Uschi Resch und Walter Hövel

 

Wir haben uns für die Kinder und ihre Rechte entschieden

 

Kinder haben das Recht, ein Indianer mit allem Drum und Dran zu werden"

 

Florian, 7 Jahre alt

 

 

 

Das Kind ist dem Erwachsenen prinzipiell gleichgestellt, für das Kind gelten die gleichen Grundrechte. Wir haben uns für die Verwirklichung der Menschenrechte entschieden.

 

 

 

Kinder sind Menschen, die ihre eigene Aktivität entwickeln. Diese eigene Aktivität ermöglicht erst ihre Entwicklung, indem sie sich mehr und mehr mit der Welt auseinander setzten. Sie konstruieren ihre eigene innere Welt und nehmen zunehmend und mit zunehmender Verantwortung an jener Konstruktion von Welt teil, die wir als gesamte Menschheit vollziehen. Dabei verändern sie sich selbst und die Welt. Wir haben uns für die Mündigkeit der Kinder entschieden.

 

 

 

Kinder sind kompetente Wesen. Sie verfügen über die Fähigkeit in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt zu lernen. Sie sind im Vergleich zu Erwachsenen nicht „mangelhaft“ oder „ungebildet“, sondern wir können sie als „qualitativ anders“ (Jean Piaget) ansehen. Wir haben uns dazu entschieden, dass wir den Kindern in unserer Verantwortung als Erwachsene begegnen.

 

 

 

Das Kind ist unser „Interaktionspartner, der nicht ausschließlich nach den Vorstellungen des Erwachsenen geformt, gebildet, sozialisiert wird, sondern seinerseits auch auf den Erwachsenen einwirkt und somit die Prozesse der Sozialisation und Erziehung aktiv mitgestaltet.“ 1 Wir wissen, dass wir von Kindern lernen können.

 

 

 

Das Individuum selbst muss die festen Grundlagen seines Lernens schaffen, wobei es die Möglichkeit haben sollte, auf Erwachsene und ein Milieu zurückzugreifen, die ihm hilfreich zur Seite stehen: In diesem Fall sprechen wir von Erziehung. Wenn man von außen dem Kind einen Rahmen von Verhaltensregeln auferlegt, die seinen natürlichen Bedürfnissen fremd sind, sprechen wir von Dressur“ (Elise Freinet). Wir haben uns für die Erziehung entschieden.

 

 

 

Kinder sind das wertvollste Gut der Menschen. Sie sind unsere Zukunft als Menschen. Hieraus leiten wir Rechte ab, die ihnen in ihrer Kindheit garantiert sein müssen: Kinder haben das Recht auf ihre eigene Zukunft. Dies gilt für ihre eigene Entwicklung genau so wie für globale Fragen unserer Gesellschaft und der Zukunft der Welt. Im Sinne der Agenda 21 der Vereinten Nationen fördern wir konsequent eine Erziehung im Bewusstsein der Verteidigung des Lebens und der Menschenrechte heute und in Zukunft.

 

 

 

Kinder haben gegenüber allen Mitmenschen das unveräußerliche Recht auf Achtung des Kindes (Janusz Korczak). Kinder sind weder kleine Erwachsene, noch zu bevormundende noch zu verhätschelnde Besitztümer der Erwachsenen. Nur die Achtung ihres Status als Kind lässt jene Entwicklung zu, die sie brauchen. So haben das Recht auf ihren eigenen heutigen Tag, ein Kind zu sein, so wie es ist (und nicht wie der Erwachsene es haben will) und das Recht Erwachsenen zu begegnen, die sich ihrer Verantwortung und eigenen Rechte als Erwachsene und ihres Erwachsenseins bewusst sind. So haben Kinder ein Recht auf „überschaubare und überschreitbare Grenzen“ (Janusz Korczak).

 

 

 

Sie haben das Recht etwas Falsches zu tun. Dies macht sie weder schuldig, noch minderwertig, sondern zeigt an, wo sie unsere Hilfe und Begleitung brauchen. Kinder haben das Recht Fehler zu machen, denn wir Menschen lernen nur durch die Fähigkeit zur Selbstkorrektur von Fehlern. Fehler sind der Antrieb zur Entwicklung, zum Erkennen, zum Ansammeln von Wissen und zum Leisten. Nur wer gelernt hat kleine Fehler zu korrigieren, kann große Fehler verhindern.Kinder haben das Recht Probleme zu haben. Nur wer lernt diese zu artikulieren, lernt sich Hilfe in der Gemeinschaft zu organisieren, lernt sich selbst zu helfen. Sie haben ein Recht auf Trauer und Freude, auf Angst und Mut, auf Neugier und Zurückhaltung.

 

 

 

Kinder haben ein Recht auf sich selbst. „Aufgabe der Pädagogik ist es, das Kind den Erziehern gewachsen zu machen“ (Janusz Korczak). Wir haben uns für die Stärkung der Kinder entschieden.

 

 

 

Kinder haben das Recht Werte zu haben und sich selbst als wertvoll zu sehen. Unsere Aufgabe ist es nicht, ihre Leistungen durch Noten oder Beurteilungen abzuwerten, sondern ihren Leistungen durch unsere und ihre eigene individuelle, als auch gemeinsame Be-Wertung ihrer Arbeit die Anerkennung ihres Wertes zu geben. Kinder haben das Recht auf ein entwickeltes Selbstwertgefühl, das die wirkliche Grundlage für Selbstbewusstsein ist. Wir haben uns gegen Noten, für die Würdigung wirklicher Leistung entschieden.

 

 

 

Kinder haben das Recht zu ungezwungener Arbeit, zur eigenen Einteilung ihrer Zeit, zur eigenen Entscheidung, zur Entwicklung der Verantwortungsfähigkeit, zur Wahl der eigenen Freunde.

 

 

 

Wir erkennen das Recht der Kinder auf Vergnügen an, das schon immer von Schule verdrängt wurde. Das Recht auf Vergnügen wird von jenen als etwas Ungeheuerliches angesehen, die die Menschen von Kindheit an auf die Entfremdung einer von „oben“ auferlegten Arbeit vorbereiten. Leben sollen sie erst in Konsum und Freizeit erfahren. Die Bestrebungen der Kinder aus eigenem Antrieb zu lernen, werden von uns nicht durch willkürlichen Zwang zu fremd bestimmten Zielen umgeleitet. Wir akzeptieren den Wunsch, aus eigenem Interesse ein frei gewähltes Ziel zu erreichen. Dieser Weg wird nicht ohne Mühe und Enttäuschungen sein. Aber die Erfahrung der eigenen Leistungsfähigkeit garantiert Vergnügen. Für uns gibt es keine andere Formung des Willens als die Erziehung zu freien Menschen durch die Übernahme von Verantwortung.“ 1

 

 

 

Wir haben uns für die Leistung entschieden, die Mühe kennt und Spaß macht. Kinder haben das Recht auf gute Lehrer. Das sind jene Lehrerinnen und Lehrer, „bei denen man viel lernt, die beim Lernen helfen, wo alles geklärt wird, wo es einen Klassenrat gibt, die darauf achten, was mit den Kindern psychisch los ist, die keinen Ärger machen, wenn ein Kind etwas falsch gemacht hat, sondern dem Kind hilft, die helfen, wenn es einem nicht gut geht, die sich auch einmal von Kindern helfen lassen“ 2, aber die Kinder selbst lernen lassen. Freinetlehrerinnen und -lehrer arbeiten kontinuierlich an ihrer Professionalität, Einstellung und Weiterbildung. Sie tun dies bevorzugt selbstorganisiert, in ihren regionalen Gruppen oder in ihrem Kollegium (falls es sich um eine entsprechende Schule handelt), in nationalen und internationalen LehrerInnentreffen,, durch die Veranstaltungen von Symposien und Arbeitstreffen zu speziellen Themen und last but not least durch Publikationen in ihren eigenen Zeitschriften.3

 

 

 

Wir haben uns entschieden, nicht gleichgültig weg zu schauen: Kinder haben das Recht gefragt zu werden, aber nicht dann, wenn Erwachsene nicht für sich selbst entscheiden wollen. Kinder haben das Recht nicht verletzt, missbraucht oder entwürdigt zu werden. Dies ist die oberste Regel in unseren Klassen und Schulen. In diesem Sinne haben Kinder das Recht zu nichts gezwungen zu werden was sie nicht tun wollen oder können.

 

 

 

Kinder haben das Recht auf eine eigene Meinung. „Die großen Leute verstehen nie etwas von selbst, und für die Kinder ist es zu anstrengend, ihnen immer wieder erklären zu müssen...ich bin viel mit Erwachsenen umgegangen und habe Gelegenheit gehabt, sie ganz aus der Nähe zu betrachten. Das hat meiner Meinung über sie nicht besonders gut getan“. 4 Wir haben uns entschieden, auch mit der Möglichkeit zu leben, dass unsere Entscheidungen falsch sein könnten.

 

 

 

Das Kind hat das Recht seine eigene Sprache, und damit sich selbst und seine eigenen Welt, finden zu können. Es hat das Recht sich frei auszudrücken, um zu sich selbst zu finden, frei zu kommunizieren, um andere zu finden, die Kooperation in der Gemeinschaft der Klasse zu erproben, um den und das Andere zu erfahren und zu begreifen, die Welt selbst zu erkunden und zu erforschen, um sie und sich selbst zu verstehen. Wir haben uns entschieden den Kindern das Wort zu geben.

 

 

 

Die Kinder haben das Recht, dass ihr Lernen einen Sinn hat. Wir arbeiten nicht für Tests, Noten oder Ablagen, sondern um das Gelernte auszutauschen, gemeinsam Erkenntnisse zu formulieren, Wissen zu mehren, um sich selbst als Mensch zu erkennen und zu verstehen. Die beste Art sich zu bilden, ist das Leben selbst, selbst zu leben. Dies gilt für Kinder auch hier und jetzt. Das ist der eigentliche Grund, die Schule zu5 öffnen. Wir haben uns für das Leben, "nichts als das Leben" 1 entschieden.

 

 

 

1Jean Piaget, Meine Theorie der geistigen Entwicklung, Hrsg. Reinhard Fatke, Frankfurt 1983, S. 19f.

 

1 zit. nach: Walter Hövel, Rechte der Kinder, Freinet-Pädagogik, Bremen 1993

 

2 "Sternschnuppen" an der "Grundschule Harmonie", 2.Schuljahr, Oktober 2000

 

33 Die deutschsprachigen Publikationen sind: "Freinet Kooperativ" (Kärnten), die "Atelier Zeitung"(Oberösterreich), "Die Feder" (Wien), der "Bindestrich" (Schweiz), der "Schuldrucker" und die "Fragen und Versuche" (Deutschland). Zunehmend geschieht dieser Austausch auch über die elektronischen Medien, die mit einander verlinkt sind: http://freinet.paed.com

 

4 Antoine De Saint Exupéry; Der kleine Prinz

 

Und das Leben der Kinder findet nicht nur in einer fernen Zukunft statt, sondern bereits hier und jetzt. Das ist unser Grund, die Schule zu öffnen.

 

Noch immer ist die Charta der fundamentalen Rechte und Bedürfnisse der Kinder gültig, die die französische Freinetbewegung formulierte 2 :

 

1. Geburt und Aufnahme des Kindes in diese Welt

 

 

 

- Das Kind hat das Recht, kein Produkt des Zufalls zu sein.

 

- Das Kind hat das Recht, um seiner selbst willen gewollt zu werden und nicht im Interesse irgendeiner Politik.

 

- Das Kind hat das Recht, um seiner selbst willen gewollt zu werden, und nicht alleine im Interesse seiner Eltern.

 

- Das Kind braucht eine Schwangerschaft und eine Geburt ohne traumatische Schädigung

 

- Das Kind hat das Recht, angenommen zu werden, so wie es ist - wie auch immer seine körperliche

 

- Konstitution sein mag.

 

- Das Kind hat das Recht, angenommen und geliebt zu werden, ohne Rücksicht auf sein Geschlecht.

 

2. Entwicklung des Körpers

 

- Das Kind hat das Bedürfnis nach einer ausgewogenen Ernährung.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis nach seinem eigenen Rhythmus zu leben und sich auszuruhen.

 

- Das Kind hat das Recht, dass die Bedürfnisse seines Körpers berücksichtigt und auch nicht unbewusst missachtet werden.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis, sich aller Möglichkeiten seines Körpers bewusst zu werden.

 

- Das Kind hat das Recht, nicht dauernd sauber und untadelig sein zu müssen.

 

3. Die Achtung vor der Person des Kindes

 

 

 

- Das kleine Kind braucht den Kontakt mit der Mutter und dem Vater.

 

- Das Kind braucht den Kontakt mit Erwachsenen beiderlei Geschlechts.3

 

- Das Kind braucht den Kontakt mit Kindern beiderlei Geschlechts.

 

- Das Kind braucht gefühlsmäßige Geborgenheit.

 

- Jedes Kind ist einzigartig und hat ein Recht darauf, dass seine Persönlichkeit respektiert wird.

 

- Das Kind braucht Vertrauen.

 

- Das Kind hat das Recht auf Würde.

 

4. Die volle Entfaltung des Kindes

 

- Jedes Kind hat das Recht auf die maximale Entfaltung aller in ihm angelegten Möglichkeiten, es hat das Recht auf Genuss und Vergnügen.

 

- Das Kind hat das Recht auf Selbständigkeit und Verantwortung.

 

- Das Kind braucht das Erlebnis des Erfolgs.

 

- Das Kind hat das Recht auf Irrtum.

 

 

 

1 Titel des internationalen Symposions der Freinetbewegung in Bremen 1999

 

2 aus Ingrid Dietrich, Politische Ziele der Freinetpädagogik, Weinheim und Basel 1982

 

3 Dies sollte vor allem bei Bildungspolitikern angesichts bestehender Ungleichgewichte in den verschiedenen Schulstufen ankommen, wie etwa der "Männermangel" in den Volks- und Grundschulen.

 

71

 

 

 

- Das Kind hat das Bedürfnis erfinderisch und kreativ zu sein.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis sich auszudrücken.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis mit anderen zu kommunizieren.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis nach ästhetischen Empfindungen.

 

5. Der Zugang zum Wissen

 

- Das Kind hat das Recht auf wahre und plausible Antworten auf die Fragen, welche es sich stellt.

 

- Das Kind hat das Recht sich jedes Wissen anzueignen.

 

- Das Kind hat das Recht die sozialen und wirtschaftlichen Phänomene zu verstehen, die es umgeben.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis sich seiner sozialen Umwelt bewusst zu werden.

 

6. Die Umwelt

 

- Das Kind hat das Recht auf ein Minimum an Raum.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis nach lebendigem Kontakt mit der Welt.

 

- Das Kind hat das Bedürfnis mit sehr verschiedenen Materialien zu experimentieren.

 

- Das Kind hat das Recht auf seine Umwelt Einfluss zu nehmen.

 

 

 

7. Das soziale Verhalten

 

- Das Kind hat das Recht, weder indoktriniert noch konditioniert zu werden.

 

- Das Kind hat das Recht nicht den jeweils wechselnden Moden unterworfen zu sein.

 

- Das Kind hat das Recht Kritik zu üben.

 

- Das Kind hat das Recht, am Berufsleben teilzunehmen, bevor es selbst in die Produktion eingespannt ist.

 

- Die Kinder haben das Recht, sich demokratisch zu organisieren, um für die Respektierung ihrer Rechte und die Verteidigung ihrer Interessen einzutreten.

 

 

 

Und wir haben uns entschieden, die Kinder immer wieder ihre eigenen Rechte formulieren zu lassen 1 und uns damit auseinander zu setzen:

 

"Kinder haben das Recht Rechte zu haben.

 

Kinder haben das Recht traurig zu sein.

 

Kinder haben das Recht Haustiere zu haben

 

Kinder haben das Recht sich zu verlieben.

 

Kinder haben das Recht spät schlafen zu gehen und spät aufzustehen.

 

Kinder haben das Recht zu lachen.

 

Kinder haben das Recht Pferde zu haben.

 

Kinder haben das Recht Blödsinn zu machen.

 

Kinder haben das Recht Uhren zu haben.

 

Kinder haben das Recht zu weinen.

 

Kinder haben das Recht auf einen Hund.

 

Kinder haben das Recht Buden zu bauen.

 

Kinder haben das Recht schwimmen zu gehen.

 

Kinder haben das Recht Feuer zu machen.

 

Kinder haben das Recht auf Bäume zu klettern.

 

Kinder haben das Recht zu tanzen.

 

1 Die folgenden Beispiele entstammen der Arbeit verschiedener zweiter Klassen der Primarstufe

 

72

 

Kinder haben das Recht die Schule zu sprengen.

 

Kinder haben das Recht fröhlich zu sein.

 

Kinder haben das Recht faul zu sein.

 

Kinder haben das Recht mit Freunden zu spielen.

 

Kinder haben das Recht nicht angeschrieen zu werden.

 

Kinder haben das Recht zu schenken.

 

Kinder haben das Recht etwas zu vergessen.

 

Kinder haben das Recht zu arbeiten.

 

Kinder haben das Recht ihre eigenen Blumen zu gießen.

 

Kinder haben das Recht die Erde zu schützen.

 

Kinder haben das Recht alles zu machen.

 

Kinder haben das Recht laut zu sein.

 

Kinder haben das Recht nicht zu Hausaufgaben gezwungen zu werden.

 

Kinder haben das Recht auf ein eigenes Zimmer.

 

Kinder haben das Recht gesunde Zähne zu haben.

 

Kinder haben das Recht nicht rausgeschmissen zu werden.

 

Kinder haben das Recht mit ihrer Mutter oder ihrem Vater zu schmusen.

 

Kinder haben das Recht sich hin zu setzen, wo sie wollen.

 

Kinder haben das Recht Deutsch zu lernen.

 

Kinder haben das Recht alleine spazieren zu gehen.

 

Kinder haben das Recht zu fliegen.

 

Kinder haben das Recht in der Schule zu fehlen, wenn sie Angst haben.

 

Kinder haben das Recht am Daumen zu lutschen

 

Kinder haben das Recht richtig schreiben zu lernen.

 

Kinder haben das Recht auf Geschwister

 

Kinder haben das Recht in die Schule zu gehen.

 

73