Walter
Hövel
Frieden

 

1985 war ich noch ein „junger“ Lehrer. Ich unterrichtete Kinder und Jugendliche. In der Zeit gab es von meinem obersten Dienstherrn in Nordrhein-Westfalen, wie sicher in jedem Bundesland, einen „Friedenserlass“. Unter der Überschrift „Friedenserziehung im Unterricht“ stand er in der BASS (15- 02 Nr. 9.2). Es war ein „Runderlass des Kultusministeriums vom 1.3. 1985“. Zumindest mich prägte er. Er stärkte mich in meiner Haltung als Freinetmensch, der ein freies Lernen und Leben aller Menschen anstrebte.

 

Die Kultusminister*in bezog sich auf §7 der Landesverfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, hier die „Friedensgesinnung“:

  1. Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

  1. Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.

Dazu heißt es nun unter anderem im „Friedenserlass“, indem alle Zitate stehen:

 

„Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in der der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation noch auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.

Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“
Gustav Heinemann, 3. Präsident der Bundesrepublik Deutschland 1969-1974

 

In der Charta der Vereinten Nationen heißt es, im Friedenserlass zitiert: „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal in unseren Lebenszeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“.

 

„Erziehung zum Frieden, die sich mit dem Auftrag verbindet, mündige, aktive und demokratische Bürgerinnen und Bürger,

ist eine wichtige Aufgabe von Schule.“

 

"Achtet hier auf ein Verständnis, dass die Demokratie nicht einfach Staaten und Gesellschaften zuspricht, sondern allen Menschen. Zudem sollen Menschen mündig und aktiv sein. Sie sind die Träger der Demokratie."

 

Die Zusammenhänge zwischen Hunger, Elend, Ungleichheit, sozialer Ungerechtigkeit in der Welt und den ungeheuren Aufwendungen für militärisches Potential müssen gesehen werden."

 

„Vielmehr scheint es so, als habe die Instabilität des internationalen Systems zugenommen.“ (1985! wie heute und immer, wenn sie auf Herrschaft weniger ausgerichtet ist.)

 

„Nach wie vor bestehen ungeheure Vernichtungspotentiale, regionale Konflikte werden z.T. mit ungeheurer Gewaltbereitschaft ausgetragen.“

 

„Krieg darf nicht länger als Mittel der Politik gelten.“

 

Aus diesen Gründen muss eine umfassende Friedenskultur die vorhandenen Rivalitäts-, Macht- und Gewaltstrukturen ersetzen.“

 

Politiker*innen wissen dies schon lange. Nur sie taten es gestern nicht und wollen eine Ersetzung auch heute nicht. Sie treten für eine allmähliche Veränderung ein, die aber bis heute nicht wirklich verändert.

Das Bemühen um Frieden steht in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dessen Präambel das Bekenntnis des deutschen Volkes zum aktiven Engagement für den Frieden in der Welt erhält... und … Handlungen unter Strafe stellt, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören.“

 

„Gewalt umfasst zunächst die unmittelbare, sichtbare physische (aber auch psychische) Schädigung bis hin zur Tötung des Menschen durch andere Menschen. Der Krieg ist der umfassende Ausdruck dieser Form von Gewalt.“

 

Derartige Gewalt äußert sich latent auch in der weltweit wachsenden Rüstung. Rüstung soll zwar vor dem Krieg schützen, aber das Rüsten der Staaten kann den Frieden nicht wirklich sichern, hebt Bedrohungen nicht auf.“

 

Gewalt liegt auch vor bei politischen und sozialen Verhältnissen, in denen Menschen in verschiedenen Formen von Herrschaft, Abhängigkeit und Ausbeutung elementare Voraussetzungen zur Lebenssicherung und des Wohlbefindens der Menschheit fortbestehen lassen und verschärfen . Ungleichheit, Ungerechtigkeit ...“

 

Sagen das Lehrer*innen und Lehrern den Kindern und Jugendlichen, Student*innen und Lehrlingen, die sie im Unterricht erziehen? Stimmt das angesichts der Harz4-Empfänger, Arbeitslosen, Lohnabhängigen, Essenden und Trinkenden, Frauen, Kinder, Migrant*innen, Flüchtlingen, Fremdarbeiter*innen, der Ausbeutung in anderen Ländern, Behinderten, etc.?

 

„Überall begegnet uns dieses Streben nach Frieden als Grundelement menschlichen Denkens und Handelns.“

Frieden schließt sowohl Freiheit als auch soziale Gerechtigkeit ein.“

 

... der Weg weg von in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen liegenden Gewalt in Massenelend, in Unmündigkeit und Unterdrückung, über unterschiedliche Grade von Abhängigkeiten bis hin zur politischen Teilhabe und sozialen Sicherheit und schließlich zur politischen Selbstbestimmung und sozialen Gerechtigkeit.“

 

Die in diesem Sinne erzogenen Menschen sind heute 43 bis 53 Jahre alt. Ist unser Schulsystem erfolgreich? Sind es seine Lehrerinnen und Lehrer?

 

Ziel dieses Prozesses ist es, die politische Realität mit den demokratischen und sozialen Rechten in Übereinstimmung zu bringen.“

 

... ein Verständnis von Frieden, das sich der Verbesserung sozialer und politischer Verhältnisse in den Weg stellt, ist eine Verfälschung und sucht die Friedenssehnsucht der Menschen für das Festhalten an undemokratischen oder ungerechten Verhältnissen auszunutzen.“

 

Der Weg zum Frieden setzt daher die demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger voraus.“

 

„Friedenserziehung lässt sich als der Versuch begreifen, die verschiedenen Formen der Gewalt und Friedlosigkeit im internationalen und innergesellschaftlichen Bereich zu erfassen, zu analysieren, ihre wechselseitigen Abhängigkeiten zu erkennen sowie zu einem Abbau von Gewalt beizutragen.“

 

„Dazu gehört eine Darstellung von Bewegungen und Personen, die der Gewalt entgegengewirkt haben bzw. entgegenwirken, und solcher Friedensbemühungen, die Erfolg gehabt haben.

Und natürlich folgen dann dort die Einschränkungen, Erklärungen und Ideologien. Sie lassen die Bundeswehr, Verteidigung und Rüstung doch wieder zu. Aber vorher stehen dort grundsätzliche Richtigkeiten, - die heute verschwunden sind? Vor allem die Zusammenhänge und Beziehungen wurden aber vor 35 Jahren schwarz auf weiß benannt. Sie sind unwiderruflich.

 

Und da wundert es uns Erwachsene, dass Kinder und Jugendliche uns immer weniger glauben.