Walter Hövel

Ist die Tante Jenny nicht da?“

 

Vor mir sitzen die frühere Ladenbesitzerin Frau Rösgen und ihr Sohn Guido. Sie ist 86 Jahre alt. Sie führte ein Schreibwarengeschäft auf der Asbacher Straße. Tag für Tag stand sie dort hinter der Theke.

 

Sie erzählt nicht viel, denkt oft nach. Wenn sie aber spricht, spricht sie ruhig und sicher. Zusammen taucht man mit ihr in ihre Zeit - in die Vergangenheit – ein,

 

Sie wurde 1934 in Buchforst, in Köln, geboren. In Kalk ging sie in der Albermannstraße zur Schule. Als sie 18 war, hatten ihr Freunde die Agneskirmes in Merten empfohlen. Also fuhr sie 1952 im Frühjahr von der Stadt mit dem Zug „zo de Buure“ nach Eitorf, wie sie auf Kölsch sagte. Sie feierte im Erholungsheim „Monschau“. Damals war es aus der Gaststätte „Biesenkamp“ in Merten hervorgegangen und befand sich noch nicht in der Schoellerstraße in der Mitte Eitorfs.

 

Die Frau von Herrn Monschau, Frau Gille, besaß die Poststelle in Eitorf. In Eitorf selbst gab es damals keine zentrale Post, sondern jedes Dorf hatte eine eigene Poststelle. Damals gab es auch kein Telefon, Handy, Mail, Whats-App oder Internet. Entweder man sah sich, oder es wurden Briefe geschrieben.

 

Ihr Vater, Herr Bürger, in Düren geboren, war in Köln Polizist. Er sagte der Tochter: „Wer feiern kann, kann auch arbeiten.“ Also ging es nach diesem lebensentscheidenden Wochenende in Merten montags wieder in aller Frühe zur Arbeit nach Köln zurück.

 

Bei Monschaus fand sie ihren späteren Ehemann. „Esch dät zwei Johr lang pussiere un karressiere. Mieh wor och net“. Die Briefe ihres zukünftigen Gatten beantwortete nicht sie, sondern ihre Schwester! „So“ sagte sie „funkte es“. Dann fand 1954 die Hochzeit statt.

 

Natürlich zog sie nach Eitorf zu ihrem Mann, weil das damals so üblich war und er schließlich den Lebensunterhalt in Eitorf verdiente,

 

Mehrmals sagt sie, dass es nicht einfach für sie war in Eitorf anzukommen. Hier gab es zwar Feste und die Kirmes, aber weniger Gemeinschaftsleben. In Köln war sie Schneiderin, liebte tolle Klamotten und sich schick anzuziehen. Das war auf dem Land nicht so wichtig wie in der Stadt.

 

Aber sie spielte Skat, über 40 Jahre lang. Schon bei ihrem Vater hatte sie die Rolle der Rechnerin und Aufschreiberin beim Kartenspielen übernommen. Sie erzählte, dass der Gewinner des monatlichen Turniers einen ganzen Schinken erhielt! Der Letzte bekam ein Mettwürstchen. Dann fährt sie voller Stolz fort: „Und einmal habe ich als Frau sogar das Turnier in dieser Männerdomäne gewonnen“.

 

So blieben ihr in Eitorf die Liebe und – das Geschäft. Schon als 21-jährige stand sie dort. Da ihre Schwiegermutter eine geborene Bröhl war, übernahm sie deren Laden, den es schon seit 1887 an der gleichen Stelle in der Asbacher Straße 17 gibt. Johann Bröhl hatte ihn gegründet. Erst um 2013, nach 65 Jahren (!), gab sie den Laden dran, „weil es nicht mehr ging“

 

.Als sie heiratete wurde sie Mitglied einer Eitorfer „Dynastie“. Die Rösgens besaßen in der Cäcilienstraße eine Schmiede. „Hier stank es“, erzählte sie, „immer nach verbranntem Horn“, weil die Pferde noch in den 50-igern und 60-igern im Innenhof beschlagen wurden.

 

Der Keller des Hauses diente in der Saison zur Lagerung der Schalotten, des Knoblauchs und der Grassamensäcke. Als in den 1970iger Jahren der Eipbach über die Ufer trat und den Kern von Eitorf unter Wasser setzte, lief auch Rösgens Keller voll. Alles war zerstört, auch die Werkstatt, die Heizung, Elektrik, Waschmaschine, Grassäcke, etc. Voller Distanz berichtet sie, dass die Gemeinde Eitorf ihnen für den ganzen Schaden, der in die Tausende ging, sage und schreibe alsSchadensersatz“ 278,- DM zahlte. Eine Woche brauchte die Säuberung in Gummistiefeln. Weiter erzählt sie, dass das Wasser fast mannshoch über den Marktplatz kam und Autos durch den jetzigendm“ im Haus Prinz Carl schwemmte.

 

Ihre Augen strahlten, als sie wiederholte, dass es nicht leicht war mit den Eitorfern. Oft fragten Alteingesessene beim Reinkommen „Ist die Tante Jenny nicht da“? Gemeint war die alte Besitzerin, Frau Jenny Bröhl. Bei dieser Geschichte meldet sich Sohn Guido mit den Worten „Mom, so fragten später die Leute nach dir, wenn ich einmal im Laden aushalf“.

 

Wieder voller Stolz sagte sie, dass sie bekannt dafür war, dass sie alles was es (nicht) gab, besorgte. Sie verkaufte Schul- und Ledersachen, Sämereien für den eigenen Garten und alle Devotionalien, die für die Kirche gebraucht wurden. Das waren unter anderem Rosenkränze, Kerzen aller Art, Gebetsbücher oder Bibeln. Bei ihr gab es Karten zu jedem Anlass, Schulranzen, damals noch aus Leder, und manch einen Pennäler Eitorfs versorgte sie im letzten Augenblick mit „Klausurblättern“

 

.Es gab Grassamen als „Tiergartengras“, „Englische Mischung“ oder „Bleichrasen“. Manchmal wurde es Säckeweise gekauft bis (fast) alle Gemüsegärten in Rasenvorgärten verwandelt waren. Da lohnte der Verkauf sich nicht mehr. Es gab bei ihr eben alles, was es woanders in Eitorf nicht gab. Frau Rösgen und ihr Geschäft waren eins. Und sie betont immer wieder, dass die Eitorfer „sehr eigen“ waren.

 

Sie füllte aus großen Literflaschen Tinte in oft mitgebrachte Tintenfässchen. Sie verkaufte Schiefertafeln mit dazugehörigen Griffeln und Schwämmchen. Später gab es Kugelschreiber, Filzstifte, Rechenschieber oder Taschenrechner. „Das Geschäft lohnte sich bis zum Schluss.“

 

Sie hat manche Veränderung erlebt. Vieles ist auch, so sagt sie, geblieben. Sie erinnert sich an die vielen Bäume, die die nach dem Krieg asphaltierte Asbacher Straße säumten. Sie erinnert sich an das Cafe Arenz, an die Metzgerei Braun oder das Schuhgeschäft Happ. Sie erinnert sich an die vielen ehemals zerstörten Schaufenster des Möbelhauses Schug. „Gegenüber waren weniger Läden“, sagt sie, „außer das Lebensmittelgeschäft Buschmann und daneben ein Zoogeschäft“.

 

Die letzten Jahre zeigten die größten Veränderungen“. So unterschied sie Sehkunden und Kaufkunden. Sehkunden kauften nicht bei ihr, sondern schauten sich z.B. die Schulranzen für ihre Kinder bei ihr an, um sie dann im Internet zu beziehen. Ein Problem, mit dem viele Einzelhändler heute noch zu kämpfen haben.