Walter Hövel
Der Klassenrat ist Garant des freien und offenen Lernens

 

Der Klassenrat oder die Klassenversammlung ist ein Kreis der Kinder und der LehrerIn. In ihm wird gelernt, den eigenen Lernprozess für sich selbst, mit und in der Gemeinschaft, zunehmend und umfassend selbst zu organisieren und zu bestimmen. Der eigenen Arbeit und dem eigenen Lernen wird ein Sinn gegeben.

 

Hier wird alles besprochen. Dies sind immer zuerst das eigene Lernen, Arbeiten, der Müßiggang und das Zusammenleben. Dies sind Probleme zwischen den Kindern, mit Lehrern oder anderen Menschen, Erfahrungen im Arbeitsprozess, Störungen im Arbeitsverhalten oder erfolgreiche Strategien. Dies sind das Wissenssammlung durch Fehler erkennen, neue Erkenntnisse und Vermutungen. Hier wird die elektronische und postalische Korrespondenz mit Klassen im In- und Ausland behandelt. Hier werden die Beziehungen untereinander und zu den anderen innerhalb und außerhalb der Schule geregelt. Es ist das Herz der Klasse (Uschi Resch).

 

Der Klassenrat ist Ausgangspunkt des eigenen Netzwerks, der selbstbestimmtem Kooperation und Kommunikation.

 

Im Klassenrat wird das eigene Lernen umfassend evaluiert. Hier wird das Lernenlernen gelernt. Hier wird das gemeinsame Verhalten, das Lernen, das Miteinander immer demokratisch entwickelt und geschützt.

 

Hier wird ein Regelwerk erstellt, das nicht einfach dazu dienen soll, es einzuhalten. Es hat nur so lange Bestand, wie es die Arbeit der Klasse erfolgreich und demokratisch organisiert.

 

Hier werden Grenzen vereinbart, die es allen möglich machen, in engen Klassenräumen oder außerhalb der Schule zu lernen.

 

Hier werden Projekte und andere Vorhaben geplant, begleitet, organisiert und ausgewertet.

 

Hier ist der Ort, um andere zu beraten und sich beraten zu lassen, ob es den nächsten Arbeitsschritt betrifft, oder Spannungen im Team.

 

Hier geht es um die Schaffung von eigenen brauchbaren Strukturen und lebenden Systemen, um Verträge, Verbindlichkeiten, Zuverlässigkeit, die Einhaltung von Absprachen, das Entwickeln von Sensibilität, den Umgang mit Emotionen und Zeitrhythmen, um Regeln und Lernen aus eigener Einsicht und Überzeugung, um die Entwicklung von Verantwortungsfähigkeit.

 

Der Klassenrat eröffnet den Lernmorgen, um den Tag zu planen. Wenn du reinkommst und alle arbeiten schon – was bei der Arbeitsweise geschehen kann – kann es sein, dass du keinen Kreis machst. Frag am besten, wenn du unsicher bist, die amtierende Präsidentin.

 

In den Zeiten der Einführung des Klassenrates und offenen Lernens kann es sein, dass du mitten am Vormittag nochmals die Klassenversammlung zusammenrufst. Es kann dir oder Kindern zu laut sein, es arbeiten zu wenige, Kindern oder dir reicht das Niveau nicht oder es gibt eine verändernde Neuigkeit, oder, oder, oder.

 

In den Zeiten der Einführung gab es feste Zeiten zur Einteilung der Dienste oder Aufgaben all.

 

Oft unterstützen Wandzeitungen für schriftliche Kritik, Belobigungen oder dem Festhalten von Ideen den Klassenrat. Woanders wird ein Protokollbuch geführt oder ein Tagesordnungspunkt mit der Frage nach der Einhaltung der Beschlüsse kontrolliert die Arbeit.

 

Viele Klassen beenden ihr gemeinsames Lernen mit einem Abschlusskreis. Dieser dient dem Tagesrückblick, dem Ausblick, der täglichen Einschätzung von Leistung und deren Weiterentwicklung, Präsentationen oder anderen Vorträgen. Einige machen dies im Laufe des Tages, nur jeden zweiten Tag, zwei oder einmal in der Woche oder je nachdem wie es sich ergibt.

 

Ich beschloss die Woche immer mit einem „Wochenabschlusskreis. Hierbei fehlte nie die zentrale Frage „Was war dir diese Woche das Wichtigste?“ Hierbei durften nicht mehr als drei Aufzählungen gemacht werden. Auch Dinge außerhalb der Schule durften das Wichtigste sein. Antwortete ein Kind „Alles“, folgte sofort die Aufforderungen das aufzuzählen. Folgte die Antwort „Nichts“ folgte „Warum?“ oder es wurde akzeptiert. Diese Antwort wöchentlich wiederholt, hatte natürlich viele Gespräche zur Folge. Hatte jede*r sich geäußert gab es noch eine zweite „Runde der Wichtigkeiten“ ohne eine Reihenfolge der Wortmeldungen.

 

Es ist so, als ob heutzutage ein Team von kompetenten Leuten in der Wirtschaft, im staatlichen oder wissenschaftlichen Sektor ihr eigenes Projekt entwickelt, um erfolgreich zu sein. Sie sind hier weniger Lehrer oder Lehrerin als viel mehr „Projektbegleiterin“. Lehrer*innen sind nicht die „Steuerleute“, sondern alle sind „Lotsen“.

 

Der Klassenrat achtet darauf, dass beim Lernen gelernt wird. Oder um es noch anders zu sagen, hier wird das Lernenlernen gelernt, eine Qualifikation zur Bewältigung der Aufgaben der Zukunft.

 

Der Klassenrat braucht Zeit. Er ist wie vieles in der Grundschule als grundlegender Erziehungs- und Lernprozess angelegt. Kinder sind kompetent ihr eigenes Lernen zu organisieren.

 

Alle sitzen im Kreis. Sie bestimmen eine Präsidentin oder einen Präsidenten.

 

Möchte ein Mensch nicht teilnehmen, so kann sie oder er das ohne Diskriminierung oder Nachteile tun. Einmal erlebte ich einen Schüler, der nie im Kreis saß. Er blieb auf einem Platz im Raum. Aber meldete sich und entschied mit. Ein anderes Mal erlebte ich ein Kind, das niemals im Kreis mitmachte. Er blieb immer draußen. Ein mehrfach behindertes Kind konnte nicht sichtbar mitwirken oder gar den Kreis leiten, lag mit seinem Wagen aber immer im Kreis.

 

Jedes Kind leitet prinzipiell den Kreis. Entweder die letzte Präsidentin ernennt ihre Nachfolgerin, oder sie wird gewählt, oder die Reihenfolge einer Liste bestimmt die Präsidentschaft. Eine Wiederholung der Ernennung ist erst möglich, wenn alle dran waren. Einer institutionellen Kontrolle zur Führungsqualität, also etwa „einer Lizenz zum Führen“, bedarf es niemals. Jeder Mensch muss selber wissen, wann und wie sie oder er leitet, moderiert oder „lotst“. Die Inklusion aller ist hierbei sicherlich eine Aufgabe, die nicht nur in Klassenräten gelöst werden kann.

 

Ist die oder der Präsident unsicher, kann er oder sie sich gerne Adjutanten zum Helfen aussuchen.

 

Meine Klassenräte entwickelten einmal eine Motzecke und verschiedene Ruhezeiten. Sie zeigten den Zeigefinger nach unten, wenn sie zu einer gerade aufgerufenen Sache reden wollten. Sie zeigten nach oben, wenn sie etwas Neues oder zum nächsten Punkt etwas sagen wollten.

 

„Das Versammeln“ hielten die Kinder der gesamten Schule bei einer Umfrage für ihren häufigsten und bedeutsamsten Lerngegenstand.

 

Im Klassenrat stellen auch die Lehrer*innen ihre Angebote vor. Sie werben – wie alle anderen – für ihre „Lerngänge“. Sie sind nicht verpflichtend und werden wie alle anderen Verabredungen im Schutz des Klassenrates getroffen. Ich habe zu Anfang der Klassenratszeiten erlebt, dass ein ganzes Projekt, das ich mit viel Liebe und Mühen vorbereitet hatte, im Kreis abgelehnt wurde.

 

Viele haben einen festen Ort mit Bänken, Stühlen oder einem Teppich zum Draufsitzen in einer Ecke oder der Mitte ihres Raumes. Andere bauen ihren Kreis blitzschnell dahin, wo Platz ist. Manchmal finden Kreise auch draußen, im oder außerhalb des Gebäudes statt.

 

Eine Kollegin wurde die Einführung des Klassenrats so schwer gemacht, dass sie ihn außerhalb des Klassenraumes mit denen im Forum der Schule machte, „die es schon konnten“.

 

Bei mir und Falko Peschel gingen Kreise einmal so weit, dass sie für eine Zeit beschlossen, „frontalen Unterricht“ durchzuführen. Einer Hospitantin, die dies mit den Worten bemängelte „Ich will doch Offenen Unterricht sehen“, antwortete Falko „Das ist Offener Unterricht.“

 

Im Summerhill-Schul-Parlament erlebte ich einmal, dass die Jugendlichen offensichtlichen Unsinn beschlossen. Dies kommentierte Neills Tochter Zoë Readhead mit den Worten „Morgen werden sie etwas anderes beschließen, nämlich das, was sie brauchen können“.

 

Der Klassenrat braucht Zeit und Gelegenheit eigene Vorschläge und Lösungen zu entwickeln. Demokratie braucht Zeit und Raum sich selbst zu entwickeln.

 

Demokratie ist keine Mehrheitsentscheidung. Sie entwickelt, wenn sie zur Haltung wird, Handlungen, die keine Minderheit mehr ausschließt.

 

Die Regeln des Klassenrats müssen von jeder Klasse selbst und neu erarbeitet werden.

 

 

 

Klassische Fragestellungen und Regeln des Klassenrats

 

• Die Präsident*in erteilt das Wort

 

• Es wird immer nur zur Sache (zum jeweiligen Punkt der Tagesordnungspunkt) gesprochen

 

• Im Kreis darf nie über einen Anwesenden gesprochen werden. Sie oder er muss direkt angesprochen werden

 

• Zuhören und andere verstehen ist wichtiger als diskutieren oder rechtfertigen

 

• Niemand darf ausgelacht, lächerlich gemacht oder verletzt werden

 

• Die Präsidentin erteilt das Wort in der Reihenfolge der Wortmeldungen

 

• Die Präsidentin lässt am Schluss eines Tagesordnungspunkts über Anträge abstimmen

 

• Jede*r (auch die Lehrer*innen oder andere Erwachsenen) haben genau eine Stimme

 

• Minderheiten werden nicht überstimmt. Einigt euch! Lasst Vielfalt zu.

 

• Beschließt keine Strafen, sondern vereinbart gegenseitige Hilfen und gemeinsame Grenzen

 

• Die Beschlüsse des Klassenrats sind für alle verbindlich

 

• Alle hören zu, nur eine*r redet

 

• Wenn ich nicht mehr zuhören kann, sage ich es

 

• Der Klassenrat organisiert die eigene Arbeit und Zusammenarbeit

 

• Als Herz entscheidet er über das Leben der Klasse.