Walter Hövel
Ganztagsschule

Die Bundesregierung gab zwischen 2003 und 2009 vier Milliarden Euros als Zuschuss

für die Einrichtung von Ganztagsschulen zusätzlich (!) aus.

 

Beschlossen wurde der Ganztag schon 1965. Diskutiert wurde er schon viel länger. 2020 gibt es wieder zwei Milliarden vom Bundestag, damit alle Grundschulkinder Ganztagsschüler*innen werden können.

 

 Der Grund für diese ungewöhnlichen milliardenschweren Zusatzzuweisungen

Damit alle Frauen in Betrieben arbeiten können, müssen deren Kinder in Ganztagskitas und -schulen untergebracht sein. Das wird offen als Grund für den „neuen“ Ganztag angegeben. Doch dazu gibt es noch immer zu wenig Plätze.

 

Die Kostenübernahme durch das frühere System mit Hortplätzen wäre dem Staat viel zu teuer. In der übernommenen DDR war das so üblich. Es wurde die in anderen Ländern praktizierte Form der Unterbringung in einer Ganztagsschule ausgewählt.

 

 Eine eingewöhnende Option, die ergriffen wurde, war die Einrichtung „offener“, also nicht für alle verpflichtenden Ganztagsschulen, kurz „OGS“ genannt.

 

 Da dies gegen die Mehrzahl der deutschen Wähler*innen und auch ihrer konservativen Wahlparteien sehr schwer durchzusetzen war, wurden fast 100 Jahre, also auch noch die Zukunft für die Durchsetzung der Ganztagsschule angesetzt1. So wird das Volk in seine Zukunft gelernt (oder gelenkt).

 

Es gibt gesellschaftliche Kräfte, die sich gegen Veränderungen stemmen. Dagegen gibt es Kräfte, die kritiklos und auf den eigenen geschäftlichen Gewinn achtend, für Veränderungen eintreten. Und es gibt die „Abstimmung mit den Füßen“. Das sind z.B. Eltern, die ihre Kinder, die mittags in den Kitas von ihren Eltern abgeholt werden können. Es kommt aber darauf an, bei allen Veränderungen auf das demokratische Wachsen des Wohls aller Menschen und der Natur zu achten.

 

Es ist empfehlenswert den unten angegebenen Artikel des Deutschlandfunks zu lesen.

 

Unser Ganztag an der Grundschule Harmonie

 Die Erwachsenen der Grundschule Harmonie wollten zwecks einer breiteren freieren Bildung aller Menschen ein Lernen, das trotz Schule stattfand. Wir setzten daher die betreuende Ganztagsschule zeitlich nicht hinter die morgendliche Grundschule. Wir ergriffen mehrere Maßnahmen, um für eine freiere Schule auch am ganzen Tag verantwortlich zu bleiben. Wir strebten ein selbst verwaltetes System an.

 

Das bedeutete für die Lehrkräfte, für die Kinder, für alle hier arbeitenden Erwachsenen und für die Eltern eine aktive größere gesellschaftliche Verantwortung. Es gab also nicht mehr Geld, sondern mehr Arbeit.

 

Gerne wird damit argumentiert, dass die Menschen ihre Verantwortung zwar kennen, aber nicht danach handeln. Aber es fehlt an Möglichkeiten verantwortungsvoll zu handeln. So kämpfte immer die Verwaltung und Politik der Gemeinde Eitorf gegen die Verwirklichung einer solchen selbst verantworteten, organisierten und bestimmten Schule wie in Harmonie.

 

  Alle Lehrkräfte mussten mindestens an zwei Tagen den ganzen Tag in ihrer Klasse arbeiten. Ohne die bisherige Abrechnung der Lehrer*innenarbeitszeit in Wochenstunden zu erhöhen, war das möglich. Das wollten nicht Lehrer*innen, da sie nun an zwei Tagen auch am Nachmittag arbeiten mussten. Einige gingen – und wurden oft an anderen Schulen wieder eingefangen. Lehrermütter mit kleinen Kindern durften aufgrund einer internen Abmachung nachmittags nicht zum Kommen gezwungen werden.

 

Die neu eingestellten Lehrkräfte des Ganztags arbeiteten auch an Vormittagen und vertraten die Ideologie unserer Schule. So verändern auch andernorts manche Ganztagsschulen und ihre Mitarbeiter*innen die Praxis von Kitas und Schulen hin zu mehr demokratischer Partizipation, Kinder selbstbestimmten Lernen und einem kritischeren Umgang mit Klima und Ernährung.

 

  Alle Erwachsenen - und übrigens auch die Kinder - waren Lehrkräfte und wurden durch fest bei uns für drei Semester arbeitende Studies des Siegener Bastei- Inklusion-Studium, Assistent*innen (Arbeitslose, Eltern, viele Integrationshelfer, und weitere von uns, dem Arbeitsamt oder der Gemeinde eingestellte Erwachsene) und mehr als die übliche Anzahl von Lehramtsanwärter*innen erweitert.

 

 Die Kinder fanden sich im zweiten Teil des Tages mit Kindern und Personal der gegenüberliegenden Klasse in einer Gruppe. Sie arbeiteten, lebten und lernten wie am Morgen. Sie entschieden in ihrem Kreis morgens wie mittags - was sie tun würden. Die Schule des ganzen Tages fand drinnen und draußen nach der Wahl jedes Kindes statt.

 

  Es gab mangels der „Hausaufgaben“ keine „Hausaufgabenbetreuung“ oder ähnliches. Es galt der Grundsatz, dass immer gelernt wurde. Es gab vormittags und nachmittags keine Noten oder Lernpensen. Es gab keine Trennung von Arbeit und Spiel. Wir legten Wert darauf, dass auch am Morgen gespielt und am Nachmittag gelernt wurde.

 

 Wir trennten nicht in die Morgenschule und Nachmittagsschule. Es gab am Nachmittag das gleiche selbst bestimmte Lernen wie am Vormittag. So boten die FLieg-Mitarbeiter*innen am Nachmittag auch die "FlieG-Uni" an.

 

Fast 20 Jahre später stellt ein Student der TH Köln 2019 im Kitapraktikum im 2. Semester fest: „Der Vormittag der Kinder war bereits so strukturiert, dass an dieser Stelle kein Platz für ein Projekt gewesen wäre.“2 Es kann also nicht um ein „einfaches“ Dazustellen des Ganztags zum Schulbetrieb gehen.

 

Häufig waren es Kinder und Erwachsene, die bereits auf eine Trennung von Vor- und Nachmittag in Arbeiten und Spielen dressiert waren. Es war harte „pädagogische“ Arbeit dies zu verändern. Dies konnte nur in hunderten von Gesprächen auf Konferenzen und im Schulalltag und durch das Vormachen Einzelner erreicht werden. Die „Vormacher“ waren Kinder, Schulleitung, Lehrer*innen, Lehramtsanwärter*innen, und - last but not least - viele andere bei uns arbeitende Erwachsene. Dass wir uns selbst als „lernende Hochschule“ verstanden, war dabei Gold wert.

 

Die Bedeutung des Essens steigt

Jede/r konnte in der Schule essen. Einige aßen bei uns und gingen dann heim. Täglich gab es, durch verschiedene Modelle finanziert, ein gesundes kostenfreies Frühstück für alle. Das Essen wurde wie das Mittagessen von uns selbst eingestellten Menschen in der eigenen Küche zubereitet.

 

Unsere Küche, selbst eingerichtet, kochte ohne Cateringservice immer selbst. Wir lernten durch die intensive Begleitung aller Teile der Schule, vor allem des Kinderparlaments, immer gesünder und regionaler immer mehr Ökoessen anzubieten. Es war Alltag, dass Menschen ohne Bezahlung aßen. Möglich wurde das durch einen „eigenen“ selbst zuständigen Ganztagsverein und den Blick aller für gesellschaftliche Ungleichheit, nicht mitleidige Caritas.

 

Zum gemeinsamen Leben und Lernen gehört auch das gemeinsame gesunde Essen als Kind und Gesellschaft wieder zu lernen.

 

Es gibt verschiedene Modelle

 Wir wurden nie eine OGS-Schule. Wir holten Mittel für Versorgungsgruppen des verlängerten Schultages beim Staat ab. Diese Mittel gab es - nicht nur in NRW - m.W. schon lange vor der Ausschüttung der 4 Milliarden durch den Bund.

 

Wir hatten immer (seit 1995) unsere eigene Betreuung und später den eigenen Ganztagsverein mit eigenen zuständigen Menschen. Dieser gaben wir den Namen „FlieG“, nach dem Prinzip der „Festen Langzeit in einer Gruppe“.

 

Das Schulamt der Gemeinde bat uns dieses Modell fortzusetzen. Wir schrieben im Gegensatz zur sonst üblichen OGS schwarze Zahlen und waren bedeutend billiger in Essen und Betreuung als andere. Der Grund für uns war primär die Fortsetzung eines freieren Lernens am ganzen Tag.

 

Unsere Betreuung ging für einzelne Kinder bis 17 Uhr und die Verbleibezeit war täglich individuell geregelt. Jedes Kind konnte also nach auch kurzfristiger Absprache früher heim. Für alle Kinder gab es abgestufte, für viele kostenfreie Beiträge. Das Essen betrug 1 bis 2€ pro Tag.

 

Das eigene Essen wurde genau so von den demokratischen Kinder- und/oder Erwachsenen-Gremien der Schule diskutiert. Wir entschieden wie das Lernen, die Einheit des Ganztags und das Zusammensein waren.

 

Wir lernten – wie manch andere Bildungseinrichtung auch - das eigene, selbst organisierte und bestimmte Lernen und ein Zusammenleben in Demokratie. Wir waren eine andere Schule, weil wir selber lernten.

 

1 https://www.deutschlandfunk.de/50-jahre-ganztagsschule-es-scheitert-an-schulkuechen.724.de.html?dram:article_id=452855 oder https://www.walter-hoevel.de/gutes-von-anderen/britta-mersch-ganztagsschulen/

2Dominik Rißhart, „Wenn Kinder aufgehen – eine Utopie“, Facharbeit 2019, S.11