Walter Hövel
Was ich 2006 über das Lernen denke

 

Nach und während meiner Studien an der Pädagogischen Hochschule arbeitete ich im Förderunterricht der Grundschule, an der Fachoberschule, der Berufsschule und in der Sekretärinnenausbildung an der Volkshochschule. Zudem verdiente ich mein Geld in mehreren Betrieben, u.a. ein Jahr im Rechenzentrum der Bayer-AG in Leverkusen.

 

Nach der zweiten Ausbildungsphase war ich ab 1979 über ein Jahrzehnt an Hauptschulen an sozialen Brennpunkten in Köln und an einer Gesamtschule.

 

Zu aller erst prägte mich die Mitarbeit im Arbeitskreis „Humane Schule“ (Werner G. Mayer, Klaus Tillmanns u.a.) des Kölner Schulamtes. Hier begegnete ich dem Jena-Plan, der Montessori-Pädagogik, der Freinetpädagog*innen, der Entwicklung des Sachunterrichts, der intensiven Diskussion der Richtlinien, einem ganzheitlichen Lernbegriff und dem Arbeitskreis Grundschule. Schon seit dem Studium machte ich in der Gewerkschaft mit, die damals eine reformierte Pädagogik stark in den Vordergrund ihrer Arbeit stellte.

 

In dieser Zeit war ich u.a. Mitglied des Hauptpersonalrates für die Grund- und Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen, Mitglied der Lehrplankommission für das Fach Englisch an den Hauptschulen und Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Konzepts eines alternativen Studiengangs zur LehrerInnenbildung im Rahmen des Europäischen Forums für die Freiheit im Bildungswesen (EFFE). Hier setzte ich mich intensiv mit freien Schulen und der Waldorfpädagogik auseinander.

 

Seit 1980 besuchte ich unzählige Fortbildungen im In- und Ausland, oft als Teilnehmer, häufiger als Referent. So lernte ich unser eigenes Bildungssystem intensiv kennen und die Pädagogik anderer europäischer Länder, etwa in Finnland, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Ungarn, Kroatien, Polen, der Schweiz, Italien, bis Portugal.

 

Seit dieser Zeit nahm ich viele Lern- und Unterrichtsaufträge deutscher und europäischer Universitäten und Lehrerausbildungsstätten an, u.a. in Köln, Siegen, Bremen, Kassel, Oldenburg, als auch an mehreren österreichischen Akademien. Intensiver arbeite ich als Referent und Teamer in Italien, Ungarn, Kroatien und in Lettland (Gastprofessur von 1995 – 2000.

 

Seit 1982 beschreibe und entwickle ich meine Arbeit in Fachzeitschriften, Schul- und Fachbüchern.

 

1991 wechselte ich zur Grundschule und lernte zunächst in Schulleitungen in Ruppichteroth, Sankt-Augustin und Lohmar.

 

1996 gründete ich mit fünf weiteren KollegInnen die Grundschule Harmonie, 1997 kamen drei hinzu. Diese Schule ist ein Konglomerat aus dem, was ich in über 20 Jahren in Europa an Machbarem, Beeindruckendem, Originellem und Erfolgreichem im Sinne eines demokratischen und intensiven selbst bestimmten Lernens gesehen hatte.

 

Hierbei geht es nie um Experimente oder spezielle Unterrichtskonzepte, sondern darum so viel Normalität des Lernens und Lebens wie möglich zu kreieren.

 

Im Mittelpunkt der Arbeit in der Klasse steht immer jedes einzelne Kind, als auch die Gesamtheit der einzelnen Kinder.

 

Es gilt immer, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich jedes Kind als Lernerpersönlichkeit anhand der eigenen Fähigkeiten lernt selbst zu organisieren und einem möglichst breiten Angebot an Lernmöglichkeiten selbst zu strukturieren.

 

Diese Individualisierung bedarf immer der Kraft der Kommunikation und Kooperation der gesamten Lerngruppe.

 

Jede Klasse entwickelt in der Begleitung und Beratung der Lehrkräfte ihr eigenes unverwechselbares Profil. Nicht die Kinder werden einem Unterrichtskonzept angepasst, sondern es gilt, das gesamte Knowhow der Pädagogik für jedes Kind und jede Lerngruppe während des Lernens und der Arbeit der Kinder so weit zu verstehen, wie wir als Lehrerinnen oder Lehrer dazu in der Lage sind.

 

Gutes, nachhaltiges Lernen kann nur selbstgesteuert sein, erfolgreiches Lernen und das Lernenlernen als verinnerlichte Methode nur selbst organisiert und immer mehr selbst verantwortet.

 

Nur ein erfolgreicher Mensch kann selbstbestimmt und selbstbewusst agieren und leben.

 

Nur wer sich anstrengen kann, wird mit sich zufrieden sein. Nur wer sich wohlfühlt, kann seine optimale Leistung entwickeln. Jeder Mensch braucht sein Selbstwertgefühl.

 

In der Grundschule werden diese Fähigkeiten der Lernentwicklung gefördert und gefordert.

 

Die Kinder bringen sich selbst das Lesen und Schreiben bei. Sie schreiben zunächst eigene Wörter, dann Sätze und eigene Texte.

 

Sie entwickeln ihre eigenen freien mündlichen Ausdruck und ihren eigenen Schreibstil.

 

Sie entwickeln zunächst eine Schrift, um das Selbstgeschriebene vorlesen zu können, dann eine Schrift, die andere lesen können, dann eine Schrift, die den eigenen ästhetischen Ansprüchen genügt. Jedes Kind findet mit oder ohne Hilfe seinen eigenen Weg zur Rechtschreibung.

 

Jedes Kind hat das Recht seinen eigenen freien Ausdruck und seinen eigenen Zugang zu seiner Sprache oder seinen Sprachen zu finden. Alle Formen des freien Ausdrucks der Bewegung, der Kunst, des Theaterspiels, der Musik oder der Sprache sind gefragt.

 

Den Kindern werden alle ihnen adäquaten Zugänge zu Menschen, Natur, Literatur, Medien, Informationen und Wissenschaften geöffnet.

 

Sie lernen sich eigene Themen forschend und entdeckend zu erschließen und fremde Informationen zu verstehen, zu beurteilen und zu benutzen.

 

Sie lernen zunächst sich selbst, die anderen in Arbeitsgruppen und in der Klasse, in der Schule und dann in ihrer Welt zu verstehen. Die Entwicklung einer demokratischen Gemeinschaft in der jeder Einzelne seinen Wert und das Wort hat, ist ein zentraler Vorgang des Lernens in der Klasse und in der Schule

 

Die Aneignung der Formen und Methoden der Organisation der Arbeit und des Lernens stehen im täglichen Mittelpunkt. Die Mittel hierzu sind Kreise, Klassenrat, Gespräche, Arbeitspläne, Vorträge, Dokumentationen, Dichterlesung, Selbsteinschätzung und die Beratungen mit den Eltern und Lehrern.

 

Die Kinder begegnen allen bekannten Formen des Arbeitens und Unterrichtens, Projekten, Stationen, Werkstätten, Ateliers, Kursen, Arbeitsgruppen, Vorträgen, Unterrichtsgesprächen, Schulbüchern , Experimenten, Exkursionen, Gruppen- und Einzelarbeit.

 

Sie lernen Mathematik wie alle weiteren „Fächer“ durch Handeln und Erproben in ihrer eigenen Logik, Musterhaftigkeit, Gesetzmäßigkeit und Operationen in der Schulung ihres Denkens und der Erfahrung beim Lösen von Problemen zu begreifen. Sie lernen alle Formen des Mathematikunterrichts, die die weiterführenden Schulen zur Selektierung ihrer Schülerschaft einsetzen.