Walter Hövel
Was anders ist an der Grundschule
(geschrieben 1990)

 

Ich bin jetzt seit einem halben Jahr an der Grundschule. Mir gefällt es hier.

 

Nach vielen Jahren des freinetischen Arbeitend an der Haupt- und der Gesamtschule habe ich nun an der Grundschule das Eindruck, den Wurzeln der Freinetpädagogik, den Wurzeln des Lernens viel näher gekommen zu sein als bisher. Das gefällt mir noch besser.

 

Ich soll an meiner Schule die Kolleginnen zur Innovation ihrer Arbeit im Sinne der Richtlinien der Grundschule Nordrhein-Westfalens bewegen, also Fortbildung permanent betreiben.

 

Nur einen Aspekt dieser Arbeit will ich hier herausgreifen., die Frage, wie ein Freinetpädagoge sich mit Lernzielpädagoginnen verständigen soll.

 

Jahrelang reichte es aus, die lehrerzentrierte Lernzielpädagogik abzulehnen. Es reichte es selbst zu machen, es anderen zu zeigen. Auf Fortbildungen, Treffen, Lehrertagen, schulinternen pädagogi-schen Fortbildungen oder bei Hospitationen traf ich nämlich immer auf genügend große Zahl von Menschen, die bereits beschlossen (!) hatten anders zu unterrichten. Sie wollten „nur noch“ wissen wie das geht.

 

Die anderen waren dann eine zu vernachlässigende Restmenge, an denen Mann die Wut über das herrschende Schulsystem abreagierte. Oder ich war diesen Leuten dankbar, weil sie mir nur in Erinnerung riefen, dass ich nicht den Propheten oder Agitateur spielen wollte.

 

In den letzten Jahren werden zudem in NRW jene Menschen rarer, die es noch wagen, offen und ehrlich für eine gestandene Trichterpädagogik einzutreten. Eher findest du jetzt den Typ, der vorsichtshalber im ersten Redebeitrag die „wochengeplante freie Arbeit mit Öffnung von Schule als ganzheitlich affirmatives Wahrnehmungserlebis“ einfordern. Sie lernen eine neue Sprache und füllen jungen Wein in alte Schläuche. Hier war also eine wirkliche Verständigung mit Lernziel-orientierten nicht nötig.

 

Jetzt sieht meine Lage anders aus. Eine Freinetklasse zu haben, Materialien und Tipps auspacken zu können, rhetorisch fit zu sein, hilfsbereit und kooperativ zu sein, Fortbildungserfahrungen in einem schulinternen Arbeitskreis anwenden, pädagogische Konferenzen gestalten zu können, etc, etc reichen nicht mehr aus.

 

Sie suchen mehrheitlich in deiner Arbeit etwas, was ihren Unterricht bereichert. Sie haben weder beschlossen als LehrerIn oder Lehrer anders zu sein, noch haben sie „Angst vor Fortbildungen“. Sie sind Lehrer, die gelernt haben lernzielorientiert zu lehren. Sie halten das was sie tun für richtig und merken gar nicht, wenn sie einmal „lernerorientiert“ umswitchen. Ein „guter Lehrer“ kann sich auf den Schüler einstellen. Sie sind bereits auf dem Weg der Individualisierung.

 

In dir – als Referenten – sehen sie gerne den, der mit einer neuen Methode ihren klar mach soll, dass es „falsch“ war, was sie bisher taten. Aber sie halten Fortbildungen in „alter Manier“ aus, und holen nur ab, was sie eben in ihrem Unterricht brauchen können. In dir sehen sie ein höchst suspektes Objekt, dass sie von etwas – von oben geschickt - , dass sie von etwas überzeugen will, was ja gut sein kann, aber irgendwie wollen sie es (jetzt) nicht. Ihre Praxis testet das Neue. Sie konservieren Pädagogik, weil sie Pädaagogik als Wert „schon immer“ gebildet haben. „Neues“ hat einen viel schwereren Weg als „Verbesserung des Alten“. Und machen sie nicht etwas Richtiges?

 

Ich bin von „meinem Freinet“ so überzeugt, dass ich ihn nicht nur mache, sondern ihnen auch nichts anderes anbiete. Ich stelle gerne vor die Wahl: übernehmen oder nicht. Ich versuche so gerne, ohne mich erst mit ihnen zu verständigen - oder das „Umswitchen“ zu sehen – das „Richtige“ oft an der „falschen“ Stelle. Ich glaube, ich sollte erst (noch) einmal genauer aufarbeiten, was bei der Lernzielorientierung geschieht. Ich komme nämlich aus einer gesellschaftlich selektierten Schulform, der Pflichtschule Sek I in eine integrierte Grundschule.