Ulrike Schulte

 

Liebe Uschi!

 

Denke ich an gemeinsames Arbeiten zurück, so fallen mir das Mathetor, das Comeniusprojekt, der Freinetkongress in der Schweiz, euer Zirkusprojekt, unsere gemeinsamen Chorauftritte und natürlich das Projekt „Inklusionsgemeinde Eitorf“ ein.

 

 

 

Alle diese Themen haben in sich ein spannendes sachliches, fachliches und inhaltliches Anliegen. Und schon aus dieser Sicht waren die Arbeiten mit dir überaus vielfältig und bereichernd. Doch ausschlaggebend und entscheidend bei all diesen Anliegen ist und bleibt das, was hinter der Sache steckt: der Mensch.

 

 

 

Für mich ist dies die Auseinandersetzung mit und das Bedürfnis nach Menschlichkeit: Menschlichkeit der Gesellschaft und Menschlichkeit der Institution Schule. Es ist die Auseinandersetzung mit der Menschlichkeit des Lernens und vor allem des eigenen, selbst bestimmten und selbst verant-worteten Lernens. Es ist die Frage nach der eigenen Bildung, der Selbstbildung des Menschen. Es ist die Frage nach der Persönlichkeitsentwicklung, nach dem Sinn des eigenen Tun und Handelns sowie nach der Verantwortung des Umgangs mit sich selbst, seiner Mitwelt und seinen Mitmenschen.

 

 

 

Warum gehört das in Schule? Was ist die Rolle und Aufgabe von Lehrern und Lehrerinnen, von Schulleitern und Schulleiterinnen? Was ist die Verantwortung der Erwachsenen – Was ist meine und deine Verantwortung? Würde ich es für Erwachsene in der Schule mit einer Überschrift zusammenfassen, wäre mein Titel:

 


In jedem Kind den Menschen finden“

 


Da ist das Kind, das gemeinsam mit vielen anderen Kindern zu uns Erwachsenen in die Schule kommt, kommen will oder kommen muss! Für gewöhnlich ist diese Situation nicht nur neu, sondern auch unbekannt und fremd. Das Kind kann nicht wissen, wie diese „neue Situation“ geht. Es kann und wird sich darin erleben und erfahren und dabei seinen Weg mit sich und anderen entwickeln und finden. Der Erwachsene ist dem Kind gegenüber im Vorteil. Er kennt die Schule. Erkennt sich aus im Gebäude, kennt Abläufe und Umgebung. Er kennt die „Spielregeln“, kennt das Schulkonzept, kennt gemeinsame Absprachen und Veranstaltungen im Klassenraum sowie im Schulgeschehen.

 

 

 

Der Erwachsene kennt viele der anderen Menschen im Schulzusammenhang und vor allem kennt er sich im Kontext Schule, kennt das, was er dem Kind bieten und anbieten kann. Und an dieser Stelle nimmst du sowohl den Erwachsenen als auch das Kind in seinem Handeln und Lernen als Mensch ernst.

 

 

 

Du forderst und forderst heraus. Du gibst dich nicht zufrieden bis nicht das Quäntchen „mehr“, was zu erreichen möglich ist, erreicht ist. Der Wiener Viktor Frankl nennt das „auf reife Persönlichkeiten treffen“, die Verantwortung für sich und ihr Handeln übernehmen können, die sich ihres Handelns und ihr er Entscheidungen bewusst sind. Und Persönlichkeiten stecken an. Sie schaffen Persönlichkeiten und haben Interesse an Persönlichkeiten. Hier setzt für mich im Kontext Schule der entscheidend e Vorgang an, jedes Kind auf seinem Weg zur eigenen Persönlichkeit und Lernerpersönlichkeit zu begleiten, heraus zu fordern und zu stärken. Da ist für mich d er Weg der Selbstbildung, des Selbstkonzepts, des „eigenen Menschseins“.

 

 

 

Liebe Uschi,

 

da sehe ich dich strahlend lächeln, wenn ein Kind auf dich zuläuft, wenn es an dir vorbei kommt, dich grüßt, mit dir spricht – und lächelt. Nicht das, was über Jahrzehnte in Schule gang und gäbe war, das Funktionieren nach den Vorgaben und Anordnungen eines Erwachsenen, das Reagieren des Kindes auf „Befehle“, Arbeitsanweisungen und Lernstoff ist die Grundlage. Nicht das Kind muss sich dem Erwachsenen und den Bedürfnissen des Erwachsenen anpassen, um nach dessen Vorgabe in Beziehung mit ihm treten zu können.

 

Nicht das Kind muss über Gehorchen und Anpassung dem Erwachsenen die Kooperation ermöglichen.

 

 

 

Wir Erwachsene müssen das Kind hören und anhören. Wir Erwachsene müssen dem Kind die Möglichkeit anbieten, erfolgreich in Kontakt zu treten und einen Weg der Kooperation und Beziehung mit ihm entwickeln. Denn jedes Kind versucht die Kommunikation und Kooperation mit uns auf seine ihm mögliche Weise. Und hier liegt meines Erachtens die entscheidende Verantwortung sowie die entscheidende Chance der Erwachsenen. Jedem einzelnen Kind müssen wir dies er möglichen, mit seinen ihm ganz eigenen Wegen und Möglichkeiten. Und davon gibt es so viele und so verschiedene, wie es Kinder in der Klasse und in der Schule gibt.