Walter Hövel
Einschulung als Mittel der Schulentwicklung
Die Klassenbildung als Mittel der Bildung in Klassen abschaffen

 

Zwischen meinen Jahren an Kölner Hauptschulen und der Grundschule Harmonie[1] und durch viele Hospitationen[2], musste ich erleben, wie soziale Trennung auch in den Schulen praktiziert wird. Der Kastencharakter unserer Gesellschaft - bereits durch verschieden arme und reiche Wohn- und Stadtviertel vorhanden – wird mit Hilfe der Klassenbildung schon in der Grundschule im Sinne einer - vielleicht gar nicht gewollten - Klassenbildung fortgesetzt.

 

  Meine Frau und ich übernahmen einmal zur gleichen Zeit beide eine erste Klasse in verschiedenen Wohngegenden. Die eine Klasse lag in einem reicheren Viertel einer Stadt in der Rheinschiene, die andere weit entfernt in einer dörflich-industriellen Gemeinde am Rande des Rheinlands. Wir konnten jeden Tag vergleichen, was „unsere“ Kinder in ähnlichen Lernsituationen „leisteten“. Die „Landkinder" kamen vom ersten Tag an niemals auch nur ansatzweise an die „kulturtechnischen Leistungen“ der bürgerlichen Kinder der Stadt heran.

 

Kinder werden gerne und traditionell von Schulleitungen und ganzen Konferenzen in verschiedene Klassen – je nach ihrer Wohngegend, je nach Geld und Bildungsstand der Eltern, je nach Vereinszugehörigkeiten oder Betriebsgröße – aufgeteilt. Erkennungszeichen waren gerne das a, b, c oder d hinter dem Klassennamen oder die großen As und Bs in anderen Schulformen.

 

Aber um soziale Gleichheit geht es zu vielen bevorteilten Bürgern nicht. Hierzu das köstliche Beispiel von 1929 aus England  in Peter Gallin/ Urs Ruf. "Sprache und Mathematik in der Schule". Verlag Lehrerinnen und Lehrer Schweiz 1991, auf Seite 256 in  „The Story of an Experiment“. Es endet mit den Worten: „Es waren die Eltern aus der sozialen Mittelklasse, die das Experiment stoppten. Sie waren (von diesem Unterrichtsstil) nicht zu überzeugen, weil er ‚ihre eigene Kinder gegenüber den Einwandererkinder nicht mehr bevorzugte und auch ihrer eigenen Auffassung über Schule nicht entsprach'".

 

An einer  Schule, an der ich arbeitete, wurden die Klassen sogar nach den Hausnummern der gleichen Straße aufgeteilt: „Alle unter Hausnummer 61 kamen zu den „Guten“, die drüber zu den „Schlechten“ in die ersten Schuljahre, getrennt nach a und b. Junge, neue Lehrkräfte mussten sich bei Beginn ihrer Arbeit auch gerne erst einmal in einer „schwierigen a-Klasse bewähren“.

 

Jede (!) wissenschaftliche Studie weist nach, dass das Lernen in sozial oder sonst wie „gemischten“ Klassen niemals das Niveau des Lernens negativ beeinflusst. Eher steigert „die Mischung“ den Erfolg des Weiterkommen. Selbst die immense Bevorteilung durch die Bildung in der Familie und deren Fortsetzung in viele Millionen starker „Nachhilfe“ kommt nicht gegen „die Kraft der Mischung“ an.

 

Besonders schwache Schulleitungen duldeten gerne das direkte „Anmeldesystem“ von betuchten Eltern bei bestimmten (zukünftigen) Klassenlehrerinnen, ohne oder mit ihrem Wissen. Einige dieser Klassenlehrer*innen handeln so mit dem oder gegen das Wissen ihrer Schulleitungen, einige durchgehend konsequent, andere situativ nachgebend - auf Elternwünsche eingehend.

Manche, nicht wenige Mittelschichteneltern, glauben so, ein „Unter-sich-bleiben“ oder zumindest „ein schnelleres Lernen“ zu erhalten. Andere und noch reichere Eltern haben ihre „sicheren“ Grundschulen im eigenen Wohnviertel oder mit ihren Privatschulen und Internaten.

Als ich 1996 die Grundschule Harmonie[3] gründete, gab es von Seiten einiger Eltern diese Einstellung und von Seiten einiger mir zugeteilter Lehrer*innen die Bereitschaft zu solchen Einteilungen.

Zu Beginn hatte ich immer zwei erste Schuljahre zur Verfügung. Ich teilte zunächst „nach bestem Wissen und Gewissen“ die Schüler*innen sozial möglichst gleich in die verschiedenen Klassen auf. Dies wurde mir dadurch erleichtert, dass die Kinder aus vielen Kindertagesstätten kamen und die Elternschaft eher zu den minderverdienenden Teilen der Bevölkerung gehörten.

Schnell begriffen die Eltern, dass ich größere Gruppen von Kindern aus einem Kindergarten kommend, auf die beiden Klassen aufteilte. Sie „suchten“ also das Gespräch ( aus Gewohnheit?) mit den zukünftigen Klassenlehrer*innen. Das suchte ich auch und musste den Kolleg*innen unmissverständlich klar machen, dass sie keine Zusagen zum Hineinkommen in ihre Klassen machen konnten, sondern die Aufteilung der Klassen alleine Sache der Schulleitung blieb.

In der Tat musste ich oft „gegensteuern“ und manches Gespräch mit den Klassenlehrer*innen und Eltern führen.

Als wir um das Jahr 2005 das Alters gemischte Lernen einführten, ergab sich die Chance, das System der Aufteilung der Klassen zu verändern. Mit in der Regel acht Klassen vom ersten bis zum vierten Jahrgang konnte ich nun den Eltern eine neue Art der Wahl ihrer Klasse anbieten.

In jede der 8 Klassen kamen jährlich ca. 4 – 6 Erstklässler. Somit bekamen die Eltern die Möglichkeit zwischen 8 Klassen zu wählen.

Das funktionierte so, dass die Eltern - wie bei einer Projektwoche - drei Wünsche zur Zuteilung ihrer Kinder in eine der Klassen machen konnten. Sie bekamen einen Erst-, einen Zweit- und einen Drittwunsch, auch in dieser Reihenfolge. Meine Zusage als Schulleiter war, dass sie mir diesen Wunsch gut ein paar Monate vor der Einschulung bekannt gaben und ich versuchte, ihre Wünsche zu erfüllen. Wenn mir dies – in nur sehr wenigen Ausnahmen – nicht gelang, suchte ich mit den Eltern und den Kindern in einem Gespräch unter den verbliebenen 5 Klassen eine neue Wahl aus.

Bevor das geschah bekamen die Eltern von mir eine Informationsschrift, die die acht zur Auswahl stehenden Klassen mit ihren Klassenlehrer*innen und ggf. Lehramtsanwärter*innen vorstellte.

Ein solches, hier fiktives Schreiben sah in etwa so aus:

 

Liebe Eltern unserer neuen Kinder!

Eitorf, 14.12.2010
Im Folgenden stelle ich Ihnen unsere acht Klassen in kurzer Form vor.

Sie können 3 Klassenwünsche äußern, damit ich entscheiden kann, in welche Klasse Ihr Kind gehen wird. 

Die individuelle Förderung jedes Kindes und Forderung an jedes Kindes – egal welche Voraussetzungen es hat, geschieht in allen Klassen und der gesamten Schule in einer Mischung aus eigen verantwortlichem, selbst organisiertem Lernen und einem Lernen anhand eines selbst gewählten Lernangebots aus einem Programm („Kinderuni“), das ihnen angeboten wird. Jedes Kind, ob hochbegabt oder eigensinnig lernend, ob gehandicapt oder hochsensibel ist normal - und ist bei uns willkommen.

Sie haben folgende Klassen zur Auswahl.

B   „Die Blüten“ mit … als Klassenlehrerin. Hier wird neben vielem anderen die Musik gepflegt. Eigenes Komponieren oder die Beherrschung eines Instruments sind genau so gefragt wie das Schreiben eigener Texte, handelndes Mathematiklernen oder die Organisation eigener Lerngänge.

K   „Die Kormorane“ mit  ... Sie hat die geballte Erfahrung von 28 Dienstjahren. Sie ist unsere Mathe- und Sportspezialistin. Hier wird zudem gedruckt, Korrespondenz gepflegt, und viele Jugendbücher und Literatur gelesen. Die Schulzeitung gehört zu den besonderen Kümmernissen.

S   „Die Sonnenkinder“ mit ... Diese Klasse befindet sich im Aufbau, so dass im nächsten Schuljahr dort nur 18 bis 20 Kinder sein werden. Die Lehrerin arbeitet immer wieder mit Stationen, die alleine von den Kindern für Kinder gemacht werden. Sie lernen das Lernen gerne über das Lehren. Die Kollegin hat besondere Erfahrungen in der Sonderpädagogik. Die Etablierung der Eigenständigkeit des Lernens jedes Kindes ist das Ziel.

F   „Die Fledermäuse“ mit …. Hier wird neben dem intensiven Lernen viel Theater gespielt, gesungen und Englisch gelernt. Englisch lernen heißt zu allererst, wie bei allen Kollegen der Schule, Englisch sprechen können. Besonderes Kennzeichen ist die Bildung der eigenen Sprache, wobei die Dichterlesung mit der individuellen Sprachentwicklung der Kinder im Mittelpunkt steht. Oft werden gemeinsam mit den „Genies“ und anderen Klassen eigene Filme und Schulnachrichten gedreht.

G   „Die Genies“ mit ...  Hier steht neben einem äußerst individualisierten Lernen Literatur, Rollenspiel, Englisch und die Arbeit mit dem Computer im Mittelpunkt. Es werden Film und Trickfilme gedreht. Der Austausch mit England ist beim ausgebildeten Sprachlehrer und seiner Klasse in besonderen Händen.

P   „Die Phönixe“ werden von … geleitet. Sie fördert die Entwicklung von Kommunikation- und Kooperationsfähigkeit und Lernerpersönlichkeit alle Facetten des Lernens. Sachunterrichtliche Experimente, eigene Fragen, Forschen und naturwissenschaftliches Lernen, auch in anderen Sprachen, sind besonders wichtig. Hier wird viel außerhalb der Schule gelernt.

 K    „Die Kichererbsen“ arbeiten mit ... Zu ihren vielen Schwerpunkten zählen die Arbeit in Projekten, das Experimentieren und die Auseinandersetzung mit Natur und Naturwissenschaften. Ein besonderes Anliegen ist das Gespräch mit den Kindern. Sie pflegt Formen der Demokratie, des Klassenrats und der Selbst- und Mitbestimmung der Kinder besonders. Hier stehen das freie Schreiben, der freie Ausdruck und die kreative Material basierte Mathematik im vergrößerten Mittelpunkt des Lernens.

M „Die Mondscheindrachen“ werden von … betreut. Sie ist sowohl Lehrerin, ausgebildete Sozialpädagogin, als auch gelernte Erzieherin. Sie vertieft u.a. die Sprachkenntnisse der Kinder und arbeitet viel mit Kinder- und Jugendliteratur. Kinder lernen in viel Ruhe zu lernen. Sie legt die Basis, warum Grundschule Grund-Schule heißt, um im jetzigen und in einem zukünftigen Leben, in Schulen, Beruf und Medien die eigene Zeit zur persönlichen Erfahrung zu finden.

Rückseite:

Sie können entweder drei Wünsche in der Reihenfolge Ihrer Wertigkeit angeben, oder ankreuzen, dass Sie uns allein die Wahl der Klasse überlassen.

Bitte lassen Sie uns Ihre Wünsche zukommen

•             per E-Mail: grundschule.harmonie@web.de
•             per Post: Grundschule Harmonie, Sankt-Martins-Weg 5, 53783 Eitorf
•             per Fax: 02243-912621 zukommen,
•             oder bringen Sie sie uns montags bis freitags zwischen 7 und 15 Uhr in den nächsten zwei Wochen
               vorbei.

Name des Kindes:    ___________________________________    

O.......... Wir überlassen die Einteilung alleine der Schule.

Unsere Wünsche:
1.______________________________________

2.______________________________________

3.______________________________________

Falls Ihr Kind länger als 13.00 Uhr in der Schule bleiben soll:

Wir wünschen, dass unser Kind bis
O    nur zum Essen zum monatlichen Preis von 20 €
O    15 Uhr in der Schule zum monatlichen Preis von 50 € (inklusive Essen)
O    16 Uhr in der Schule zum monatlichen Preis 60 € (dito)
O    oder länger zum zu besprechenden Preis (dito)
in der „Festen Langzeit in einer Gruppe (FLieG)“ bleibt

Die Zusammensetzung der Klassen finden Sie ab dem 1.Mai auf unserer Homepage.

Hospitieren
Wir wollen Sie nochmals darauf aufmerksam machen, dass Sie und Ihre Kinder bereits in diesem Schuljahr jederzeit an unserer Schule hospitieren können. Die Kinder können auch über längere Zeiträume bleiben.

Einschulungsfeier
Die Einschulungsfeier (mit Schultüten) findet am Samstag, den 28. August 2010 statt. Um 14 Uhr sind die, die das wünschen, zunächst zu einer Feier in der benachbarten Kirche Sankt-Josef in der Josefstraße eingeladen. Um 15 Uhr beginnt die Einschulungsfeier in der Schule.

Erster Schultag
Der erste Schultag Ihrer Kinder (ohne Schultüten) ist Montag, 30. August. Die Kinder sollen, wie alle anderen Schulkinder, bis 8 Uhr in der Schule sein.

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


Wir freuen uns auf Ihre Kinder und eine gute Zusammenarbeit!



Mit freundlichen Grüßen


Walter Hövel

 

Ein solches Einschulungsverfahren funktionierte. Wenn die Schule klar sagt, was sie will, wird dies akzeptiert.

Auch der Staat – oder seine Vertreter, wie eine staatliche Schule, müssen Demokratie anbieten, weil es drauf steht!  

Wenn Eltern dieses oder anderes nicht wollten, meldeten sie ihre Kinder an anderen Schulen an, wo andere pädagogische oder gesellschaftliche Schwerpunkte im Mittelpunkt stehen.

 

Schon bei der Einschulung prägen wir unsere Gesellschaft selbst.

 



[1] von 1992 bis 1996

[2] von 1970 bis heute (2017)

[3] So genannt, weil der Ortsteil als alter Bergwerksort „Harmonie“ hieß