Pia Maria Rabensteiner
Harmonie - Eindrücke einer dreitägigen Hospitation

 

geschrieben 1997

 

Das Schuljahr 1997/98 begann in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfahlen bereits Mitte August und somit konnte ich in den Ferien noch die Gelegenheit nutzen, diese Schule anzusehen und einige Tage lang zu hospitieren. Der Weg von Klagenfurt nach Eitorf ist zwar nicht der kürzeste - Eitorf liegt in der Nähe von Köln - aber aufgrund der Eindrücke, die ich von dieser Schule mitge-nommen habe, war es ein sehr lohnender.

 

Die Schule

Die achtklassige öffentliche Grundschule ist ebenerdig und so angeordnet, das jede Klasse die Möglichkeit hat, ins Freie zu kommen. Neben der Schule liegt ein wunderschöner Schulgarten, bei dem jede Klasse ihre eigenen Beete besitzt und individuelles Anpflanzen von Kräutern, Blumen, Gemüse etc. ermöglicht. Ein Gerätehaus aus Holz liegt vor quadratisch angeordneten Holzsitz-möglichkeiten, die sich für Gesprächsrunden anbieten. Im Schulgebäude befindet sich eine Aula, die fur Zusammenkünfte zwischen Klassen regelmäßig verwendet wird. Die Druckerei, die von allen Kindern während des Unterrichts besucht werden kann, liegt gegenüber dem Lehrerzimmer.

 

Das Lehrerzimmer, auf den ersten Blick als solches nicht erkennbar, ist sowohl für Lehrerinnen als auch für Schülerinnen ein Raum, in dem gearbeitet werden kann.

 

Blitzlicht

Die Tür steht offen, Kinder arbeiteten im Lehrerzimmer an ihren Aufgaben. Eine riesige Tafel, an der eine Unmenge von pädagogischen Themen draufsteht. Experimenteschachteln, die von den Lehrern für die Kinder hergestellt werden.

 

Die Gänge sind nicht traurig leere Korridore, sondern beherbergen viele Regale, auf denen sowohl Lern-materialien als auch Experimente, Schülerarbeiten uvm. untergebracht sind. Alte Klassentüren stehen offen (außer eine Klasse hält gerade ein Kreisgespräch ab) und die Kinder nutzen den Gang als Arbeitsraum. Während der Pause können sich die Kinder sowohl im Haus als auch Draußen aufhalten und spielen. Ein eindrucksvolles Erlebnis während der Pause: Durch das offene Fenster im Lehrerzimmer kommt ein Fussball geflogen. Keiner der anwesenden Kolleginnen fängt an zu schreien oder zu zetern, sondern eine Kollegin nimmt den Ball und wirft ihn mit dem Kommentar: „Da ist er“, wieder zum Fenster hinaus. In dieser Schule spürt man die Wertschätzung gegenüber den Kindern, die Offenheit, „das Leben“ wird in die Schule geholt. Das beeindruckendste, das noch lange in mir haften bleiben wird: Innerhalb der drei Tage, an denen ich an dieser Schule hospitiere, sehe ich kein einziges Kind, das mit einem Mitschüler/einer Mit-schülerin rauft.

 

Foto: Morgenkreis im Freien

 

Das Schulleben

Walter Hövel, Leiter der dortigen Schule, ermöglicht es, dass wir nicht nur ihm in seiner Klasse, sondern auch bei allen Kolleglinnen beim Unterricht zusehen können. Die Kolleginnen arbeiten alle unterschiedlich: es gibt den Unterricht nach Stationenbetrieben, nach dem Wochenplan, in Ateliers.

Für die erste Klasse gibt es die ersten 6 Schulwochen mit Einverstandnis der Eltern eine Sonderregelung.

Ca. die Hälfte der 29 Schulanfänger kommt um 7. 30 Uhr in die Schule. Mit diesen Kindern wird bis 9.30 gearbeitet. Um diese Zeit stößt der zweite Teil der Klasse dazu. Gemeinsam werden zwei Schulstunden verbracht. Um 11. 30 verläßt der erste Teil der Gruppe die Schule, der zweite Teil arbeitet bis 13. 30 Uhr weiter. So können sich die Kinder leichter an die Schule und das Arbeiten in der Schule gewohnen können. Für den Lehrer ist es einfacher, mit Erstklässlern den Unterricht in Ateliers von Anfang an zu organisieren. Dass der Lehrer der dortigen Klasse eine „Hilfe“ hat deren Bezahlung noch nicht geregelt ist, ist eine andere Sache. Kinder der zweiten Klasse über-nehmen die Partnerschaft über die Kinder der ersten Klasse. Aus diesem Grund sitzen alle im großen Kreis in der Aula beisammen. Lieder und Spiele werden von der ersten Klasse vorbereitet und aufgeführt, während die zweite Klasse zu einem gemeinsamen Kartoffelessen einlädt. Die Kartoffeln wurden im eigenen Schulgarten geerntet und mit Hilfe von Eltern in Kleingruppen zu Pom-mes, Pellkartoffeln, Kartoffelpuffern und Kartoffelpüree verarbeitet.

 

Jeden Montag werden Konferenzenabgehalten, und nachdem ich an diesem Montag in der Schule hospitiere, werde auch ich dazu eingeladen. Von der vorher erwähnten großen Tafel im Lehrer-zimmer wird jeden Montag von einer Kollegin oder einem Kollegen ein Thema ausgewählt, in der Konferenz thematisiert und ausdiskutiert. So eine Konferenz miterleben zu können, war Novum. Die Gesprachsdisziplin, das Umgehen miteinander bei so unterschiedlichen Lehrer-persönlichkeiten, die Diskussionsbereitschaft ... war beein-druckend. Jeder, der auch an dieser Schule so unterschiedlich arbeitet, kann, darf so sein, wie er ist.

Auch über „Schwache“ darf öffentlich geredet und diskutiert werden. Kollegiales Miteinander, Akzeptanz, Respekt, Wertschätzung des Anderen wird auch unter Erwachsenen „gelebt“. Schule Harmonie - ich stellte mir vor, dass dieser Name der Schule absichtlich so gewählt wurde – als Zeichen von Zusammenarbeit, Einklang mit der Natur, Kooperation, Akzeptanz von dem was ist (Kinder sind so wie sie sind und nicht so, wie wir sie haben wollen) und vielem mehr. Die Neugier war groß, das Gesehene beeindruckend, die Eindrücke umwerfend. Diese normale Regelschule tragt keinen dafür speziell ausgewählten Schulnamen. Die Schule Harmonie liegt in einem Stadtteil Eitorfs - dem Stadtteil Harmonie.

 

Bild - Kinder arbeiten auch im Lehrerzimmer