Uschi Resch & Walter Hövel

Stolz durch Selbermachen
Entwicklung von Selbstbewusstsein und Kindervertrauen

 

Die Autoren beschreiben nicht, was ihnen in Kindertagesstätten nicht gefällt. Sie sind keine Politiker, die die Fehler den anderen vorhalten, noch wollen sie bewertende Lehrer sein.

Sie haben selber ein paar positive Erfahrungen in Kindergärten hinter sich. Die Autorin erfuhr als Kind fünf Jahre lang konstant eine nette Erzieherin in einem Wiener Kindergarten. Dort erfuhr sie eine große Kontinuität persönlicher Beziehung. Sie „lernte“, was in der Welt „gerecht“ und was „ungerecht“ ist. Sie lernte mit anderen Kindern sozial umzugehen und lernte Selbst-Bewusstsein und Vertrauen in sich selbst.

Der Autor fand im dritten Kindergarten eine Erzieherin, die ihn spürbar mochte. Er lernte jemanden kennen, dem er vertrauen konnte. Er wurde nicht nur „abgegeben“, er durfte irgendwo sein.

Heute sind beide Großeltern und das Enkelkind geht gerne in die Kindertagesstätte. In vielen Jahren ihrer beruflichen Tätigkeit als Lehrkräfte und Schulleiter*innen[1], als Schulrätin und Lehrbeauftragter, lernten sie viele gute Einrichtungen kennen.

Ihr Enkelkind geht – wie bereits gesagt - gerne in die Kita.[2] Hier findet sie vieles, was sie in ihrer Entwicklung unterstützt.

Zuallererst sind dies wahrnehmbare und identische Bezugspersonen, die ihre Arbeit als Leben mit den Kindern gerne und qualifiziert können. Sie sind für Kinder zuverlässig, erreichbar und glaubwürdig. Sie anerkennen die Würde der Kinder und respektieren sie als Individuum. Sie belehren nicht. Sie fordern das handelnde eigene Lernen der Kinder heraus und stehen ihnen immer erreichbar zur Seite.

So wird in der Kita draußen und drinnen, alleine und mit anderen, mit Materialien und ohne gespielt. Hier wird nicht „Vorschule mit dem Ausfüllen von Arbeitsblättern gespielt“. Einmal in der Woche „gehen die Spielsachen auf Reisen und sie schlafen“. An diesem Tag lernen die Kinder gemeinsam mit anderen Fantasiespiele zu entwickeln und im Kreis Angebote zum Singen, Sprechen und Zuhören wahrzunehmen.

Die Kinder werden durch eine tolle Lernumgebung zum Erleben und Lernen herausgefordert. Sie können jeden Morgen entscheiden in welcher Gruppe sie was mitmachen möchten. Sie haben bereits ein Kinderparlament, in dem sie Verantwortung für die eigene Haltung und Handlung lernt. So ist der Umgang mit gesunder Ernährung, die Bedeutung der Lebensmittel und dem täglichen Essen ein kontinuierlicher demokratischer Prozess der Kinder, wenn sie selbst entscheiden, was wie gegessen wird.

Jede Woche wird neben dem „Turnraum“ ein Bewegungsraum angeboten. In einer Woche wurden Matten aufgebaut, um einen Berg zu erklettern. Die Erzieherin filmte dieses Angebot, da sie den Eltern die Bedeutung der Bewegung auf einem Elternabend zeigen wollte. Die Herausforderung war für einen Jungen so hoch, dass er, weil er es nicht hinauf schaffte, lauthals zu schreien begann. Er weinte und tobte vor Wut. Die Erzieherin blieb gelassen und ließ den Jungen seine Wut ausleben. Nach einiger Zeit der Aufregung überwand das Kind seine Verzweiflung, nahm erneut Anlauf und schaffte es, auf „den Berg“ zu kommen. Sein Strahlen und sein Stolz auf seine eigene Leistung, sein eigenes Lernen bedurften keiner genaueren Schilderung als er oben auf den Matten saß. Die Erzieherin zeigte den Eltern diesen Film mit den Worten: „Diese Freude nehmt ihr eurem Kind, wenn ihr meint immer helfen zu müssen.“

Auch Väter und Mütter lernen ihre Kinder selbst lernen zu lassen, ohne ständig einzugreifen und zu helfen, sei es aus „Fürsorge“ oder aus Zeitgründen. Wie viel besser entwickelt sich das Selbstwertgefühl, wenn sie es selber schaffen mit einer Niederlage umzugehen, es trotzdem noch einmal versuchen und dann nach oben kommen – aus eigener Kraft, ohne falsche Hilfe der Mutter oder eines anderen Erwachsenen.

In einer anderen Woche ist der Raum mit vielen großen und kleinen Bällen, Tunnel, Höhlen und Zelten gefüllt. Die Kinder lassen sich auf diese Erfahrung ein. Sie erforschen und sortieren die Welt, erfahren imaginäres und eigenes Lernen, sie gehen eigenen Fragen nach, sie tasten und versuchen. Die personelle und materielle Lernumgebung dieser Kita achtet die Grundprinzipien des menschlichen Lernens in seinen kindlichen Phasen.

Der Wunsch wird beim Zuschauen groß, dass die Kinder in eine Grundschule kommen, die so das erweiternde ganzheitliche und gefächerte Lernen versteht und anbietet.

Dies geschah in den Grundschulen, die die Autor*innen leiteten. Gemeinsam mit anderen Kitas konnten sie bereits vor über zehn Jahren ein gemeinsames in einander greifendes pädagogisches Konzept den Eltern vorstellen. Die Bedeutung der Arbeit der Erzieherinnen im Bereich des sozialen, demokratischen, motorischen, kognitiven, sprachlichen, mathematischen und ästhetischen Lernens wurde präsentiert. Es ging darum, wie in der Schule an die Arbeit der Kitas angeknüpft wird und wie wichtig die frühkindliche Entwicklung für das gesamte Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung ist.

Gemeinsam gründeten Erzieherinnen und Lehrerinnen vor 13 Jahren den „Arbeitskreis Kita-Grundschule“. Er tagt bis heute alle zwei bis drei Monate. Das gemeinsame Verstehen von Lernen als Entwicklung jedes einzelnen Kindes, ließ Formen der Verschulung verschwinden und Inhalte eines nachhaltigen Lernens in den Mittelpunkt treten. Sie entwickelten gemeinsam Projekte der Zusammenarbeit. Jede Kita hatte eine Lehrerin und ihre Klasse als konstante Ansprechpartnerin.

Gemeinsame Projektwoche Kunst

Eine Woche lang arbeiteten die Vorschulkinder mit den Schulkindern, den Erzieherinnen und Lehrerinnen gemeinsam zum Thema Kunst. Am Ende der Woche wurden die Eltern eingeladen und eine große Präsentation fand statt, auf der die Kinder ihre Arbeit mit Stolz vorführten. Es wurden Stühle bemalt, eine Kräuterspirale entstand, Künstler wurden nachgemalt, Spiele wurden hergestellt und viele gemeinsame Bilder entstanden.

Kinder lesen Kindern vor

Die Grundschulkinder gingen einmal in der Woche in die Kita um dort Kinderbücher und eigene Texte vorzulesen. Lesen und Schreiben wurden dabei schon vor der Schule positiv erlebt. Es entstanden Beziehungen, die für die Kleinen sehr wichtig waren, als sie in die Schule kamen.

Das Bewegungsfest in der Halle

Alle Kinder, die neu in die Schule kommen erleben einen Vormittag in der Sporthalle. Eine Bewegungslandschaft wird aufgebaut, in der die Stationen von den Grundschulkindern betreut werden. Schwungtucharbeit, Parcours oder andere Kooperationsaufgaben werden gemeinsam gemeistert.

Spielpunkte

Bewusst werden Kinder mit (!) ihren Eltern in die Schule eingeladen, um gemeinsam zu spielen. Es werden verschiedene alte und neue Brett- Karten-, Konstruktions-, Bau- und Gesellschaftspiele  von einem Team aus Erzieherinnen und Lehrerinnen vorgestellt und mit den Kindern und Eltern gespielt. Hintergrund ist, dass immer mehr Eltern keine Zeit finden mit ihren Kindern zu spielen. Es geht darum die Wichtigkeit des Spiels für die soziale und kognitive Entwicklung, also für das kindliche Lernen den Eltern durch ihr eigenes Handeln erfahrbar zu machen.

Mathematik von Anfang an

Gemeinsam entwickelten ihre Grundschulen und Kitas vor Ort eine Broschüre „Mathematik von Anfang an“, um die Bedeutung des handelnden Umgangs mit mathematischen Inhalten den Eltern zu vermitteln, da diese für die Vorschulkinder gerne die Arbeitsblätter gehabt hätten.[3]

Kinderuni

Weiter kamen sie auf die Idee die schulprogrammatische Arbeit ihrer Schulen zum ganzheitlichen, schüleraktivierenden und selbstverantworteten Lernen den Kindergartenkindern selbst zu präsentieren. Die Kitas wurden zu „Seminaren“ der eigenen „Kinderuniversität“ eingeladen.[4] Die Themen der Einladungen hießen in einem halben Jahr:

„DRUCKEN IN DER DRUCKEREI“ Bei uns kannst du drucken Schilder, Texte, Karten Einladungen, was immer du möchtest. Wir helfen dir.

„VORLESECAFÉ“ Mache es dir zum Vorlesen gemütlich. Heute lese ich Märchen und Du kannst dabei Plakate malen.

„GESCHICHTEN IN KISTEN“ In einem Schuhkarton werden erdachte Geschichten in Form von Legematerialien und Sisalpüppchen zu kleinen Szenen aufgebaut. Diese unterstützen das Erzählen und laden dazu ein die Geschichte weiter zu entwickeln.

„KUNST UND LYRIK“ Male mit Pinsel und Farbe das, was deine Hand daraus macht. Schreibe oder erzähle anschließend deine Gedanken oder Ideen.

„MATHELADEN“ Im „Matheladen“ machen die Kinder eigene Läden auf, kaufen Material ein und verkaufen dies passend zu ihren Läden.

„BAUEN MIT PLAYBAUEN“ Auf einfache und wenig aufwändige Weise entstehen mit Play-Mais Gebäude, Landschaften, Menschen und Tiere. Mit viel Raum für Phantasie  und Schaffensdrang.

„KOMM, WIR SPIELEN KÄMPFEN“ Du hast einen Ball. Dein Partner versucht dir den Ball zu klauen. Stehen ist nicht erlaubt. Du kannst auch ohne Ball kämpfen. Wichtig sind die Regeln, damit sich keiner verletzt!

 „STABPUPPENSPIEL“ Aus Styroporkugeln, Filz, Märchenwolle, Knöpfen und Bändern entstehen in ganz kurzer Zeit ausdrucksstarke Stabpuppen, die zum Spielen kleiner selbst erdachter Szenen anregen. Die Puppen können immer wieder verändert werden und in neue Rollen schlüpfen.

„ERKUNDUNGEN IM UND AM TEICH“. Beobachte das Geschehen in unserem Teich. Welche Tiere entdeckst du? Das Plakat „Was da alles im und am Wasser lebt“ und die Teichkartei helfen dir dabei.

„SCHÖNE MATHEMATIK“ Wir legen Muster. 

„FORSCHEN“ Zum Forschen gibt es viele verschiedenen Ideen, z.B.: -Ein Beobachtungsbuch vom Schulgelände Gehe ins Schulgelände und beobachte z.B. Spinnen, Raupen, Schmetterling, Käfer oder Regenwürmer. Trage deine Beobachtungen in das Beobachtungsbuch ein. -Suchaufträge Suche etwas -Glattes -Glitzerndes -Unbekanntes -Weiches -Wertvolles   ... -oder auch deine eigene Idee

„DIE NATUR MIT ALLEN SINNEN ERLEBEN" Den Geheimnissen der Natur auf der Spur" Wir erkunden gemeinsam und mit allen Sinnen (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen) die Natur auf dem Gelände der Schule.[5]

Aufgrund eines Trailers des befreundeten Jungregisseur Bo Riedel - Petzold[6] entdeckten sie den englischsprachigen Kindergarten „Max and Mary“ in Bonn[7].

Nicht nur, dass dort in jeder Kindergruppe auch mindestens ein männlicher Betreuer für die Kinder da ist, gehen die Betreuer*innen nicht hin und „überzeugen“ die Kinder von ihrer Pädagogik. Sie reden mit ihnen. Sie hören ihnen zu, sie entwickeln eine „Pädagogik der Kommunikation“[8]. Sie zwingen die Kinder z.B. nicht Englisch zu reden. Sie lassen sie Deutsch reden, antworten selber aber immer in Englisch. Sie lassen sie nie stehen. Sie sprechen sie an, ohne ihnen Smalltalk oder erzieherische Antworten in den Mund zu legen.

In der musikalischen Früherziehung „hämmerten“ die Kinder frei in die Tastatur ihrer Instrumente, aber sie verloren nie den Rhythmus. Überall an den Wänden stehen Kinderfragen, echte „Fragen zur Welt“[9]. Sie werden offensichtlich gepflegt. Die dänische Leiterin schien die gesammelte Pädagogik ihres Landes mitgebracht zu haben. Alle Erzieher*innen strahlten die großartige inklusive und kindernahe kanadische Einstellung ab.

Die Autoren besuchten das Zentrum der Reggio-Pädagogik in Reggio/Emilia in Italien. Hier begegneten sie einer Pädagogik, die Kindern das eigene Wahrnehmen in der Beobachtung von Natur und Mensch nahebringt. „Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt“ (Loris Malaguzzi). Sie lernen aufgrund der eigenen Sinne eigene Fragen zu stellen. Diese werden zur Grundlage der individuellen oder kooperativen Arbeit am eigenen Ich und der eigenen Umgebung genommen. Die Kinderarbeiten werden auf besondere Weise präsentiert. Es werden hoch ästhetische Ausstellungen arrangiert, die alle Kinder und alle Besucher*innen bewundern können und die im ganzen Haus verteilt sind. „Wir erziehen unsere Kinder nicht, wir assistieren ihnen“ (Loris Malaguzzi).

Aus der Geschichte der eigenen Armut entwickelten die Menschen in Reggio ein menschenwürdiges Leben für ihre Kinder. Wer lernte selber Mensch zu sein, vertraut den eigenen Kindern in ihrem Wachsen und Lernen. Kinder lernen ihre Welt zu sehen, zu hören, anzufassen, sie zu be—greifen. Kindertagesstätten, Schulen und lebenslanges Lernen gehen ihren Weg des selbst aktiven und selbst bestimmten, eigen verantwortlichen Lernens.

 

Ähnliches sehen sie in der Freinet-Kindertagesstätte von PrinzHöfte[10], in dem die Kinder von Anfang an das Wort bekommen und Demokratie leben. Zu Beginn der 90 Jahre wurde der erste Freinet-Kindergarten in Deutschland gegründet. Bis heute können die Kinder dort selbstorganisiert und demokratisch leben und lernen. Schon die ganz kleinen übernehmen die Gruppenleitungsaufgaben, als "Häuptling des Tages". Es ist beeindruckend wie selbstständig die Kinder dort gemeinsam arbeiten und welchen Fragen sie nachgehen.

Die Erzieherinnen und Erzieher, die eine Ausbildung bei der „balance“[11] zur Freinetpädagogik absolvieren konnten, stellen ebenfalls die demokratischen Werte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Gerade das Lernen mit kleinen Kindern entwickelt sich immer weiter. Es erfasst „neuen Zeitgeist“, Inklusion, Diversität oder Kinderechte. Dies geschieht im In- und Ausland. Dies geschieht in „alten“ Fröbel-, Montessori- oder Waldkindertagesstätten. Dies geschieht in der Coyote-Education wie in aberhunderten Initiativen, die Kinder in Freiheit und Demokratie aufwachsen lassen wollen.

Und wenn Schule grundlegend, oder volksnah, gar weiterführend oder sogar universell sein will, sollte sie zu den kleinsten Menschen schauen, um zu erkennen, welche Fragen die Kraft des Lernens in sich tragen. Bildung darf nicht mehr nur „vererbt“ werden.

 

 



[1] Grundschule Eitorf und die Grundschule Harmonie, ebenfalls in Eitorf

[2] Kindergarten Harmonie in Eitorf

[3] Download: 

http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/Mathematik_am_Anfang_Broschuere.pdf

[4] Download: https://www.dropbox.com/s/h1gn1sfco8stv5u/Kindergarten-Vorlesungsverzeichnis%20IV.pdf

[5] www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Pressespiegel/2014.07.04-Kindergartens-Harmonie-Pressetext-Kinderuni.pdf

[7] http://www.maxandmary.de/

[8] Wie sie Martin Kremer bereits im Titel des Buches, dass 2017 im Schneiderverlag erschien, für die gesamte Bildung, auch in Sek I und Sek II fordert

[9] Walter Hövel, Uschi Resch, Fragen zur Welt, 2000, http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Artikel_4_pdf/Fragen%20zur%20Welt.pdf

[10]  http://www.zentrum-prinzhoefte.de/207.html

[11] http://www.balance-freinet-paedagogik.de/index.php/angebot