Ein Kleinod“ ist laut Duden „ein kostbares Schmuckstück, eine Kostbarkeit, ein Juwel“. Dort steht auch, dass ein Kleinod „gehütet werden muss“. Die sprachliche Herkunft aus dem 12. Jahrhundert spricht von etwas „Zierlichem, Niedlichem“.

 

Kleinodien in Eitorf
Anstatt streiten, sich erinnern und Neues schaffen
Walter Hövel

 

Eitorfer Bewohner*innen tendieren dazu, wie übrigens wo anders auch, sich in Lager aufzuteilen. Sie diskutieren gerne das Pro und Contra. Einige sagen, das ist demokratisch. Für Andere ist dies das Prinzip des „Divide et Impera“, des Teilens und Herrschens, was auf jeden Fall beim Zweiten hilft. Gerne greift auch die Taktik des Verdrängens und Vergessens.

 

So ist man oder frau für oder gegen den Standort eines „Globus“. Menschen sind nicht gegen das Gespräch mit Bekannten auch im Supermarkt, aber gegen dieses Obst- und Gemüsecenter als Treffpunkt, gegen diese Grundschule Harmonie als staatliche Demokratiealternative oder genau dieses Kreuz am Wegesrand. Und in oder fast nach jeder Diskussion verschwinden „Kleinodien“, also Kostbarkeiten.

 

In diesem Artikel geht nicht um das Ja, die Abers oder Neins. „Die Schuld“ wird nicht einfach bei „Verwaltungen“, „Politik“, „Rat“, „Erwachsenen“, „Reichen“ oder „Interessensgruppen“ gesucht. Nicht das Dafür und Wider steht im Mittelpunkt, sondern das, was verloren ging und geht. Der Autor hält sich an den französischen Literaten Patrick Modiano. Er beschreibt ohne sich einmischen zu wollen, das aber mit seiner eigenen subjektiven Erinnerung und Wahrnehmung.

 

  • Anlass für diesen Aufsatz war 2019 das Verschwinden eines Obst- und Gemüseladens. Die Familie musste nach über 20 Jahren schließen, obwohl hier jede und jeder Zeit, fand einen angebotenen Tee zu trinken und mit anderen zu reden. Wo anders geschieht so etwas aus vielleicht anderen Gründen. Wo gibt es das in dieser Form noch immer- oder so bewusst?

  • Und natürlich musste der Autor an die Schule Harmonie denken, die er fast 20 Jahre bis 2014 leitete. Sie war immer ein Dorn im Auge der Mehrheiten der Parteien und des Rathauses. Eine europäische und deutsche Bildungsöffentlichkeit sah das anders. Die Schule wurde mit Preisen überschüttet und im Studium als Ort der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte als moderner Lernort für Kinder vorgestellt. Über 10.000 Menschen hospitierten sie und noch viel mehr besuchten die Homepage.

  • Da wurde ein Bahnwärterhäuschen abgerissen. Ein altes Schulhaus aus Backstein und mehr folgte, anderes wird folgen.

  • In der Kirche in Merten gibt es viele Reliquien („Knöchelchen“ wie die Kölner sagen). Eine davon, die „Milch der Muttergottes“ (der Saft der Mariendiestel, oder mit dem alten Namen »Maries Tisdel«) entschwand spurlos? Die Samen dieser Distel sollen helfen bei Leberproblemen und der Wirkstoff Silibinin verhindert das Eindringen von Lungenkrebszellen in andere Gewebe.

  • Da wird ein Supermarkt im Industrieviertel verschwinden, der Besitzer spricht von Enteignung. Ein anderer baute „sich“ aus. Welche Rolle spielen da Politik und Interessen?

  • Ein offener Tanzbrunnen, oder die Bäume und vor allem Brücken in der nach ihnen benannten Brückenstraße. Da verbrannten im Krieg (der genauso sinnlos war, wie alle anderen) viele alte Häuser und ein altes schickes Rathaus.

  • Viele Mühlen, landwirtschaftliche Betriebe, Industrien und Arbeitsplätze, Dorfzentren, Chöre und ihre Proberäume, Gaststätten, Einzelhandelsgeschäfte, Dorf- und Waldfeste und ihre Vereine, das Tanzlokal „Dresen“ und anderes mehr verschwanden im Trudel der Zeit und ihrer Veränderungen.

  • Die evangelische Kirche wurde zu einem „Tempel der Kunst“. Giovanni Vetere, ein sehr bedeutender Künstler, baute nach einem Brand in 2002 einen komplett neuen Altarraum. Es kam ein neuer Kreuzweg von Klaus Süss. Nach der Installation von zwei Fenstern des italienischen Künstlers Michele Canzoneri versank das Projekt unvollendet im Streit eines Presbyteriums, auch der neue Kreuzgang verschwand.

  • Das „Trödelcafe“ löste sich nach Jahren der Existenz in Luft auf. Unter anderem verkauften hier Frauen der Umgebung ihre Kuchen, die sie nach eigenen, teils alten Rezepten buken.

  • Die Katakomben der Germaniabrauerei verschwanden, weil ein Supermarkt gebaut wurde.

  • Eine der Gemeinde angebotene Marionettentheatersammlung wurde nicht angenommen.

  • Pfarrer*innen wie Rolf Thumm, Alexander Lubomierski oder Anne Petsch, sehr eigen-sinnige und vorwärts gewandt denkende Menschen, wurden entlassen, versetzt oder beantragten ihre Versetzung.

  • Die Friedrichsquelle, einer von Hunderten von Siefen, wird jahrelang nicht restauriert. Dabei sind es Siefen, die im Rheinland im Tal liegende Orte bei Regenfällen über entstehende Bäche und Quellen (eben „Siefen“ genannt) mit frischer Luft versorgen. Gibt es einen ausreichenden Schutz für sie?

  • Keltische Ringwälle mit uraltem historischen Bezug, sowie ein ganzer geschichtsträchtiger Ortsteil, werden nicht oder zu selten genannt.

  • Eine alte Synagoge, bzw. eines jüdischen Gebetsraums, mitten im Ort wird nicht gesehen.

  • In Rodder fiel das erste Dorfkreuz der Renovierung zum Opfer.

  • Da „bearbeitete“ - nach Beschreibung des Besitzers - die Kreisverwaltung die „Weinbar im Altebach“ solange, bis diese 2016 wieder schloss. War das „Hauptübel“, dass der Besitzer mit seinem attraktiven Restaurant nichts verdienen wollte?

  • Im Ortsteil Harmonie gibt es eine kirchliche Sensation. Dort steht eine in Deutschland und Europa sehr seltene „runde Kirche“. Wird dies gewürdigt? Werden ihre Gründer*innen in einer Kirchengemeinde gesehen?

  • Das jährliche Aufsteigen vieler Heißluftballons, sowie der Start eines Hunderennens gehörte lange zu den jährlichen Attraktionen Eitorfs. Auch sie waren für Bürger*innen plötzlich weg.

  • Ein Krankenhaus wird verscherbelt und die Versorgung mit ländlichen Ärzten ist nicht gerade gut.

  • Eine Gruppe des Gymnasiums reiste jährlich nach Israel. Diese Fahrt ging „abhanden“.

  • Es gab Gruben, in denen Erz gefördert wurde, solange „es sich lohnte“. Es fuhren Loren auf Schmalspurgleisen bis zum Bahnhof. Gibt es ein Museum, Grubenbesichtigungen, Gedenktafeln an alten Gleisen oder Grubeneingängen

  • In einem alten Schaufenster gab es „die drei Musketiere“. In anderen Schaufenstern wurde erst zwei bis drei Wochen vor Weihnachten für Weihnachten geschmückt. Viele Menschen betrieben viele kleine Geschäfte. Woanders anderes, was erinnern könnte.

  • An der Sieg stand ein alter sehr großer Wohnwagen aus Holz. Er wurde abgefackelt. Warum und von wem?

  • Im Ortsteil Harmonie gab es eine ganz Deutschland beliefernde Webrahmenfabrik. Sie schloss gegen 2000 endgültig und spurlos.

  • Das einst gegründete Kinder- und Jugendparlament Eitorf wurde nach ein paar Jahren wieder aufgelöst, obwohl Eitorfer Grundschulen ihre – von der Gemeinde abgelehnte - Unterstützung zusagten. Ehemalige Mitglieder des Kinder- und Jugendparlaments sagten, dass sie eh nichts zu bestimmen bekamen.

  • Eitorf steht in einem Vulkangebiet, das jederzeit wieder aktiv werden könnte. Als dies vor vielen tausend Jahren geschah, wurde ein heute noch existierender Steinbruch hinter-lassen. Dort wurde viele Jahre Gestein abgebaut und noch immer bilden Basaltsteine imposante Wände.

  • Die Jugendfahrten von Angela und Rolf Thumm nach Griechenland waren viele Jahre nicht nur für Eitorfer Eltern und Kinder eine Attraktion. Spurlos, aber nicht vergessen, „hörten“ sie „auf“.

  • Eine weitere prächtige Villa musste einem Supermarkt in der Ortsmitte weichen.

  • Wo sind der Briefmarkenverein oder die Schachspieler*innen?

  • Das Kino „Blau-Weiß“ wird ersatzlos geschlossen. In der englischen Partnergemeinde Halesworth wird ein schnuckliges Lichtspielhaus erhalten, indem Mitglieder monatlich ihren Sitzplatz bezahlen.

  • Bäume wurden abgeholzt, weil sie „störten“ oder „krank“ waren.

  • Als vierjähriges Kind wohnte der Autor in Frechen. 1953 machte er Urlaub in der Obereiper Mühle in Eitorf. Noch heute gibt es diesen Ort. Die Gemeinde kaufte das Hotel und ließ Flüchtlinge darin einziehen. Wird dieser Ort erhalten?

  • Kinder sind in Eitorf traditionell „Auszubildende“. Zum Studieren und Arbeiten gehen sie in Städte oder gar ins Ausland. Die größten „Schmuckstücke“ der Menschen kehren bei steigender Bildung und Ausbildung selten in ihren Ort zurück, um ihn zu gestalten.

  • Heute gibt es noch - wie einst in Eitorf - letzte jenisch-sprechende Familien in Gießen, Stotzheim (Euskirchen) oder Luxemburg. Diese heute noch bei alteingesessenen Eitorfern bekannten Familiennamen wurden seit Jahrhunderten immer als „fahrendes Volk“, Schausteller oder arme Außenseiter diskriminiert. Alte Eitorfer kennen noch ihre Wohnorte in Vierwinden oder Bohlscheid. Viele ihre Nachfahren wissen nichts mehr von ihren Vorfahren - andere wollen diese Vergangenheit „vergessen“. Jenische sprechen nicht mehr ihre eigene, deutsche, stark vom Jiddischen, Rotwelschen, den örtlichen Dialekten, dem Manischen oder Romanes beeinflussten Sprache. Dieses sprachliche Kleinod ist bis auf einzelne Wörter und die nicht immer korrekte Erinnerung an jene Menschen im Alltagsleben verschwunden.

  • Viele Minderheiten sehen zu oft, sich oder ihre Interessen nicht gesehen oder vertreten.

  • Und: Wo waren die Kornblumen und das Klatschmohn in den Feldern unserer Kindheit? Wo sind nach wenigen Kilometern Fahrt mit dem Auto die mückenverschmierten Frontscheiben? Wo stehen heute die schmutzigen Fabriken, in denen unsere Großväter schufteten?

 

Nicht, dass es in Eitorf keine Kultur gäbe, oder Menschen, die sie pflegten und pflegen. Im Gegenteil! Einige Namen fallen mir ein: Manfred Fuchs, Hannelore Schug, Horst Geuß, Michael Breuer, Claudia Fuchs, Sandra Krist-Rösgen oder Bernd Hänscheid.

 

Hier gibt es die Aktionen der „Geschenkten Zeit“, der „Stolpersteine“, Kiwi in Bach und Merten, „Gut Drauf“, ein Jugendcafé, einen jüdischen Friedhof, etc., etc.

 

Da rettet ein Willi Schlimm die Hubertushütte mitten im Wald, da pflanzt das jährliche Karnevalspaar einen Baum im Park, da gibt’s den Kelteser Weinberg oder eine biologische Station am Bahnhof. Immer wieder gibt es Menschen und Initiativen die Hervorragendes schaffen.

 

Wo gibt es seit vielen Jahren so eine hervorragende Ausstattung von Schulen mit Computern, bei gleichzeitiger katastrophaler Unterversorgung ganzer Ortsteile noch 2019 mit elektronischen Kapazitäten?

 

Nach 2010 war Eitorf mit Heinz-Willi Keuenhof und Martina Schneider auf Platz eins der Wiedereingliederungen von Arbeitslosen im Ranking aller Kommunen Deutschlands!

 

Nicht, dass es keine wache Presse u.a. mit Renate Deitenbach, Stefan Herkenrath, Harald Röhrig, Marco Holländer, Engelbert Krips, Hans Peter Barrig, Sylvia Schmidt oder Marlies Schmitz gäbe.

 

Nicht dass es unzählige erhaltene Projekte gibt, wie die Freiwillige Feuerwehr, den Eitorfer Karneval, die Kirmes, die Geschäftsbesitzer, die Tafel, die Fußballvereine, die Eitorfer Kneipennächte, Chöre und Musikgruppen wie u.a. Young Hope oder Oikumena Brass, den Eitorfer Frühling, Prozessionen, den AK Inklusion, die Friedhofspfleger, der TVE von 1894, die DLRG, Bogenschützen, den Heimatverein, Judoka, der Gemeindesportbund, der Sportdachverband, die „Kunstpunkte“, die Taucher von Xarifa, die Städtepartnerschaft, Tanzvereine, die Eitorf-Stiftung, einen Tourismusverein, das „Rock Against Anything“, den Golfclub, unsere Wälder und ihre Förster und vieles andere mehr.

 

Ich mag diesen Ort, weil so viele verschiedene Menschen hier so verschieden aktiv sind.Oder ist genau das das Problem?

 

Gibt es immer wieder Menschen, die sich nicht gesehen werden oder nicht ernst genommen fühlen?
Gibt es zu wenig Würdigung oder nur die der „eigenen, üblichen“ Leute?

 

Braucht es „Verbindungsmenschen“ zwischen Bevölkerung und kommunaler Spitze?

 

Braucht es überhaupt ein größeres Hineinhören von Parteien und kommunaler Verwaltung in die durchaus verschiedenen Interessen der Bewohner*innen dieses Orts?

 

Gibt es zu wenig erkennbare Taten bei der Bekämpfung von Umweltschäden und Armut, beim direkteren Umsetzen von Heimatinteressen?

 

Wo sonst gibt es zu viele Arme und Harz-4-Empfänger bei gleichzeitig so erfolgreichen Firmen wie Weco, ZF Sachs, Krewel-Meuselbach, Gerstäcker oder Botex?

 

Wo sonst gibt es so viele „Behinderte“, die in Heimen und Wohngemeinschaften, wohl angesehen von der gesamten Bevölkerung, leben. Die Bedeutung von Firmen wie der AWO oder der Caritas steigt.

 

Wo gibt es so eine intensive Altenbetreuung? Hier gibt es Firmen wie „Can Aktiv“ oder „Schwester Christine“?

 

Wo gibt es so eine Arbeit für Kinder und Jugendliche wie bei Mutabor oder den „St-Georgs-Pfadfindern?

 

Wo gibt es so eine intensive Bildungsarbeit wie im Schützenhof, in einem eigenen Buchgeschäft oder wie es sie an der Grundschule Harmonie selbst von und mit Kindern gab?

 

Gibt es zu viele Reibungsverluste?

 

Bleibt immer wer oder was auf der Strecke?

 

Oder ist es der übliche Wandel der Zeit?
Kann man eh nichts machen?

 

Oder braucht es noch mehr wache Bürger*innen oder noch mehr ihre Organisiertheit oder Vernetztheit?
Fehlt es an einem Gesamtkonzept für den Ort?

 

Ist es richtig, dass z.B. der Eitorfer Sport zu wenig Flächen, Hallen und Unterstützung hat?
Wird zu wenig den Bürger*innen zugehört?

 

Wo wird über Erhalt und Gestaltung des Orts überhaupt gesprochen?

 

Oder wird da nicht aufgepasst?
Mangelt es an Gefühl für Fortschritt und Erhaltung?

 

Gibt es eine Beliebigkeit in der Unterstützung und Zulassung von Initiativen aus der Bevölkerung?

 

Waren die Menschen zu lange arm und zu abhängig von ihren Herren?

 

Oder gibt und gab es zu viele eigene Interessen?

 

Geht manchmal anderes vor?

 

Gibt es manchmal sogar eine „zu enge“ Weltsicht?

 

Gibt es immer noch die Aufteilung in die „Guten, wie wir“ und die „Bösen, die anderen“?

 

Wird manchmal gemauschelt?

 

Werden und wurden ab und an eigene Schäfchen ins Trockene gebracht?

 

Wir können nur noch mehr auf die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Historie unserer Gemeinde achten. Wir sind so reich wie unsere aufgearbeitete Erinnerung und unser mutiges Denkvermögen in die eigene menschliche Zukunft!