im Berufsleben.

 

 

 

Auch Eltern haben in der eigenen Schulzeit viele Bindungsschädigungen erfahren. Und Menschen mit Bindungsschädigungen fürchten kaum etwas so sehr, wie Kontrollverlust. Sie wollen nicht die Kontrolle über die Entwicklung ihres Kindes verlieren.

 


Es ist oft das tief sitzende Misstrauen gegenüber den eignen Schulerfahrungen, gegen die Erfahrungen der auch schulischen Erziehung der eigenen Eltern und Großeltern. Aber mangels Alternative folgt der Mensch eher dem, „was er gelernt hat“.

 

 

 

Es ist der zeitgeistliche Bildungskonservatismus, der durchsickern lässt: langsam verändern, alle mit nehmen, nicht das bisher Erreichte gefährden, keine Experimente auf dem Rücken der Kindern bis hin zur einfachsten Psychologie: „Aus uns ist doch auch was geworden“ und „Uns hat es doch auch nicht geschadet“.

 

 

 

Haben sie nicht dieses Recht gegenüber einen staatlichen Schule, der sie jeden Tag, 10 Jahre lang, ihr Kind „auf Gedeih und Verderb“ übergeben müssen. Noten, Versetzungen, Hausaufgaben, Tests, Klassenarbeiten, Korrekturen, sind seit 200 Jahren, die Mittel, die die Schule den Eltern anbietet.

 

 

 

Wieso sollen sie all Das ersatzlos aufgeben, nur weil eine nette Schule das so nett will?

 

 

 

Welche neuen Formen und Inhalte biete ich denn Eltern an, wenn ich „keine Hausaufgaben“ mehr will? Dazu muss ich zunächst einmal wissen, was ich will.

 

 

 

An unserer Schule haben wir geklärt, dass „lebenslanges Lernen“ nicht nur nach dem Schulabschluss stattfindet, sondern jeden Tag. Das ist das Leben nach der Schule, was es noch gibt.

 

 

 

Wir sitzen mit unseren Kindern immer wieder im Kreis und fragen sie, wie sie denn nach der Schule weiter lernen. Warum sie spielen? Wie sie spielen? Ob sie lesen, weiter eigene Geschichten schreiben, ob sie tanzen gehen, ein Instrument lernen, Fußball spielen oder Schach. Wir fragen, was sie alles lernen.  Wir arbeiten daran, dass klar ist, dass in der Schule das gleiche stattfindet, wie nachmittags, abends oder in den Ferien, und umgekehrt.

 

 

 

Nicht alle machen das Gleiche, aber man kann sich darüber austauschen, wie „immer gelernt“ wird, wie ich selber organisiere und bestimme was und wie ich lernen.

 

 

 

Und wir reden dann auch über die Mütter, die auf Hausaufgaben bestehen, die nachmittags eine zweite Schule aus dem Lernen machen, weil die erste morgendliche ihnen zu wenig verlangt.

 

 

 

Wie halte ich das aus? Weiß ich vielleicht selbst, was die „unverbesserliche“ Mutter mit mir machen könnte. Müssen wir gemeinsam als Kinder und Lehrkräfte die Mutter beraten? Etc., etc.…

 

 

 

Wir wollen, dass die Kinder immer lernen können – und daran arbeiten wir mit ihnen, nicht gegen die Eltern. Die können wir nur beraten. Hier können wir Qualitäten umwidmen, sich so platzieren, dass sie den Kindern nutzen.