Walter Hövel
Warum es heute so viele Sprachen bei uns gibt

 

Woher kommen wir - wohin gehen wir?

Es gibt über 200 Länder auf dieser Erde. Die UNO hat 193 Mitglieder. Viele Länder sind umstritten, nicht anerkannt oder immer noch besetzt. Es gibt auf der Welt 5000 bis 9000 - je nach Definition von Anerkennung oder Wissenschaft - Sprachen. Wir kennen vielleicht Hundert oder zwei Hundert von ihnen beim Namen.

 

Sprachen in Deutschland

In Deutschland sind - neben der Hauptsprache Deutsch - Sorbisch, Dänisch, Friesisch und Niederdeutsch regional anerkannte Nationalsprachen. Jiddisch als jüdische Sprache und Romani, die Sprache der Sinti und Roma, sind besonders geschützt. Die deutsche Gebärdensprache ist gesetzlich als Sprache anerkannt. Sehr wenige Menschen sprechen noch Jenisch. Wenige bis viele sprechen noch ihre Dialektsprache. Meitsens sind diese Sprachen nur mundartig eingefärbt.

 

Im Folgenden untersuche ich Eitorf mit seinen 18.000 Einwohnern, meine Heimatkommune am südlichen Rand des Rheinlandes.

 

Jiddisch, Jenisch und Romani

In Eitorf wurden vor noch nicht so langer Zeit Jiddisch und Jenisch gesprochen. Das Jiddische wurde von den Nazibürgern bis 1945 ausgerottet. Das Jenische, vor Jahrzehnten noch in „Klein-Texas“ gesprochen, verschwin-det oder ist bereits verschwunden.

 

Roma, die vom Balkan oder aus noch ferneren süd-östlichen Ländern zu uns kamen oder kommen, sprechen in der Regel eine Sprache ihres Herkunftslandes und integrieren sich schnell durch die Übernahme der deutschen Sprache. Meist kennen wir sie nicht als Roma. Viele von ihnen verstehen und sprechen noch ihre eigentliche Sprache, das Romani.

 

Mehr als hundert in Eitorf lebende Sinti sprechen ebenfalls Romani. Sie leben in der Mitte Europas seit 600 oder mehr Jahren. Sie sind zweisprachig. Zuhause lernen sie Deutsch und Romani. Aber ihre Sprache ist gefährdet. Romani sprechende Menschen ersetzen mehr und mehr originale Romaniwörter (oft indischer und persischer Herkunft) durch deutsche und englische Begriffe. Nur ihre Grammatik und ihr Satzbau bleiben bestehen. Sie leben gerne hier, „weil wir nicht in ein Ghetto gesperrt werden, sondern über die ganze Gemeinde (wenn auch in Randbereiche) verteilt leben“.

 

Das Rheinische

Viele Bürgerinnen und Bürger sprechen noch ihren rheinischen, oder andere deutsche Dialekte. So gibt es hier unter anderem eine alte südhessische Mundart, die vor über 500 Jahren mit den Menschen nach Russland auswanderte und in den 1990ern zurückkam.

 

Unsere eigentliche, die Sprache der letzten Jahrhunderte ist das Rheinische, ursprünglich „Eitorfer Platt“. Noch vor weniger als hundert Jahren wurde diese von fast allen Menschen in Eitorf gesprochen. Der besondere Eitorfer Dialekt verschwindet spätestens seit den 1970er Jahren. Es besteht sie noch. Die Spracheinfärbung der „oberen Sieg“ bleibt als „Akzent“ erhalten, auch, wenn wir Hochdeutsch sprechen.

 

Der hiesige Dialekt orientiert sich heute mehr am Kölschen, bzw. am Bergischen oder Eifler Landplatt. Viele konnten in Eitorf noch vor Jahren nichts als den eigenen Dialekt sprechen. Heute ist die Zahl der Rheinisch sprechenden noch lebendig, aber im Alltag eingeschränkt.

 

Andere Sprachen kamen.

Wenige sprachen in einer Eitorfer Familie Jiddisch, Jenisch, Italienisch, Romani, einige Eifler Platt oder den benachbarten Westerwald-Dialekt. Wieder andere, „Gebildete“, sprachen im Alltag Hochdeutsch. Zudem beherrschten wenige, vor allem diese „gebildeten“ Bürger Französisch, Latein oder sogar Altgriechisch.

 

Seit 1900 kamen einige wenige, die in den Bergwerken arbeiteten und Polnisch sprachen. Schon in der Vergan-genheit heirateten Eitorfer Nichteitorfer aus dem In- und Ausland. Auch blieben Kinder von Besuchern oder Besatzungssoldaten zurück. In privaten Gesprächen wird „der Italiener“, „Spanier“, „Franzose“ oder „Engländer“ in der Familie erwähnt.

 

Eine große Bewohnergruppe mit über tausend Menschen bilden heute unsere türkischen und kurdischen Mitbürger. Andere Nationalitäten wie Griechisch und Portugiesisch wurden durch „Rückwanderung“ wieder weniger.

 

Die Sprachentwicklung in der Geschichte

Wenn es Menschen seit über einer Million Jahren gibt, entstand das „Mit-einander-Sprechen“, also was wir heute Sprache nennen, vor 100.000 Jahren. Andere Forscher geben unser Alter mit 35.000 Jahren an. Unsere Ge-schichtskenntnisse gehen 5.000 bis 10.000 Jahre zurück.

 

Aus ganz grauer Urzeit ist durch Funde an der Sieg bekannt, dass hier schon in der Steinzeit Menschen gelebt haben müssen.

 

Viel später waren es keltische Völker, andere nennen germanische Stämme. Sie hatten ganz sicher Kontakt zu Wikinger. Der Fluss, die Sieg, war in dieser Zeit bis zu uns beschiffbar. Schon immer gab es Kontakte in alle Himmelsrichtungen. Diesen „Verkehrs- und Handelsknotenpunkt“ nennen wir heute noch „Vierwinden“ im Westen Eitorfs. Es folgten die Zeiten der Franken und der deutschen Fürsten. Die Gemeinde war lange südlich-ster Bestandteil des Großherzogtums Kleve-Berg, also des „Bergischen Landes“.

 

Seit mindestens 600 und mehr Jahren wurde Eitorf immer wieder besetzt. Die Besatzer brachten ihre eigenen Sprachen mit. Die einen sprachen sehr oft Französisch, wie etwa 1796 bei der Schlacht bei Kircheip. Andere sprachen Spanisch oder Schwedisch. Weder Erbfolgekriege, noch der 30jährige Krieg, noch Weltktriege gingen an uns vorüber.

 

Auch ganz ferne deutsche Akzente aus Österreichisch und der Schweiz wurden gehört. Um die Zeit der französischen Revolution wurden die Husaren des Oberst Barko „aus dem Polnischen“ gefürchtet.

 

Alle diese Soldatenheere bestanden aus Söldnern, die alle Sprachen Europas mitbrachten. Sie wurden noch nicht von Nationalstaaten bezahlt, sondern von Landesfürsten. Umgekehrt kämpften Hunderte von Eitorfern nicht nur in den Reihen napoleonischer Truppen in Russland und Spanien. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten britische Truppen unseren Ort.

 

Erste Migrationen

Hinzu steigert sich durch Arbeitsplatz- und Migrationsbewegungen seit etwa 1900 bis zum Ende des 20.Jahrhunderts die Sprachenvielfalt in unserer Gemeinde. Die „fremde Sprache“ kam nicht mehr durch Krieg, Besetzung und Vergewaltigung, sondern durch Menschen, die bei uns Arbeit fanden. Früh kamen polnische Familien. Sie arbeiten in den Eitorfer Bergwerken. Es gab sogar schon Verträge zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Vorläufer der Türkei, dem Osmanischen Reich.

 

Der Zweite Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg wurden durch die Nazibarbaren Menschen als Sklaven zu Zwangsarbeitern gemacht. Sie schufteten in Eitorfer Firmen, auf Bauernhöfen und in der Waldwirtschaft. Sie sprachen Russisch, Lettisch, Französisch, Niederländisch oder Polnisch. Sie wurden bis heute nicht entschädigt.

 

Die Naziverbrechen drangen durch ihre Überfälle in ganz Europa in fast alle europäischen Ländern und Sprachen ein. So, wie sie im Inland Minderheitensprachen bis zur Ausrottung verunglimpften, schleppten sie sie in Form Gefangener und deportierter Zwangsarbeiter aus den von ihnen besetzten Ländern wieder ein. Deren sprachliche Verständigung hatte, wie es in Deutschland gerne beibehalten wurde, immer eine Richtung: Sie mussten Deutsch lernen. Es entstand keine Sprachenvielfalt wie etwa in Amerika oder ein neue „kreolische“ Sprache.

 

In der Zeit der Nationalsozialisten erlebte Eitorf eine nie dagewesene, nie wiederholte Schwemme von „Fremden“. Während viele Eitorfer Männer mit Beginn des Krieges zum Kriegsdienst eingezogen wurden und nie wiederkamen, kamen aberhunderte von Soldaten aus den entlegensten Teilen des Reiches zur „Einquartierung“ nach Eitorf. Ihre Zahl ging bald in die Tausende.

 

Dann folgten, durch die Bahnverbindung Eitorfs verstärkt, in Hochzeiten täglich (!) hunderte von „Ausgebombten“ und „Vertriebenen“ aus der Eifel und Köln. Zählte die Eitorfer Bevölkerung zu Beginn des Krieges etwa 9000 Einwohner, waren es am Ende des Krieges 20.000. Es lebten bei 40% Eitorfern, 60 % Menschen hier, deren Dialekt und Sprachen anders waren. In dieser Zeit ist die Ursache für viele heute noch vorhandene Vorurteile zu finden.

 

Besonders heikel war die Unterbringung der Bombenopfer aus Köln. Die deutschen Behörden schickten vor allem Menschen aus Köln-Kalk hierher, die auch in dieser Zeit sowohl bescheidenen Wohlstand als auch kaum Bildung kennengelernt hatten. Gegen sie gab es von vielen Mitbürger*innen in Eitorf arge Ressentiments, die von den Nazis in Kauf genommen wurden. „Man“ war „als Buur“, also „als Bauer“ gegen die „arroganten Städter“ und durch die Propaganda gegen „Ostarbeiter als Untermenschen“ eingestellt. Bis heute halten sich so Vorurteile gegen Opfer von Bomben und Armut, aber auch ein Verständnis für ihre Lage.

 

Außer Großbritannien und der Schweiz war ganz Europa direkt oder indirekt unter dem Einfluss dieser militä-rischen und politischen deutschen Nazis. Die Befreiung durch die Siegermächte brachte dem, was von Deutsch-land übrig blieb, Französisch, Russisch und – wie auch in Eitorf – Englisch, dieses Mal mit einem amerikani-schen Akzent. Bald gewöhnten wir uns daran, dass unsere Kinder English als Sprache und Lebensstil „konsu-mierten“.

 

Nachkriegszeit

Die vehementen Folgen der Niederlage Deutschlands unter der Führung nationalistisch und militärisch denken-der Barbaren brachten wieder Menschen hierher, die als Opfer auch aus der direkten Umgebung kamen. Bei anderen fiel ihr Deutsch durch andere Akzente auf. Sie kamen aus Schlesischen, Ostpreußischen, Siebenbürgen oder Böhmen. Danach kamen immer wieder einzelne, die „sächselten“ oder einen ungarischen oder tschechi-schen Akzent beibehielten.

 

Die Bevölkerung integrierte Millionen von zurückkehrenden Soldaten, Menschen, die an Leib und Seele als Opfer oder Täter faschistischer Gewalttaten, durch braune und rechte Ideologien, durch Bombennächte, Kriegsdrogen, Morde und Vergewaltigungen, krank waren. Flüchtlinge aus dem eigenen Land, aus anderen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches und Vertriebene aus ganz Europa kamen.

 

Sie schafften es nicht nur diese Menschen in ihre neue Wirtschaft einzubauen, sondern auch in ein neues demokratisches Denken. Wenn die Eitorfer lernten, andere Menschen, „Fremde“ zu integrieren, dann geschah dies mit und in der Nachkriegszeit. Sie lernten die Integration von Flüchtlingen jeder Art mehr als in der Vergangenheit, bis heute.

 

Naziwörter im Deutschen

Noch heute ist die Entnazifizierung unserer Sprache ein hartes Stück Arbeit. Die Nazis versuchten „echte deutsche Wörter“ zu erfinden. So nannten sie Bananen „Schlauchapfel“ oder den Jazz „Negermusik“. Diese Wörter verschwanden. Andere wurden historische Begriffe, wie „Blockwart“, „Konzentrationslager“, „Volks-genossen“. Einige, wie „Panzerschokolade“ oder „Reichsmark“, verschwanden. Andere schmuggelten sich ein, obwohl sie Nazierfindungen sind, wie „asozial“, „Volkswagen“ oder „Betreuung“.

 

Die „Gastarbeiter“ kommen

Später kamen wieder türkische und kurdische Mitbürger, viele Portugiesen und Griechen. Es folgten Menschen aus Italien, dem ehemaligem Jugoslawien und nordafrikanischen Ländern. Mit allen ihren Ländern hatte die Bundesrepublik Deutschland Verträge geschlossen und bezahlte die Länder für jede Arbeitskraft. Sie arbeiteten in Eitorf im Straßenbau und in den damals noch florierenden Fabriken und Firmen.

 

Europa öffnet weitere Grenzen

Mancher Flüchtling aus der DDR, der CSSR (heute Tschechien und Slowakien), Ungarn oder wieder Polen kam hier an. Als die Grenzen des Ostblocks sich öffneten strömten die Menschen aus Russland, ehemaligen Gebieten der UdSSR, Polen, dem Osten Deutschlands und den ehemaligen Länder des alten Jugoslawiens vom gesamten Balkan zu uns. Wieder andere kamen aus Spanien, Österreich, Großbritannien, Belgien den Niederlanden oder der Schweiz. Als Europa als „Europäische Union“ erweitert wurde, kamen sie zudem aus Rumänen, Albanien und Bulgarien.

 

Wieder Kriegsflüchtlinge

Durch die Destabilisierungen und Kriege im Irak, der Ukraine, in Syrien, im Libanon, in Palästina, im Jemen, Ägypten, Tunesien, die Bürgerkriege in vielen afrikanischen Ländern, die Kriege im Balkan, in Serbien, Kroatien, der Slowakei, in Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien und die Globalisierung der Weltwirtschaft, wobei die deutsche Wirtschaft eine der führenden Rollen einnimmt, öffneten sich Grenzen mehr denn je.

 

Neue Begegnungen mit Sprachen

Durch Schulbildung kommen Englisch, bedingt Spanisch, Französisch und –als Relikt feudaler Welt - Latein hinzu. Eitorf blieb nie außen vor.

 

Wir lernten selber in anderen Ländern wie zuerst Österreich, Italien, Frankreich oder Spanien, dann Griechen-land oder die Türkei, Urlaub zu machen. Wir gewöhnten uns daran andere Sprachen zu hören. Heute fliegen die, die es sich leisten können, in die Dominikanische Republik, nach Ägypten, nach Botswana oder nach Neusee-land. Wir fingen an Länder nicht mehr mit Panzern, sondern in Liegestühlen und auf Barhockern zu besetzen.

 

Durch die gewollte Zuwanderung von Arbeitern und ihren Familien aus Italien, Portugal, Griechenland, der Türkei, aus nordafrikanischen Ländern und aus dem ehemaligen Jugoslawien kam eine große Mehrsprachigkeit zu den Menschen und in die Kommune.

 

„Ausländer“ lernten Deutsch bei der Arbeit und beim Einkaufen. Ihre Familiensprachen sprachen sie weiter und ihre Kinder lernten bald schon im Kindergarten und dann in der Grundschule Deutsch und dann auch Englisch. Unsere Kinder bekamen portugiesische, türkische, serbische oder griechische Mitschüler*innen und Freunde.

 

Seit Ende der 1980er kamen immer mehr Menschen aus der ehemaligen DDR und aus dem sich auflösenden Ostblock, während viele unserer Kinder uns verließen, um wo anders zu studieren oder zu arbeiten.

 

Heute kommen Menschen aus allen Ländern der Welt zu uns. Sie kommen aus dem Nahen, Mittleren oder Fer-nen Osten, Afrika und Übersee. Spätestens seit der Jahrtausendwende gehören Nordafrikaner, Chinesen und Afrikaner zum Stadtbild.

 

Über 100 Sprachen werden nun in Eitorf gesprochen!

 

Wir werden zwei- oder mehrsprachig

Durch das Erlernen der deutschen Hochsprache wurden wir im letzten Jahrhundert zweisprachig. Wir lernten zu unserem Dialekt „Hochdeutsch“ zu reden. Der Prozess des Verschwindens des Dialekts setzte ein und dauert bis heute an. Trotzdem sind wir wieder zweisprachig. Die meisten sprechen Deutsch, und - Dank der Schulbildung und Werbung Englisch. Viele mehr sind mindestens dreisprachig. Es kamen die Familiensprachen und Dialekte hinzu.

 

Schulen haben heute die Rolle der Straße eingenommen. Hast du in der Vergangenheit Deutsch, Kölsch, Türkisch oder Jenisch beim Spielen mitbekommen, so begegnest du heute den Sprachen in der medialen Kommunikation und beim Lernen. Da Schule die Pflicht zur Teilnahme fordert, treffen sich von den Kinder-gärten, die Sekundarschule und Gymnasium, der Ganztagsschule bis zum Berufskolleg und zur, wenn auch entfernten Universität, die Sprachen von heute.

 

Hier sind sie, mit den Medien und der Werbung, sozialen Einrichtungen, Arbeitsämtern und der Konsumwirt-schaft, die Horte des Wissens über Sprachen. Die Schulen werden in Zukunft auch lernen müssen, die Hete-rogenität und demokratische Inklusionskraft der Sprachen zu nutzen und zu pflegen. So wie wir die Integration erlernten, um mit einander handeln zu können, lernen wir heute die Inklusion, um mit einender zu leben.

 

Das Sprachlernen funktioniert auch neben der Schule. Wenn die Alten neue Sprachen kaum perfekt lernen, können es die Kinder mühelos. So geht es uns mit dem Englischen. Unsere Umwelt „verenglischt“, wir mit ihr.

 

Es wird immer noch Deutsch gesprochen

Die Deutsche Sprache ist die zentral-prägende tägliche Umgangs- und Verständigungssprache. Die Kinder der Zuwanderer aus allen Teilen Europas und der Welt sprechen alle, oft im Gegensatz zu Großeltern und Eltern ein perfektes Deutsch. Und wir denken auch gleich, es sei denn, wir wurden von den Eltern oder Familien daran ge-hindert. Immer noch reden Teile der Hiesigen, ob ihre Eltern hier geboren wurden oder nicht, in keinem per-fekten Deutsch und denken auch nicht richtig, was sie dann Rechts oder „Islamisch“ nennen.

 

Es war nicht immer selbstverständlich Deutsch zu reden. Viele lange Jahrhunderte sprach der „gehobene“ Deutsche nicht seine Sprache. Er bevorzugte Lateinisch, Griechisch oder Französisch. Deutsch nannten die „Besseren“ abfällig die „Sprache ihrer Dienstboten.“

 

Deutsch brauchte viele Jahre um die anerkannte, von allen gewürdigte Hochsprache der Menschen hier zu werden.

 

Jugendsprache

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Entwicklung einer Jugendsprache, die nicht zuletzt durch “mo-derne“ Medien gefordert und gefördert wird. Du musst schon verstehen, was YouNow, Call of Duty, Kickbase, Instagram, cu, 4u2, ABF, JFGI oder ka bedeuten. Es ist auch eine neue Sprache zwischen den vielen vorgegebe-nen Sprachen zur Verständigung geworden. Die älteren Benutzer dieser Sprache sind bereits Erwachsene.

 

Sprache „lernt“ aus jeder Begegnung

Unsere eigene deutsche Sprache ist ein Spiegel unserer Begegnungen und Kommunikation mit allen Völkern der Erde. Unser „Deutsch in der heutigen Form“, vor ungefähr 5oo Jahren entstanden, kennt heute mehr als die Hälf-te unseres Wortschatzes mehr als damals. Unser deutscher Wortschatz hat sich verdoppelt.

 

Kraft der Dialekte

Schon seit Jahrtausenden lebt sie von der Begegnung mit anderen. Unsere Wörter kommen zuallererst aus den Dialekten unserer Heimat. Nicht nur Martin Luther baute das Hochdeutsche, deren Weiterentwicklung wir spre-chen, aus unseren Dialekten zusammen.

 

Kelten und Wikinger

Doch schon davor begegneten wir anderen Sprachen. So kommen die Wörter „Eisen, Rhein, Amt, Slogan oder Stephan“ aus dem Keltischen (Ich nenne auch im Folgenden immer fünf Beispiele aus jeder Sprache). Die Wikinger sprachen eine nordische Variante unserer Sprache und benutzten Worte, die der unseren ähnelten, „boga (Bogen), ungr (jung), ormr (Wurm, Schlange), orð (Wort) oder dóttir (Tochter)“.

 

Zudem, würden wir „Deutsch sprechenden“ Menschen von vor tausend Jahren begegnen, könnten wir sie kaum verstehen.

 

Latein

Aus der lateinischen Sprache haben wir seit 2.000 Jahren abertausende von Wörtern übernommen. Als Beispiel steht hier nicht die Unsumme der auch von uns so genannten „Fremdwörter“. Es sind die vielen täglichen Worte, von denen wir nicht mehr wissen, dass sie einen lateinischen Ursprung haben: „Mauer, Tisch, Fenster, Familie oder Straße“.

 

Nicht-lateinische lateinische Wörter

Sehr viele lateinische Wörter wiederum kommen ursprünglich gar nicht aus Rom. „Starke“ Imperien bereicherten ihre Sprachen immer um Wörter, denen sie begegneten. So wurde aus dem römischen Wort „carrus“ im Deut-schen „die Karre“, die in der Jugendsprache dann eher dem englischen Wort „car“ entspricht. „Karra“ aber ist ursprünglisch ein keltisches Wort, das „verlateinisiert“ wurde. Die Kirsche „ceresia“ kommt aus dem Griechi-schen, die Kiste „cista“ aus dem Gotischen, die Flasche „flasco“ war ein umflochtenes Gefäß aus Germanien oder der Sack und das Sacco „saccus“ kommen aus dem Assyrischen.

 

Jenisch und Romani

Aus dem Jenischen kommen Wörter wie „Moos (für Geld), quasseln, ausgebufft, Kiez oder Feez“, aus dem Romani „Zaster, Kaschemme, Schund, (keinen) Bock (haben) oder Kaff“.

 

Europäische Sprachen

Allein im letzten, im 20sten Jahrhundert ist unsere Sprache um fast die Hälfte gewachsen. Um Deutsch zu spre-

chen, brauchst du abgesehen von Grammatik und Satzbau je nach Angaben zwischen 400 und 1000 Wörtern. Durchschnittliche Eitorfer gebrauchen ein paar tausend.

 

Hier einige Beispiele - wieder immer fünf aus jeder Sprache - für aberhunderte von täglichen Wörtern:


Aus dem Französischen „Abenteuer, Flöte, Appetit, Tschüss oder Roman“.

 

Aus dem Italienischen „Bank, Risiko, Kredit, Alarm oder Konzert“

 

Aus dem Griechischen „Papier, Disco, Demokratie, Gymnasium oder Arzt“.

 

Aus dem Spanischen „gratis, liberal, Romanze, Gitarre oder Kamerad“.

 

Aus dem Niederländischen „Apfelsine, Pilot, Yacht, Kante oder baggern“.

 

Aus dem Dänischen „Flunder, Kannegießer, Knäckebrot, Nordlicht oder Stabreim“.

 

Das Englische ist sehr nahe mit uns verwandt. Viele Wörter haben Englisch sprechende Menschen mit uns gemein, wie „Ball, Finger, in, Arm oder blind“. Andere wurden von uns schon länger übernommen „Baby, Sport, Pullover, Flirt oder Start“.

 

Heute überschwemmen uns englische Wörter in Werbung und Alltag. Dabei sind auch viele „falsche Freunde“, die gar kein Englisch sind oder etwas anderes bedeuten. Wir machen schon selber Englisch, wie „Handy, Inline Skater, Flat, Streetworker oder Publik Viewing“. Die ersten zwei sind unsere Erfindungen. Eine Flat ist eigentlich eine Wohnung. Streetworker verdienen ihr Geld auf und mit der Straße und Publik Viewing ist im Englischen keine gemeinsam gesehene Fernsehübertragung, sondern eine öffentliche Aufbahrung eines prominenten Toten.

 

Hinter Sprachen steht viel Macht

Viele englische Abkürzungen wurden ins Deutsche übernommen. Viele Menschen wissen gar nicht mehr, was sie da abkürzen. NATO müsste NAVB heißen, die UNO VN, die USA VSvA, das UK steht für „das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und ihr Commonwealth“. Der CIA, würde bei uns als „Zentrale Wissens Be-dienung“ ZWB abgekürzt, was dann auch wieder für die NSA taugt. Und was heißt SMS oder e-mail? Dagegen bleiben auch im Ausland die Abkürzung für VW oder BMW „Made in Germany“. „Made in Germany“ sollte ursprünglich eine Warnung für nicht in England produzierte Waren sein.

 

Es bestellt, wer die Musik zahlt, heißt ein alter Satz. Die Werbung bleibt mit englischen Texten hip und verkauft alles besser. Wir übernehmen täglich Wörter aus dem Englischen. Es sind ein paar Tausend.

 

Manchmal wird noch übersetzt. Die deutsche Regierung wollte „inclusion“ mit "Integration" übersetzen. Der Versuch misslang. Jemand anders wollte den Slogan „Yes we can“ mit „Wir schaffen das“ übersetzen. Er wird vorsichtiger eingesetzt, obwohl er dieses Mal stimmte. Dagegen ist „Alternative“ kein deutsches Wort.

 

Sprache ist Politik der Parteien und Verwaltungen, der Wirtschaft und der Medien. Sie besetzen gerne die Be-deutung von Wörtern, mal in Englisch, mal in Deutsch. Wenn dies nicht gelingt, wird gegen die Inhalte gear-beitet, verschwinden Begriffe wieder oder sie werden verwässert. An der Inklusion wird von nicht wenigen gegen die sehr Vielen, die machtvollen Befürworter (nicht zufällig heißen sie „Befür-Wort-er“) der Inklusion gearbeitet.

 

Weitere „verdeutschte“ Wörter

Aus dem Slawischen kommen “Grenze, Peitsche, Halunke, Quark oder Nerz“, differenzierter, aus dem Polnischen „Gurke, Säbel, Dalli-dalli, Penunze oder (wenn wir einen trinken) pitschen (wir einen), aus dem Russischen „Mammut, Pogrom, Steppe, Zobel oder Biber“, aus dem Tschechischen „Pistole, Polka, Preiselbeere, scharwenzeln oder Tornister“.

 

Viele Wörter kommen aus dem Jiddischen, also einem deutschen Dialekt, wie „ Zoff, Schlamassel, Maloche, blau oder zocken“, vieles aus dem Hebräischen „ Amen, guter Rutsch, Jubel, Halleluja oder Gauner“. Aus dem Türkischen kommen nicht nur Kebab und Döner, sondern auch „Kaviar, Joghurt, Türkis, Kaffee und Kiosk“, aus dem Arabischen „Koffer, Benzin, Limonade, Zucker oder Alkohol“.

 

Wörter aus aller Welt

Es geht noch ferner. Fast 200 deutsche Wörter kommen aus dem Persischen, wie „Schach, Khaki, Paradies, Magier oder Schal“. Aus indischen Gebieten kommen „Punsch, Shampoo, Yoga, Pyjama oder Dschungel“. Aus Japan erhielten wir „Bonzen, Harakiri, Kamikaze, Tofu oder Judo“. Südamerikas Indianer brachten „Tabak, Tomate, Kanu, Jaguar oder Schokolade“. Aus Afrika haben wir „Zebra, Kral, Safari, Jenga und Kongo“. Von fernen asiatischen und pazifischen Inseln „“Bambus, Sago, Orang-Utan, Känguru oder Amoklauf“.

 

Aus der Antarktis wanderten Inuit-Wörter wie „Anorak, Iglu, Eskimo, Parka oder Kajak“ ein.

 

Nachdem sich das Deutsche aus Dialekten zusammensetzte, kommt mindestens jedes vierte „deutsche“ Wort aus einer anderen Sprache. Im Englischen, mit Latein unser wichtigster Wortlieferant, ist es übrigens viel extremer. Über die Hälfte aller „englischen“ Wörter kommen wo anders her. Diese Sprache ist eine bunte Mischung aus Keltisch, Römisch (Latein), Nord- und Mittelgermanisch, Normannisch, Französisch, anderen europäischen Ländern und den Sprachen ihrer ehemaligen Kolonien.

 

So kommt der Name ihrer Währung, dem Pfund Sterling, aus Köln. Es ist der „Osterling“, das „aus dem Osten kommende Geld“.

 

Wieder Wörter von „Nebenan“

Und weitere Wörter aus anderen deutschen Sprachgebieten bereicherten uns. Aus Österreich kamen „Schmäh, Servus, Gusto, Bankomat oder Gelsenstecker“, aus der Schweiz „Müsli, Grüezi, Töff-Töff, Putsch oder Lulatsch“. Nur 40 Jahre DDR reichten, um uns dort neu entstandene Wörter wie „Exponat, Fakt, Plaste, Broiler oder Kol-lektiv“ zu bringen. Übrigens sorgten erst die Österreicher dafür, dass Deutsch in der EU eine offizielle Überset-zungssprache wurde.

 

Sprache relativiert

Nur ungefähr 1% aller Bewohner der Erde, etwa 100 Millionen, spricht Deutsch. Wir „Deutsche“ sind in der Welt für über 6 Milliarden Mitbewohner*innen Ausländer.

 

Sprachen sind Familien. Gerade die großen Bekannteren sind heftig mit einander verwandt.

 

Sprachen machen schlau

Wie man heute weiß, ist die Zwei- oder Mehrsprachigkeit ein Grund für erhöhte Intelligenz und die Chance zur höheren Bildung. Im Übrigen spricht die Mehrzahl aller Menschen der Welt, inklusive ihrer Dialekte, mehr als nur eine Sprache. Die Einsprachigkeit ist eher ein Phänomen der Vergangenheit.

 

Wenn die Zahl der vor Ort wahrgenommenen Sprachen sich vielleicht in der gar nicht so ferner Vergangenheit auf drei bis fünf beschränkte, stiegen diese noch vor 5o Jahren auf eine Zahl von etwa 20. „Normal“ war es aber damals immer noch für das Gros der Bevölkerung nur eine Sprache, die eigene, zu sprechen und auch zu hören. Noch heute wird der Kontakt in der deutschen Sprache vor Ort häufiger gesucht als im Geschäftsalltag, in der Bildung, in Freundschaften oder auf der Reise.

 

Sprache verändert sich selbst und uns

Die „Neuen“ veränderten unter anderem unser Essen, das in Restaurants und Küchen italienisch, serbisch, griechisch, türkisch und französisch, jetzt schon länger chinesisch, vietnamesisch, indisch oder amerikanisch wurde. Die „Einheimischen“ bekamen beim Essen mehr Kontakt zu den Wörtern anderer Sprachen als im täglichen Gespräch, das ja auf Deutsch verlief.

 

Sprachen verändert das Verstehen

Auch unser Denken veränderte sich im Alltag mit den verschiedenen Sprachen. Die Einen wurden offener und menschlicher, die Anderen knurrten und schotteten sich lieber ab. Mit der Hilfsbereitschaft und Toleranz bei den Einen, wuchs die Distanz und Skepsis bei Anderen.

 

Viele von uns leben gerne noch mit dem Anspruch, dass all diese „Fremden“ und „Fremdes“ sich in unsere Ge-sellschaft zu integrieren hätten. Oder sie fordern nun das Untereinander der Verschiedenheiten. Um ihre Identität zu retten, leugnen sie die Identität als Mensch.

 

Andere, wie wir, freunden sich mit dem Gedanken an, mit allen „Einheimischen und Fremden“ eine gemeinsame heterogene Gesellschaft zu formen. Land und Leute sollen nicht mehr beherrscht werden, alle Menschen sind gleich und haben die gleiche Würde. Wir wollen mit Allen den Anspruch auf Demokratie und Menschenrechte, auf Wohlstand und Bildung, auf menschliches Miteinander, auf Anerkennung der Rechte der Frauen und Kinder, den Schutz von Minderheiten, auf ein gesundes Essen, Trinken und Leben durchsetzen.

 

Sprachen geben ihren Sprechern noch etwas Besonderes mit. Jedes andere Volk lässt sich gendern. Wir kennen die Französinnen und Franzosen, die Russinnen und Russen, die Amerikanerinnen und Amerikaner, die Schwei-zerinnen und Schweizer, die Madagassinnen und Madagassen, die Tibeterinnen und Tibeter, aber keine Deut-schinnen und Deutschen. Wir bleiben Deutsche.

 

Denken und Sprechen – Haltung und Handlung

Dies ist nicht einfach. Viele Dazukommende fügten sich „nahtlos“ ein, andere hatten mehr von uns und unserem Lebensstil erwartet. Menschen, die vor zwei oder drei Generationen kamen, brachten andere Vorstellungen von Religion und Zusammenleben mit. Sie fühlen sich noch immer als billige Arbeitskräfte oder kulturelle Opfer nicht angenommen. Sie kommen nicht an und können nicht mehr zurück.

 

Wieder andere kamen vor über 100 Jahren, oder 200. Sie haben das Gefühl schon immer hier gewesen zu sein. Einige wurden reich, andere wollen es immer noch werden. Viele fürchten, ihnen könnte etwas weggenommen werden. Viele wollen noch immer etwas mehr besitzen als ihr Nachbar. Sie haben Angst (wieder) abzusteigen.

 

Die Menschen haben sich daran gewöhnt in einem der reichsten Länder der Welt zu leben. Sie verzichten nicht mehr auf Sozial- und Gesundheitsversorgung, demokratische Rechte, gute Bildung und ein bequemes Leben in einer tollen Heimat. Dabei wissen sie vielleicht mehr als je zuvor, dass sie selber hart arbeiten mussten und müssen. Sie wissen, dass dieses, ihr Leben Einsatz verlangt.

 

Sie wissen, dass soziale Ungleichheit, Armut, Dummheit, Diskriminierung, Streit, Angst und Krieg in unserem Leben, so lange es den Kapitalismus gibt, eine große Rolle spielen. Sie wissen, dass das Erreichte immer ge-fährdet ist. Der Wunsch nach Sicherheit entspringt dem Wunsch nach einem zufriedenen friedlichen Leben.

 

Die Menschenrechte sprechen vom Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Glück. Für viele gilt das alles nichts, da für sie die Menschenrechte nicht gelten. Andere wollen nichts daraus machen, weil sie nicht können. Aber alle haben, alles was erreicht wurde - und auch alles was nicht umgesetzt wurde, - selber geschaffen-, und „es“ geschafft.

 

Wir entscheiden

Wir selbst entscheiden, ob wir in Frieden und gegenseitiger Würde miteinander leben, oder den Weg des Strei-tes und Krieges gehen. Wir, alle inklusive verstehen heute bereits mit Jungen und Alten, mit Behinderten und Bevorzugten, mit Armen und Reichen, mit hier Geborenen und Menschen aus anderen Ländern, mit verschieden Gebildeten und verschiedenen Geschmäckern und Interessen in unserer Vielfalt zu leben. Menschen wollen In-klusion, nicht das Ausgeschlossen- und Ausgegrenztwerden.

 

Wir leben bereits in einer neuen Welt, in der wir lernen können uns selbst zu verstehen. Der Mittelpunkt dieser Welt ist für uns Eitorf. Wir haben kein anderes „Dorf“ zum Leben. Eitorf ist Heimat. Diese haben wir selbst ge-staltet, mit unserer Verschiedenheit, mit unseren Fehlern und unseren Erfolgen, mit und in der Vielfalt unserer Sprachen.

 

©Walter Hövel