Walter Hövel
„Autist*innen“ an der Grundschule Harmonie

Die Inklusion

 

Das erste Mal , es war vor 2005, hörte ich etwas über „Autist*innen“ von einer „Autismuslehrerin“ auf einer Freinetfortbildungswoche in Altenmelle. Ich wunderte mich, dass es so etwas überhaupt gab.
Ich hing an ihren Lippen und fand, was sie erzählte,.nicht besonders ermutigend,

 

An der Grundschule Harmonie waren von 2005 bis 2015 „Autist*innen“. Es waren Kinder, oft auch deren Eltern, und vielleicht - manche Lehrer*innen. Heute wissen US-amerikanische Ärzt*innen, dass von 86 Bewohnern eine/r „Autist*in“ ist. Das sind gut 230 „Autist*innen“ in der Gemeinde Eitorf, wo die Schule steht. Es werden mehr werden.

 

Ich bin beileibe kein Mediziner, Psychologe oder gar Spezialist für Autismusfragen. Ich verstehe vieles miss. Manches mag ich auch sehr euphorisch sehen. Mir geht es nur darum über einen pädagogischen Umgang mit allen Menschen zu schreiben. Forschung scheint mir das eine. Das andere ist praktisches Wissen. Erkenntnis über unserer verschiedenes Denken nutzt immer.

 

Ich halte „Autisten*innen weder für immer währende „typische Autist*innen“, noch für die Leute, denen geholfen werden muss, von ihrem „Makel“ wegzukommen. Ich gehe mit allen gleich um. Es sind Menschen. Menschen helfen sich selbst, andere tun es oder die Umgebung.

 

Umgang
Unsere „Autist*innen“ kamen in der Regel aus anderen Gemeinden. - Woanders „gaben“ Familien den „Autimus“ schon damals offener „zu“. - Da unser Ruf zurecht der einer individualisierten und kooperativen, inklusiven und sehr fortschrittlichen, erfolgreichen und demokratischen Schule war, schickte sogar unsere Schulrätin Eltern zu uns. Sie wollten ihre zuhause, in der Kita oder woanders „schwierigen“ Kinder in einer Regelschule „beschulen“ lassen. Wo sonst hätten diese Eltern auch hingehen können? Die Nicht-Regel-Schulen Förder- oder Sonderschulen sind im deutschen Zwangsschulsystem noch immer die Regel und die fast immer empfohlene Alternative zur Inklusion.

 

An der Grundschule Harmonie sahen wir diese Kinder als normale Menschen, die „nur“ anders waren als die Anderen. Alle Kinder können empfindlich sein, weglaufen, schlauer sein. Sie schienen sich mit Anderem zu beschäftigen, mehr oder weniger als andere Kinder und Erwachsene. Sie waren nie die, die alles konnten oder sich für alles interessierten.

 

Wichtig war, dass wir und alle Kinder beim Lernen ein Jahr nach der Gründung der Schule 1985 immer uneingeschränkten Zugang zu Laptops oder den fünf PCs im Klassenraum hatten. „Unsere“ Kinder lernten sofort auf das Wissen des internationalen Netzes zuzugreifen. So stand diese Welt immer allerorts und für jeden Menschen offen.

 

Wichtig ist den Kindern alles wozu wir in der Lage sind anzubieten. Aber es ist Sache der Kinder, ob und was sie annehmen. Umgekehrt dürfen Kinder ihren Wege des Lernens und Lebens alleine, zu zweit oder in der Gruppe gehen, so lange sie andere nicht gefährden. Alle Kinder und Erwachsene haben das Recht „Nein“ zu sagen!

 

Kinder sagen zudem gerne „Ich war das nicht“, auch wenn andere dabei standen und alles sahen. Wir, die Lehrer*innen übten deshalb auch zu sagen „Ich war das nicht“. Erst lachten wir, denn es befreite und dann begriffen wir, es ging auch! Wir waren einem anderen Umgang auf der Spur.

 

Keine Kinder, auch „Autist*innen“ lernen zu schnell oder zu viel. Sie müssen nicht vor sich selbst geschützt werden. Sie dürfen sich aber selbst kennen! Sie haben das Recht heraus zu bekommen, wer sie sind. Sie dürfen forschen, gerade um sich selbst oder was sie interessiert heraus zu bekommen.

 

Wir hielten uns nie für die Tausendsassas, die mit jedem Problem fertig werden. Wir hielten uns aber für lernfähig. Wir sind Anhänger der Vorstellung, dass kein Mensch missbraucht werden darf. Wir sind Anhänger des Gedankens, dass alle Menschenrechte auch für Kinder gelten.

 

Wir sind Anhänger der von der Bundesrepublik bei der UNO unterzeichneten Inklusionsverpflichtung. Eine der ersten, bis heute nicht erfüllten Zusagen ist die Abschaffung der Förder- oder Sonderschulen in Deutschland. Aber Deutschland hat international den Ruf, den es verdient. Deutschland ist „besorgniserregend“.

 

Und wenn ich nur daran denke, dass „normale“ Schule Kindern gleichzeitig das Gleiche beibringen will, oder gar statt ihrer Menschenrechte ihre Sicherheit bevorzugen. Heute muss man immer noch reif für einen Kindergarten oder eine Schule sein. Es ist nicht umgekehrt, dass die Bildung, oder gar das Klima reif für Kinder sein müssen.

 

Das Heilmittel vieler Eltern ist eine konservative Erziehung und Drogen wie Ritalin, weil Waldkindergarten und Montessorischule, vor allem ohne Geld der Eltern, keine Lösung bieten. Einige wechselten sogar zum Entzug aller Menschenrechte für ihre Kinder, sie praktizieren z.B. die ABA-Methode. Sie „belohnten“ dann mit Zuckerzeug, wie selbst Radsch's Eltern es taten. Erziehung und Pädagogik glauben noch immer in ihrer Mehrheit an ihre Aufgabe Defizite abbauen zu müssen. Dass alle Menschen kompetent sind, wird nicht gesehen, viel öfter nicht danach gehandelt.

 

Wenn „Autist*innen“ freie Texte schrieben, waren sie – wie andere auch - sehr feinfühlig. Hier wurde deutlich, dass Kinder und Jugendliche vieles sehen, was andere nicht sehen oder „Normales“ anders als ihre Mitschüler*innen. Sie stellen andere Fragen. Sie bearbeiten – wieder wie andere – z.B. Sachunterrichtliches, oder besser: ihre eigenen Fragen zur Welt sind viel gründlicher.

 

Integrationhelfer*innen
Wenn jemand irgendein Kind als Störenfried sah, kostete uns das ein müdes Lächeln, wenn auch einige Anstrengung. Die meisten der „schwierigen“ Kinder hatten zudem eine/n „Integrationshelfer*in“, die oder der unsere Arbeit im Konflikt- oder Ernstfall machte. „Integrationshelfer*innen“, oft als „Aufpasser“, sogar als „Leibwächter“ verstanden, müssen schnell sein. Manche Kinder sind blitzschnell. Es ist eine Kunst sich in sie hineinzudenken.

 

Den „Intergrationshelfer*innen“ brachten wir „bei“, Schule nicht mit Lernzielen in Gleichschrittigkeit, Anpassung oder Funktionieren mit „ihren“ Kindern zu „spielen“. Wir lehrten sie den Zielen und Arbeiten ihrer „Zöglinge“ nachzugehen, mit ihnen wirklich zu spielen oder zu forschen. Ihre Aufgabe war sie an Gemeinschaften – so weit es bei allen möglich war – heranzuführen. Und, was viel schwieriger schien, die Gemeinschaften an sich selbst und andere Kinder.

 

Wichtig war, dass kein Kind, nicht das Mehrfachbehinderte, das Mathegenie, das Kind, wo die Mutter immer mit Selbstmord drohte oder das Kind, das lange nur bei Erwachsenen schwieg, etwas besonderes war. Sie waren alle gleiche, aber verschiedene Teile einer demokratischen Gemeinschaft. Sie haben alle die gleiche Würde als Mensch.

 

Wir arbeiteten daran, „Autist*innen“, so wie wir an dieser Schule alle Kinder sahen, auch als Menschen zu behandeln. Alle lernen selbst zu bestimmen was, wo, in welchem Tempo, mit wem sie lernten. Die Lehrer*innen ließen ihre Schüler*innen selbst lernen, waren aber immer da, wenn ein Kind sie brauchte.

 

Einige „Helfer*innen“ gingen empört mit klugen oder sofort dummen Argumenten und schlossen sich (wieder) denen an, die gegen unsere Schule waren. Einige hatten fertige Konzepte, wie es ging und schauten nicht auf die aktuelle und generelle Entwicklung der Kinder. Sie wussten angeblich, wo ein Kind hinzugehen hatte und hatten nicht die Mittel wirklich zu helfen. Sie zwangen Kindern gerne ihre Hilfe auf.

 

Umgang
Die anderen blieben und machten ihren Job, nicht nur mit ihren „Klienten“. Mit ihnen begriffen wir, dass diese Kinder nicht kränker oder gesünder sind als wir anderen. Sie sind nur wie sie sind – und wie wir sie behandeln.

 

Viele Wissenschaftler*innen glauben, das Rituale für Autist*innen immer wichtiger werden. Vielleicht meinen sie das, weil Wiederkehrendes bei Autist*innen bei ihnen als Erfolg ihrer Arbeit ankommt. Sie sehen das Auftauchen von Ritualen als Erfolg. Es erinnert mich daran, dass Pawlow glaubte das Klingeln der Glocke führte beim Hund zur Speichelabsonderung, weil Pawlow es in seinen gründlichen Protokollen so beschrieb. (Die Wirklichkeit funktionierte ohne Speichelbildung)

 

Wir nahmen die Autonomie der Kinder beim Lernen als Wichtigstes! Aber die Rituale der Schule, wie die Montagsversammlung, das menschenrechtlich-demokratsche Denken und Handeln, die Dichterlesung, der Kreis (Klassenrat), die Selbsteinschtzung oder die Kinderuni bestimmten das Denken aller, nicht das Machen der Rituale von Einzelnen, waren sie auch noch so „autistisch“.

 

Das „Wir-sind-alle-wichtig“ war genauso wichtig wie die Autonomie des Lernens des Individuums. Das ist der Freinetansatz der Ganzheit von Kooperation, Demokratie und das Lernrecht des Einzelnen. „Rituale gedeihen, wo Ängste wachsen“1.

 

Marlies Schmitz

Es gab immer wieder Schübe in unserem Denken. Ein Schub war Marlies Schmitz, die Mutter einer damals ungefähr 30 bis 40jährigen Autistin. Marlies Schmitz kam als Referentin zu unserer wöchentlichen Montagskonferenz. Sie erzählte ihre Geschichte. Sie machte uns einen Unterschied zwischen „Asberger Autist*innen“ und „echten Autist*innen“ klar.

 

Uns wurde deutlich, dass der Sammelbegriff des Autist*innen höchst fahrlässig ist. Das deutsche Sonderschulwesen war als Bestandteil des „normalen“ Schulwesens überfordert. Es gab oder gibt noch nicht einmal den Studiengang, geschweige die üblichen „Gebrauchsanweisungen“ mit diesen „Sonderlingen“ in einer inklusiven oder in den Hilfs-, „Sonder“ oder Förderschulen. Es gab (zum Glück noch) keine „für Autismus“ ausgebildete Sonderpägagogen. Marlies lehrte uns, als eine Wissenschaftler* mit eigener Erfahrungen“ was wir über den „Autismus“ und über uns wissen konnten.

 

Bitte lesen Sie ihren Aufsatz:
https://www.walter-hoevel.de/gutes-von-anderen/marlies-schmitz-%C3%BCber-autismus/“.

 

Es geht mir nicht darum, ob Maries Schmitz Recht hat oder die beste Meinung vertritt. Mir geht es darum, dass sie ihre eigene Erfahrung machte und sich von der Meinung „gängiger“, die “richtige“ Richtung angebenden Forscher lösen konnte. Es geht mir darum, dass wir „verwandte Seelen“, also kommunizierende Bilder der Welt sind, wenn auch verschieden. Hier treffen sich ein christliches Menschenbild und ein menschen-rechtliches Bild vom Menschen. Menschen die Bilder malen, nennt man auch Künstler*innen. Ich nenne daher als Systemiker alle Menschen Kunstschaffende, Denker ihres Weltbildes.

 

Radsch, unser härtester Test
Und dann kam – nennen wir ihn - „Radsch“. Kein Kindergarten wollte ihn behalten oder keine Grundschule nehmen, außer der Förderschule. Aber die Mutter wollte eine „Regel“-schule.

 

Der Junge verstand zumindest Deutsch, Englisch und Panjabi, - die Sprachen, die seine Mutter konnte. Er selber sprach kein Wort. Er schrie und kreischte, wenn er Angst hatte.

 

Die Kinder fühlten sich schnell nicht mehr angegriffen, sondern warteten, bis er „fertig“ war. Sie gingen nicht desinteressiert weg. Sie blieben (fast alle) bei ihm stehen. Er war scheinbar sehr mit sich selbst beschäftigt, nicht ansprechbar oder erreichbar. Er war nicht, wie manch anderes Kind, „domestiziert“.

 

Eine Unterstellung stimmte bei allen „Autist*innen“, auch nach unserer Einschätzung. „Panikattacken“, „Durchdrehen“, „Wutausbrüche“, „Ausflippen“, wie immer du es nennen magst, passierten. Sie waren von uns noch den betroffenen Menschen zu verhindern. Aber sie vergingen auch wieder. Wir lernten diese Situationen ohne Gewalt oder falsche Schlüsse zu überstehen.

 

Die Mutter wich nicht von seiner Seite. Sie war jeden Tag in der Klasse und Schule. Eine von der Schule besorgte „Integrationshelferin“ mühte sich. Die Mutter lehnte Marlies Schmitz als Begleitung ab. Sie hätte sich mit ihr verändern müssen. Immerhin ging sie vom Plan einer schwachsinnigen Therapie ab und wollte Radsch nicht mehr mit „Zuckerbrot und Peitsche“, also einer ABA-Maßnahme zu einem ordentlichen Mitglied unserer Gesellschaft erziehen.

 

Sie begann Radschs Entwicklungsschritte zu erkennen, zu akzeptieren und von dort mit ihm weiter zu arbeiten. Irgendwann konnte sie nicht mehr, gab auf, unzufrieden mit der Klassenlehrerin und verließ die Schule. Wir lernten auch zu verlieren, zu scheitern.

 

Mir bleibt eine Szene unvergessen. Radsch ging neben seiner Mutter und sah mich. Er löste sich von ihr und rannte gut 50m auf mich zu, umarmte mich und biß sehr schmerzhaft in meinen dicken Bauch. Von wegen keine Empathie vorhanden.

 

Eine zweite Szene wurde mir von der Mutter selbst erzählt. Sie drohte Radsch auf Panjabi Prügel an. Ein Mädchen der Klasse, selber Panjabi sprechend, sagte ganz ruhig zu ihr: „An der Grundschule Harmonie wird kein Kind geschlagen, auch Radsch nicht“.

 

Erinnerungen
Ich erinnere mich an das Kind, dass sich versuchte mit dem eigenen Pullover auf dem Gang zu strangulieren. Ich erinnere mich an die Eltern, die sich kein neues Auto leisten konnten, um ihre Kinder 50 km weit zu unserer Schule zu fahren.

 

Ich erinnere mich an das Kind, dass nach einer Woche Beobachtung, einem eigenen „Stillstand“, anfing an eigenen Themen zu arbeiten, was es heute noch als Heranwachsender, als Erwachsener tut. Aber er reicht einem nie die Hand.

 

Ich erinnere mich an die Montagsversammlungen, wo immer das gleiche Kind wartete als Letzter dran zukommen, um alle noch nicht gegebenen Antworten zur „Frage der Woche“ zu referieren.

 

Ich erinnere mich an den Vater, der mit seiner fast zweistündigen Vorlesung mit 70 freiwillig bis zum Schluss zuhörenden Schüler*innen nicht zufrieden war, weil er eine(!) Sache vergessen hatte. Ich erinnere mich an das Kind, das in der Dichterlesung fehlte, wenn die keinen Text geschrieben hatte.

 

Ich erinnere mich wie alle Kinder der Schule in nur drei Tagen in einer Kinderuni in verschiedenen Seminaren lernten, inklusiv und gewaltfrei mit all ihren Verschiedenheiten umzugehen.

 

Ich erinnere mich, dass wir an der Schule Arbeitenden wirklich nicht mehr wussten, wer von uns „anerkannte/r“ Autist*in war und wer nicht. Ich erinnere mich, dass Kinder und Erwachsene manchmal für Tage nicht mehr zur Schule kamen, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht konnten. Ich erinnere mich an Gespräche der Kolleginnen mit Kindern und Eltern, oder den Kolleg*lnnen selbst, weil sie nicht mehr konnten oder wollten.

 

Ich erinnere mich an das Gefühl überhaupt nicht zu wissen, wie es mit diesem oder jenem Kind weitergehen sollte. Ich erinnere mich an unsere „Kinderkonferenzen“, wo wir unsere „Probleme“ mit Kindern darstellten und oft verzweifelt mit Wegen des weiteren Umgangs rungen.

 

An noch viel mehr erinnere ich mich nicht. Die menschliche Erinnerung braucht im Alltag Stützen - oder eine Kamera

 

Umgang
Oft fragten wir uns, werden wir nicht alle als Autist*innen geboren. Müssen wir nicht alle „unsere“ Welt erst begreifen? Die einen passen sich schnell an. Die anderen werden immer Fragen haben und eine andere Welt wollen. Das Gehirn des Nächsten konstruiert eine andere Welt, in der wir leben. Ist unsere Welt von „Normalen“ ertragbar?

 

Unser Lernprozess hörte nie auf. Er steigerte sich mit jedem Kind und jeder Kenntnis, jeder Erkenntis, mit jedem Handeln.

 

Natürlich erinnere ich mich nicht an schwierige Situationen. Kolleg*innen tun das schon, ...zum Beispiel die, die über sie schreibende Presse oder ihre Partei für den Erhalt von Sonderschulen eintreten. Sie ignorieren die UNO-Charta zur Inklusion von 2006. Sie wollen Menschen weiter wegschließen, in Sonderschulen, Werkstätten oder Familien. Sie wollen „nur“ ihre spätere, allmähliche Aufnahme bei uns allen. Sie wollen alle mitnehmen, bis „alle“ Inklusion können. Sie wollen im Endeffekt sich selbst, den „Anderen“, die „Betroffenen“, das (bewährte oder gerade neue) System schützen. Sie berufen sich gerne auf jene Menschen, mit denen bestimmte Reformen „nicht machbar“ sind.

 

Wir an der Grundschule Harmonie haben das Machbare des Gegenteils, also Inklusion vorgemacht.


Das Kollegium der Grundschule Harmonie musste ständig neue Lektionen lernen. Es gibt in der Tat Autist*innen, deren Hirn nicht nur anders arbeitet wie jedes unserer eh verschiedenen bekannten Gehirne. Wir verstehen, wie bei anderen Menschen nicht, wie oder was sie denken.

 

Es gibt so viele verschiedene Ursachen und Nichtursachen, Wege der Hilfe oder des „professionellen Nichtstun“ (Jürgen Reichen) und der Bewältigung oder Scheinlösung,

- wie es verschiedene Menschen gibt.

 

Es sind nicht die, die anders sind, denken oder fühlen. Es ist der Mensch, der Systeme macht. Wir brauchen ein konsequentes System der Anerkennung der Würde und der Rechte jedes Menschen, ob Frau, Mann oder Kind.

 

Mich haben nicht zuletzt „Autist*innen“, Marlies und meine Kolleg*innen, Kati und Radsch, die Eltern und die andere Praxis gelehrt, dass wir aufhören können Menschen einzuordnen.

 

Unsinnige, abwehrende Behauptungen

Es ist Quatsch, dass „Autist*innen“ keine sozialen Wesen, Nichtsprecher*innen, Unanfassbare oder Begriffe-Wörtlich-Nehmende sind. Sie gibt welche, die weinerlich, schlagend, unberechendar sind. Sie können, was andere auch können. Jeder Mensch kann etwas von diesen Gaben haben. Es ist Quatsch, dass es ein Autismus-Spektrum gäbe, so wie es ein Borderline-, ADHS-, Depressions-oder anderes Spektrum geben soll. Hierbei ist das Motto nur, „Irgend was passt schon“. Alle Menschen können Sport nicht mögen, sensibel sein oder Prüfungsangst haben. Jede/r hat seine „Macke“.

 

Es ist Quatsch, dass „Asperger Autismus“ eine abgeschwächte Form eines „Krankheit“sbildes Autismus ist. Delcato wollte letzteren Senosrismus nennen. „Weil es immer um die Wahrnehmung in allen Sinnesbereichen geht und deren Verarbeitung im Gehirn.“ (Marlies Schmitz). Es ist Quatsch von einer „Störung“ zu sprechen. „Störungen“ der Wahrnehmung, des Gedächtnisses, der Gefühle? In den 1970er Jahren war man erst bereit die Ursache im Gehirn zu suchen. Ansonsten sind alle Menschen irgendwo und irgendwie gestört oder nur verschieden. Und alle Menschen sind begabt! Es sind keine „Störungen“, eher Reaktionen. Vielleicht sind es die ersten Menschen, von denen wir lernen können, wie eine andere, neue Form des schnelleren Wahrnehmens und Lernens geht.

 

Es ist Quatsch, irgendeinen Menschen als „zurückgeblieben“ oder “nachsichtig“ behandeln zu wollen. Die andereSicht ist die des Akzeptierens oder Aushaltens der Verschiedenheiten aller Menschen. Wir mitteleuropäischen Menschen kommen zu leicht in die Sichtweise, die einen für „krank“ zu halten, die anderen für „gesund“. Wo das endet haben schon Nationalsozialisten vorgemacht. Jetzige „Nebenformen“, so gerne als „kranke“ Erscheinungen bezeichnet, werden vielleicht unser Denken revolutionieren.

 

Es ist Quatsch, dass alle Menschen sich selber helfen und heilen müssen. Wir leben in unserer Gemeinschaft. Wir sind kooperativ, um uns gegenseitig zu stützen. Als Einzelne sind wir individuell und frei. Es kommen (hoffentlich) Zeiten, in denen „Autist*innen nicht mehr „seltsam“, etwas Besonderes sind, sondern eine immer größer werdende Gruppe der Menschheit, die schneller und mehr denken kann – als eine Gruppe von vielen.

 

Zu viele Menschen wollen andere schneidend, manchmal ausrottend, von ihrem „Makel“ befreien. Wir alle, alle „Zivilisierten“, kämpfen als Erben des Mittelalters und ihrer Religionen damit. Wir werden gerne von einer „Mittelklasse“ zu allzu durchschnittlichem Verhalten gezwungen.

 

Es geht nicht darum, dass die Gehirne von Autisten „zu schnell wachsen und dann wieder in sich zusammenfallen“, wie einige Wissenschaftler*innen auch heute noch glauben. Auf solche Ideen kommen reiche und omnipotente Menschen, die mit ihrem Geld glauben auch ein Leben in Dunkelheit zu ermöglichen. Wir kapieren zu langsam. Diese Menschen sind Menschen, die herausfinden werden, und wir mit ihnen, wie sie ticken.

 

Wissenschaftler*innen wollen „die Gegenwart von 'autistischen' Kindern verlangsamen“. „Zeit gewinnen“ ist gerade sehr in Mode. Das kommt bei allen gut an, die die Kontolle nicht verlieren wollen, um mit etwas umzugehen. Hauptsache, du behälst die Führung der Untergegeben.

 

Auch oder gerade die Umgebung Schule soll „ruhig und strukturiert“ (Kamila Markham) sein. Dabei ist das Leben – und wir wollen das in Schule stattfinden lassen – ein Abenteuer. Das ist die Stelle, wo ein Karl-Heinz Schiffer schon vor Jahren eine Kinder-Landschaft wir bei Huckleberry Finn gegen Sucht fordert. Wir fordern mehr als ein wildes Schulgelände und das „Immer-raus-gehen-dürfen“. Es ist ein Lernen gegen die Angst, - die unsere Welt (zurecht) macht.

 

Aussichten

Es geht nicht darum, dass eine Schule den Umgang mit Menschen und ihr Lernen besser macht als die andere. Schule ist nur ein schlechtes Lernmodell. Nicht, dass gemeinsames Lernen oder demokratisches Leben mit Gemeinschaften falsch wären. Es ist heute vielerorts noch immer vielmehr die Ausbeutung des Menschen und der Zwang der Macht. Zum letzteren scheinen Kitas, Schulen und Hochschulen in der Vergangenheit als Notwendigkeiten der Produktion eher erfunden und gemacht.

 

Offenheit ist keine Lernmethode. Sie ist die Offenheit alles was du sehen kannst in deiner Welt, alles „an was du kommst“, zu lernen. Diese Welt ist für jeden Menschen anders. Du lernst vorsichtig zu sein, aber nicht ängstlich vor Fremden und Fremdem.

 

Und da gibt es Lehrer*innen und Wissenschaftler,*innen die dann behaupten, dass „weniger Schlaue diese Offenheit und Freiheit“ gar nicht vertragen. Die meisten meinen sich selbst, andere ihre Macht. Aber alle Menschen können nur in Ausschnitten denken, in ihren Ausschnitten.

 

Lorenz Wagner sagt in seinem Buch2 und er zitiert den echten Henry Markram: „Dein Kind ist ein so vielschichtiges Wesen, du kannst es nie ganz erkennen. Wir glauben wir können es, aber es geht nicht. Du kannst nicht alles wissen, kannst es nicht lehren, das RICHTIGE zu tun. Aber du kannst ihm zeigen, wie man sich selbst betrachtet, wie man mit sich und seinen Fehlern umgehen kann. Bist du in der Lage, dich selbst zu reflektieren, kannst du dich selbst verändern.“

 

Menschen sind auch in der größten Knechtschaft frei und selbst verantwortlich, wie schon Viktor Frankel nach seinem KZ-Überleben sagte.

 

Die Freinets, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Menschen lehrten mich, dass die Dinge auch unter den jeweils gegebenen Bedingungen frei zu machen sind. (Auch hier ist das Doppelspiel der Worte Absicht.)

 

Vielleicht gibt es sehr viele neue Menschen, deren Fähigkeiten wir lernen können – und müssen. Aber Menschen sind sehr vernagelt. Vielleicht lernen wir alle „in einer nahen Zukunft“ (Raumschiff Enterprise), die 4ofache Menge an Informationen zu verarbeiten.

 

Autist*innen“ sind nicht dazu verdammt, immer tiefer in eine Weltfremdheit hineinzugehen. Sie können sich entwickeln, sich verändern. Diese Entwichlung vollzieht sich mit den Grenzgängern zwischen Neu und Alt, mit der alten Spezies Mensch. Alle können sich verändern, also lernen, nicht zum Vorherigen, sondern zum Zukünfigen.

 

You Walk Your Talk!“, sagte einmal Radschs Mutter

 

Autist
Vielleicht bin ich selber ein Autist. Die Beschäftigung mit „Autismus“ brachte mich darauf. Ich erprobe oder finde vieles an mir selbst: Emotionalität, Surrealismus, Hpyersensibilität, Begabung, ADHS, Systemik, Matriarchat, Inklusion, ...

 

Ich hasste Smalltalk. Ich redete nur mit Leuten, die mich interessierten. Ich rede nur über Dinge, die mich interessieren. Ich legte schon als kleiner Junge wert auf eine Partnerin.

 

Ich ziehe mich gerne zurück. Bei Themen, die mich interessieren höre ich gerne zu, aber rede viel.. Ich heule bei kleinsten Kleinigkeiten, aber mein Gegenüber kann mir egal sein. Ich tauche in mein Gegenüber ein.

 

Ich bin immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, für mich Neuem, nach neuen und alten Erklärungen. Ich langweile mich, komme aber mit mir selbst und „Spinner*innen“ zurecht.

 

Ich bin geizig bei mir selbst und großzügig bei Freunden. Ich lege überhaupt keinen Wert auf Reichtümer, bin aber froh, wenn ich genug gabe. Ich suche den Kontakt zu anderen Menschen. Aber ich gehe gerne. Ich lege Wert auf wichtige Menschen. Meine Wichtigkeit sehe ich gerne, hasse es aber umschmeichelt zu werden.

 

Ich bin sehr empfinglich, verletzbar, so wie es für Einige schwierig ist mich zu verletzen. Bei Esotherikern werde ich esotherisch, beim Volk normal, bei jungen Menschen jung, und bockig, wenn ich nicht will. Mich begleitet latent Ironie, bin mit dem Leben aber zufrieden. Ich glaube links zu sein, bin aber gerne pragmatisch, sehe das Oben und Unten.

 

Bin ich autistisch, sensibel oder nur ein kleiner von Nazieltern erzogener, radikaler Weltverschwörer. Ich finde meine Weltsicht nötig, aber ersetzbar. Ich bin ein Schisser mit viel Mut. Ich bin ein Schwächling mit viel Kraft..

 

Ich bewege mich nicht viel, habe Höhenangst und keinerlei Gefühl fir Rhythmus. Mir fehlt Ehrgeiz, aber ich liebe Kleinarbeit, wenn es meine Ziele verfolgt.

 

Freunden gegenüber kann ich stur und ungerecht, aber auch treu bis zur Nachlässigkeit sein.

 

Ich verstehe einige Menschen, Bücher oder Theorien nicht, Ich halte mich dann für dumm oder ungebildet. In der Regel stellt sich ihre Irrelevanz oder Quelle heraus.

 

Ich neige zu Sarkasmus und möchte von anderen so ernst genommem werden, wie ich meine eigene Sichtwese oft unklug oder falsch finde. Die Wertschätzung meiner selbst läßt zu wünschen übrig.

 

Eigene Fehler werden korrigiert, bis zur Handlung des Gegenteils. Bei Fremden akzeptiere ich „Fehler“, andere Ansichten, sogar Spleens im hohen Maße. So sind auch alle „Autisten“ anders als Andere. Ich finde sie sehr normal.

 

Literatur

Sie ist bei weitem nicht ausführlich oder representativ. Ich habe nur ein paar Bücher, die mir begegneten, aufgeschrieben. Ich halte vor allem nicht immer alles für „richtig“ was drinsteht. Manches Mal denke ich anders.
Lorenz Wagner, Der Junge, der zu viel fühlte, Bastei Lübbe

Marlies Schmitz, Kati lernt hören, Manhold Verlag

Marlies Schmitz, Kati lernt sprechen, Manhold Verlag

Dr. Carl Delacato. Der unheimliche Fremdling, das autistische Kind, Hyperion
Dr. Carl Delacato. Diagnose und Behandlung der Sprach-und Lesestörung Hyperion

Axel Brauns, Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann

Birnbacher, Birgit: Mal lichterloh, mal wasserblau,Tandem

Idan Segev, Henry Markram. Augmenting Cognition. EPFL Press

 

1Lorenz Wagner. Der Junge der zu viel fühlte. München 2018, S.73

2Lorenz Wagner, Der Junbge, der zu viel fühlte, S.147