Walter Hövel

Der Chor-Urlaub

 

Seit über 30 Jahren lässt Gisela Leser oder Tamm ihren Chorurlaub bei Sable d'Or, (ein häufiger Ortsname auf der Welt und in Frankreich) bei Cap Frehel in der Bretagne stattfinden. Du meldest dich bei ihr an, um 14 Tage lang jeden Tag in einer Kirche mit ihrem Chor zu singen. Du bist für damals kleines Geld auf einem riesigen städtischen Campingplatz direkt am Meer. Ich nahm früher, vor über 25 Jahren, oft teil mit meiner ersten Frau Maria, mit den Kindern, den Freinetleuten und den KBNord-Leuten (als grüne Maoisten waren sie immer faschistoid und bürgerlich-frauenrechtlich) aus Rothenburg ob der Tauber.

 

Mein Sohn Hannes lernte auf dem Campingplatz auf Frehel in der Bretagne seine Frau Louisa kennen. Sie zog mit 15 nach Obereip. Später heirateten sie. Bis 2022 lebte er mit ihr und ihren Töchtern Ella und Jette in meinem ehemaligen Haus neben Sasses zur Miete. Er wohnt bei Maria gegen Miete. Sie lebt jetzt in Christchurch, Neuseeland.

 

Hier, bei Gisela wurde ich von ihr als Tenor (wieder)entdeckt, Als Schüler des Humboldt-Gymnasiums in Köln sang ich in einem Chor die Carmnina Burana von Orff mit. (Leider war Carl Orff ein Faschist). Erst Jahre später sang ich wieder, in Giselas „Chourlaub“. Gisela hatte mich als „ihren Heldentenor“ entdeckt. Sie 'residierte' in ihren Wohnwagen.

 

Unvergessen bleibt mir ein Urlaub mit meinem Sohn Severin. Er bekam hoch ansteckende Masern oder Röteln. Nachts kämpfte ich um sein Leben. Er hatte zwei oder drei Nächte fast 42 Grad Fieber, bekam Wadenwickel und Globuli (sie waren damals üblich), und es regnete ins Zelt. Tagsüber trug ich ihn auf den Schulter. Er bekam Eis zu essen. Ich sehe ihn jetzt noch, mit 74 Jahren, auf meinen Schultern über den Platz des Campingplatzes spazieren. Mit Jochen Hering, Dagmar Schmitz aus Bremen und ihrer Tochter fuhr ich nach Paris auf einen Campingplatz. Ich musste mit Severin dableiben. Er war noch krank. Mit Jochen und Dagmars Tochter verbrachte ich dort meinen tollsten Urlaub. Dann kam Dagmar nach. Jochen sagte den Satz; „Wenn du mit Faschisten singst, musst du auch damit rechnen, dass sie so reden“. Das kam so:

 

Ich liebte es jahrelang (später wollte Uschi nicht zelten) in Giselas Chor. Anschließend sangen wir unangemeldet in anderen Kirchen und auf Plätzen. Eine Tages sangen wir das wunderbare russische Wiegenlied „Bajuschki Baju“. Nur es hatte eine dritte Srophe. Darin „gehen die Tschetschen mit langen Messern nachts um, um Babys zu töten“. Damals aber tötete der russische Staat tschetschenische Freiheitskämpfer*innen. Ich wollte die Strophe nicht singen und sagte es laut im Chor. Das kannte ich bis dahin nicht, so dachte ich, die deutsche Seele „meiner“ Mitsänger*innen. Ich „solle mich nicht so anstellen“ sagten sie. „Das ist historisch gewachsen“, sagten sie.

 

Ich war verzweifelt. Ich verließ den Chor, als sich die Chorleiterin für das Weitersingen der Strophe aussprach. Gisela war jahrelang die demokratisch gewählte Bundesvorsitzende des Freinetvereins. Viele Jahre später veröffentlichte sie das Lied - ohne die demokratiefeindliche Strophe.

 

Wir fuhren mit dem Auto in Ferien, so auch auf den Platz in der Bretagne. Wir zelteten immer im oberen Teil. Wir gingen uns duschen in Kabinen. Wir kauften auf dem Platz ein, manchmal im Supermarkt. Ich kam immer mit „meinem“ Geld aus, sparte immer. Ich hatte nie das Gefühl wenig Geld zu haben.

 

Ich habe Lachse gebraten, damals sehr billig im französischen Supermarkt zu erstehen. Ich glaube es waren fast tote kanadische Salme nach ihrem Laichen, daher so billig. In Deutschland mussten sie geschlachtet werden. Ich kaufte in Deutschland ein kleines rundes Grill, nahm die Pinienzapfen, die rumlagen, Rosmarin, der dort wuchs und grillte den Fisch.

 

An einem Nachmittag sang ich mit einem Chorbruder aus Rotenburg oder Bremen Ober- und Unter(!)töne in der Kirche. Eine Freinetfrau aus Hamburg, Doro, sang sogar im Bass. (Ich durfte nie im Sopran singen). Wir sangen recht in englischer Manier, anders als damalige Männergesangvereine, tolle Lieder. Jedes Jahr sangen andere Leute im Chor, einige kamen wieder. Es war immer sehr spannend, die vom letzten Jahr wiederzusehen.

 

Ich vergesse nicht, dass in der Kirche, in der wir probten, der Seeleute gedacht werden, die fast jährlich auf dem Meer umkamen.

 

Ich besuchte Gisela in ihrem Zuhause. Ich sah sie noch - sehr beeindruckend - mit Kinder als Lehrerin arbeiten. Dann wurde sie nur noch Personalrätin und Fortbildnerin. Sie wurde bald pensioniert. Heute, 2023, ist sie sehr alt.

 

Ich begrub Jahre später Louisas Mutter in Rotenburg/Tauber. Ich glaubte fast alle Menschen zu kennen. Ich fuhr schon lange nicht mehr in „Chourlaub“ in die Bretagne,

 

Ich erinnere mich an einen langen Spaziergang mit Paula, der Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Bremen. Ich konnte mein Leben sortieren. Auf Cap Frehel hatte ich bei nicht kniehohen Mauern meine Höhenangst. Später kletterte ich wieder auf eine Leiter.